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des Antipsychiatrieverlags
unveröffentlichtes Manuskript (ca. 1995)
Alfred Deisenhofer (Münchner Psychiatrie-Erfahrene
[MüPE] e.V.)
Beantwortung
folgender 4 Fragen zur Elektrokrampftherapie aus meiner persönlichen Sicht
und Erfahrung
1) Bei welchen Diagnosen
wird EKT angewandt?
2) Welche reversiblen und irreversiblen Nebenwirkungen
hat EKT?
3) Wie wird die Elektrokrampftherapie durchgeführt?
4) Wie wirkt sich die Behandlung auf den Krankheitsverlauf aus?
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir sind auch der Meinung, dass
das Thema EKT keine einfachen und raschen Antworten erlaubt, schon deshalb nicht,
weil EKT seit 70 Jahren so eng mit der Geschichte der Psychiatrie verbunden ist
und weil diese Wissenschaft so viele Probleme und Widersprüche aufweist,
angefangen von der Definition von Krankheiten bis hin zu den Therapien. Trotzdem
versuche ich, aus meiner und der Sicht vieler unserer Mitglieder Ihre vier Fragen
möglichst präzise und so ausführlich, wie es mir unbedingt nötig
scheint, zu beantworten. Weil das Thema so komplex ist wie die menschliche Seele,
ergeben sich dabei immer wieder Überschneidungen. Diagnosen, Art der
Durchführung, vor allem Nebenwirkungen und Heilerfolge lassen sich schwer
allein bestimmen und genau einkreisen. Sie werden auch unterschiedlich von Ärzten
und Psychiatrieerfahrenen beurteilt. Was für den Arzt als Erfolg erscheint,
kann für den einzelnen Psychiatrieerfahrenen eine Katastrophe sein.
1) Bei welchen Diagnosen wird EKT angewandt?
Die Elektrokrampftherapie
(EKT) wird offiziell nur noch bei schweren Depressionen eingesetzt, die auf Medikamente
nicht ansprechen. Außerdem gilt sie als »lebensrettend«; bei katatonen
Zuständen, in denen der Patient auf seine Umwelt nicht mehr reagiert. Bis
etwa 1970 war EKT die unspezifische Standardbehandlung für alle sogenannten
»Geisteskrankheiten« oder das, was man darunter verstand oder dafür
hielt. Ich gehe davon aus, dass es auch heute daneben noch eine hohe Dunkelziffer
von EKT-Anwendung bei anderen Diagnosen gibt, da die Behandlung sehr einfach und
diskret durchzuführen ist und im Gegensatz zur Medikamentenbehandlung außer
dem Arzthonorar und dem einmaligen Anschaffungspreis für das Gerät nur
minimale Stromkosten verursacht. So wird in den USA niedergelassenen Psychiatern
zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation auch geraten, sich ein EKT-Gerät
anzuschaffen und einen einwöchiges Trainingskurs zu machen.
»....learn (...) specialized treatments, such as electroconvulsive
therapy (ECT). One psychiatrist whose practice was self-described
as »strictly inpatient« took a week-long practicum
in ECT and has since developed an inpatient and outpatient
ECT service" (Auszug aus der Psychiatric Times).
Die Versuchung,
EKT zur Lösung aller möglichen Probleme anzuwenden, scheint für
Psychiater sehr groß zu sein zum Schaden vieler Patienten, die oft glauben,
dass der Stromstoß ins Gehirn keine Schäden verursache, bis sie durch
schmerzliche Erfahrung eines besseren belehrt sind.
Ich selbst wurde jahrzehntelang
im Unklaren darüber gelassen, ob und wie viele Elektroschocks ich während
meines Zwangsaufenthaltes in Haar bekommen hatte und wegen welcher Diagnose. Ich
musste also meine noch 1986 testpsychologisch festgestellten Ausfallserscheinungen
dem Fortschreiten einer Krankheit zurechnen, die ich nicht gehabt hatte. Erst
1990 habe ich durch ein Gerichtsgutachten (in dem es um meine Behinderung ging,
nicht um eine Klage), welches aus meinen Originalkrankenpapieren wörtlich
zitierte, eher beiläufig zur Kenntnis nehmen können, dass ich zusätzlich
zu den 19 Insulinschocks auch diskret 12 Elektroschocks erhalten hatte, was meine
schweren Ausfallserscheinungen nach meinem ersten Aufenthalt in Haar für
mich nachträglich erklärte. In einem Gerichtsgutachten von 1986 war
aber noch sachwidrig behauptet worden, in meinen Haarer Krankenpapieren wäre
gar keine EKT dokumentiert, aus den dortigen Unterlagen ginge nicht hervor, dass
ich EKT erhalten habe.
Als Nichtprofi glaubt man immer dem Fachmann und
seinem Gutachten, auch wenn die Aussage falsch ist. Ich persönlich bin sicher,
dass ich bei meinem Erstaufenthalt in der Klinik 1953 in Haar als 18-Jährger
durch unnötig und willkürlich gegebene Schocktherapie so geprägt
und geschädigt wurde, dass sich von da an mein ganzes Leben und meine Persönlichkeit
zum Negativen hin veränderte. Meine nachfolgende Psychiatriekarriere wäre
ohne diese Schockbehandlung nicht eingetreten. Aus psychiatrischer Sicht wurde
meine Geisteskrankheit damals zum ersten Mal erkannt und hat sich »trotz«,
nicht wegen der Heilkrämpfe (die man dem Patienten natürlich aus »therapeutischen
Gründen« gegeben und verschwiegen hatte) dann weiterentwickelt. Aus
meiner Sicht sieht das anders aus.
Ich gehe auch davon aus, dass viele
stationäre Langzeitpatienten, die heute versorgt werden müssen, noch
Opfer der damals extensiv geübten Schocktherapie sind, ohne es zu wissen.
