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des Antipsychiatrieverlags
in: Kerstin Kempker
& Peter Lehmann (Hg.): Statt Psychiatrie, Berlin: Peter Lehmann
Antipsychiatrieverlag 1993, S. 253-281 /
PDF
(Adressaktualisierungen / Durchstreichungen vom Juni 2011 und mit
zwei im Dezember 2012 nachträglich hinzugefügten Abbildungen)
Peter
Lehmann
Theorie und Praxis des Psychiatrischen Testaments
Am 6. Dezember 1989 erklärte der Psychiater Karl Kreutzberg
öffentlich, es bestehe in seiner Anstalt
»... zwischen Ärzten und Pflegepersonal Konsens,
das Psychiatrische Testament zu respektieren. Er konnte berichten,
dass von zwei eingewiesenen Patienten bekannt wurde, dass diese
ein Psychiatrisches Testament hatten. In einem Fall wurde jedoch
erst nach der Medikation bekannt, dass ein Psychiatrisches Testament
existiert, im zweiten Fall war es rechtzeitig bekannt. Hier wurde
auf eine Medikation verzichtet...« (zit. n. Protokoll, 1989,
S. 3)
Der dies sagte, trägt immerhin den Titel »Chefarzt
der Psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses Spandau, örtlicher
Bereich Havelhöhe«; ich zitiere ihn, um die Premiere
der offiziellen Anerkennung des Psychiatrischen Testaments durch
einen Vertreter der institutionellen Psychiatrie wiederzugeben.
Im ersten Kapitel beschreibe ich, wie die Idee eines Psychiatrischen
Testaments entstanden ist, weshalb eine solche Vorausverfügung
notwendig ist und welche rechtlichen Möglichkeiten und Schwierigkeiten
ihr zugrunde liegen. Anschließend gebe ich den Wortlaut
meines eigenes Psychiatrischen Testaments wieder, in das die ersten
Erfahrungen mit seiner Anwendung eingeflossen sind. Im dritten
Kapitel untersuche ich die verschiedenen Gesetzesreformen und
Gerichtsentscheidungen, die mehr oder weniger ernsthaft den tatsächlichen
Willen von Betroffenen schützen sollen, und gebe abschließend
konkrete Ratschläge, wie ein Psychiatrisches Testament zu
machen ist, damit es wirken kann. Im wesentlichen stütze
ich mich auf die bundesdeutsche Gesetzlage, aber angesichts der
Tatsache, dass psychiatrische Zwangsbehandlung ein internationales
Phänomen ist und sich die nationalen Gesetze so wesentlich
nicht voneinander unterscheiden, beziehe ich auch einige internationale
Aspekte in die Überlegungen für einen diagnoseunabhängigen
Schutz der Menschenrechte mit ein.
Die Notwendigkeit eines Psychiatrischen Testaments
Die Bedeutung
1982 publizierte der Psychiater Thomas Szasz die Idee der Vorausverfügung
für den Fall einer geplanten unfreiwilligen Behandlung in
den USA (Szasz, 1982). Ist diese Verfügung vorher im Zustand
der nichtangezweifelten Normalität schriftlich niedergelegt,
müsste sie in Anlehnung an die jeweiligen internationalen,
nationalen und lokalen Gesetze rechtswirksam sein:
»Gestaltet nach dem Modell des Letzten Willens
und des Willens zu Lebzeiten sieht das Psychiatrische Testament
einen Mechanismus vor, bei dem Personen im Zustand der Rationalität
und Normalität planen können, welche Behandlung sie
für die Zukunft wünschen, sollten andere sie als verrückt
oder krank betrachten. Bei Personen, die die Kraft einer Psychose
fürchten und die sich, um sich vor der Psychose zu schützen,
einsperren lassen wollen, könnte im Bedarfsfall
die Anwendung psychiatrischer Zwangsmaßnahmen ein Psychiatrisches
Testament zum Tragen kommen lassen, das sich in Übereinstimmung
mit der Glaubenshaltung dieser Personen befindet. Bei Personen,
die die Gewalt der Psychiatrie fürchten und die, um sich
vor der Psychiatrie zu schützen, das Recht verlangen, diese
zurückzuweisen, könnte unbeschadet der Notwendigkeit
die Anwendung psychiatrischer Zwangsmaßnahmen ebenfalls
ein Psychiatrisches Testament zum Tragen kommen lassen, das sich
mit der Überzeugung der Betroffenen deckt. Auf diese Weise
würde niemand, der an psychiatrischen Schutz glaubt, dessen
vermeintlicher Wohltaten beraubt, während niemand, der nicht
an die Psychiatrie glaubt, gegen ihren oder seinen Willen deren
Anspruch und Praktiken unterworfen würde.« (Szasz ,1987,
S. 8)
Szasz schickte seinen Artikel einer Berliner Organisation von
Psychiatriebetroffenen zur Publikation in deutscher Sprache. Deren
Mitglieder übersetzten den Text jedoch nicht nur, sondern
entwickelten gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Hubertus Rolshoven
(Berlin) eine Mustererklärung, die als Grundlage der eigenen
Willenserklärung dient (Martensson, 1989).
Im
englischen Original hatte Szasz den Begriff »psychiatric
will« verwendet, dessen wörtliche Übersetzung (»psychiatrischer
Wille«) jedoch zu dem Fehlschluss verleiten könnte,
es handle sich um den Willen eines Psychiaters. Tatsächlich
hatten in der Vergangenheit Psychiater immer wieder die Idee ausgesprochen,
sich von zukünftigen Behandlungs-Kandidaten und -Kandidatinnen
bereits im voraus alle möglichen Behandlungsvollmachten erteilen
zu lassen (1).
Das Psychiatrische Testament, wie Szasz es begründet und
wie ich es hier weiter ausführen werde, kann nicht vor der
Unterbringung an sich, vor Fesselung oder vor anderem demütigendem
Umgang schützen. Auch kann es Behandlungs-Kandidaten und
-Kandidatinnen nicht vor der teuren Verständnislosigkeit
bewahren, mit der die Psychiatrie aufgrund ihres patriarchalisch
und naturwissenschaftlich ausgerichteten Denkens der Sprache der
Verrücktheit notwendigerweise entgegentritt (Kempker, 1991).
Kernpunkt des Psychiatrischen Testaments ist vielmehr das Recht
auf körperliche Unversehrtheit, ein durch Menschenrechtsdeklarationen
geschütztes Verfassungsrecht.
Psychiatrische Anwendungen wie die Verabreichung psychiatrischer
Psychopharmaka oder Insulin- und Elektroschocks sind risikobehaftete
Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit, deren Zweckmäßigkeit
umstritten ist. Gemäß psychiatrischer Theorie können
psychisch Kranke diese Anwendungen jedoch nicht wirksam
ablehnen, da ihnen aufgrund ihrer psychischen Krankheit
die Einsicht in die behauptete Notwendigkeit der Behandlung fehle.
