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des Antipsychiatrieverlags
in:
Kerstin
Kempker & Peter Lehmann (Hg.): Statt Psychiatrie, Berlin:
Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 1993, S. 195-207
Günther Fißlthaler
& Peter Sönser
Zwangsanhaltung und Zwangsbehandlung in Österreich
Ein Erfahrungsbericht zum Bundesgesetz vom 1. März 1990
Die Frage nach der Rechtsstellung von Menschen, die in Psychiatrischen
Anstalten festgehalten und verwahrt werden, ist so alt wie die
Anstalten selbst. Anhand eines Beispiels soll die sich jedesmal
abzeichnende menschenrechtliche Problematik während eines
stationären Aufenthalts einleitend dargestellt werden. Eine
Frau beschreibt mit eigenen Worten ihren Aufenthalt in einer Anstalt
in Österreich Mitte der 80er Jahre, also in einer Periode
vermeintlich abgeschlossener psychiatrischer Reformen:
Während meiner Klinikaufenthalte war die Verabreichung
starker Dosen von Psychopharmaka mit den damit verbundenen Nebenwirkungen
die für mich leidvollste Erfahrung. Hinzu kam die vorwiegend
kühl distanzierte Art der Schwestern, welche kaum auf die
Patienten eingingen. Letztere sind ja verrückt, und was braucht
man sich schon zu kümmern um Äußerungen, Bedürfnisse
und Wünsche verrückter Menschen? Sie sind nicht ernst
zu nehmen, und das bekommt man von Schwesternseite her (auf der
Beobachtungsstation) stark zu spüren. Im Rückblick kann
ich jedoch sagen, dass ich bei jedem Klinikaufenthalt irgendeine
Besserung der Situation der Patienten feststellen konnte. Nur
die Verabreichung sehr hoher Dosen wurde beibehalten, wenn nicht
gar verstärkt.
Schließlich bewirken die Medikamente ja eine »Ruhigstellung«
der Patienten. Apathischen, stumpfen und motorisch eingeschränkten
»Verrückten« kann man ja mehr Freiheit gewähren,
die diese aber nicht auskosten können. Es ist nicht übertrieben,
von einer »chemischen Zwangsjacke« zu sprechen. Ich
erinnere mich noch an Beeinträchtigungen in der Motorik,
dazu verspürte ich eine quälende Unruhe, trotz gleichzeitiger
»Gebremstheit« und Apathie nach außen. Gleichgewichtsstörungen,
undeutliches Sprechen, plötzliche Gewichtszunahme, schlechte
Konzentration, unreine Haut und manchmal Händezittern waren
»nur« Nebenwirkungen für Nichtbetroffene
ein schwer einfühlbarer Zustand.
Kein Wunder, dass inzwischen einige Patienten regelrecht
Horror vor Neuroleptika empfinden, und sich gegen Spritzen und
Infusionen wehren. So auch ich. Doch in geschlossenen Abteilungen
besteht keine Chance auf Verweigerung der Tabletteneinnahme. Ich
bekam die Spritze mit Gewalt verabreicht. Als ich wieder aufwachte,
war ich ans Bett gefesselt und an eine Infusion angeschlossen.
Meine Medikamentenpanik wurde nur verstärkt, und so wiederholten
sich diese Szenen. Nach »ausreichender« chemischer Behandlung
durfte ich auch das übrige Therapieangebot nutzen (Musik-
und Ergotherapie). Zu diesem Zeitpunkt war ich jedoch körperlich
und psychisch so fertig, dass mir einfache Basteleien, Tanzen
und Musizieren äußerst schwer fielen. (zit.n. »Psychiatrie«
1987, S. 109)
Die 'Patientin', wobei die Bezeichnung irreführend ist,
da dieser Frau wie sie es selbst beschreibt alle
Rechte bei der Aufnahme in die Anstalt genommen wurden, schildert
eindrücklich, wie sie ihren Aufenthalt erlebt hat. Die Rechtsverletzungen
treten dabei nicht nur bei genauerem Hinsehen offen zutage. Dies
ist umso bestürzender, als ihr Leiden nach unseren Erfahrungen
alltägliches Leiden darstellt und seine psychiatrische 'Behandlung'
nur als Ausdruck einer gesellschaftlich legitimierten Ausgrenzung
verständlich wird.
Bis zum 1. Jänner 1990 regelte die sogenannte Entmündigungsordnung
aus dem Jahre 1916 die zwangsweise Aufnahme und den zwangsweisen
Aufenthalt. Durch diese gesetzlichen Bestimmungen wurden zwar
den Anstalten bzw. den einweisenden Ärzten Formvorschriften
auferlegt, unter welchen ein Freiheitsentzug in Psychiatrischen
Anstalten statthaft war. Beide eingangs zitierten Beispiele belegen
allerdings, wie sich der Vollzug gestaltete. So ist davon auszugehen,
dass zwangsweise angehaltene Personen der medizinischen Willkür
der behandelnden Ärzte ausgesetzt waren, wobei die gerichtliche
Kontrolle wenn überhaupt nur den Charakter
der Legitimation des ärztlichen Eingriffs hatte.
Eine gesetzlich legitimierte Zwangsbehandlung war zwar nach den
geltenden rechtlichen Bestimmungen nicht möglich, aber an
der Tagesordnung.
