in: Die Kerbe Magazin für die Begegnung
mit Menschen in seelischer Not und Krankheit (Stuttgart-Filderstadt
4), 8. Jg. (1990), Nr. 4, S. 25-26 |
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Neuroleptika als chemische Knebel Über
die antitherapeutischen Wirkungen antipsychotischer Medikamente
1. Wie wirken Neuroleptika?
Um ausführlich die Wirkungsweise und die schädlichen Auswirkungen
der Neuroleptika darzustellen, war es notwendig, mit dem "Chemischen
Knebel" ein fast 450-seitiges Buch zu schreiben. Hier will
ich in aller Kürze die wesentlichen Aussagen zusammenfassen: Neuroleptika,
auf deutsch: Nervendämpfungs- oder -lähmungs-Mittel blockieren
wesentlich die Empfangstellen (Rezeptoren) des Nervenimpuls-Überträgerstoffs
Dopamin und führen somit gezielt zu einer künstlichen neurologischen
Erkrankung, der Schüttellähmung (Parkinsonkrankheit). Mit dieser
'therapeutischen' Zweitkrankheit soll die Erst-'Krankheit', d.h.
die störende und unbequeme Lebens- und Sinnesweise überdeckt werden.
Neuroleptika stehen damit voll in der psychiatrischen Tradition:
Auch die unmittelbaren Vorgänger, Elektroschock und Lobotomie,
produzierten 'therapeutisch' erwünschte neurologische Schäden,
nämlich epileptische Anfälle bzw. die Verstümmelung frontaler
Hirnbereiche. Weltweit litten infolge anhaltender Neuroleptika-Behandlung
1985 bereits schätzungsweise 40 Millionen Menschen unter irreversibler
tardiver Dyskinesie, einer nicht-behandelbaren, veitstanzförmigen
Muskelstörung (als Symptom der herbeigeführten Hirnstörung); laut
medizinischen Untersuchungen geht die tardive Dyskinesie mit der
Verkürzung der Lebenserwartung einher. Peter Breggin, ein bekannter
Psychiater aus den U.S.A., wirft seinen Kollegen vor, mit den
Neuroleptika eine Epidemie neurologischer Leiden entfesselt zu
haben:
"Selbst wenn tardive Dyskinesie die einzige bleibende
Körperschädigung wäre, die von diesen Medikamenten produziert
würde, würde sich diese unter den schlimmsten durch Medikamente
verursachten Katastrophen in der Geschichte befinden."
2. Über einige Auswirkungen der Neuroleptika
Mehr und mehr wird in psychiatrischer Literatur (die im "Chemischen
Knebel" zitiert ist) auf die neurologischen Veränderungen
hingewiesen, die von Psychiatern grundsätzlich nicht in Griff
zu bekommen sind und die durch den Einsatz von Antiparkinson-Mitteln
wie Akineton mittel- und langfristig sogar noch verschlimmert
werden. Am dramatischsten sind neuere Untersuchungen über Psychiatrie-Betroffene,
die nicht wegen 'Schizophrenie' mit Neuroleptika behandelt worden
waren, nach dem Absetzen jedoch erstmals eine Schizophrenie-förmige
Symptomatik entwickelten. Der international angesehene schwedische
Mediziner Lars Martensson vergleicht deshalb die Neuroleptika-Wirkung
mit dem Einbau einer künstlich psychotisch machenden Substanz
ins Nervensystem, weshalb er folgerichtig das Verbot dieser Chemobehandlung
fordert. Es gibt jedoch noch zahlreiche andere Argumente für eine
restriktive Behandlung der Neuroleptika-Frage: So ist es z.B.
die der Alkoholbelastung entsprechende Leberschädigung, die bei
der in der Regel längerfristigen Verabreichung der
psychiatrischen Psychodrogen auftritt und die genauso kritisierenswert
ist wie z.B. die Mißbildungen, die als Folge Neuroleptika-bedingter
Chromosomenrisse und -brüche bei Föten Neuroleptika-behandelter
werdender Mütter eintreten, in der gleichen Weise, wie sie vielen
von uns noch als Folge der Verabreichung von Thalidomid (Contergan)
bekannt sein dürfte. Noch ein oft unvermeidbares Behandlungsergebnis
mit Neuroleptika ist die emotionale Vereisung ("Zombie-Syndrom")
und die Depression, die die Betroffenen, vor der Behandlung z.T.
noch lebenslustige Menschen, in den Selbstmord treiben können.