Menschen, die sich Psychiatrie-Maßnahmen verbitten, sind
von der Einrichtung einer sogenannten Betreuung (früher:
Gebrechlichkeitspflegschaft) mit dem Wirkungskreis
»Zustimmung zur Heilbehandlung« bedroht. In Deutschland
allerdings überlässt das Betreuungsgesetz vom 1. Januar
1992 den Betreuten einen erheblichen Gestaltungsspielraum,
den es zum Schutz vor psychiatrischer Zwangsbehandlung zu nutzen
gilt. Der Vormundschaftsgerichtstag, eine Vereinigung
relativ fortschrittlicher deutscher Vormundschaftsrichter und
-richterinnen, hatte 1988 die rechtliche Absicherung von Psychiatrischen
Testamenten ohne Wenn und Aber gefordert (Lehmann, 1989b). Allerdings
wählte das Justizministerium der Bonner CDU/FDP-Regierung
bei seiner endgültigen Entscheidung über das Gesetz
eine Formulierung, die die Durchsetzung von Vorausverfügungen
erschweren könnte, denn bekanntlich liegt die Definitionsgewalt
über das Wohl psychiatrisierter Menschen nach wie vor bei
Psychiatern :
»Der Betreuer hat Wünschen des Betreuten zu
entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und
dem Betreuer zuzumuten ist. Dies gilt auch für Wünsche,
die der Betreute vor der Bestellung des Betreuers geäußert
hat...« (§ 1901 II, 1 u. 2 BGB)
Stimmt der psychisch kranke Mensch der anstehenden
Verabreichung psychiatrischer Anwendungen zu, akzeptieren Psychiater
diese Zustimmung problemlos als wirksam; lehnt er jedoch die vom
Psychiater vorgeschlagenen Maßnahmen ab, so wendet sich
dieser an das Amtsgericht, es möge eine Betreuung
einrichten, da die psychiatrisch vorgeschlagenen Maßnahmen
nicht angenommen worden seien; sie seien aber geboten und dringlich.
Üblicherweise hört der Amtsrichter dann neben dem bzw.
der Betroffenen den Psychiater, der das Angebot gemacht hatte,
als Sachverständigen an. Sodann pflegt der Richter
zu erklären, entweder der bzw. die Betroffene stimme jetzt
zu, oder er werde die Entscheidung einem Betreuer
überantworten. Dieser wird im Bereich seines Wirkungskreises
gesetzlicher Vertreter. Sein Wille entscheidet nach geltendem
Recht dann, wenn der untergebrachte Mensch »die Bedeutung
und Tragweite des Eingriffs und der Einwilligung nicht beurteilen
kann«. Dem Betreuer wird von der Anstalt ein
kleiner Vordruck zur Unterschrift vorgelegt, worin er für
alle psychiatrisch angeordneten Maßnahmen seine Zustimmung
ein für alle Mal und im Vorhinein gibt. Üblich ist,
dass diese Zustimmung vom Betreuer ohne nähere
Nachfrage an die Anstalt gesandt wird. Damit ist der Wunsch des
Psychiaters nach bestimmten Anwendungen zunächst einmal durchgesetzt.
Ein gesetzlicher Vertreter ist jedoch nicht frei von jeder Bindung.
Es muss nämlich als Missbrauch seiner Vertretungsmacht gewertet
werden, wenn er im Gegensatz zu einer früher abgegebenen
Erklärung der Betroffenen einer Behandlungsmaßnahme
zustimmt. Da die bundesdeutschen Landes-Psychiatrie-Gesetze es
Betreuern gestatten, persönlichkeitsverändernden
Behandlungsmaßnahmen zuzustimmen, auch wenn sich die Betroffenen
dagegen wehren, ist es angezeigt, die Vertretungsbefugnis eines
Betreuers durch ein Psychiatrisches Testament einzuschränken
und zu regeln. In einer von der Bundesregierung geförderten
Schriftenreihe über die Rechte psychisch Behinderter
wird die am 1. Januar 1992 gültige Rechtslage erklärt
und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die psychiatrische Krankenhaus-Praxis
offenbar durch eine fortdauernde rechtsunwirksame Zustimmung zur
Behandlung seitens aller möglichen Beteiligten gekennzeichnet
ist:
»Grundsätzlich muss jeder Patient über
Art und Auswirkung einer Behandlung aufgeklärt und seine
Einwilligung dazu eingeholt werden. Hat der Kranke einen gesetzlichen
Vertreter oder besteht für ihn eine Behandlungspflegschaft,
so dürfen Vormund und Pfleger nur dann stellvertretend für
ihn einwilligen, wenn er außerstande ist, seine Behandlungsbedürftigkeit
und die Folgen der Behandlung einzusehen. Eine gleich bei der
Krankenhausaufnahme pauschal erteilte Einwilligung ist jedoch
unzulässig; vielmehr müssen sich gesetzlicher Vertreter
oder Pfleger unter Berücksichtigung des Gebots von der Verhältnismäßigkeit
der Mittel informieren, ob die vorzunehmende Behandlung zulässig
ist. Soweit hört sich dies alles in der Theorie einleuchtend
an, doch ist sie offenbar nicht einfach zu praktizieren.«
(Bundesarbeitsgemeinschaft, 1991, S. 175)
In einem Aufsatz im »Lexikon Medizin, Ethik, Recht«
stellen Hans-Ludwig Schreiber und Gabriele Wolfslast, ein Strafrechtler
aus Göttingen und seine Kollegin, Neuroleptika und Elektroschocks
in ihrer persönlichkeitsverändernden Wirkung zwar hirnverstümmelnden
Eingriffen gleich; dies bringt sie jedoch keineswegs dazu, die
in den Psychisch-Kranken-Gesetzen vorgesehenen Vertretungsbefugnisse
in ihrer verfassungsmäßigen Zulässigkeit zu hinterfragen.
Psychiatrische Zwangsbehandlung sei
»... statthaft zur Behandlung der Krankheit oder
Störung, die zur Unterbringung geführt hat (Anlasskrankheit),
und der Patient muss vorher aufgeklärt werden. Ausgenommen
von der Zwangsbehandlung sind schwerwiegende Eingriffe, die Gefahren
für Leben oder Gesundheit des Patienten bedeuten oder zu
wesentlichen Persönlichkeitsveränderungen führen
können; dazu gehören etwa die Entnahme von Rückenmarks-
und Gehirnflüssigkeit sowie die Behandlung mit Neuroleptika,
die Elektroschocktherapie und psychochirurgische Eingriffe. Solche
Behandlungen bedürfen der Einwilligung des Betroffenen oder
seines gesetzlichen Vertreters, es sei denn, es liegt eine vitale
Indikation vor.« (1989, Sp. 848)
Diese vitale Indikation erlaubt es Ärzten und Ärztinnen
für den Fall, dass ein Patient oder eine Patientin zur Äußerung
des natürlichen Willens nicht in der Lage ist und Lebensgefahr
besteht, ohne ausdrückliche Einwilligung tätig zu werden
zum Beispiel ein Patient ist bewusstlos und droht zu verbluten,
wenn die Wunde nicht geschlossen wird. Im Konfliktfall müssen
die Ärzte und Ärztinnen die vitale Indikation nachweisen,
was ihnen im Bereich der Medizin in der Regel keine Schwierigkeiten
bereitet; Psychiater müssten entsprechend beweisen, dass
zum Beispiel eine Insassin an einem Haloperidol-Mangelsyndrom
zu sterben droht, wenn sie nicht sofort Haloperidol in ihr Gesäß
einspritzen.
Die Einsicht in die Bedeutung des Psychiatrischen Testaments
kommt selten unabhängig vom Wissen über die Risiken,
die mit der normalen psychiatrischen Behandlung, zumeist Neuroleptika-Verabreichung,
verbunden sind. Die unfreiwillige Behandlung bedeutet für
die Betroffenen nicht etwa, wie man glauben könnte, dass
sie zu ihrem Glück gezwungen werden; in aller Regel beinhaltet
die gewaltsame psychiatrische Tätigkeit Einsperren und Anwendung
neurotoxischer (sich giftig auf das Nervensystem auswirkender)
Psychodrogen. In totalitären Staaten werden diese psychiatrischen
Psychopharmaka zur Folter benutzt, in der Tiermedizin unter anderem
zur Beruhigung von Schweinen auf Transporten; in der Psychiatrie
sollen dieselben, stereotyp verabreichten und als antipsychotische
Neuroleptika bezeichneten Chemikalien zur Heilbehandlung
sogenannter Schizophrener und anderer Psychotiker
dienen. Von diesen Psychodrogen ist bekannt, dass sie zu schweren
körperlichen, geistigen und psychischen Schäden führen
können: unter anderem zu Leberschäden, zu Tumorbildungen
in den Brustdrüsen, zur Störung des Hormonapparates
(Impotenz, Sterilität und Ausbleiben der Menstruation), zu
Chromosomenschäden (somit zu Missbildungen, wie sie auch
Thalidomid/Contergan herbeiführte), zum Abbau der geistigen
Fähigkeiten, zu emotionaler Vereisung, Apathie und Verzweiflung
(bis hin zur Selbsttötung) sowie insbesondere zu neurologischen
Schäden wie Parkinson-Erkrankung (Schüttellähmung)
und bleibenden Nervenzell-Veränderungen, die wiederum eine
erhöhte Psychose-Anfälligkeit bewirken können.