»Elektro-Schocks und Körperflechten«, ein tagebuchartiger
Bericht des Psychologiestudenten Hans Weiss (1977), belegte die
Anstaltswillkür unter dem Deckmantel ärztlicher Behandlung
und förderte die Diskussion um eine Reform der zwangsweisen
Anhaltung in den Psychiatrischen Anstalten. Einer Reform aber,
die genau jene gesetzlichen Bestimmungen einführt, durch
welche die Zwangsbehandlung 'rechtsstaatlichen Prinzipien' unterworfen
wird.
Im zur Zeit geltenden Recht
(1) muss man schon 'Querulant'
sein, um die Chance auf Durchsetzung seiner Patientenrechte und
speziell seines Rechts auf körperliche Unversehrheit zu haben,
ist doch im Gesetz indirekt die Ermächtigung zur Zwangsbehandlung
enthalten: § 36 Abs. 2 des Unterbringungsgesetzes (UbG) ermöglicht
zwar eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle von zwangsweisen
medizinischen Eingriffen. Er erlaubt aber gleichzeitig, ohne dies
in eindeutiger Weise festzulegen, die Zwangsbehandlung (gegen
oder ohne den Willen) des Betroffenen, kann dieser den »Grund
und die Bedeutung einer Behandlung nicht einsehen oder seinen
Willen nicht nach dieser Einsicht bestimmen«. Verweigert
also jemand die Zustimmung zur Behandlung, ist es ein leichtes
zu behaupten, dass die Behandlungsverweigerung mit seiner vermeintlichen
Krankheit in Zusammenhang steht.
Zwangseinweisung und Zwangsaufnahme in die geschlossene Psychiatrie
Modellvorstellungen des österreichischen Gesetzgebers
Zunächst ist der regelmäßig einzuhaltende Weg
für eine Zwangsverbringung in die Psychiatrie nach geltendem
Recht zu skizzieren: Die betroffenen Personen sind im wesentlichen
im Vorfeld der Psychiatrie mit Polizei und Polizeiarzt und bei
der Aufnahme in der Anstalt mit zwei Fachärzten der jeweiligen
Anstalt konfrontiert.
Bei ihrem Einschreiten hat die Polizei zumindest eine grobe Einschätzung
des Vorliegens, jedenfalls der Gefährdungsvoraussetzungen
vorzunehmen, da sie erst nach einer solch groben Vorprüfung
berechtigt ist, im Wege einer Zwangsermächtigung die betroffene
Person dem zuständigen Amts- oder Polizeiarzt vorzuführen,
welcher dann nochmals in einer konkreten Untersuchung (einem persönlichen
Gespräch mit dem Betroffenen) das Vorliegen der Voraussetzungen
für eine Zwangseinweisung schriftlich zu bescheinigen hat.
Sowohl die Polizisten als auch der Polizeiarzt haben zunächst
einmal unter möglichster Schonung der betroffenen Person
vorzugehen und nur die allernotwendigsten Vorkehrungen zur Gefahrenabwehr
zu treffen; als Neuerung sind die Sicherheitsbehörden verpflichtet,
soweit wie möglich von sich aus mit psychiatrischen Einrichtungen
außerhalb einer Anstalt zusammenzuarbeiten und erforderlichenfalls
den örtlichen Rettungsdienst beizuziehen, um so unter Umständen
eine Zwangseinweisung zu verhindern. Diese Regelung ist nach unseren
bisherigen Erfahrungen von sehr geringem Nutzen, da es derzeit
kaum Alternativen zur Anstalt gibt und die Polizei aus den unterschiedlichsten
Gründen nicht in der Lage ist, die Anforderungen zu erfüllen.
Die Unterbringung ohne Verlangen, wie Zwangseinweisung und Zwangsanhaltung
nach dem Unterbringungsgesetz bezeichnet werden, ist jede Anhaltung
von Personen gegen oder ohne ihren Willen (§ 8 UbG). Die
Zwangsanhaltung wird durch das Unterbringungsgesetz einer gewissen
Verfahrensförmigkeit unterworfen. Im wesentlichen fordert
das Gesetz zunächst die Einschaltung eines Polizeiarztes,
jedenfalls eines Arztes im öffentlichen Sanitätsdienst
(das sind in Österreich z.B. die Amts-, Sprengel- bzw. Distriktsärzte).
Ausnahmsweise können Personen auch durch die Sicherheitsorgane
zwangsweise in Psychiatrische Anstalten verbracht werden, dies
allerdings nur bei 'Gefahr im Verzug'.
In der Anstalt selbst ist sodann eine Aufnahmeuntersuchung durchzuführen,
bei welcher nochmals von zwei Fachärzten die Voraussetzungen
der Unterbringung ohne Verlangen geprüft und bescheinigt
werden müssen; hierzu zählen 'psychische Krankheit',
konkrete und in erheblichem Ausmaß vorliegende Selbst- oder
Fremdgefährdung und das Fehlen anderweitiger Unterbringungsmöglichkeiten.
Zu verständigen von der zwangsweisen Aufnahme ist sodann
das zuständige Bezirksgericht und die Patientenanwaltschaft,
die an jeder Psychiatrischen Anstalt in Österreich eingerichtet
ist. Die Patientenanwaltschaft übernimmt die Vertretung der
Betroffenen im gerichtlichen Verfahren und gegenüber der
Anstalt, ohne jedoch in die Geschäftsfähigkeit der angehaltenen
Person einzugreifen. Daraufhin muss das Gericht ein Verfahren
zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des zwangsweisen
Psychiatrie-Aufenthalts einleiten.