Meine eklatanten sprachlichen Defizite (Aphasie) nach EKT haben sich im Laufe
der Jahrzehnte unter günstigen Bedingungen nach und nach zurückgebildet,
die visuellen Defizite sind aber heute noch offenkundig, obwohl nicht mehr ganz
so schwerwiegend wie unmittelbar nach der Behandlung. Dass EKT damals für
mich das soziale Aus bedeutete, lässt sich auch an meinem Schülerbogen
ablesen, den ich beilege.
Ich kenne verschiedene Psychiatrieerfahrene,
die auch glaubhaft behaupten, EKT erhalten zu haben, die es aber nicht belegen
können, weil man es ihnen verheimlicht hat. Es ist sehr schwierig, dann eine
Gehirnschädigung durch EKT zu behaupten, wenn EKT nicht dokumentiert ist.
Unter vielen Leidensgenossen bin ich fast ein Ausnahmefall, dass ich heute nach
40 Jahren definitiv weiß, was damals an mir und vielen anderen verübt
wurde. Eine mir bekannte Psychiatrieerfahrene hat in den 80er Jahren nach einem
Klinikaufenthalt in der Uniklinik Bonn durch ihren Hausarzt nachträglich
erfahren, dass die »Heilschlafbehandlungen« eigentlich Elektrokrampfbehandlungen
mit vorheriger Betäubung waren.
Ich lege einige Seiten aus Lehrbüchern
vor, in denen das »amnestische Syndrom« als nicht schockverursacht,
sondern konstitutionsbedingt hingestellt wird. Das ist typisch für die Denkweise
der Schockärzte, dass sie die Folgen einer iatrogenen Hirnschädigung
entweder nicht zur Kenntnis nehmen oder einfach auf die morbide Konstitution des
Klienten abwälzen. Als ich Patient in Haar war, wurden noch häufig (eben
auch an mir) Elektrokrämpfe in der Bewusstlosigkeit eines vorher erzeugten
Insulinkomas verabreicht. Man nannte das »Kombinationsschock« und sprach
dem doppelten Schock doppelte »Heilkraft« zu, nach dem Motto« je
mehr desto besser«.
Nur die ganz alten Psychiater wissen heute noch,
was sich unter dem neutralen Namen »Kombinationsschock« verbirgt. Ich
musste lange herumfragen, bis mir das einer erklären konnte, der es selber
noch gemacht hatte. Als ich Professor Sollmann anlässlich des internationalen
EKT-Workshops in München 1992 wegen meiner noch 1986 festgestellten Gedächtnisdefizite
ansprach, meinte er freundlich, diese müssten vom Insulinkoma herrühren,
da Elektroschock absolut sicher sei. Die meisten EKT-Patienten, die ich in Deutschland
persönlich kenne, reden nicht gerne über ihre leidvolle Erfahrung mit
Elektroschock und seinen Folgen. In Amerika gibt es eine Website für Patienten
zum Thema. Die meisten berichten über sehr negative Folgen . Nur eine Hausfrau
nimmt es mit Galgenhumor und schreibt, dass sie seit ihrer EKT in ihren Schubladen
immer etwas Neues findet, weil sie vergessen hat, was darin war, und dass ihre
Kinder es schätzten, dass sie immer zweimal Taschengeld von ihr bekämen
wegen ihrer Vergesslichkeit..
Schon in alten Lehrbüchern wird am Rande
eingeräumt, dass Leute bei geistiger Tätigkeit nach EKT Schwierigkeiten
haben. Die englische Lyrikerin Sylvia Plath hatte in einem lesenswerten Buch (the
jar bell) darüber geschrieben. Sie hat sich bald darauf suizidiert, so wie
auch Earnest Hemingway, der sich besonders negativ und verzweifelt über die
Folgen seiner EKT ausgesprochen hat. Die begabte Schweizer Schriftstellerin Annemarie
Schwarzenbach bekam, weil sie lesbisch und zudem drogensüchtig war, in den
40er Jahren in den USA vermutlich Krampftherapie, war dann eine gebrochene Persönlichkeit
und starb bald darauf bei einem Fahrradunfall in der Schweiz, der auch suizidalen
Charakter hatte.
Man kann sagen, dass EKT zunächst gelegentlich eine
Euphorie schaffen kann, wenn man durch den Angriff auf das Gehirn seine Probleme
vergisst. Nachher kommen die Probleme meist mit doppelter Macht zurück, weil
man auch noch, je nach Anzahl der Schocks, eine mehr oder weniger starke Gehirnschädigung
zu verkraften hat. Ich lege einige Berichte von Betroffenen bei. Solche Berichte
finden im Allgemeinen wenig Gehör und bewirken wenig, weil man Psychiatrieerfahrenen
zu Unrecht die Fähigkeit abspricht, zu erkennen, was für sie gut oder
schädlich war.
Ich selber habe noch keinen Patienten getroffen, der
sich über seine EKT-Behandlung positiv ausgesprochen hat. Ich kenne aber
viele, die sagen, sie möchten sich so behandeln lassen, da EKT auch in Zeitschriften
als Wundertherapie für Finsternisse der Seele angepriesen wird. Ich rate
jedem Depressiven, dem die Ärzte eine EKT anraten, auf keinen Fall in eine
solche Therapie einzuwilligen. Der Preis, den der Patient für eine eventuelle
schnelle und vorübergehende Stimmungsaufhellung zahlt, ist sehr hoch.. Der
bekannte Gehirnchirurg Detlev Linke, hat Wirkungsweise von EKT in einem mir vorliegenden
Interview so beschrieben: »Wenn man eine defekte Uhr in die Ecke wirft, dann
funktioniert sie manchmal und manchmal nicht.«
Bei depressiv Suizidgefährdeten
und Katatonen rechtfertigt man EKT heute damit, dass ohne EKT der schwer Depressive
sich suizidieren und der Katatone sterben würde, dass also EKT in beiden
Fällen lebensrettend und das kleinere Übel sei, so dass selbst schwerwiegende
Nebenwirkungen »Peanuts« sind. Früher hat man in Haar mit ähnlichen
Argumenten auch die Leukotomie gerechtfertigt und EKT eine kleine Leukotomie genannt.
