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des Antipsychiatrieverlags
in: Peter
Lehmann, Schöne neue Psychiatrie. Band 2: Wie Psychopharmaka
den Körper verändern, Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag
1996 (E-Book 2022)
Peter
Lehmann
Über die körperlichen Risiken und Gefahren von
Psychostimulantien wie z.B. Ritalin insbesondere bei Kindern
Psychostimulantien
werden gerne zur Dämpfung von Kindern eingesetzt, deren Lebendigkeit stört.
Da diese Substanzen bei Erwachsenen aufputschend wirken, gilt ihre ruhigstellende
Wirkung bei Kindern als paradox. WIRKSTOFF | | HANDELSNAMEN |
Fenetyllin | | Captagon |
Methylphenidat | | Ritalin |
Pemolin | | Stimul, Tradon |
Vegetative Störungen
Allergische Reaktionen und Übersensibilitätserscheinungen
wie z.B. verminderte Anzahl roter und wei&szl
ig;er Blutkörperchen zeigen
die körperlichen Anpassungsschwierigkeiten unter Methylphenidat 919.
Als Übersensibilitätssymptome nannte das »Physicians
desk reference« außerdem Angina, Hautausschlag, Nesselsucht, Fieber,
Schmerzen in den Gelenken, durch Abblätterung und Abstoßung abgestorbenen
Gewebes gekennzeichnete Hautentzündung mit großlamellöser Schuppung,
Hautrötung, Blut- oder Lymphgefäßwandentzündung mit Zellsterben
sowie thrombozytopenische Purpura 1169:836. An Hormonstörungen
nannte man Appetitverlust und Gewichtsabnahme 177;250;373;622:594;1277:191f.;1674,
Libidostörungen und Impotenz 177. Die »Rote Liste«
erwähnt Appetitlosigkeit sowohl bei Captagon als auch bei Ritalin und Tradon
178. Appetitverlust unter Methylphenidat tritt speziell
dann auf, wenn die Behandelten jünger als sechs Jahre sind 1669.
Aufgrund der durch die Psychostimulantien gestörten Ausschüttung von
Wachstumshormonen wird das Wachstum blockiert 1169:836,
sowohl was das Körpergewicht als auch die Körpergröße betrifft.
Hier kommen beide Extreme in Betracht, eine akute oder chronisch erhöhte
Ausschüttung oder ein verzögertes Längenwachstum 373;407;926:288;1014;1169:836;1301.
Dies kann auf die Appetitlosigkeit zurückgehen, den damit einhergehenden
Gewichtsverlust oder auf andere Hormonstörungen 538.
Den Appetitverlust versuchen manche Psychiater mit Neuroleptika zu neutralisieren.
Whalen und Henker kritisierten, dass sich die Untersuchungen methylphenidatbedingter
Wachstumsstörungen auf das vorpubertäre Alter beschränken, Informationen
zur Pubertät und danach nicht vorliegen 1620. Auch
Informationen zur Wirkung von Psychostimulantien auf die kindliche Sexualität
und die Sexualorgane fehlen. Dabei ist bei Erwachsenen bei einmaliger oder seltener
Einnahme mit Libidoerhöhung und Potenzsteigerung zu rechnen, bei ständiger
Einnahme hoher Dosen mit starker Libidoverminderung und Erektionsschwächen,
die bis zu ausbleibender Erektion und Ejakulation führen können 397:50.