Nun wirft gerade der Bereich der Zwangseinweisung und Zwangsverbringung
in die Psychiatrie durch Organe der Sicherheitsbehörden bzw.
die beigebrachte Bescheinigung durch den zuständigen Polizeiarzt
eine Menge von Rechtsschutzproblemen auf.
Praktische Auswirkungen für die Betroffenen am Beispiel
der Zwangseinweisung und Zwangsverbringung
Nach österreichischem Recht stellen alle Einweisungsvorgänge
keine förmlichen Verwaltungsverfahren dar, d.h. hier wird
kein Bescheid einer Verwaltungsbehörde erlassen, der dann
im Verfahrenswege bekämpft und auf dessen Rechtmäßigkeit
überprüft werden könnte. All diese Akte werden
bewertet als verfahrensfreie Zwangsakte, d.h. Akte unmittelbarer
verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Genau
an diesem Punkt zeigt die derzeitige Rechtsprechung dieser Unabhängigen
Verwaltungssenate ein für die Betroffenen unerträgliches
Rechtsschutzdefizit auf. Dies soll anhand eines Beispiels deutlich
werden:
Herr H. wird am Bahnhof einer größeren österreichischen
Stadt von einem ihm unbekannten Mann attackiert. Es kommt zu einem
Handgemenge zwischen den Männern. In der Folge wird er von
der Polizei festgenommen und dem zuständigen Polizeiarzt
vorgeführt einem Polizeiarzt, der den Betroffenen
seit langem kennt. Dieser veranlasst die Zwangseinweisung in die
Psychiatrische Anstalt. Der Arzt bescheinigt und prüft nun
aber nicht das Vorliegen der Voraussetzungen für einen derartigen
Eingriff in das Grundrecht auf persönliche Freiheit, ihm
genügt für die Zwangseinweisung, dass Herr H. behördenbekannt
ist. Nach den gesetzlichen Bestimmungen hätte der Polizeiarzt
aber differenziert zu prüfen, ob der Betroffene an einer
'psychischen Krankheit' leidet, im Zusammenhang damit sich oder
andere ernstlich oder erheblich gefährdet und ob kein gelinderes
Mittel als die Zwangseinweisung zur 'Gefahrenabwehr' zur Verfügung
steht.
Erläuternd und klarstellend meint der Gesetzgeber im Bericht
des Justizausschusses zum Unterbringungsgesetz und zum Vorliegen
der Voraussetzungen für eine Zwangsanhaltung, dass das Gesetz
keineswegs den Eindruck erwecken wolle, dass eine 'psychische
Krankheit' regelmäßig zu einer Gefährdung des
'Kranken' oder seiner Umwelt führe. Und weiter:
Daher soll verdeutlicht werden, dass es auf den im Einzelfall
gegebenen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der dadurch
verursachten Gefahr ankommt. (Bericht 1990, S. 5)
Nach der Aufnahmeuntersuchung von Herrn H. in der Psychiatrischen
Anstalt die Klinik bejaht ebenfalls das Vorliegen der Voraussetzungen
für eine Zwangsanhaltung wird ein gerichtliches Verfahren
eingeleitet. In diesem wird immer noch dasselbe Beispiel
sowohl in erster als auch in zweiter Instanz entsprechend
der Argumentation der Patientenanwaltschaft die vorgenommene Zwangsanhaltung
für unzulässig erklärt. Letztlich wird also die
Entlassung aus der Psychiatrischen Anstalt verfügt. Dies
allerdings erst nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in der
geschlossenen Abteilung der Anstalt, weil das Verfahren solange
dauerte. Da sich das Gericht aber lediglich mit dem Anstaltsaufenthalt
und dessen Zulässigkeit auseinandersetzt, bleibt der Zwangsakt
der Sicherheitsbehörden unüberprüft, der zur Einweisung
geführt hat. Es bleibt daher dem Betroffenen nichts anderes
übrig, als gegen die Sicherheitsbehörde Beschwerde beim
zuständigen Unabhängigen Verwaltungssenat zu führen,
um die mögliche Rechtswidrigkeit der vorgenommenen Zwangseinweisung
bekämpfen zu können. Derzeit, Jänner 1993, ist
es jedoch so, dass diese Verwaltungssenate der Länder ihre
Zuständigkeit für die Überprüfung der vorgenommenen
Hoheitsakte bestreiten. Was bleibt, ist ein erhebliches Rechtsschutzdefizit
in genau jenen Fällen, in denen die Gerichte teilweise nach
mehr als dreiwöchigem Verfahren und Aufenthalt in der Psychiatrie
eine Zwangsanhaltung für unzulässig erklären, auch
wenn diese möglicherweise durch eine rechtswidrige Zwangseinweisung
ausgelöst worden ist.
Berücksichtigt man zudem, dass der Betroffene unter Umständen
noch gegen oder ohne seinen Willen mit Psychopharmaka behandelt
wird, dann bleibt der Feststellung eines Richters Dr. Franz Schmidbauer
(1991) im Zuge der Auseinandersetzung um die Umsetzung dieses
Gesetzes nichts mehr hinzuzufügen, der in den Salzburger
Nachrichten, einer großen österreichischen Tageszeitung,
die Meinung vertrat:
Über den Freiheitsentzug bei einem psychisch Kranken
wird noch immer flüchtiger entschieden als über einen
lächerlichen Blechschaden.