Lebensgefährliche Muskelkrämpfe und Erstickungsanfälle
beispielsweise können schon bei einmaliger Verabreichung
der chemischen Substanzen auftreten; auch die Frage der Dosierung
spielt nur eine untergeordnete Rolle; alle bekanntgewordenen Schäden
traten unter sogenannter therapeutischer Dosierung
auf (Lehmann, 1990).
Der juristische Hintergrund
Ein Verbot der Zwangsbehandlung, wie es im medizinischen Bereich
selbstverständlich ist, steht für die Psychiatrie noch
aus. Chemische Präparate, Operationen, Bestrahlungen usw.
sind Eingriffe in den menschlichen Körper. Im deutschen Recht
sind solche Maßnahmen auch als ärztliche Maßnahmen
zunächst einmal Körperverletzung. Diese wird durch eine
Zustimmung der Betroffenen gerechtfertigt und damit rechtmäßig.
Diese Zustimmung ist nur wirksam, wenn der Arzt über die
Vor- und Nachteile und über die Risiken und Chancen genügend
aufgeklärt hat (Ehlers & Dierks, 1992). Patientinnen
und Patienten entscheiden beispielsweise zwischen dem absehbaren
Krebstod und dem ärztlichen Versuch, mit Bestrahlung oder
Operation eine Besserung oder verlängerte Lebenserwartung
herbeizuführen. Krebskranke in ärztlicher Behandlung
dürfen immer noch an ihrer Erkrankung sterben, ungestört
von Behandlungsmaßnahmen. Ihr Wunsch gilt auch, wenn er
als unvernünftig gilt. Am Beispiel der längerfristigen
Behandlung mit Neuroleptika (Langzeitmedikation),
die ein besonders hohes Risiko der Entstehung einer tardiven Dyskinesie
(Späthyperkinese) mit sich bringt, belehrt der Psychiater
Hanfried Helmchen (1991) seine Kollegenschaft:
»Wenn der Patient nachvollziehbar argumentiert,
dass ihm das Risiko einer Späthyperkinese (im Laufe der
Anwendung auftretende, nicht behandelbare und meist bleibende
veitstanzartige Bewegungsstörung) oder die Belastung
der mit einer Langzeitmedikation verbundenen Kontrolle gewichtiger
als seine krankheitsbedingten Störungen und Beschwerden erscheinen
oder er ein zwar unzutreffendes, jedoch nicht krankheitsbedingtes
eigenes Krankheitskonzept hat und er deshalb ablehnt, wird man
das in Zukunft wohl häufiger als bisher akzeptieren müssen.«
(S. 267)
Das Selbstbestimmungsrecht von Patientinnen und Patienten schließt
auch die Selbstbestimmung zum Tode ein, so ein Beschluss des Oberlandesgerichts
(OLG) München vom 31. Juli 1987; ein Arzt muss und darf keine
Hilfe leisten, wenn der Patient bzw. die Patientin sie verbietet
(OLG München 1987). Geht dem kranken Menschen das Bewusstsein
verloren, kann er also nicht mehr aktuell über Eingriffe
in seinen Körper entscheiden, so ist der Behandlungseingriff
gerechtfertigt, wenn er seinem mutmaßlichen
Willen entspricht. Liegt eine Erklärung des kranken Menschen
aus früherer Zeit zu dem eingetretenen Krankheitszustand
vor, mit der er die Behandlung ablehnt, so gilt diese Ablehnung;
die Behandlung wäre dann strafbare Körperverletzung
und verpflichtet zum Schadensersatz. Die medizinische Indikation
überwindet den Willen der Patientinnen und Patienten nur
in wenigen Ausnahmefällen. Das sogenannte Patiententestament
für die letzten Lebensstunden und für menschenwürdiges
Sterben ist jedenfalls anerkannt, von Einzelfragen abgesehen (Sternberg-Lieben,
1985).
1989 stellte der 6. Zivilsenat des deutschen Bundesgerichtshofs
(BGH) erneut klar, dass alle ärztlichen Heileingriffe grundsätzlich
der Einwilligung der Patienten bedürfen, der Patient über
den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten und
auch bei Routinebehandlungen möglichen Risiken sowie
alle möglichen Behandlungsalternativen aufgeklärt sein
müsse (BGH VI ZR 65/88 Urteil vom 14. Februar
1989).
Was die Psychiatrie betrifft, argumentieren Psychiater bei ihrem
Wunsch nach Zwangsbehandlung von Psychiatrisierten mit deren sogenanntem
Recht auf Behandlung; dieses ziehe eine Hilfeleistungspflicht
des Arztes nach sich und setze ihn Schadensersatzansprüchen
sowie strafrechtlicher Verfolgung gemäß § 323c
StGB aus, wenn er nicht zwangsweise behandle. Rechtlich gesehen,
so Hans-Jürgen Möller (1983) aus der Psychiatrischen
Anstalt der TU München, sei die Vorenthaltung von Neuroleptika
bei akuten Psychosen nicht entschuldbar, auch wenn
diese »... bei geduldigem Abwarten spontan remittieren (nachlassen)
können« (S. 231), ohne allerdings den Grund für
seine Ungeduld näher auszuführen. Für die beiden
Psychiater Harold Schwartz und William Vingiano aus New York City
und die Medizinstudentin Carol Bezirganian Perez (1988) stellt
die Entscheidung von Psychiatriebetroffenen, psychiatrische Psychopharmaka
zurückzuweisen, einzig ein Symptom ihrer Krankheit
dar; von Autonomie oder nachvollziehbaren logischen Überlegungen
hinsichtlich psychischer Krankheit und ihrer Behandlung
könne nicht die Rede sein. Wenn Schizophrene
der Behandlung misstrauisch gegenüber stehen, liege die Ursache
dafür, so der Psychiater Paul Kielholz (1965) in seinem Lehrbuch
für den Psychopharmaka-Einsatz, in Vergiftungsideen
und paranoidem Misstrauen (S. 178). Mehr als 30 Jahre
Verfügung über mehr oder weniger hintergründig
Kranke lassen bei dem Schweizer Psychiater D. Kirchgraber
(1989) nicht die Spur eines Zweifels aufkommen, ob sich hin und
wieder nicht doch ein Patient aus vernunftgeprägten
Erwägungen mittels eines Psychiatrischen Testaments vor der
unerwünschten Behandlung mit psychiatrischen Psychopharmaka
schützen wolle: »Vorsicht ist geboten,« mahnt er
in Pro Mente Sana Aktuell,
»weil prämorbid (vor dem Erkennbarwerden
der Krankheit) Unauffällige, bei ärztlicher
Untersuchung jedoch hintergründig Kranke, sich aus bereits
pathologischen (krankhaften) Motiven (Vergiftungs- oder
Verfolgungswahn u. ä.) dergestalt festlegen könnten.
