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des Antipsychiatrieverlags
Original in: Wolfram Pfreundschuh (Hg.): Kulturkritisches
Lexikon (Internetveröffentlichung vom 31. Januar 2014). Letzte
Aktualisierung am 4. Juli 2023
Tardive Psychosen
Tardive Psychosen sind Psychosen, die sich im Lauf der Verabreichung
von Neuroleptika aufgrund deren rezeptorenverändernden Wirkung
entwickeln und tendenziell chronisch werden. Wörtlich übersetzt
heißt tardiv »spät«; es handelt sich allerdings
um einen ideologischen Begriff, da tardive Psychosen laut Herstellerangaben
schon nach einer kurzen Zeit von vier Wochen auftreten können.
Oft treten sie erst beim Absetzen oder danach zutage. Neuroleptika
können Rezeptorenveränderungen und somit Psychosen bewirken,
sondern auch deren Entäußerung während der Zeit
der Einnahme unterdrücken.
Tardive Psychosen gelten als besonderes Risiko neuerer, clozapinartiger
Neuroleptika. Clozapin ist der Prototyp der sogenannten atypischen
Neuroleptika und wurde 1952 in den chemischen Laboratorien der Berner
Wander AG synthetisiert. Es verhält sich ähnlich wie andere
Neuroleptika, denen man eine zunehmend hohe Dosis eines Antiparkinsonmittels
hinzugibt, so der Pharmakologe Hans-Joachim Haase. Die typische
Wirkung der herkömmlichen Neuroleptika, das Parkinsonoid (der
Symptomenkomplex der Parkinson-Erkrankung), wird somit in ihrer
Entäußerung unterdrückt.
Urban Ungerstedt und Tomas Ljungberg, Mitarbeiter der Histologischen
Abteilung des Karolinska Instituts in Stockholm, stellten 1977 fest,
dass Clozapin bei Versuchsratten besonders stark auf die limbischen
Dopaminrezeptoren wirkt und zu ihrer Überempfindlichkeit führt.
Resultat könne
»... somit die Potenzierung von psychotischem Verhalten nach
chronischem Clozapin sein! Diese Ergebnisse werfen augenfällig
ernste Fragen auf hinsichtlich der Strategie für den Versuch,
neue, wirksame antipsychotische Medikamente zu finden. Wird ein
Medikament, das spezifische Rezeptoren blockiert, eine
spezifische Rezeptorensupersensibilität und somit
spezifische Nebenwirkungen verursachen, das heißt
die Krankheit selbst potenzieren?«
In Schweden, wo man Clozapin intensiv einsetzte, wurden denn auch
bei einer ganzen Reihe von Betroffenen nach dem Absetzen des modernen
Neuroleptikums psychotische Symptome in einer Stärke festgestellt,
die vorher nicht vorhanden war. Auch bei 1988 publizierten Forschungen
in den USA wurde auf die Verschlechterung des psychischen Zustands
nach dem Absetzen von Clozapin hingewiesen, was auf eine behandlungsbedingte
erhöhte Sensitivität der Neurotransmitter zurückgeführt
wurde. Supersensibilitätspsychosen enden oft in nicht
einmal mehr mit Neuroleptika unterdrückbaren chronischen
Psychosen organischer Natur. Psychiater erklären sie dann schlicht
mit der »Natur der Schizophrenie« oder Psychose, die
genetisch bedingt unheilbar sei. Für die Betroffenen
bedeutet dieser Trugschluss meist die Verurteilung zur Dauerunterbringung
in einem psychiatrischen Heim.
Literaturempfehlungen zu Neuroleptika-Risiken, unerwünschten
Wirkungen, zum Absetzen und zu Alternativen:
Peter
Lehmann / Craig Newnes (Hg.): Psychopharmaka reduzieren und absetzen
Praxiskonzepte für Fachkräfte, Betroffene, Angehörige
Peter Lehmann: Entzugserscheinungen und Chronifizierug von Psychosen
(S. 99-102), in: ders.: Risiken und Schäden neuer Antidepressiva
und atypischer Neuroleptika. In: Peter
Lehmann / Volkmar Aderhold / Marc Rufer / Josef Zehentbauer: Neue
Antidepressiva, atypische Neuroleptika Risiken, Placebo-Effekte,
Niedrigdosierung und Alternativen (Peter Lehmann Publishing
2017), S. 19-174
Volkmar Aderhold: Supersensitivität durch Neuroleptika (S.
207-209), in: ders.: Minimaldosierung und Monitoring bei Neuroleptika.
In: Peter
Lehmann / Volkmar Aderhold / Marc Rufer / Josef Zehentbauer: Neue
Antidepressiva, atypische Neuroleptika Risiken, Placebo-Effekte,
Niedrigdosierung und Alternativen (Peter Lehmann Publishing
2017), S. 198-222
Peter
Lehmann: Der chemische Knebel Warum Psychiater Neuroleptika
verabreichen
Peter Lehmann:
Schöne neue Psychiatrie. Band 1: Wie Chemie und Strom auf Geist
und Psyche wirken. Band 2: Wie Psychopharmaka den Körper verändern
Peter
Lehmann: Risiken und Schäden durch »atypische« (moderne)
Neuroleptika Übersichtsseite im Internet
Peter
Lehmann (Hg.): Psychopharmaka absetzen Erfolgreiches Absetzen
von Neuroleptika, Antidepressiva, Phasenprophylaktika, Ritalin und
Tranquilizern
Peter Lehmann
/ Peter Stastny (Hg.): Statt Psychiatrie 2
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