In der Praxis ist weder die 'psychische Krankheit' noch die Gefährdung
erwiesen, und zur Einweisung in die geschlossene psychiatrische
Abteilung heißt es zumeist lapidar: »Keine alternativen
Betreuungseinrichtungen vorhanden.«
Obwohl der Gesetzgeber selbst die Voraussetzungen der Zwangsanhaltung
(Unterbringung) in Psychiatrischen Anstalten bewusst auf die Problematik
der Gefahrenabwehr beschränkt wissen wollte:
... dass die vom Kranken ausgehende Gefahr für
sich oder andere nicht anders als durch eine Unterbringung abgewendet
werden kann. Die Unterbringung auf Grund einer bloßen »Behandlungsbedürftigkeit«
ist ebensowenig zulässig wie eine Anhaltung als »Maßnahme
der Fürsorge«. Einer solchen Ausweitung der Unterbringungsvoraussetzungen
steht das Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen
Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988, entgegen, das die Zulässigkeit
einer Einschränkung der persönlichen Freiheit von einer
mit der psychischen Krankheit verbundenen Gefahr abhängig
macht (Art. 2 Abs. 1 Z 5). Der Ausschuss ist sich dabei dessen
bewusst, dass viele Kranke, die weder sich noch andere gefährden,
dringend eine angemessene Behandlung und Betreuung benötigen.
Er geht aber davon aus, dass diesen Bedürfnissen im Rahmen
moderner, leistungsfähiger und ausreichend ausgestatteter
psychiatrischer und sozialer Dienste und Einrichtungen Rechnung
getragen werden kann, ohne dass in die Persönlichkeitsrechte
der Betroffenen eingegriffen werden muss. (Bericht 1990, S. 5)
Aufgrund der aufgezeigten Praxis wird ein wichtiger 'Reformappell'
des Gesetzes nicht umgesetzt, er verhallt ungehört. Zwangseinweisung
und Zwangsanhaltung werden im Konfliktfall nicht selten zur einzig
vorhandenen 'Alternative'. Das ist umso bedrückender, als
dadurch der Versuch eines verstärkten Grundrechtsschutzes
für die Betroffenen von vornherein vereitelt wird und Rechte
zu bloßen Behauptungen degradiert werden.
Nochmals zur Verfahrenspraxis
Nachdem die beiden Fachärzte übereinstimmend die Aufnahme
gegen oder ohne den Willen des Betroffenen befürwortet und
schriftlich in Gutachtenform bescheinigt haben, kommt der zuständige
Richter innerhalb von längstens 7 Tagen (4 Tage ab Kenntnisnahme
durch das Gericht) in die Anstalt, wo die sogenannte Erstanhörung
stattfindet. Der Richter hört den Anzuhaltenden an, einen
Vertreter des Abteilungsleiters und den Patientenanwalt als Vertreter
des Betroffenen. Danach entscheidet er über die Zulässigkeit
der vorläufigen Anhaltung. Der angeblich Kranke und dessen
Vertreter haben im Gegensatz zum Abteilungsleiter kein Rechtsmittel
gegen diese Entscheidung. Damit ist eine weitere rechtsstaatlich
bedenkliche Regelung mit höchster praktischer Brisanz für
die Betroffenen angesprochen; ein Beispiel:
Der Richter erklärt nach einigen Tagen (vgl. die Viertagesfrist
oben), dass eine Zwangsanhaltung unzulässig ist. Dagegen
erhebt nun der Abteilungsleiter ein Rechtsmittel, er legt Rekurs
ein. Gibt der Richter diesem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung,
ist die sofortige Beendigung der Zwangsanhaltung, wie zunächst
entschieden, ausgesetzt, bis ein Gericht zweiter Instanz entscheidet.
Für den Betroffenen bedeutet dies, dass er auch weiterhin
in der Anstalt verbleiben muss; es dauert ca. zwei bis drei Wochen,
bis eine neue Entscheidung ergeht. Hinzu kommt, dass der Abteilungsleiter
in seinem Rechtsmittel jederzeit neue Gründe für eine
weitere Zwangsanhaltung vorbringen kann. In der Praxis der Gerichte
(2. Instanz) hat der Betroffene keine Möglichkeit, zu den
'neuen Argumenten' der Anstalt Stellung zu nehmen; damit ist das
einseitige Rechtsmittelrecht des Abteilungsleiters der Anstalt
zumindest bedenklich im Hinblick auf die 'Wahrung des rechtlichen
Gehörs' des Betroffenen. Damit wird das Rechtsschutzverfahren
zur Kontrolle staatlicher Zwangsakte in Psychiatrischen Anstalten
gegenüber BürgerInnen zu einem einseitigen Akt der Entrechtung.
Laut praktischer Rechtsauslegung des Landesgerichts Salzburg sollen
derartige Entscheidungen nicht einmal beim Obersten Gerichtshof
anfechtbar sein. Inwieweit der Oberste Gerichtshof diese Meinung
teilt, ist noch offen.
Wird die Anhaltung vom Richter für zulässig erklärt,
wird innerhalb von 14 Tagen eine 'mündliche Verhandlung'
anberaumt und ein Gutachter bestellt, der nochmals 'unabhängig'
die Voraussetzungen der Anhaltung zu prüfen hat.