Ich lege einen Ausschnitt aus der Haarer Festschrift von 1955 bei, in dem die
Wirkung von EKT mit der noch besseren »Heilwirkung« der Leukotomie verglichen
wird und beide »Therapien« der bis 1945 in Haar auch praktizierten Euthanasie
(Heilung durch Patientenmord) gegenübergestellt werden. Vor dem Hintergrund
der Haarer Euthanasie heben sich dann nach der Meinung der Autoren EKT und Leukotomie
noch sehr positiv ab, und man beklagt in der Festschrift die nach 1945 einsetzende
»Humanitätsduselelei«, die den Patienten die so segensreiche Leukotomie
vorenthalten und den Ärzten ihre mutige Arbeit verleiden möchte. Man
ging damals wenig rücksichtsvoll mit Patienten um und kümmerte sich
nicht um ihre Empfindungen oder gar um Einwilligung.
Compliance für
EKT ist in moderner Zeit immer am leichtesten von einem Depressiven zu erhalten,
weil von ihm am wenigsten Widerstand ausgeht. Aus dieser praktischen Erwägung
heraus wird heute die Depression (wie eingangs erwähnt) als eigentliche Indikation
genannt. Die sogenannte Positivsymptomatik einer produktiven Erstpsychose wird
in der Regel nicht mehr (wie früher) mit Schocks behandelt, sondern durch
hochdosierte sedierende Neuroleptika gedämpft. Wenn unter der Wirkung der
Medikamente eine sogenannte »Negativsymptomatik« auftritt, der Patient
teilnahmslos oder gar kataton wird, kann dieser Zustand als depressiv eingestuft
werden und nach der jetzigen Mode auch mit EKT angegangen werden. Psychiatrieerfahrene
fürchten, dass sie ohne ihr Wissen in einer geschlossenen Klinik Elektroschock
bekommen haben oder wieder bekommen können, eine Befürchtung, die ich
aus den Erfahrungen meiner eigenen Krankengeschichte und angesichts der immer
noch undurchsichtigen Strukturen der Großkrankenhäuser und ihrer mangelnden
Informationspflicht und schlechten Dokumentation nachvollziehen kann.
Diese
Angst ist umso verständlicher, als nach meiner Information auch in Haar kürzlich
das neue Schockgerät Thymatron angeschafft wurde, nachdem man 20 Jahre lang
in Haar offiziell nicht mehr geschockt hatte. Patienten wurden dazu in eine Uniklinik
gebracht. In den beigelegten Seiten aus dem Buch »Irre« von Rainald
Götz ist so ein Fall dargestellt. Die heute wieder aufkommende Angst, in
Großkliniken wieder geschockt zu werden, wird umso eher schwinden, je mehr
sich eine gemeindenahe Versorgung der Psychisch Kranken (für die MüPE
auch kämpft) durchsetzt und Qualitätskontrolle und Transparenz zur Regel
werden.
Die sogenannte biologische Psychiatrie hat eigentlich nur drei
Möglichkeiten zur Bekämpfung der sogenannten Psychosen, die man früher
Geisteskrankheiten nannte,
die chemische Einwirkung durch
dämpfende Psychopharmaka,
die undifferenzierte physikalische
Elektroschockmethode (die auch als Foltermethode verwendet wurde, aber bei vorheriger
Betäubung schmerzfrei ist, auch wenn nachher Kopfschmerzen, Schwindelgefühle
und Ausfälle entstehen) und
die früher auch in Haar
häufig durchgeführte Leukotomie. Das war die chirurgische Abtrennung
des Stirnhirns. Leukotomie, für deren Einführung der portugiesische
Psychiater Moniz den Nobelpreis erhalten hatte, wird heute nicht mehr angewendet
und (etwa zur Schmerzbekämpfung) durch modernere sterotaktische Eingriffe
ersetzt.
Da man bis heute nicht weiß, wie Elektrokrampftherapie
wirkt, kann man es bei jeder psychiatrischen Diagnose einsetzen. Aus der Literatur,
die ich verfolge, lässt sich entnehmen, dass EKT zunehmend jetzt für
alte Patienten als nützlich und unschädlich dargestellt wird. Während
Psychiatieerfahrene sich zu Selbsthilfegruppen zusammenschließen, langsam
lernen, sich zu artikulieren, hat diese neue Zielgruppe der ganz alten Opas und
Omas keine Lobby, vor allem, wenn sie auch noch depressiv sind. Gehirnschäden
durch Schock können dann leicht der Altersdemenz zugerechnet werden. Die
Gerontopsychiatrie scheint ein neues, auch gewinnträchtiges Einsatzgebiet
für EKT zu werden.
Sogar für schwangere Frauen wird der Einsatz
der neuen EKT als Alternative zu eventuell fötusschädigenden Medikamenten
ernstlich in Erwägung gezogen.
Bei der Ungenauigkeit der psychiatrischen
Diagnosen und bei ihrer Undifferenziertheit besteht immer auch die Gefahr, dass
wirtschaftliche Überlegungen auf seiten des Arztes eine Rolle spielen. Menschen
mit hohem Leidensdruck geben oft nach und unterschreiben und glauben gern etwas,
was ihnen als einfache Rettung vorgespiegelt wird und sich dann als Chimäre
erweist, Probleme nicht löst, sondern zusätzliche schafft.
2) Welche reversiblen oder irreversiblen Nebenwirkungen hat EKT?