In der Notfallsituation würde dann doch irgendwie über
ihren Kopf hinweg, entgegen ihren testamentarischen
Absichten, realistisch-medizinisch verfügt.« (S. 19)
Wie grundsätzlich Psychiater jedwede Abweichung von der
eigenen Meinung pathologisieren, geht aus ihrem weltweit verbreiteten
Psychiatrie-Handbuch hervor, das für die Widerspenstigen
unter der Nummer V15.81 folgende Diagnose bereithält: »Nichtbefolgen
Medizinischer Behandlung«. Dabei sei als Ursache für
das unstatthafte Nichtbefolgen nicht etwa eine psychische
Störung (bei den Betroffenen) anzunehmen, sondern
nicht minder schlimm eigene ethische Erwägungen:
»Hierzu gehören: das irrational motivierte
Nichtbefolgen medizinischer Behandlung aufgrund der Verleugnung
der Krankheit, das Nichtbefolgen aufgrund religiöser Anschauungen
oder aufgrund von Entscheidungen, die auf persönlichen Werturteilen
über die Vor- und Nachteile der vorgeschlagenen Behandlung
beruhen.« (»Manual«, 1989, S. 435)
Mit der alleinigen Frage, ob psychisch Kranke sich
weigern dürfen, ihr Rechtsgut der Gesundheit zum Schutz
freizugeben (Wagner, 1990), blenden Juristinnen und Juristen
in der Regel die Frage nach der Qualität der Behandlung völlig
aus. Bezeichnenderweise diskutieren sie meist die Verweigerung
von Neuroleptika oder Elektroschocks, als würde die unvernünftige
Ablehnung dieser selbst unter Psychiatern und Medizinern
umstrittenen Behandlungsmethoden kausal und akut zum Tode
oder zu schwerer Gesundheitsgefährdung führen, vergleichbar
mit einer verhinderten Operation bei Blinddarmdurchbruch. Dabei
zweifeln selbst führende Vertreter der institutionellen Psychiatrie
den Nutzen der Zwangsbehandlung mehr oder weniger offen an. Insbesondere
dienstältere Psychiater sprechen sich zunehmend für
ein Unterlassen von Zwangsbehandlung aus, wenn auch bisher hauptsächlich
in internen Diskussionen. So treten Hanns Hippius und Rainer Tölle,
zwei in Psychiaterkreisen hoch angesehene Vertreter ihrer Zunft,
in interner Kollegendiskussion für ein Unterlassen der neuroleptischen
Zwangsbehandlung ein:
»Wenn zum Beispiel bei initialer Schizophrenie
(Schizophrenie-Beginn) der Patient kein Krankheitsbewusstsein
hat und daher die Medikamente ablehnt, und insbesondere wenn er
seiner Konflikte oder seiner pathologischen (krankhaften) Erlebnisweisen
wegen gesprächsbereit und kontaktbedürftig ist, soll
die sofortige neuroleptische Behandlung nicht erzwungen werden.«
(Töalle, 1983, S. 59)
Der erwähnte Hippius (1983) fordert:
»Bei der Abwägung von Indikationen sollte
nicht zuletzt die persönliche Einstellung des Patienten miteinbezogen
werden. Er sollte mitentscheiden unter Einbeziehung von beruflichen
und familiären Aspekten, ob er dem Risiko einer Wiedererkrankung
oder den Nachteilen einer neuroleptischen Behandlung Vorrang gibt.«
Öffentlich bezog der Schweizer Psychiater Gaetano Benedetti
(1988) Stellung:
»Ich meine, dass es fragwürdig ist, therapieunwilligen
Patienten die Psychopharmaka aufzuzwingen (wie dies meines Wissens
mancher wohlmeinende Arzt tut)...«
Sein Landsmann Luc Ciompi äußerte in einer Fall-Besprechung
am 27. Juni 1989 den Wunsch, durch den vordergründigen
Nebel der Psychose zum Menschen zu gelangen:
»Wenn man einen Menschen anschaut, ihn diagnostiziert
und Neuroleptika verabreicht, ohne den Menschen zu verstehen,
ohne Zugang zu ihm zu bekommen, ist dies eine Etikettierung und
damit daneben: Das ist eine Psychiatrie, die ich ablehne. «
(Ciompi, 1990, S. 24)
Die eingeschränkte psychiatrische Behandlungsbedürftigkeit
auch von strafrechtlich Untergebrachten erläutert Mario Etzensberger
(1990), Psychiater in der Anstalt Königsfelden/Schweiz:
»Blosser Widerstand, Renitenz, Flucht, unflätiges
Verhalten, wie immer geartete Versuche, zu wirklichem oder vermeintlichem
Recht zu kommen, ja selbst offene Aggression und ein selbst gewählter
Hungerstreik sind keine Krankheiten, dürfen ohne Wunsch der
Insassen auch nicht Gegenstand eines Psychiaters sein.« (S.
30)
Dem Wert der modernen neuroleptischen Behandlung steht der Psychiater
Manfred Bleuler (1983) in dem von ihm neubearbeiteten »Lehrbuch
der Psychiatrie« kritisch gegenüber, wenn er über
die ärztliche Kunst der Beeinflussung von Schizophrenen
philosophiert:
»Viele Schizophrenien heilen ohne medikamentöse
Therapie. Die Diagnose Schizophrenie an sich ist noch keine Anzeige
für eine medikamentöse Behandlung. Jede medikamentöse
Behandlung hat Nachteile: Die Kranken verlieren an innerer Lebendigkeit
und Spontaneität und sind unter Medikamenten manchmal der
sozialmedizinischen Beeinflussung, der Arbeits- und Gemeinschaftstherapie
und der Psychotherapie weniger zugänglich. (...) Bei der
Behandlung eines Schizophrenen einmal ohne Medikamente auszukommen,
ist eine besondere Kunst aber auch oft ein Vorteil für
den Kranken. « (S. 462)
Auf eine Studie der drei US-amerikanischen Psychiater Courtenay
M. Harding, Joseph Zubin und John S. Strauss aus dem Jahre 1987
weist der US-amerikanische Therapeut Jay Haley (1989) in einem
bemerkenswerten Aufsatz hin; nach deren in verschiedenen Ländern
und an verschiedenen Orten gemachten Untersuchungen, die die Ergebnisse
von Langzeitstudien über chronisch Schizophrene
zum Inhalt hatten, war die Chance einer Gesundung
größer als 50 %, wenn diese nicht durch hirnschädigende
Psychopharmaka behindert wurden (Harding/Zubin/Strauss 1987).
Die gar zwangsweise Verabreichung von Neuroleptika
bezeichnete 1988 der amerikanische Psychiater Peter R. Breggin,
Direktor des Center for the Study of Psychiatry (Zentrum zur
Erforschung der Psychiatrie), auf einer Veranstaltung der
TU Berlin als außerordentlich gefährlich. Seine Warnung
begründete er mit den in großer Zahl auftretenden Hirnschäden
wie Dyskinesien (Störungen oder schmerzhafte Fehlfunktionen
von Bewegungsabläufen), Dystonien (ständigen oder anfallsweise
auftretenden Störungen der Muskelspannung), Demenz (Verlust
der intellektuellen Fähigkeiten) und tardiver (mit der Zeit
auftretender und möglicherweise bleibender) Psychose. Einen
Monat zuvor, ebenfalls in Berlin, war der schwedische Mediziner
Lars Martensson als Hauptredner einer von der Berliner Ärztekammer
mitgetragenen Fachtagung aus denselben Gründen sogar für
ein Verbot der Neuroleptika eingetreten (Lehmann, 1989a).