Zwangsbehandlung in geschlossenen psychiatrischen Abteilungen
Prinzipien
Die Durchführung und die Rechtmäßigkeit von Zwangsbehandlungen,
Schwerpunkt psychiatrischer Intervention, spielt in geschlossenen
psychiatrischen Abteilungen eine wesentliche Rolle. Auf seiten
der Betroffenen steht eigentlich nur der Rechtspassus, nach dem
eine solche Vorgehensweise nur »unter bestimmten einschränkenden
Voraussetzungen erlaubt« ist. Die Betroffenen dürfen
nur dann gegen ihren Willen behandelt werden, wenn sie aufgrund
ihrer 'Erkrankung' bezüglich der konkret vorzunehmenden Behandlung
nicht einsichts- und urteilsfähig sind. In dieser schwierigen
Situation steht die Behauptung der Psychiater, die PatientInnen
seien nicht krankheitseinsichtig, deren Haltung gegenüber,
eine bestimmte Behandlung abzulehnen.
In der Anstalt haben Psychiater allerdings die Macht. Da ihre
Angebote in aller Regel auf die Verabreichung von Psychopharmaka
beschränkt sind, gilt für sie in der Konfliktsituation
das Alles-oder nichts-Prinzip. Angesichts der behaupteten Notwendigkeit
zur Gefahrenabwehr ist eine vernünftige Unterstützung
im normalen psychiatrischen Rahmen deshalb kaum möglich.
Die weitere Anwendung von Zwangsmaßnahmen erscheint unvermeidlich,
übrig bleibt eine nachprüfende Kontrolle, letzter Rest
des Rechtsschutzes. Beim Lesen erweckt das Gesetz den Anschein,
ein Mehr an Schutz bieten zu können. Es bleibt einzig ein
Recht auf Papier. Zwar ist dessen Wirkung im Verhältnis zu
durchsetzbaren subjektiven Rechten nicht bedeutungslos, wie unsere
praktische Arbeit als Patientenanwälte in Salzburg gezeigt
hat. Dies ändert allerdings nichts an der Schutz- und Rechtlosigkeit
in der konkreten Situation auf einer geschlossenen psychiatrischen
Abteilung. Das Recht auf Selbstbestimmung unterliegt in erschreckender
Deutlichkeit der totalen Fremdbestimmung, besonders im gutachterfreundlichen
Verfahrensmilieu des Unterbringungsrechts.
Beispiel der Verhinderung einer Zwangsbehandlung
Frau F., Mutter und Ehefrau, wird in der geschlossenen psychiatrischen
Abteilung zwangsweise aufgenommen. Sie fühlt sich aber mit
ihren Sorgen und Ängsten alleingelassen. Durch die Zwangseinweisung
mit Polizei und Rettung in die geschlossene Abteilung ist sie
in ihrer Selbstachtung schwer verletzt worden, ja sie versteht
die Welt nicht mehr. Aber keineswegs konnte durch diesen staatlichen
Gewaltakt ihr Wille gebrochen werden. Vielmehr verweigert diese
Frau standhaft jedes Gespräch mit dem Personal und lehnt
jede Behandlung ab. Sie verlangt eine Besprechung mit dem Patientenanwalt
und schildert ihm, dass sie sich hier völlig ohnmächtig
und ausgeliefert fühlt. Die Psychiatrie als Institution will
eine Behandlung auch unter Einsatz von Zwangsmaßnahmen jedenfalls
durchsetzen. Auch die Angehörigen wollen dies, da sie sich
mit der derzeitigen Situation völlig überfordert fühlen
und sich von einer Behandlung Besserung, ja Heilung erwarten.
Frau F. lehnt aber weiterhin jede Behandlung unter den auf der
geschlossenen Station herrschenden Zwangsbedingungen strikt ab.
Sie wäre aber bereit, einer psychotherapeutisch begleiteten
Aufarbeitung der entstandenen Konfliktsituationen zuzustimmen,
um einer bevorstehenden Zwangsbehandlung zu entgehen. Und nur
deshalb! Das Gericht stellt aufgrund des Gutachtens eines Gerichtssachverständigen,
der der Frau Einsichts- und Urteilsfähigkeit bescheinigt,
das Überprüfungsverfahren ein, sie darf nicht gegen
ihren erklärten Willen behandelt werden. Vielmehr wird ihrem
Wunsch Rechnung getragen, sich mit den in der Familie entstandenen
Schwierigkeiten auseinanderzusetzen. Die geforderten Zwangsmaßnahmen
werden zurückgenommen. Es hat sich unter schwierigsten Bedingungen
ein Teil Selbstbestimmung gegen die totale Fremdbestimmung durchgesetzt.
Die Zwangsanhaltung ohne Zwangsbehandlung macht keinen Sinn, so
die Psychiater.
Erschreckend ist allerdings, dass obiger 'Fallverlauf' nichts
als eine Zufälligkeit darstellt und keineswegs auf der Grundlage
brauchbarer Rechte der Betroffenen im österreichischen Unterbringungsrecht
entstanden ist. Diese Rechte fehlen allerdings dem Gesetz nicht
an sich, sondern werden traditionsgemäß und regelmäßig
nicht in die Praxis umgesetzt; so bleiben Versuche, Patientenrechte
in Psychiatriegesetzen abzusichern, fromme Wunschvorstellungen
von Rechtstheoretikern, die gleiche Rechte für medizinisch
und psychiatrisch Behandelte wollen.