EKT wurde früher bei Bewusstsein und ohne Betäubung und sehr häufig
gegeben, in Haar auch routinemäßig zur Vorbereitung der Patienten aufs
Wochenende, wenn Besuchszeit war und die Personaldecke dünner war. Ältere
Pfleger wussten noch, dass man die Freitage damals im Jagon »Waschtag«
nannte, weil da jeder prophylaktisch eine Behandlung im Sinne einer vom Personal
positiv gesehenen »Gehirnwäsche« bekam.
a) Um die »Nebenwirkungen«
kümmerte man sich damals nicht. Die Ärzte wussten, dass der Elektroschock,
wie man EKT damals nannte, ohne Betäubung für den Patienten eine sehr
traumatische Erfahrung war und große Angst davor herrschte. Die Befürworter
von EKT ohne Betäubung argumentierten aber, dass beim Aufwachen nach dem
»Schock« infolge der Schädigung des Kurzzeitgedächtnisses
dem Patienten dieses Erlebnis nicht mehr in Erinnerung sei. An anderer Stelle
leugnet man aber jede Gedächtnisschädigung durch Schock und schreibt
sie der von Anfang an morbiden Konstitution des Patienten zu. Von Militärpsychiatern
des 2. Weltkrieges wurde auch argumentiert, dass das Foltererlebnis bei EKT ohne
Betäubung einen erzieherischen Wert für den Soldaten mit einer Kriegspsychose
habe und deshalb erwünscht sei, »weil das vor dem Krampf auftretende
Vernichtungsgefühl alarmierend wirkt und nicht in der nachfolgenden Amnesie...unterzugehen
pflegt«.
Während einer Serie von Schocks nimmt der Patient in
dem »geschützten« Raum einer Klinik und wegen seiner Benommenheit
und einer gewissen vorübergehenden »Euphorisierung« und Verflachung
seinen Leistungsabfall auch nicht sofort wahr, sondern erst, wenn er nach einer
Schonzeit draußen wieder mit Anforderungen in Familie und Beruf konfrontiert
ist. Dann ist die Sache aber schon gelaufen und nicht mehr zu ändern. Ich
fühlte mich nach meiner Schocktherapie vernichtet, und als Persönlichkeit
reduziert, meiner Erinnerungen ohne Grund beraubt und konnte meine vorher sehr
guten Leistungen im Gymnasium in keiner Weise mehr halten oder wiederaufnehmen.
Dagegen gibt es eine amerikanische Studie von 1993, die behauptet,
dass Patienten selbst nach 100 EKT keine kognitiven Schäden
gegenüber anderen Patienten aufweisen. Ein Psychiater kann
von seinem »Krankengut« in so einer Studie alles behaupten,
je nachdem, welchen Maßstab er ansetzt. Auch von der Leukotomie
wurde behauptet, sie sei unschädlich für psychisch
Kranke. Die eigentlichen Schäden empfindet der so geschädigte
und stigmatisierte Kranke nur selbst, und dem glaubt man sie
nicht, rechnet sie seiner psychischen Krankheit zu. So hatte
auch nach Presseberichten ein Mann, der in den 80er-Jahren die
Dürergemälde in der Münchener Pinakothek mit
Säure zerstörte, offensichtlich noch genug kognitive
Fähigkeiten, um das zu planen, obwohl er eine Leukotomie
hinter sich hatte. Dass ein normal intelligenter Mensch nach
eines solchen Behandlung noch einen Racheakt planen kann, ist
aber kein Beweis, dass er keinen Gehirnschaden hat. Einen lange
hospitalisierten psychisch Kranken misst man nicht mehr nach
normalen Standards, steht doch in den Lehrbüchern, dass
die Krankheit selbst zur Imbezilität führen kann.
Immerhin beweisen die EKT-Studie sowie der leukotomisierte Bilderzerstörer,
dass man beide Behandlungsarten irgendwie überstehen kann,
wenn auch auf erniedrigtem seelischen und geistigem Niveau.
Das genügt uns aber nicht als Erfolg unserer Therapien.
Es gibt eine Gruppe von ehemaligen Schockpatienten, die sich
als »survivor« bezeichnen.
Psychiater berufen sich darauf, dass EKT statistisch von allen Operationen, die
in Narkose durchgeführt werden, die niedrigste Todesrate habe. Dieser Statistik
messe ich keinen großen Wert zu, da ich unter anderem davon ausgehe, dass
EKT, die früher in Großkliniken auch als Disziplinierungsmaßnahme
verwendet wurde und mancherorts wohl noch wird, nur sehr unvollständig und
vage dokumentiert wird. Da die Anwender EKT seit 70 Jahren hartnäckig für
völlig harmlos halten, aber auch wissen, dass EKT wegen ihrer »Nebenwirkungen«
in schlechtem Ruf steht, tun sie ihre Arbeit meist im Stillen. In einer geschlossenen
Klinik konnte und kann man nicht nur EKT verheimlichen, sondern auch Todesursachen
kaschieren. Ausfallserscheinungen durch EKT sind schwer zu belegen, weil sie,
wenn sie belegt sind; als normale Krankheitssymptome oder (seit EKT nur noch in
Narkose gegeben wird) ausschließlich als Narkoseunfälle hingestellt
werden, soweit man sie überhaupt zur Kenntnis nehmen muss. Ein Narkoseunfall
bei EKT ist aber deshalb sehr unwahrscheinlich, weil zur Verhinderung einer Abwehrreaktion
des Patienten und um die letzte Compliance der Bewusstlosigkeit zu erreichen,
nur eine Kurzbetäubung von wenigen Sekunden nötig ist, innerhalb welcher
Zeit der Patient durch Stromeinwirkung auf das Gehirn unter Krämpfen ohnehin
bewusstlos wird. Die EKT-Psychiater berufen sich aber trotzdem auf den Narkosezwischenfall,
weil Unschädlichkeit von EKT für sie auch ein abstraktes und geschütztes
Dogma ist, das durch kein Argument zu erschüttern ist und das sie mit all
ihrer Autorität verteidigen.