Intern ist Psychiatern durchaus klar, dass bei Bekanntwerden
der Schädlichkeit ihrer neuroleptischen Behandlung mit Störungen
von seiten der Justiz zu rechnen sein könnte. Berechtigter
Anlass zur Sorge ist, dass neben den unmittelbaren, Neuroleptika-bedingten
Körperschäden auch die dyskognitiven Symptome ins Blickfeld
der Kritik geraten könnten; diese stellen eine Beeinträchtigung
von Lernvorgängen und der Aufnahme von Gelesenem dar, verbunden
mit Sprachverständnisschwierigkeiten und der Unfähigkeit,
eindeutige Gefühlszustände zu erleben. Bereits 1981
warnten Kurt Heinrich und J. Tegeler (1983) aus der Psychiatrischen
Anstalt Düsseldorf ihre Kollegenschaft auf einem offenbar
von der Janssen GmbH gesponserten Symposium:
»Als symptomatisch für die jetzige Situation
kann die kürzliche staatsanwaltschaftliche Überlegung
angesehen werden, neuroleptische Behandlungen als wesentlich persönlichkeitsverändernd
von einer Genehmigung durch den gerichtsärztlichen Ausschuss
abhängig zu machen, wenn die betroffenen Patienten nach dem
nordrhein-westfälischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz gerichtlich
in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurden. Gelingt es in
absehbarer Zeit nicht, antipsychotisch wirksame Neuroleptika ohne
ausgeprägte dyskognitive, apathische und extrapyramidale
(bestimmte motorische) Begleitwirkungssyndrome zu entwickeln,
so muss mit zunehmenden Widerständen gegen die neuroleptische
Therapie gerechnet werden.« (S. 199)
Erste Widerstände prägen ein Urteil (3 U 50/81) des
OLG Hamm vom 23. September 1981; hier drücken die Richter
ihre Schwierigkeiten aus, einen ernstzunehmenden Unterschied zwischen
Gebrauch und Missbrauch von psychiatrischen Psychopharmaka zu
erkennen:
»Dem Gericht ist bekannt die das ist fast
mehr als Nebenwirkung persönlichkeitszerstörende
Wirkung von Psychopharmaka, wenn diese nachhaltig und über
einen längeren Zeitraum hinweg eingenommen werden. Andererseits
führt eine solche Medikation zur Beruhigung und Dämpfung
eines geistig erkrankten Patienten. Solche Wirkung mag therapeutischen
Wert haben in dem Sinne, dass der Patient so für seine Umgebung
auch das behandelnde oder verwahrende Krankenhaus oder
Heim am besten zu ertragen ist; personelle und sachliche
Gegebenheiten und Möglichkeiten mögen solche Therapie
geradezu erfordern, und auch die sogenannte Schulmedizin mag das
als die allein mögliche Art einer Behandlung ansehen. Das
lässt aber nicht darüber hinwegsehen (...), dass mit
solcher Art zweckgerichteter Medikation eine Persönlichkeitszerstörung
einhergeht.«
In einer schwierigen Situation befinden sich Psychiatriebetroffene,
wenn sie psychiatrische Anwendungen mit sachfremden Begründungen
ablehnen wollen, zum Beispiel mit dem Argument, die Einspritzung
eines Neuroleptikums in ihren Körper würde das Ozonloch
vergrößern. Die Situation stellt sich anders dar, wenn
zum Beispiel eine Psychiatrisierte sich zwar von jedermann verfolgt,
von Sendern abgehört und von Elektroden ferngesteuert fühlt,
jedoch zur Sonderfrage Ja oder Nein zu Neuroleptika
wegen möglicherweise auftretender Spätschäden eine
klare, rational begründete ablehnende Antwort vortragen kann.
Im ersten Fall müssen die Untergebrachten mit Behandlung
rechnen, im zweiten ebenso, der Behandler hier allerdings auch
mit einem nachfolgenden straf- und/oder zivilrechtlichen Verfahren
wegen Körperverletzung. In beiden Fällen ist für
die ursprünglich Behandlungsunwillige der Unglücksfall
passiert: Der zwangsweise Eingriff in die körperliche Unversehrtheit
erfolgte, der Schaden (zum Beispiel ein bleibender Leberschaden
oder Pigmentablagerungen im Herzmuskel) trat ein; mit einer Haftstrafe
des Psychiaters oder einem Schmerzensgeld ist er prinzipiell nicht
wieder wettzumachen. Deutlich zeigt sich hier die Notwendigkeit,
sich rechtzeitig und wirksam vor psychiatrischer Zwangsbehandlung
zu schützen.
Die juristischen Möglichkeiten
Ein möglicher Schritt auf dem Weg zum Schutz vor psychiatrischer
Zwangsbehandlung ist neben der Schaffung nichtpsychiatrischer
Zufluchtsorte und Alternativen (Wehde, 1991) die rechtliche Absicherung
des Psychiatrischen Testaments. Im Grunde wäre eine Gesetzesreform
in vielen Ländern nicht einmal notwendig, da Strafgesetzbuch
(StGB) und Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Vorausverfügungen
bereits jetzt ermöglichen; die langwährende politische
Praxis, der Psychiatrie einen mehr oder weniger rechtsfreien Raum
zuzugestehen, erschwert es jedoch Juristinnen und Juristen, Betroffenen
sowie anderen Beteiligten, insbesondere Psychiatern, die Rechtswirksamkeit
korrekt verfasster Vorausverfügungen zu erkennen. Eine der
Ausnahmen ist die in Hamburg praktizierende Rechtsanwältin
Helga Wullweber. Noch vor Herausgabe der deutschen Übersetzung
des Szasz-Textes erkannte sie im gesetzlich verankerten Selbstbestimmungsrecht
die Möglichkeit, eine rechtswirksame Vorausbestimmung in
der Art des von Szasz vorgeschlagenen Psychiatrischen Testaments
für den Fall der Unvernunft zu treffen, selbst
wenn man einen Verzicht auf psychiatrische Anwendungen als Schaden
begreift:
»Die bei Vernunft dokumentierte Weigerung einer
verrückten Person, sich psychiatrisch behandeln zu lassen,
muss daher respektiert werden, auch wenn ihr diese Weigerung zum
Schaden gereichen sollte.« (Wullweber, 1985)
Der 1987 veröffentlichte Mustertext des Psychiatrischen
Testaments erwies sich bei den ersten Anwendungen als wirksam:
Psychiater schreckten in den wenigen Fällen seiner formell
abgesicherten Anwendung vor der ansonsten üblichen Zwangsbehandlung
zurück. Inzwischen haben sich in Deutschland durch das Betreuungsgesetz
die juristischen Möglichkeiten verbessert, das Psychiatrische
Testament ist prinzipiell noch wirksamer geworden. Im nächsten
Kapitel werde ich seinen Aufbau darstellen und die ersten Praxiserfahrungen
mit dem Psychiatrischen Testament schildern. (Eine Gebrauchsanweisung,
wie Sie Schritt für Schritt Ihr Psychiatrisches Testament
errichten, finden Sie im Anhang »Das
formelle Psychiatrische Testament«.)
Das Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft
für Volljährige (Betreuungsgesetz BtG), veröffentlicht
im Bundesgesetzblatt Teil I, Nr. 48 vom 21. September 1990, S.
2002-2027, räumt den Betreuten durch entsprechende
Vorausverfügungen bessere Gestaltungsmöglichkeiten ein,
als dies beim alten Vormundschaftsrecht der Fall war. Hier sind
besonders § 1896 II,2 und III BGB sowie §§ 1901
II und 1901a BGB von Bedeutung, deren Aussagen sich so zusammenfassen
lassen: Die Betreuten können vor der Anordnung der Betreuung
die Person oder die Personen bestimmen, die sie und ihre rechtlichen
Interessen unterstützen sollen, wenn das Vormundschaftsgericht
einen Betreuer bestellen will. Diesem kann vorgegeben
werden, in welche Richtung er die Interessen des bzw. der Betreuten
zu vertreten hat, damit auch wirklich von Betreuung im Sinne des
Wortes gesprochen werden kann (zum Beispiel die Zustimmung zur
Verabreichung von Psychopharmaka oder Elektroschocks zu verweigern
bzw. nur eingeschränkt zuzulassen, die Einhaltung des Psychiatrischen
Testaments zu überwachen usw.).
Erste Erfahrungen und persönliche Wünsche
Wie Szasz mitteilte, ist das formell abgesicherte Psychiatrische
Testament bisher einzig in Berlin erfolgreich angewandt worden.
Die mir bekanntgewordene Zahl seiner Einsätze
ist zum jetzigen Zeitpunkt (März 1993) an einer Hand abzuzählen.