Dieser erste kritische Blick ist am Gesetz weiter zu vertiefen:
Die Behandlung von zwangsweise angehaltenen Personen, geregelt
in § 35 UbG, orientiert sich zunächst an Bestimmungen
der Rechtsordnung, die sich mit ärztlichen Behandlungen allgemein
auseinandersetzen. Es wird der Grundsatz wiederholt, wonach jede
ärztliche Behandlung nach den Grundsätzen und anerkannten
Methoden der medizinischen Wissenschaft durchzuführen ist;
darüber hinaus ist auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
ausdrücklich angeführt: »Die Behandlung ist nur
insoweit zulässig, als sie zu ihrem Zweck nicht außer
Verhältnis steht.« (§ 35 Abs. 1 UbG). Damit wird
nichts Neues festgeschrieben, allerdings bekräftigt, dass
nur derartige therapeutische Maßnahmen zulässig sind,
die überhaupt medizinische Behandlungen sind. Darunter fallen
jedenfalls nicht umstrittene wissenschaftliche Versuche oder andere
Eingriffe, die nicht angezeigt sind (vgl. nicht-medizinisch indizierte
Sterilisationen, Kastrationen usw.). In diesem Zusammenhang kann
lediglich darauf verwiesen werden, dass für die klinische
Prüfung von Arzneimitteln Sonderregelungen gelten (vgl. Arzneimittelgesetz),
wonach jedenfalls bei zwangsangehaltenen Personen eine solche
Prüfung nicht durchgeführt werden darf, es sei denn,
eine (verweigerte oder fehlende) Zustimmung des Betroffenen wird
durch einen gesetzlichen Vertreter ersetzt. Weiters bekennt sich
der Gesetzgeber in § 35 Abs. 2 UbG zur Aufklärungspflicht:
»Der Grund und die Bedeutung der Behandlung sind dem Kranken,
soweit dies seinem Wohl nicht abträglich ist, ... zu erläutern.«
Allerdings eben eingeschränkt durch einen sehr unbestimmt
gehaltenen 'therapeutischen' Vorbehalt (eine Neuheit, wenigstens
auf dem Papier, wie auch das bedingte Einsichtsrecht in die eigenen
Anstaltsakten, § 39 UbG).
Ein weiteres 'überflüssiges' Bekenntnis zur Selbstbestimmung
enthält § 36 Abs. 1 UbG:
Kann der Kranke den Grund und die Bedeutung einer Behandlung
einsehen und seinen Willen nach dieser Einsicht bestimmen, so
darf er nicht gegen seinen Willen behandelt werden ...
Diese Regelung ist eine 'Fleißaufgabe', da die österreichische
Rechtsordnung bisher, vor Inkrafttreten des UbG, eine Zwangsbehandlung,
d.h. eine Behandlung gegen oder ohne den ausdrücklichen Willen
des Betroffenen, nicht erlaubte, es sei denn bei 'Gefahr im Verzug'.
Dann aber wird das Gesetz für einen großen Teil der
Betroffenen völlig undurchschaubar; in einem zweiten Absatz
erscheint plötzlich die Ermächtigung zur Zwangsbehandlung,
ohne dass diese Begrifflichkeit vom Gesetzgeber in irgendeiner
Form in den Mund genommen wird. Um dies zu veranschaulichen, sei
dieser Teil der Bestimmung hier im vollen Wortlaut zitiert; er
macht das Selbstbestimmungsrecht gemäß dem erwähnten
§ 36 Abs. 1 UbG zum Spielball der Beurteilung des Vorliegens
oder Nichtvorliegens der Einsichts- und Urteilsfähigkeit
durch den Psychiater:
Kann der Kranke den Grund und die Bedeutung einer Behandlung
nicht einsehen oder seinen Willen nicht nach dieser Einsicht bestimmen,
so darf er, wenn er minderjährig oder ihm ein Sachwalter
bestellt ist, dessen Wirkungskreis Willenserklärungen zur
Behandlung des Kranken umfasst, nicht gegen den Willen seines
gesetzlichen Vertreters oder Erziehungsberechtigten behandelt
werden; besondere Heilbehandlungen einschließlich operativer
Eingriffe dürfen nur mit schriftlicher Zustimmung des gesetzlichen
Vertreters oder Erziehungsberechtigten durchgeführt werden.
Hat der Kranke keinen gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten,
so hat auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters das Gericht
über die Zulässigkeit der Behandlung unverzüglich
zu entscheiden; besondere Heilbehandlungen einschließlich
operativer Eingriffe bedürfen der Genehmigung des Gerichtes.
(§ 36 Abs. 2 UbG)
Damit können die meisten Betroffenen, die keinen gesetzlichen
Vertreter haben, zunächst gegen oder ohne ihren Willen behandelt
werden, wenn der behandelnde Psychiater von der fehlenden Einsichts-
und Urteilsfähigkeit ausgeht.
In der Praxis wird eine junge Frau, die auf einer geschlossenen
psychiatrischen Station beispielsweise aus Protest die Einnahme
von bestimmten Psychopharmaka und auch die Nahrungsaufnahme verweigert,
da ihren Wünschen von den Psychiatern nicht nachgekommen
wird, schließlich zwangsbehandelt und zwangsernährt.
Die Begründung der Psychiater lautet 'Gefahr im Verzug'!
Eine solche Regelung enthält das Unterbringungsgesetz der
Vollständigkeit halber nämlich auch noch (§ 37).