b) Während die geistigen und seelischen
Nebenwirkungen einer Behandlung, so schwer sie für Betroffene auch sein mögen,
angesichts des antzipierten schweren Verlaufs jeder diagnostizierten geistigen
oder seelischen Erkrankung für Fachleute kein Problem und keine Kontraindikation
darstellen, waren körperliche und orthopädisch feststellbare Folgen
von Anfang an nachweisbar und einklagbar. Bei der Heilkrampfbehandlung kam es
zu Knochenbrücken und Wirbelfrakturen, die zwar in der Regel nicht beachtet
wurden, die aber in besonders krassen Fällen schon in den 50er Jahren zu
mutigen Reklamationen von Angehörigen führten.
Um solche offensichtlichen
und nicht wegzuleugnenden Nebenwirkungen zu vermeiden, experimentierte man schon
damals mit dem Nervengift Curare, das vor dem Schock in nicht tödlicher Dosis
appliziert wurde, die Muskulatur des Patienten lähmte und die körperlichen
Krämpfe milderte. Heute ist die Anwendung relaxierender Mittel vor EKT die
Regel, dämpft die sonst überaus heftigen Konvulsionen, verhindert Knochenbrüche
und muss somit als Beweis für Fortschrittlichkeit, Unschädlichkeit und
Humanität der neuen und modernen EKT herhalten.
An den geistigen
und seelischen Schäden von EKT hat sich nichts geändert. Vielleicht
geht man heute vorsichtiger und etwas maßvoller mit dieser barbarischen
Behandlungsmethode um. Betäubung und muskelentspannende Mittel zur Vermeidung
von Wirbelbrüchen sind aber keine moderne Erfindung (siehe Aufsatz von Prof.
Kalinowsky, Juni 1951). Ob man heute noch das Pfeilgift Curare, das dem Schierling
verwandt ist, nimmt, weiß ich nicht.
Wie lange die geistigen und
(im Sinne einer Verflachung oder vorübergehenden Euphorisierung) seelischen
Nebenwirkungen einer Gehirnschädigung durch EKT anhalten, hängt (wie
bei jedem Gehirntrauma) von dem Grad der Schädigung, d.h. von der Stärke
der Schocks, ihrer Anzahl, ihrer Dichte und von den Rehabilitationsmaßnahmen
ab, die der Patient nachher erfährt. Auch ein schweres Schädel-Hirn-Trauma
ist nicht ganz irreversibel, und die Folgen eines schweren Schlaganfalls können
im Lauf der Zeit mehr oder weniger kompensiert werden. Die alte Leistungsfähigkeit
wird nach einer Schocktherapie in der Regel nicht mehr erreicht. Das quälende
Gefühl der Leistungseinschränkung nach Schocks kann aber eine Zeitlang
überlagert werden von einer gewissen Euphorie und Gleichgültigkeit Problemen
gegenüber, so dass der Patient sich auch subjektiv besser fühlt. Falls
ein Patient sich über seine Ausfallserscheinungen beklagt, kann man ihm das
leicht als noch übriggebliebenes Depressionssyndrom diagnostizieren und eine
weitere EKT-Behandlung empfehlen. Da er das nicht mehr will, wird er schon aus
eigenem Selbsterhaltungstrieb aufhören, über seine Ausfälle zu
klagen.
Für mich persönlich war die erste Schocktherapie die
Initiation in meine Existenz als Psychisch Kranker und Behinderter, die mir gar
nicht in die Wiege gelegt war, die ich aber annehmen musste und schließlich
notgedrungen auch akzeptierte. Ich habe Hinweise darauf, dass es bei vielen anderen
Patienten nicht anders war. Übereinstimmend berichten EKT-Patienten, dass
sie vor allem im visuellen Bereich Ausfälle haben. Das entspricht meiner
eigenen Erfahrung. Meine sehr guten Schulleistungen sanken nach der EKT-Behandlung
rapid. Ich bot erst von da ab das Bild eines psychisch Kranken, was auch bei einem
weiteren Klinikaufenthalt sich verstetigte. Meine Lehrer bescheinigten mir dann
auch im Schülerbogen in einem Eintrag ein Jahr nach der Schockbehandlung:
»Ein Fall der nur noch die Medizin, nicht mehr die Schule angeht.« Ich
habe ein noch 1986 testpsychologisch auffallendes Defizit in der visuellen Wahrnehmung,
das nach Meinung des Gutachters »eine organische Ursache haben könnte«,
das eben typisch für EKT-Patienten ist.
Darüber gibt es auch
wissenschaftliche Erklärungen, weil der Schläfenlappen, an dem die Elektroden
bei EKT angesetzt werden, zwar auch für andere Persönlichkeitsbereiche,
aber besonders für visuelle Erkennungsprozesse wichtig ist. (Ich lege dazu
den Aufsatz »Psychopathology of Lobe Syndroms« bei). Kein Schockanwender
würde die Idee zulassen, ein so spezifisches und auffallendes Defizit könnte
eine irreversible Spätfolge der Schocktherapie sein. Eine solche Annahme
in Betracht zu ziehen, eine solche Untersuchung überhaupt anzustellen, wäre
eine Verletzung des Dogmas von der Unfehlbarkeit des Psychiaters und seiner seit
70 Jahren erfolgreich erprobten Waffe gegen die Geisteskrankheit, die EKT heißt.
Dieses Dogma wird meiner Ansicht nach umso hartnäckiger verteidigt, je unsicherer
und fragwürdiger Diagnosen und Therapieansätze werden. Man muss sich
dabei vor Augen halten, dass die Psychiatrie nicht in dem Sinn eine exakte Disziplin
der Medizin ist wie etwa die Kardiologie oder die Orthopädie. Es gibt bis
heute keine biologischen Erkennungsmerkmale für psychische Krankheiten. Die
Grundlage einer Diagnose ist immer das Verhalten oder die verbale Aussage eines
Patienten und die Subjektivität des Diagnostizierenden. Die ordnungspolitische
Aufgabe der Psychiatrie ist heute noch, Menschen, die durch ungewöhnliche
Aussagen oder Handlungen Normen verletzen könnten, in einen so beruhigten,
reduzierten, notfalls auch imbezilen Zustand zu versetzen, in dem sie das nicht
mehr tun können.