Intern, in psychiatrischer Literatur, wird immer wieder auf diese
katastrophale 'Neben'-Wirkung hingewiesen. Daß unter der emotionalen
Vereisung alle psychotherapeutischen Ansätze, die vorhandene intrapsychische
Konflikte aufdecken und somit zu deren Verarbeitung beitragen
könnten, von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, versteht
sich von selbst; welcher Psychologe wollte ernsthaft behaupten,
Menschen therapieren zu können, die unter der Wirkung vergleichbarer
Psychodrogen stehen? Mit der 'chemischen Knebelung' ist die pharmakologische
Unterdrückung existentieller Gefühle und des entsprechenden Handelns
auf den Begriff gebracht.
3. Fehlende Aufklärung
Eine Aufklärung über die unglaubliche Breite der Risiken neuroleptischer
Behandlung findet in der Regel nicht statt; den Behandelten werden
die Wirkungsweise und die Auswirkungen der Neuroleptika in der
Regel vorenthalten, so daß sie an sich keine rechtswirksame, informierte
Zustimmung zur Behandlung treffen können. Im "Chemischen
Knebel" wird nun jedoch aufgedeckt, was Psychiater von den
Augen der Betroffenen, ihren Angehörigen sowie der interessierten
Öffentlichkeit verbergen. Im Geleitwort zur Neuauflage schreibt
der ehemalige Direktor des Sigmund-Freud-Archivs und Psychoanalytiker
Jeffrey M. Masson aus Berkeley/Kalifornien u.a.:
"Ich habe durch dieses Buch mehr über die geheime,
innere Arbeitsweise der Psychiatrie gelernt als zuvor in zehn
Jahren psychoanalytischer Ausbildung. Nach einer persönlichen
Analyse und verschiedenen anderen Psychotherapien war das Lesen
dieses Buches die beste Therapie, die ich je erlebte."
Zwei letzte 'Feinheiten', die hier erwähnt sein sollen, sind
1. die Geschwulstbildungen (Neoplasmen, die in eine Krebs-Erkrankung
übergehen können): Neuroleptika können diese Wucherungen bei Nagetieren
hervorrufen, wenn sie langzeitig in Dosen verabreicht werden,
wie sie heute in der chronischen psychiatrischen Behandlung üblich
sind. In den U.S.A. müssen Neuroleptika-Verpackungen seit 1978
einen entsprechenden Warnhinweis tragen, in Deutschland wird diese
nicht uninteressante 'Kleinigkeit' von Herstellern und Psychiatern
verschwiegen. Erinnerungen an die nicht allzuweit zurückliegende
Vergangenheit der deutschen Psychiatrie werden bei einer solchen
Mißachtung der Gesundheit der 'Geisteskranken' wach. Im Bereich
der Medizin jedenfalls würden Medikamente mit solche Folgen sofort
vom Markt genommen werden. 2. Alle Neuroleptika, die schwach-
wie auch die starkpotenten, können schon bei einmaliger Anwendung
lebensbedrohliche Folgen herbeiführen. Alle irreversiblen, d.h.
nicht umkehrbaren Schäden können schon nach kurzer Zeit eintreten.
4. Reaktionen auf Neuroleptika-Schäden
Die Entgegnung, die oft von Befürwortern der Neuroleptika-Verabreichung
kommt, wenn ausnahmsweise kritische Stimmen zu Wort kommen, vernachlässigt
meist die überwiegend stattfindende Langzeitbehandlung, insbesondere
die psychiatrischen Forschungsbemühungen, Neuroleptika-Implantate
in Mastdarm und Gebärmutter einzupflanzen, um eine mehrmonatige
Dauerbehandlung sicherzustellen. Psychiater pochen dann auf (angebliche)
kurzfristige Behandlungserfolge in sogenannten Krisensituationen.
Der bereits erwähnte Lars Martensson warnt jedoch vor einer solchen
Illusion, da sie die Folgen außer acht läßt:
"Wenn die Psychose ohne Medikamente besiegt wird,
wird der Glaube des Patienten an sich selbst und den Mitmenschen,
der ihn unterstützte, angewachsen sein. Diese Dinge Selbstvertrauen,
Selbstwertgefühl und Glaube an Mitmenschen sind genau das,
was er braucht, um mit der Zeit seine Schizophrenie endgültig
zu überwinden. Wenn Medikamente benutzt werden, wird er die entgegengesetzte
Lehre ziehen und sich auf dem Weg steigender Medikamentenabhängigkeit
befinden."
Daß kurzfristige Anpassungsleistungen, wie bei anderen Drogen
auch (Marihuana, Alkohol, Amphetamine), unter Neuroleptika anzutreffen
sind, scheint in der Tat logisch. Doch die Augen und Ohren vor
den Gefahren und Folgen zu verschließen, zeigt wenig Verantwortungsbewußtsein.
Literatur