Die daraufhin angerufenen Gerichte erklären sich zunächst
in erster und zweiter Instanz als nicht zuständig für
die Überprüfung der vorgenommenen Behandlung auf ihre
Rechtmäßigkeit. Hier gäbe es für die Gerichte
nichts zu prüfen, da die Vorfälle alle in der Vergangenheit
lägen und das Unterbringungsgericht nur für zukünftig
vorzunehmende Zwangsmaßnahmen zuständig sei (Bitte
nochmals die oben zitierte Bestimmung aus § 36 Abs. 2 UbG
lesen!) Außerdem sei eine derartige nachträgliche Überprüfung
praxisfern; Aufgabe des Gerichts sei aber nicht, sich mit akademischen
Fragen auseinanderzusetzen:
... sie ist ... von eher theoretischem Reiz, da nach Entlassung
des Patienten verständlicherweise kaum jemand an einer Fortführung
des Verfahrens interessiert ist.
Den zitierten Überlegungen konnte sich der Oberste Gerichtshof
zum Glück allerdings nicht anschließen. Ganz im Gegenteil.
Das Höchstgericht stellte unmissverständlich fest, was
eben die Verfassung und die Menschenrechtskonvention, die in Österreich
ebenfalls im Verfassungsrang steht, d.h. unmittelbar anwendbares
innerstaatliches Recht ist (anders als in der BRD), festgeschrieben
haben. Bei Zwangsanhaltungen und Zwangsbehandlungen geht es um
Eingriffe in Grund- und Menschenrechte. Bei behaupteten Verstößen
gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und die Achtung der
Menschenwürde haben davon Betroffene auch nach Beendigung
derartiger Zwangsmaßnahmen ein Recht darauf, dass von einem
unabhängigen Gericht festgestellt wird, ob eine derartige
Gewaltausübung zu Recht oder zu Unrecht erfolgt ist (OGH-E,
unveröffentlicht).
Für die Betroffenen wurde damit zwar ein Rechtsweg (neben
zivilrechtlichen Ansprüchen bzw. strafrechtlichen Sanktionen)
eröffnet, jedoch bleibt die Frage z.B. der Beurteilung des
Vorliegens oder Nichtvorliegens der Einsichts- und Urteilsfähigkeit
einzig eine Gutachterfrage. Damit entscheidet in einem derartigen
Verfahren wiederum ein Psychiater über die Zulässigkeit
von Zwangsmaßnahmen. Allerdings bleiben die Kriterien der
Beurteilung dem rechtlichen Zugriff praktisch entzogen. Zwar ist
die Frage, ob eine Person in der Lage ist, Grund und Bedeutung
einer Behandlung einzusehen ('Diskretionsfähigkeit') und
ihren Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen ('Dispositionsfähigkeit'),
zuletzt vom Gericht selbst zu beurteilen, aber in der Praxis tut
dies der Psychiater. Sei dies zunächst jener, der die Zwangsbehandlung
durchführt: »Ein nicht einsichts- und urteilsfähiger
Kranker, der keinen gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten
hat, darf nach medizinischer Notwendigkeit behandelt werden.«
(Bundesministerium für Justiz 1990/1, S. 16). Oder sei es
der Sachverständige im gerichtlichen Prüfungsverfahren.
Hier wird unmissverständlich klar: das Selbstbestimmungsrecht
ist begrifflich und real verschwunden. Es bleibt die Behauptung,
es gebe dieses Recht doch, allein zurück!
Schlussbemerkungen
Um die Situation von Menschen, denen aufgrund ihres nichtkonformen
Verhaltens mit Aussonderung gedroht wird, zu verbessern, muss
als erstes das gesellschaftlich legitimierte Zwangsinstrument
bloßgestellt und benannt werden, um es einschränken
und schließlich abschaffen zu können.
Psychiatriegesetze setzen keine gesellschaftlichen Transformationsprozesse
in Gang, die eine 'Behandlung mittels Mauern' abschaffen sollen;
die gegenteilige Vorstellung wurde von dem Bremer Juristen Wolfgang
Reichel (1980) exemplarisch widerlegt. Denn nicht das Grundrecht
auf individuelle Freiheit ist Thema dieser Gesetze, sondern das
Recht auf Sicherheit und Ordnung im Sinne von Polizeigesetzen.
Das gilt für das österreichische Unterbringungsgesetz
ebenso. Individuelle Freiheit würde bedeuten, dass Menschen
auf belastende Lebensbedingungen in einer Form reagieren könnten,
die sie sichtbar machen.
Das engmaschige therapeutische Netz außerhalb der Anstalten
aber, als Alternative und zur Vorbeugung erdacht, hält ebenso
gefangen wie Anstaltsmauern.
Das Unterbringungsgesetz als 'Sonderprozessordnung für Wahnsinnige'
trägt in Form der Ermächtigung zur Zwangsbehandlung
seinen Teil bei, um den Zugriff auf den menschlichen Körper
und die Psyche in althergebrachter Psychiatrietradition fortzusetzen.
Eine Einrichtung wie die Patientenanwaltschaft als Instrument
der Offenlegung von Zwang ist dabei auf Dauer zum Scheitern verurteilt,
solange sie sich den gesellschaftlichen Erfordernissen anzupassen
hat. Dies soll am letzten Beispiel deutlich werden: Frau M. hat
Streit mit ihrem Mann. Als seit 15 Jahren eingebürgerte Fachkraft
eines internationalen Konzerns hat sie sich eine Existenz aufgebaut.