Bei erwachsenen Männern kann Pemolin die Vergrößerung der Prostata
bewirken 2. Kindern wird häufig die Sexualität
abgesprochen, und so macht man es sich auch bei der Verabreichung von Psychostimulantien
recht einfach, wenn man die Frage nach der Auswirkung einer libidodämpfenden
oder -steigernden Wirkung auf die kindliche Sexualität, einen wichtigen Teil
des Reifeprozesses, sowie auf die sich entwickelnden primären und sekundären
Sexualorgane unter den Tisch kehrt. Ausreichende Erfahrungen über die
Verabreichung von Ritalin während der Schwangerschaft liegen laut »Rote
Liste« nicht vor, auch nicht zur Frage, inwieweit die Substanz in die Muttermilch
übergeht 177:259. Regulationsstörungen der
Körpertemperatur zeigen sich im Absinken der Hauttemperatur unter Ritalin
1277:191f. sowie in starkem Schwitzen 177. Am
Herzen können Captagon, Ritalin und Tradon Herzjagen und starkes Herzklopfen
auslösen 178;373;1277:191f., Rhythmusstörungen
und pektanginöse (mit Herzschmerzen wie bei Angina pectoris einhergehende)
Beschwerden 177. Unter der Kombination mit Psychopharmaka,
die ähnliche Wirkungen haben können, ist das Risiko von Herzmuskelattacken
erhöht 160:382. Den Kreislauf betreffend, kann
es unter Captagon und Ritalin zu Puls- und Blutdruckanstieg kommen 178;373;1217;1277:191f.
, unter Captagon, Ritalin und Tradon zu Schwindel 178.
Die unter Methylphenidat erhöhte Herzschlagfolge und der Blutdruckanstieg
können unter Stress zu verminderter Sauerstoffversorgung führen, möglicherweise
infolge erhöhten Strömungswiderstands durch verengte Blutgefäße
1620. Ritalinbedingte Schleimhautstörungen zeigen
sich als Ödeme, Mundtrockenheit oder Mundschleimhautentzündung 177;373;1277:191f.. Im
Magen-Darm-Bereich können Durchfall und Verstopfung auftreten, Übelkeit,
Erbrechen, Magen- und Bauchschmerzen 177;1277:191f. sowie
Bettnässen 1612:24. Die »Rote Liste« warnt
vor Magenschmerzen, Durchfall und Verstopfung bei Captagon, Ritalin und Tradon,
bei der letztgenannten Substanz zusätzlich vor Leberfunktionsstörungen
und Brechreiz 178. Werden beispielsweise wegen methylphenidatbedingter
Depressionen zusätzlich Antidepressiva verabreicht, potenziert sich die Leberbelastung
545. Mit Magenschmerzen und Appetitverlust ist bei Dextro-Amphetamin
zu rechnen 1674, mit Leberfunktionsstörungen bei Pemolin
2. An möglichen Blutbildschäden unter Captagon
und Ritalin erwähnt die »Rote Liste« die Verminderung der Blutplättchen
178. Die US-amerikanische Herstellerfirma von Cylert (Wirkstoff
Pemolin) berichtete von einzelnen Fällen aplastischer Anämie bei der
Einnahme ihres Produkts 2. Hautschäden unter
Methylphenidat treten als Ausschläge, Hautschwellungen und angioneurotische
Ödeme (Andickungen der Haut, besonders im Gesicht, an den Fingergelenken
oder am Hodensack) auf 177;373. Haut- und Nesselausschläge
nennt die »Rote Liste« bei Captagon, Ritalin und Tradon, Andickungen
der Haut, besonders im Gesicht, an den Fingergelenken oder am Hodensack bei Captagon
und Ritalin, Bindehautentzündung bei Captagon 178.