Ob alle Langzeitpatienten Menschen mit ursprünglichen
Gehirnkrankheiten waren, wissen wir nicht. Nach EKT haben sie aber ein feststellbares
Syndrom. In diesem Sinne hat Professor Dörner einmal gesagt, EKT verwandle
psychiatrische Patienten in neurologische.
Das Ziel und auch die gesellschaftliche
Auftrag der Psychiater ist, diese Menschen (die aus unterschiedlichsten Gründen
auffällig sind oder erscheinen) zu markieren, manchmal mit einem Stigma,
einem Syndrom, und sie so zu verändern, dass soziale Konflikte innerhalb
von Familien oder Gruppen vermieden werden. Dabei steht dem Psychiater ein weites
Spektrum von Diagnosen und Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, die
er sehr subjektiv einsetzen kann, da es zwar anerkannte Lehrmeinungen, aber kein
objektiven Kriterien gibt. Wenn bei der Therapie Gehirnschäden oder organisch
bedingte Intelligenzminderungen auftreten, spielt das dabei eigentlich keine Rolle
gegenüber der großen Aufgabe, den sozialen Frieden wiederherzustellen,
und kann auch schlichtweg vernachlässigt und geleugnet werden.
Die
Geschichte der Psychiatrie ist voll von Foltermethoden, die euphemistisch als
Therapie ausgegeben wurden. Der alte Elektroschock war eine Foltermethode speziell
für das Gehirn mit üblen Folgen für den Patienten. EKT und wird
heute, soweit mir bekannt ist, nur noch in Narkose durchgeführt, so dass
dem Patienten die Angst vor dem Schmerz erspart bleibt, nicht aber die Schädigung.
Die EKT-Folter in Narkose erinnert mich in makabrer Weise an die Hinrichtungsmethoden
der alten Chinesen, die dem Delinquenten große Mengen Opium einflößten,
bevor man ihn Glied für Glied amputierte. Eine fortschreitende Amputation
geistiger und seelischer Fähigkeiten stellt die Erzeugung künstlicher
Epilepsien durch Strom auch dar. Ein Elektroschock unterscheidet sich nur im Ausmaß
der Schädigung von einer Leukotomie, die früher auch mit moralischen
Argumenten verteidigt wurde und eine schwere Gehirnamputation darstellt. In der
Haarer Festschrift von 1955 (Autor: Oberarzt Dr. Vult Ziehen) kann man noch lesen,
dass man durch öftere Anwendung von EKT die Wirkung einer Leukotomie erreicht.
Beides sei für den Patienten unschädlich.
EKT geht mit Hirnschädigungen
und Leistungsausfällen einher, die mit der Zahl der Behandlungen zunehmen.
Aussagen von Betroffenen und Untersuchungen darüber werden aber von den Anwendern
ignoriert und geleugnet.
3) Wie wird die Elektrokrampftherapie
durchgeführt?
Wie heute eine EKT Therapie genau durchgeführt
wird, kenne ich nicht aus persönlicher Anschauung, nur aus Bildern und Berichten,
da die Ärzte uns und auch der Öffentlichkeit keinen Einblick in solch
eine Sitzung gewähren. Manche Anwender äußern sich so »begeistert«
über ihre Therapieform, dass man annehmen muss, dass ihnen die Macht, die
sie mit dem Stomkabel über den Patienten ausüben, Freude und Befriedigung
gibt, nicht aber dem Patienten. Wie meine EKT damals verlaufen ist, kann ich auch
nicht sagen, da ich ja vorher (mit Insulin und anderen Mitteln) betäubt wurde,
was heute die Regel ist. Ich konnte nicht einmal mit Bestimmtheit belegen, dass
ich eine solche Behandlung bekommen hatte. Ich lege aber den Teil meiner Krankengeschichte
bei, den ich seit 1993 besitze und in dem meine EKT (wenn auch verschlüsselt)
dokumentiert ist.
Für Psychiatrieerfahrene sind EKT und deren Folgen
so traumatisch und demütigend, dass sie nicht gerne darüber reden.
Für die Münchner Verhältnisse ist das Buch »Irre« von
Rainald Götz (einige Seiten liegen bei) vielleicht aufschlussreich, der selber
als junger Psychiater Anfang der 80er Jahre in der Münchner Universitätsklinik
gearbeitet hat und dort auch beschreibt, wie EKT-Behandlungen durchgeführt
wurden. Generell lässt sich sagen, dass dabei zwei Elektroden an den Schläfen
des Patienten befestigt werden und ein starker Strom hindurchgeschickt wird, wodurch
der Patient einen epileptischen Anfall erleidet. Die »geniale« Idee,
elektrischen Strom therapeutisch zur Erzeugung epileptischer Anfälle (Heilkrämpfe)
zu benutzen, war dem italienischen Psychiater Cerletti bei einem Besuch im Mailänder
Schlachthof gekommen, wo ihn beeindruckte, dass Schweine, die vor dem Schlachten
mit elektrischem Strom betäubt wurden, daran nicht starben, sondern nur in
Krämpfe verfielen. Bei ersten Versuchen mit Hunden entdeckte er, dass so
ein Strom, wenn er nur durchs Gehirn und nicht übers Herz gejagt wurde, nur
Ohnmacht, nicht aber den Tod verursachte. Damit war EKT als sicher für Patienten
eingestuft und wurde in den 30er Jahren zur gängigen Behandlung gegen »Verrücktheit«.