In aller Regel reagierten die betroffenen Psychiater anfänglich
mit Überheblichkeit, da sie sich in einer abgesicherten Machtposition
wähnten. Die Befragung von Juristen durch die Psychiater
bewog diese jedoch, von der beabsichtigen Zwangsbehandlung abzusehen:
Sie hatten Angst, sich bei einer Missachtung des Psychiatrischen
Testaments strafbar und schadensersatzpflichtig zu machen
unter der Voraussetzung, dass das Psychiatrische Testament schriftlich
vorlag, ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin die Rechte
des untergebrachten Menschen ernsthaft vertrat und insbesondere
letzterer bei seiner ablehnenden Haltung gegenüber den geplanten
psychiatrischen Anwendungen blieb. In Diskussionen über die
neue Situation beklagten sich die betroffenen Psychiater darüber,
dass sie nun zur Untätigkeit verurteilt seien, denn außer
Neuroleptika hätten sie nichts anzubieten. Die Zwangsuntergebrachten
wurden von den Psychiatern, die zuvor noch wegen Selbst-
und Fremdgefährdung auf monatelange Einsperrung in
die Anstalt plädiert hatten, jeweils innerhalb weniger Tage
wieder in die Freiheit entlassen unbehandelt und plötzlich
genesen. Die betroffenen Psychiater ertrugen die Situation
nicht, diese Menschen zwar eingesperrt auf ihrer Station halten,
an ihren Körpern aber keine Neuroleptika anwenden zu dürfen.
Der Mustertext des Psychiatrischen Testaments von 1987 bezog
sich vorwiegend auf die Zurückweisung ungewollter Behandlungsformen.
Überraschend widerspruchslos, offenbar unvorbereitet, beugten
sich Psychiater der Vorausverfügung. Es ist aber wahrscheinlich,
dass später gerichtlich über die Gültigkeit eines
Psychiatrischen Testaments entschieden wird, denn es ist nicht
anzunehmen, dass sich Psychiater ihr stärkstes Machtmittel,
die Zwangsbehandlung, kampflos aus den Händen nehmen lassen.
Um das Argument zu widerlegen, außer Neuroleptika, Insulin-
und Elektroschocks gäbe es keine Unterstützungsformen
für den jeweiligen psychisch kranken Menschen,
sieht die weiterentwickelte Form des Mustertextes einen speziellen
Abschnitt vor, in dem die Anwenderinnen und Anwender eines Psychiatrischen
Testaments im voraus niederschreiben, welche positiven und konstruktiven
Hilfen sie für den Fall ihrer akuten Verrücktheit wollen.
Im formellen Psychiatrischen Testament folgt dem ersten Teil
des Mustertextes ein Abschnitt mit den persönlichen, auf
eine mögliche Anstaltsunterbringung und Behandlung bezogenen
Wünschen. Um es den Anwendern und Anwenderinnen zu erleichtern,
sich Gedanken zu konkreten Wünschen zu machen, hält
der Mustertext einen Abschnitt mit Vorschlägen bereit.
Da die antipsychiatrische Grundhaltung den freien Willen des
Menschen respektiert, erlaubt die gegenwärtige Fassung des
Psychiatrischen Testaments auch die Absicherung des Wunsches nach
Behandlung mit bestimmten noch zugelassenen psychiatrischen Methoden.
In den USA wird diese liberale Form des Psychiatrischen Testaments,
die dem in Berlin entwickelten inhaltlich völlig entspricht,
in einem Artikel von Joseph Rogers und Benedict Centifanti (1991)
als »Mill's Will« (S. 9) bezeichnet, gemäß
der freiheitlichen Gesinnung von John Stuart Mill:
»Einzig um eine mögliche Schädigung Dritter
abzuwenden, ist es gerechtfertigt, zwangsweise Gewalt auf ein
Mitglied einer zivilisierten Gesellschaft auszuüben. Sein
eigenes Interesse, ob physisch oder moralisch, reicht als Rechtfertigung
nicht aus.« (Mill, 1945, S. 125f.)
Rogers und Centifanti wollen demzufolge ein schriftliches Dokument
entwickeln, das
»... das Pro und Contra unserer Entscheidung über
unsere Behandlung darlegt, unsere diesbezügliche frühere
Behandlung, eine Erklärung zum Verständnis unseres Rechts
auf eigene Entscheidung und Ablehnung sowie eine gehörige
Klarheit hinsichtlich unseres Interesses, dass unsere Wünsche
beachtet und befolgt werden.« (S. 13)
Beispiel
einer individuellen Verfügung
Im folgenden gebe ich die entsprechende Passage aus meinem eigenen
Psychiatrischen Testament wieder, um einen Eindruck zu geben,
wie die Forderungen formuliert werden können. Die notfalls
einem Richter vorzulegende Erklärung, die unter anderem die
Begriffe wie »normales Ich« und »positive renormalisierende
Wirkung« enthält, sah ich bei der Abfassung nicht als
den geeigneten Ort an, um mich über Sinn und Unsinn dieser
Formulierungen auszulassen.
Besonderheiten meiner Lebensführung und meines Willens
bezüglich des Umgangs mit mir
I. 1977 wurde ich ohne richterliche Genehmigung in die Psychiatrische
Anstalt Winnenden/Baden-Württemberg verschleppt und dort
festgehalten und zwangsbehandelt. Die normale Anwendung der handelsüblichen
Neuroleptika aller Klassen (Phenothiazine, Thioxanthene, Butyrophenone
und Diphenylbutylamine), aller Kombination, aller Potenz, aller
Wirkdauer, aller Verabreichungsform und aller Konzentration sowie
der Antiparkinsonmittel führte (auch) bei mir zu einer Reihe
schwerer körperlicher Erkrankungen, vorwiegend zu Parkinson-
(Schüttellähmung-) und anderer Gehirn-Erkrankung in
vielfältiger Symptomatik: Lähmungserscheinungen, Tremor
(Muskelzittern), tardive Dyskinesie (im Laufe der Anwendung auftretende,
nicht behandelbare Bewegungsstörung) in Form des Zwangsmümmelns,
Rigor (Körperversteifung), Amimie (mimische Starre), Dysarthrie
(verwaschene Sprache), Tasikinesie (Zwang zu ständigem Umhergehen),
Augenmuskelkrämpfe, Konzentrations- und Schlafstörungen
sowie Affektlabilität (Gemütsunsicherheit). Weiterhin
traten massiv auf: Kreislaufkollaps, Austrocknung der Nasenschleimhäute
mit starken Blutungen, Miktionsbeschwerden (Schwierigkeiten beim
Wasserlassen), Obstipation (Verstopfung), Cushing-Syndrom (Aufquellen
des Rumpfes und des Gesichts), Hormonstörungen (wie zum Beispiel
sexuelle Lustlosigkeit und Impotenz), Augen- und Hautveränderungen
sowie Haarausfall. Weitere wahrscheinliche Erkrankungen, die durch
die Behandlung mit den nervendämpfenden bzw. -lähmenden
Präparaten (Neuroleptika) hervorgerufen wurden, wie Hirnrhythmusstörungen,
Blutbild- und EKG-Veränderungen, dürften in den Akten
der Psychiatrischen Anstalt der Freien Universität Berlin
dokumentiert sein, wo aufgrund der oben beschriebenen Neuroleptika-Auswirkungen
an meinem (vermeintlich geisteskranken) Körper weiterhin
psychiatrisch-neuroleptische Anwendungen stattfanden. (Im Bedarfsfall
ist diese Akte zur Entscheidungsfindung heranzuziehen und mir
vorzulegen.) Die Behandlung meines Körpers mit neurotoxischen
Stoffen führte zu einer langfristigen Leberschädigung.