Sie hält ihre Familie eigentlich für intakt. Die Belastung
durch ihre zwei Kinder, 8 Monate und 2 Jahre alt, den Haushalt
und die nörgelnden Verwandten des Mannes lassen ihre Lebenssituation
jedoch immer trister werden. Ihre eigenen Angehörigen können
nur gelegentlich auf Besuch kommen. Sie wirft ihrem Mann vor,
dass er sich nicht um die Familie kümmere; er wiederum glaubt,
sich ganz seinem eigenen Betrieb widmen zu müssen. Da bleibt
wenig Zeit für das Familienleben. Sie beharrt: bei anderen
Familien müsse das auch gehen. Schließlich wird ihr
Verhalten für den Mann unerträglich: Ihre Forderungen
nach Zuwendung beantwortet er mit dem Vorwurf, dass sie ja selbst
die Kinder vernachlässige. Gelegentliche Streitereien eskalieren
situativ in Wutausbrüchen und Handgemengen. Der Mann verständigt
die Polizei mit dem Hinweis, seine Frau sei einzuweisen. Sie bedrohe
ihn und die Kinder. Da dies mehrmals von der Polizei entsprechend
den gesetzlichen Bestimmungen mangels Unterbringungsvoraussetzungen
abgelehnt wird, interveniert der Mann bei den obersten Behörden
des Landes und hat schließlich Erfolg. Seine Frau wird,
begutachtet durch einen leitenden Mitarbeiter des landeseigenen
Sozialdienstes, vom diensthabenden Polizeiarzt eingewiesen und
zwangsweise angehalten. Dass der Mitarbeiter des Sozialdienstes
feststellt, dass keine Gründe für ein zwangsweises Eingreifen
vorliegen, dass weder Fremd- noch Selbstgefährdung besteht,
spielt keine Rolle mehr.
Die Behandlungsbedürftigkeit wurde von allen Beteiligten,
die Betroffene ausgenommen, lange genug behauptet. Somit schnürt
ihr die psychiatrische Umarmung den Atem. Erst einmal in der Anstalt,
muss sie sich gegen die Unterstellungen ihres Mannes, die nun
in Form von behördlichen Fakten in Erscheinung treten, zur
Wehr setzen. Gemeinsam mit der Patientenanwaltschaft gelingt es
ihr, eine Zwangsbehandlung mittels Psychopharmaka zu verhindern.
Erst nach zehn Tagen kann die Frau die Anstalt verlassen, nachdem
durch das Gericht die Unterbringung mangels Unterbringungsvoraussetzungen
für unzulässig erklärt wurde, festgestellt wiederum
durch eine psychiatrische Begutachtung.
Im Beispiel, wo engagierte Unterstützung und ausnahmsweise
ein objektiver Gutachter vorhanden ist, geht die Sache für
die Betroffene noch einmal glimpflich ab. Es wird deutlich, wie
wichtig eine starke, unabhängige Interessenvertretung durch
die Betroffenen ist. Wenn man wartet, dass einem Recht geschieht,
dass alles seine Richtigkeit hat, kann es sein, dass man die Anstalt
rechtens gebrochen und verzweifelt verlässt.
Anmerkung
(1) Das Unterbringungsgesetz samt Materialien ist veröffentlicht
in dem Buch »Unterbringungsrecht«, herausgegeben von
Erich Feil, Eisenstadt: Prugg Verlag 1991
Quellen
-
Bericht des Justizausschusses über die Regierungsvorlage
(464 der Beilagen): Bundesgesetz über die Rechtsfürsorge für
psychisch Kranke in Krankenanstalten (1990), 1202 der Beilagen
zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XVII.
GP
-
Bundesministerium für Justiz (1990/1): Die Unterbringung
psychisch Kranker, Wien: Informationsbroschüre des Bundesministeriums
für Justiz
-
Betrifft: Psychiatrie. Blick zurück nach vorne. Anmerkungen
zur psychiatrischen Versorgung vor Ort (1987), Salzburg: Arbeitskreis
Psychiatrie
-
Reichel, Wolfgang (1980): Zwischen Polizeigriff und Hilfeleistung:
Das Recht im Transformationsprozess, in: Manfred Max Wambach
/ Gert Hellerich / Wolfgang Reichel (Hg.): Die Museen des
Wahnsinns und die Zukunft der Psychiatrie, Frankfurt am Main:
Suhrkamp, S. 271-309
-
Schmidbauer, Franz (1991): Frei und krank oder eingesperrt
und gesund Das Unterbringungsgesetz als ein Kompromiss,
in: Salzburger Nachrichten vom 15. Mai, S. 10
-
Weiss, Hans (1977): Elektro-Schocks und Körperflechten, in:
Psychologie heute, 4. Jg., Nr. 5, S. 37-45
Patientenanwalt Landesnervenklinik Salzburg; Arbeitsschwerpunkte:
Gewalt in der Psychiatrie, Gründer des Arbeitskreises Psychiatrie
Salzburg. Experte im Justizausschuss im Gesetzgebungsverfahren
zum Unterbringungsgesetz. (Stand: 1993)
Patientenanwalt Landesnervenklinik Salzburg; Arbeitsschwerpunkte:
Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit in der BRD und
in Österreich, Patientenrechte im Krankenhaus. (Stand: 1993)