Ich besitze auch ein Dokument, demzufolge bei einem Ärztekongress in Wien
1944 ein Mensch vor der versammelten Ärzteschaft zu wissenschaftlichen Zwecken
durch wiederholte EKT absichtlich getötet wurde.
Schon in den 50er
Jahren gab es den Versuch, der als großer Fortschritt gesehen wurde, die
EKT nicht mehr bilateral, sondern unilateral anzuwenden. In den 90er Jahren wurde
diese »Fortschritt« neu entdeckt und als bahnbrechende Neuheit propagiert.
Dabei werden die beiden Elektroden nur an einer Kopfseite angelegt und zwar beim
Rechtshänder an der rechten Kopfseite, die anatomisch mit der linken, nicht
dominierenden Hand verbunden ist, beim Linkshänder umgekehrt. Damit erreicht
man, dass die Schädigung vorwiegend auf der nicht dominierenden Hirnseite
entsteht und weniger störend für den Patienten sein soll. Ich habe aber
auf dem EKT-Workshop in München 1992 im Krankenhaus rechts der Isar erfahren,
dass diese unilaterale Anwendung nicht unbedingt vorzuziehen ist, weil sie zwar
schonender, aber auch weniger wirksam erscheint und daher öfter angewendet
werden muss, um dieselbe »Remission« zu erreichen.
4) Wie
wirkt sich die Behandlung auf den Krankheitsverlauf aus?
Für mich
bedeutete die EKT-Behandlung keine Heilung, sondern den Einstieg in das Dasein
des Behinderten und psychisch Kranken. Ich habe, seit ich MüPE und dem Bundesverband
Psychiatrieerfahrene angehöre, einige Veranstaltungen besucht, unter anderem
den oben erwähnten internationalen EKT - Workshop im Klinikum rechts der
Isar in seiner ganzen Länge und habe an Professor Lauter einen ausführlichen
Brief geschrieben, den er nicht beantwortet hat. Aus diesen Kongressen und aus
ausgedehnter Lektüre weiß ich, dass EKT, wenn man Glück hat, von
akuten Symptomen befreien kann, aber keine Heilung bewirkt. Rückfälle
sind vorprogrammiert, und es gibt auch den Begriff »Erhaltungs-EKT«,
d.h. Schocks im Abstand von einigen Wochen oder Monaten. Die meisten EKT-Patienten
sind auch nicht geheilt in dem Sinn, dass sie dann keine Antidepressiva mehr bräuchten.
Das erfährt man aber nur durch gezieltes und hartnäckiges Fragen.
In
Deutschland waren die Elektroschocks ziemlich zurückgedrängt, sind aber
in letzter Zeit wieder mehr in Mode gekommen, seit man die körperlichen Nebenwirkungen
der Neuroleptika (Spätdyskinesien) besser kennt und sie nicht mehr einer
genetisch angeborenen Morbidität des Patienten anlasten kann. Die nach außen
sichtbaren Nebenwirkungen von EKT (Knochenbrüche) sind weit leichter zu beherrschen,
als die nach außen sichtbaren Dyskinesien. Die sogenannte »biologische
Psychiatrie« (so nennen sich die Psychiater, die psychische Leiden als reine
Gehirnkrankheiten sehen) und mit ihnen die Pharmaindustrie arbeiten zwar an der
Entwicklung von Neuroleptika, die nur die geistigen Leistungen durch Lähmung
der Dopaminrezeptoren behindern, die für Körperbewegung zuständigen
und chemisch anders gebauten Rezeptoren aber nicht angreifen (Risperdal und Zyprexa),
Man weiß aber noch nicht, welche Langzeitwirkung diese Mittel haben.
Die Renaissance der alten EKT in Deutschland ist auch ein Zeichen der Hilflosigkeit
der biologischen Psychiatrie gegenüber den nachweisbaren Begleiterscheinungen
vieler Psychopharmaka und der Versuch, eine »altgediente« Behandlungsweise
mit neuem Elan wieder neu zu installieren, denn früher übliche Knochenbrüche
oder Wirbelverletzungen durch Schocks sind heute weitgehend vermeidbar, während
Spätdyskinesien auch bei neueren Medikamenten nicht ausgeschlossen werden
können, da sie sich erst über Jahre entwickeln.
Aus all dem ergibt
sich, dass ich aus eigener Erfahrung heraus EKT wegen ihrer beträchtlichen
Kurz- und Langzeitschäden, ihrer Wirkungslosigkeit und ihrer Geschichte als
Folterinstrument entschieden ablehne und auf die Entwicklung einer gemeindenahen
Psychiatrie ohne Schocks und mit möglicht wenig Medikamenten in Krisenzeiten
setze. Familientherapeutische und psychologische Ansätze sollten im Vordergrund
stehen. Damit weiß ich mich im Einklang mit der großen Mehrheit unserer
Mitglieder.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen ein wenig gedient
zu haben und auch der Sache. Ich habe Ihnen als Anlage Aussagen von Psychiatrieerfahrenen
und Aussagen von Psychiatern (teils aus alten und neuen Lehrbüchern und psychiatrischen
Fachzeitschriften) beigelegt. Ich hoffe, diese Anlagen sind nicht zu unübersichtlich.
Ich habe in den letzten Jahren nicht nur an EKT Kongressen teilgenommen, sondern
auch in der Fachliteratur gelesen und besitze noch mehr Unterlagen. Ich kann auch
gerne die genaue Herkunft der einzelnen beigelegten Texte nachweisen und andere
Texte beibringen, falls das nützlich ist.