DeQuardo und Tandon berichteten von Stevens-Johnson-Syndromen, die unter Mehtylphenidat
auftreten können. Dies sind lebensgefährliche, entzündlich-allergische
Haut-Schleimhaut-Erkrankungen mit anhaltendem Fieber und Symptomen der Allgemeininfektion,
Bronchitis, Lungenentzündung, schwerer Bindehautentzündung, eventuell
einhergehend mit Hornhautgeschwüren, Entzündung der Halbschleimhäute
an Mund, Nase, Genitale und Anus, der äußeren Genitale einschließlich
der Scheide bzw. der Eichel. Nicht nur bei Erwachsenen kann Methylphenidat eine
durch Abblätterung und Abstoßung abgestorbenen Gewebes gekennzeichnete
Hautentzündung mit großlamellöser Schuppung auslösen 1600,
auch Kinder können unter dieser Hauterkrankung leiden, so Lucas und Morris
Weiss. Sie stellten den Fall eines sechseinhalbjährigen Mädchens vor,
dem man wegen Hyperaktivität und Hyperemotionalität
Methylphenidat verabreicht hatte. Auch hier zeigte sich wieder das parallele Auftreten
psychischer und körperlicher Störungen. Dem Mädchen gab man drei
Tage lang jeweils 5 mg morgens und drei weitere Tage 5 mg zweimal täglich
sowie am ersten Tag zum Einschlafen zusätzlich 25 mg Chlorpromazin. Bald
fingen die Probleme an: Im Lauf der ersten zwei Behandlungstage
wurde die Patientin »schrullig« und hatte somatische Beschwerden. Am
Tag 3 jedoch wurde sie so kooperativ und entspannt, dass ihre Eltern berichteten:
»Sie war eine Freude.« Am Tag 7 zeigte sie große Unruhe und Hyperaktivität
und blieb bis 1 Uhr früh wach. Am nächsten Tag schien sie unbeteiligt
und »fremd« und grimassierte häufig. Am Tag 9 wurde ihr Verhalten
äußerst bizarr. Sie kauerte in einer Ecke und versteckte sich im Klo.
Sie war apathisch und stumm geworden, auf Fragen ihrer Eltern konnte sie nicht
antworten. Diese erklärten, sie sehe aus, als ob sie »nur noch dahinvegetiere«.
Gelegentlich schrie sie und schlug unwillkürlich zu. Sie begann unzusammenhängend
zu plappern, starrte mit glasigen Augen in die Gegend, grimassierte und verdrehte
ihren Körper. Beim Essen stopfte sie enorme Mengen Nahrungsmittel in den
Mund. Die letzte Dosis Methylphenidat gab man ihr am Tag 9. Am Abend des Tages
10 erhielt sie wegen ihrer Schlaflosigkeit 100 mg Pentobarbital Sodium. An jenem
Tag verhielt sie sich etwas bizarr, aber sie besserte sich. Am Tag 11 war sie
nicht mehr schwer gestört oder desorientiert, aber sie blieb recht schwierig
zu handhaben. Am Tag 12 hatte sich das Verhalten wieder eingestellt, wie es vor
der Behandlung war. Die Eltern bemerkten, dass sich auf ihrer Kopfhaut eigenartige,
unregelmäßige Stellen von Alopezie (Haarausfall, Glatze) gebildet
hatten. Sie waren sicher, dass sie ihre Haare nicht ausgerissen und dass sich
die Alopezie von alleine entwickelt hatte. Mit der Zeit wuchsen die Haare nach,
aber dünne Flecken sind geblieben. 981:1079 Sehstörungen,
Anpassungsprobleme beim Sehen und Blicktrübung, verschlechterte Sehschärfe
und Pupillenweitstellung, die zu einem Engwinkelglaukom führten, wurden ebenfalls
in Zusammenhang mit Methylphenidat erwähnt 317;1169:836.
Als weitere mögliche Augenstörungen gelten Bindehautentzündung
177;373 sowie verschwommenes Sehen 1277:191f.
. HäufigkeitsangabenZur Häufigkeit von
Methylphenidatschäden gibt es sehr wenige Aussagen. Jedes fünfte methylphenidatbehandelte
Kind sei von Gewichtsverlust betroffen, so Gabrielle Weiss und Kollegen 1612.
Gewichtsverlust fanden Mitarbeiter der Universitätsanstalt Baltimore gar
bei 79% der getesteten Kinder in einer Fürsorge- sowie einer psychiatrischen
Einrichtung, bei der Placebogruppe nur bei 3% 250. Bauchschmerzen
sind unter Methylphenidat laut dem britischen Neurologen John Duncan allgemeine
Erscheinungen 373, und Michael Rancurello und Kollegen der
Universitätsanstalt Pittsburgh schrieben, ohne allerdings Zahlenangaben zu
liefern: Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen dieser
Medikamentenklasse sind Schlaf- und Appetitlosigkeit. Gewichtsverlust, Bauchbeschwerden,
Übelkeit und Kopfschmerz werden ebenfalls recht häufig erwähnt.