Ich mache darauf aufmerksam, dass selbst Mediziner und Psychiater,
die dem Einsatz von Neuroleptika alles andere als kritisch gegenüberstehen,
bei Menschen mit einer vorgeschädigten Leber wegen der lebertoxischen
Wirkung der Neuroleptika von einem besonders hohen Risiko sprechen
(siehe: Jules Angst, »Begleitwirkungen und Nebenwirkungen
moderner Psychopharmaka«, in: Praxis (Bern), 49. Jg. (1960),
Nr. 20, S. 508; Hans Joachim Kähler, »Störwirkungen
von Psychopharmaka und Analgetika«, Stuttgart: Wissenschaftliche
Verlagsgesellschaft 1967, S. 247; R.-M. Thiele, Ȇber
die Anwendung von Psychopharmaka«, in: Fritz Reimer (Hg.),
»Krankenhauspsychiatrie. Ein Leitfaden für die praktische
Arbeit«, Stuttgart/New York: G. Fischer Verlag 1977, S. 118).
II. Die in der Anstalt unter Neuroleptika ohne
meinen Willen an mir durchgeführten anderen Anwendungen wie
Kochgruppe, Beschäftigungs-Therapie, Musik-Therapie,
Einzel- und Gruppengesprächs-Therapie führten
ebenfalls nicht zu einer Verbesserung meiner Verfassung, die
als Folge der Neuroleptika-Behandlung durch die übliche
seelische Abstumpfung und intentionale Verarmung, durch Willenlosigkeit,
Verwirrtheit, Minderwertigkeitsgefühle, Verzweiflung und
erhebliche Selbstmordgedanken bestimmt war. Solche Zustände
sind meinem Wesen an sich völlig fremd; meine Freunde und
Freundinnen können dies im Zweifelsfall bestätigen.
Nie zuvor hatte ich an Selbstmord gedacht, aber unter Neuroleptika
besaß ich nur den einen Gedanken: Wie bereite ich meinem
Leben ein Ende. Mit dem Absetzen der Neuroleptika verschwanden
diese (mit den oben genannten Hirnerkrankungen gesetzmäßig
einhergehenden) Persönlichkeitsveränderungen völlig.
III. Ich lehne deshalb jede Anwendung von Neuroleptika ab; auch
die Anwendung von psychiatrischen Mitteln, die zu ähnlichen
Störungen führen, wie Antidepressiva, Lithium, sowie
die Anwendung von Tranquilizern und Barbituraten sowie von sogenannten
nicht-klassifizierbaren Psychopharmaka wie Distraneurin oder Antabus,
von wesensverwandten oder neuentwickelten Neuropsychopharmaka
oder gar Schocks mittels elektrischen Stroms, Insulin oder Krampfgift
sowie von hirnoperativen Maßnahmen wie zum Beispiel Lobotomie
oder Leukotomien aller Art untersage ich strengstens.
IV. Aufgrund meiner geschädigten Leber, aufgrund meiner
schlechten Erfahrungen und aufgrund meines Wissens von der Wirkungsweise
und den Auswirkungen antipsychotischer Medikamente
(siehe Peter Lehmann, »Der chemische Knebel Warum
Psychiater Neuroleptika verabreichen«, Berlin 1986; Teilvorveröffentlichung
einer Dissertation am Fachbereich 22 der Technischen Universität
Berlin) nehme ich Präparate grundsätzlich nur ein nach
Rücksprache mit Ärzten und Ärztinnen meines Vertrauens,
bei denen ich in Behandlung bin und/oder zu denen ein tatsächliches
Vertrauensverhältnis besteht (V.R., B.M., A.T. Namen
und Adressen habe ich hier unkenntlich gemacht). Möglicherweise
möchte ich mich auch sofern ich den Rat eines weiteren
mir vertrauten Menschen benötige mit der Heilpraktikerin
A.O. darüber verständigen, ob ich ein beruhigendes naturheilkundliches
Mittel (zum Beispiel Schlaftee) einnehmen will. Es ist nicht auszuschließen,
dass ich nach Abfassen meines Psychiatrischen Testamentes noch
weitere kompetente und vertrauenswürdige Menschen kennenlerne;
auch diese möchte ich ggf. in Entscheidungen einbeziehen
können. Befinde ich mich in einer Anstalt außerhalb
Berlins, so kennen die genannten Behandler und Behandlerinnen
meines Vertrauens vermutlich andere vertrauenswürdige Behandler
und Behandlerinnen am Ort meines Aufenthalts, die eine gleiche
oder ähnlich Auffassung von der Vielfalt menschlicher Lebensäußerungen
haben und demzufolge zu gleichen oder ähnlichen Behandlungsmethoden
neigen, wie ich sie für mich fordere.
V. Natürlich ist Einsperren oder Festschnallen für
alle Menschen unangenehm. Ich würde voraussichtlich auch
darunter leiden. Aber unter psychiatrischen Psychopharmaka oder
unter Schockbehandlung würde ich unvergleichlich viel schwerer
leiden. Ich weise darauf hin, dass das Anschnallen von aufgeregten
Menschen aufgrund der Thrombosegefahr außerordentlich gefährlich
ist; sollte ich mich unnormal stark aufregen, so möchte ich
in Ruhe gelassen und nicht noch provoziert werden. Überhaupt:
Sollte sich meine Lebens- und Sinnesweise in einer Weise ändern,
die Psychiater und Psychologen aufgrund fehlenden Einfühlungsvermögens
und fehlenden Verstehens gemeinhin als psychisch krank
bezeichnen, so möchte ich, dass alle mir nahestehenden Menschen,
insbesondere die Vertrauenspersonen, dies begreifen als einen
Vorgang in der Kette aller meiner bisherigen Lebensvorgänge.
Mein Wunsch ist es dabei, mit mir und mit meinen Mitmenschen im
Einklang, in der Auseinandersetzung und im Widerspruch lebendig
zu sein und zu bleiben.
VI. Bestehen (wider Erwarten) realistische Anhaltspunkte, dass
ich mich oder andere verletzen oder töten möchte oder
werde Anhaltspunkte, die in meiner Person und nicht in
sogenannter psychiatrischer Erfahrung liegen ,
so erwarte ich, dass mir dies unmöglich gemacht wird, allerdings
nicht durch Neuroleptika, Elektroschocks, Antidepressiva oder
Lederriemen-Fesselung. Soweit nötig, möchte ich in einem
solchen hypothetischen Extremfall bewacht und festgehalten werden,
notfalls gegen meinen Widerstand. Meine Umgebung darf sich allerdings
nicht scheuen, das Zusammenleben mit mir fortzusetzen, indem man
mich etwa alleine in eine dunkle Kammer sperrt.
VII. Keinesfalls möchte ich im Zuständigkeitsbereich
Hanfried Helmchens, Adolf Pietzckers oder Erdmann Fähndrichs
untergebracht werden Psychiater, mit denen ich im Rechtsstreit
lag. Eine Einsperrung in die Psychiatrische Anstalt der FU Berlin
würde möglicherweise vorhandene Ängste vorhersehbar
ins Maßlose steigern; in diese Anstalt, mit der ich sehr
schlechte Erfahrungen machte, möchte ich auf gar keinen Fall
verbracht werden.
VIII. Mein Körper ist auf Naturkost eingestellt. Sollten
Psychiater nicht in der Lage sein, meinen Ernährungswünschen
nachzukommen, so sollen mich meine Freunde und Freundinnen mit
gesunder Kost versorgen können, aber auch mit Genussmitteln
aller Art wie Speiseeis, Mineralwasser, Obst und Obstsäften,
Tee, Kaffee usw. usf. Möchte ich zu Beruhigungszwecken etwas
Alkohol oder Schokolade oder ähnliches, so will ich frei
darüber verfügen. Sollte ich ein Nahrungsangebot ablehnen,
beispielsweise weil ich gerade wichtigeres zu tun habe als zu
essen oder weil ich abnehmen will oder weil ich Angst habe, beispielsweise
mit neurotoxischen Psychodrogen wie Neuroleptika vergiftet zu
werden: Nahrungsangeboten von Menschen meines Vertrauens werde
ich aufgeschlossen gegenüberstehen.