Da ich aber nicht weiß,
wie viel Zeit Sie für die Untersuchung aufwenden können und ob es überhaupt
Menschen gibt, die sich mit dem komplizierten und unerquicklichen Thema tiefer
auseinandersetzen können und wollen, erspare ich mir die psychische Belastung,
die für mich als Betroffenen immer noch mit der Erinnerung an meine eigene
EKT verbunden ist, obwohl seitdem viel Zeit verflossen ist und ich inzwischen
gelernt habe, einiges mehr an Belastung und Stigmatisierung zu ertragen. Erkennbar
ist aus den Texten, dass Patienten, soweit sie sich artikulieren, wegen die Ausfälle
nach EKT sehr betrübt und sozial verunsichert sind, das aber nicht mehr rückgängig
machen können, sondern versuchen müssen, damit fertig zu werden und
zu leben. Gelingt ihnen das trotz ihrer Schäden, dann gilt die Behandlung
als erfolgreich, gelingt es nicht dann gilt der Patient eben als hoffnungslos.
Suizidiert er sich nach EKT, dann war immer seine angeborene Depression schuld.
EKT-Behandler, die diese Ausfälle nicht selbst spüren, neigen dazu,
sie zu bagatellisieren oder, (was leicht möglich ist) sie der Krankheit oder
der besonders morbiden Konstitution der »Geisteskranken« zuzurechnen.
Im ganzen scheint mir doe Abschaffung der atavistischen EKT mindestens
so schwierig und wichtig zu sein wie die Stillegung der vorsintflutlichen Atomwärmekraftwerke.
Die Elektroschocktechnik ist 70 Jahre alt und wurde seitdem stetig, aber nur auf
dem Papier verbessert. Noch immer werden künstlich epileptische Anfälle
erzeugt, die angeblich eine Form der Verrücktheit heilen sollen. Auf dem
EKT-Workshop von 1992 wurde gar behauptet, EKT setze einen »Coctail«
von heilenden Substanzen im Gehirn frei. Auf die Frage, warum sich dann nicht
jeder EKT machen lässt, wenn es so gesund und unschädlich und erfrischend
sei, folgte die Antwort, das wirke eben nur bei psychisch Kranken. Es hat aber
aus gutem Grund noch nie ein Psychiater diese angeblich so heilsame Foltermethode
an sich ausprobiert, während es kurze Ansätze von Selbstversuchen mit
niedrigdosierten Neuroleptika schon gab, die aber sehr bald abgebrochen wurden.
Erfrischend und unschädlich ist EKT nur für den anwendenden Arzt, wenn
er die Sicherheitsvorschriften beachtet und nicht selbst mit den Elektroden in
Berührung kommt. Ich habe eine diesbezügliche Warnung in einem alten
Lehrbuch gelesen.
Ich habe wenig Hoffnung, dass in den nächsten 40
Jahren der Ausstieg aus EKT gelingt, zumal es in USA und anderen Ländern
noch mehr verbreitet ist und in Deutschland gerade eine Renaissance der EKT droht.
Wie bei der vorsintflutlichen Atomspaltung energiepolitische und wirtschaftliche
Erwägungen, so verhindern auch beim Elektrokrampf »sozialpolitische«
und wirtschaftliche Erwägungen den Ausstieg.
Der Vorteil, Menschen
damit beruhigen zu können, ist so groß, dass er die Gehirnschäden
für einen Betroffenen in der öffentlichen Meinung aufwiegt. Wir in der
Gegenwart unmittelbar Betroffenen stellen nur einen kleinen unterprivilegierten
Teil der Bevölkerung dar, wie auch nur ein kleiner Teil der Bevölkerung
gegenwärtig von den Auswirkungen der Atomwirtschaft unmittelbar betroffen
ist. Aber grundsätzlich kann es auch in der Psychiatrie jeden treffen, der
sich jetzt noch in falscher Sicherheit wiegt oder wähnt.
Ich will
das Bild nicht weitertreiben, aber mir kommt oft der Gedanke, dass wir als Psychisch
Kranke als »Müll der Gesellschaft« auch so gesehen wurden wie Atommüll,
dass man uns zwar lagerte, aber nichts mit uns anzufangen wusste, uns in der Nazizeit
mit aktiver und engagierter Beihilfe vieler Ärzte auch einfach »entsorgte«.
Professor Dörner hat einmal gesagt, dass man in den Kliniken Menschen zu
dem machte, was man dann als vernichtenswert einstufte. EKT, in den dreißiger
Jahren im Mailänder Schlachthof erfunden, in der Zwangspsychiatrie unbeschränkt
eingesetzt, hat kaum jemandem genützt, außer den Anwendern, aber vielen
Patienten geschadet. EKT setzt die Tradition der Folterwerkzeuge in der Psychiatrie
fort, nur dass die Folter sich heute nicht mehr auf den ganzen Körper erstreckt,
sondern auf das Gehirn konzentriert und am narkotisierten Patienten gemacht wird.
Dabei werden die älteren Methoden (Drehstuhl und Dauerbäder)
von Patienten, die beides erleiden mussten, noch als gnädiger empfunden,
weil man sich innerlich dagegen wehren konnte. Ein direkter massiver Angriff auf
das Gehirn, auch in Narkose, ist eine sehr viel heimtückischere Sache, wirkt
direkt auf die Persönlichkeit und macht wehrlos und hilflos. Er heilt nicht,
sondern verletzt.
Ich hoffe, dass ich damit unsere ablehnende Einstellung
EKT gegenüber, auch aus meiner persönlichen Erfahrung heraus einigermaßen
begründet habe. Wir danken Ihnen für Ihr Interesse und sind gerne bereit,
unsere Informationen weiterzugeben und uns für das Thema zu engagieren.
Mit freundlichen Grüßen
A. Deisenhofer
Mitglied des Vorstandes