1217:79 DeQuardo und Tandon fügten ihrem
Bericht über Augenstörungen an, dass »... alle diese Nebenwirkungen
unter therapeutischen Dosierungen auftreten können...« 317:253
Diese Aussage gilt für alle anderen genannten Schäden ebenso. Psychiater
der Universitätsanstalt Auckland/Neuseeland berichteten von veränderter
Herz- und Atemtätigkeit bereits in Dosierungen weit unter den üblichen
Mengen 21. Die langfristigen Folgen des künstlich erhöhten
Herzschlags und Blutdrucks seien bedenklich und zudem noch völlig unerforscht,
so Whalen und Henker 1620. Mit steigender Dosis erhöht
sich die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Behandlungsschäden kommt. Muskel-
und BewegungsstörungenZuckungen im Gesicht, Sprachstörungen,
unfreiwillige Bewegungen von Lippen und Zunge, die erst bei Reduzierung der Methylphenidatdosis
wieder abklangen, beschrieben Gordon Millichap von der Neurologischen Abteilung
des Children's Memorial Hospital in Chicago und Kollegen. Bei einem Versuch, die
Dosis wieder zu steigern, stellten sich erwartungsgemäß erneut Muskelstörungen
ein, dieses Mal anfallartige Symptome 1057. Gelegentlich
löst Methylphenidat Muskelzittern 1277:191f. oder Gliederschmerzen
177 aus. Auch Zwangsbewegungen können auftreten. Die
Kinder können unter Tics 373;1277:191f.;1612 und anderen
Muskelstörungen insbesondere im Gesicht und am Mund leiden 177.
Laut Rancurello und Kollegen pressen sie dann die Lippen oder die Unter- und Oberkiefer
ständig mechanisch zusammen, kauen auf den Wangenschleimhäuten oder
zupfen an der Haut der Handteller oder neben den Fingernägeln herum 1217.
Remschmidt berichtete von der Möglichkeit einer verstärkten Hypermotorik
1241. Die Muskelstörungen können sich steigern
bis zum Tourette-Syndrom 1169:836: motorischen, im Affekt
eventuell zu veitstanzartigem Sturm gesteigerten Tics im Gesicht wie z.B. Schnaufen,
Räuspern, Schnalzen und Ausspucken sowie in anderen Regionen, begleitet eventuell
von Kotsprache, zwanghaftem Nachsprechen der Worte, Sätze, Wort-
und Satzenden, von Nachahmung der Sprache und Bewegung, von Bellen und unmotiviert
scheinenden Wutausbrüchen. In seltenen Fällen bleibt das Tourette-Syndrom
nach Absetzen des Methylphenidat bestehen 373. Von den
anderen Psychostimulantien wurden ebenfalls gelegentliche Muskel- und Bewegungsstörungen
gemeldet: Tourette-Syndrome, dyskinetische Störungen an Zunge, Lippen, Gesicht
und Gliedmaßen, Augenmuskelzittern und -krämpfe unter Pemolin 2,
Gelenkschmerzen und Dyskinesien im Mund- und Gesichtsbereich unter Captagon, Tics
unter Captagon und Tradon 178, Muskelzittern 1674,
Dyskinesien (z.B. zwanghafte Kieferbewegungen), Grimassieren und muskelkrampfartige
und veitstanzartig-unkontrollierte Bewegungsstörungen unter Dextro-Amphetamin
414;1015.
Quellen siehe: Peter
Lehmann, Schöne neue Psychiatrie. Band 2: Wie Psychopharmaka
den Körper verändern, Berlin: Antipsychiatrieverlag
1996 (E-Book-2022)
Psychische und zentralnvervöse Risiken und Gefahren von Psychostimulantien
wie z.B. Ritalin bei Kindern siehe Schöne
neue Psychiatrie. Band 1: Wie Chemie und Strom auf Geist und Psyche
wirken, Berlin: Antipsychiatrieverlag 1996 (E-Book 2022)
Copyright by Peter Lehmann 1996. Alle Rechte vorbehalten
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