IX. Freunde und Freundinnen sowie Familienangehörige und
sonstige Personen meines Vertrauens, die mich besuchen, müssen
mich jederzeit unbefristet besuchen und vertrauliche Gespräche
in einem eigenen Raum mit mir führen können sofern
ich das will. In Situationen, die evtl. zu meiner Unterbringung
in einer Anstalt geführt haben könnten, ist es für
mich außerordentlich wichtig, Personen meines Vertrauens
um mich zu haben, auch nachts, um wieder zu meinem normalen Ich
zurückfinden zu können. Diese positive renormalisierende
Wirkung des Beistands von Personen meines Vertrauens habe ich
am eigenen Leib erfahren. Personen meines Vertrauens können
natürlich auch andere Anstaltsinsassen und -insassinnen sein.
Ausreichende Kommunikationsmöglichkeiten sind auf meinen
Wunsch auch durch einen eigenen Telefonanschluss herzustellen.
Ein Einzelzimmer soll mir sofern ich es will nicht
verwehrt werden. Auf Gegenstände, wie sie in Krankenhäusern
von Patienten und Patientinnen üblicherweise mitgebracht
werden können, möchte ich in der Anstalt nicht verzichten
müssen: Fernseher, Bücher, Radio, Kassettenrekorder,
Literatur, Schreibgerät usw.
X. Kulturelle Betätigung, Tanz, sportliche Betätigung
wie Joggen, Gymnastik, Tischtennis, Schwimmen sowie Natur, frische
Luft, Sonne, Spazierengehen und überhaupt der Aufenthalt
im Freien haben auf mich eine heilsame Wirkung. Der Zugang hierzu
ist mir jederzeit zu gestatten. Auf Wunsch ist die Möglichkeit
zu schaffen, dass mich Menschen meines Vertrauens massieren können.
Entwickle ich das Bedürfnis nach religiöser Betätigung
gleich welcher Art, ist mir diese Betätigung zu gestatten,
auch wenn die zuständige Kirche außerhalb des Anstaltsgeländes
liegt.
XI. Bei einer Unterbringung lege ich möglicherweise keinen
Wert darauf, mit den Anstaltsbediensteten zu reden. Die Erfahrung
hat gezeigt, dass offene Worte meinerseits über das eigene
Leben oder über die Auswirkungen von Psychopharmaka an meinem
Körper stets zu der verstärkten Anwendung dieser Chemikalien
geführt haben. Auf meinen Wunsch hin haben Anstaltsbedienstete
von Annäherungsversuchen abzusehen, die ich als belästigend
empfinde. Ich bin nicht damit einverstanden, dass jemand meine
Psyche unter vier Augen untersucht, also ohne dass ein Zeuge oder
eine Zeugin meines Vertrauens anwesend ist. Sonst setzt sich der
vorurteilsbehaftete Wille einer solchen anstaltsbediensteten Untersuchungsperson
zu leicht durch, indem diese eingeschränkt wahrnimmt, einfühlt
und versteht, infolgedessen eingeschränkt berichtet und urteilt.
Es ist geradezu absurd, wenn derlei Untersuchungen als wissenschaftlich
korrekt erst dann beurteilt werden, wenn außer mir
als Betroffenem und der urteilenden Person niemand anwesend ist.
Versionen und Visionen
Die schwache und die starke Version
Szasz unterscheidet zwischen einer schwachen Version des Psychiatrischen
Testaments und einer starken. Bisher habe ich die sogenannte schwache
Version dargestellt: Sie schützt nur diejenigen vor psychiatrischer
Zwangsbehandlung, die dies vorher ausdrücklich schriftlich
niedergelegt haben. Die starke Version hingegen lässt eine
Zwangsbehandlung nur zu, wenn sie vorher, im Zustand der nichtangezweifelten
Normalität, für den Fall möglicher Verrücktheit
ausdrücklich gewünscht war.
Wie sich die starke Version gesetzlich niederschlagen könnte,
geht aus einem Gesetzentwurf hervor, den 1984 die Alternative
Liste Berlin in das Abgeordnetenhaus von Westberlin einbrachte,
wenn auch erfolglos (Schulz et al. 1984). § 28 (Behandlung)
ermöglicht in diesem Entwurf eine Zwangsbehandlung nur noch,
wenn die Betroffenen diese vorher, d.h. vor der Psychiatrisierung,
ausdrücklich wünschten und akut als unfähig gelten,
ihren natürlichen Willen zu äußern. Der vorgeschlagene
§ 28 lautet wörtlich:
»1. Eine Behandlung erfolgt ausschließlich
mit Einwilligung des Untergebrachten. Vor Beginn der Behandlung
ist er umfassend über ihre Gründe und Folgen sowie über
mögliche Alternativen aufzuklären. Die Pflicht zur Aufklärung
umfasst insbesondere die Risiken der Behandlung und Nebenfolgen
und Spätschäden, die nach dem Stand medizinischer Erkenntnis
nicht außerhalb jeglicher Wahrscheinlichkeit liegen.
2. Der Untergebrachte kann die Zustimmung zur Behandlung
ganz oder zum Teil jederzeit widerrufen. Ist der Untergebrachte
zu einer rechtsgeschäftlichen Erklärung außer
Stande, so ist auf seinen natürlichen Willen abzustellen.
Kann er auch diesen nicht äußern, dann ist auf eine
vorher abgegebene Erklärung abzustellen. Ist eine solche
nicht erkennbar, dann ist von einer Versagung der Einwilligung
auszugehen...«
Dieser Entwurf auf den ersten Blick kühn formuliert zu sein;
dabei würde ein solcher Gesetzesparagraph lediglich den Psychiatrisierten
die Rechte garantieren, die medizinische Patientinnen und Patienten
in ihrer Eigenschaft als Staatsbürger längst genießen.
CDU, FDP und SPD stimmten 1985 gemeinsam mit den psychiatrischen
Interessenverbänden gegen die vorgeschlagene Gesetzreform;
dies sollte jedoch kein Grund sein, nicht immer wieder, wie 1988
die Fraktion der Grünen/Grün-Alternative Liste in der
Hamburger Bürgerschaft (Jelpke et al., 1988), von allen politischen
und juristischen Instanzen das allgemeine Menschenrecht auf körperliche
Unversehrtheit als diagnosenunabhängiges Grundrecht einzufordern.
Die internationale Rechtslage unterliegt einem ständigen
Wandel; regelmäßig erscheinen Zeitungsberichte über
neuerliche Gerichtsurteile und Gesetzentwürfe, die Psychiatern
Zwangsbehandlung erlauben wie auch verbieten. Aussagen in Psychiatriegesetzen
widersprechen zivil- und strafrechtlichen Normen, Richterentscheide
den Gesetzestexten, Landes- und Bundesgesetze den internationalen
Menschenrechtsdeklarationen. Letztlich besteht ein andauernder
Machtkampf: zwischen Psychiatern in ihrem Drang zu rechtsfreiem
Raum und Behandlung gegen den Willen der Betroffenen einerseits
und letzteren und ihrem Anspruch auf Selbstbestimmung und körperliche
Unversehrtheit andererseits.
In diesem Zusammenhang sollte niemand die Tatsache vergessen,
dass Psychiater vieler Länder mit den Massensterilisationen
einverstanden waren, die deutsche Psychiater unter dem Schutz
des nationalsozialistischen Regimes vornahmen, und dass nach 1945
kein nationaler oder internationaler Psychiaterverband gegen die
Weiterarbeit von Psychiatern, die an der T4-Massenmordaktion beteiligt
waren, Protest erhob. So ist die deutsche Gesellschaft für
Psychiatrie und Nervenheilkunde eine unter anderen Psychiatergruppen
international anerkannte Gruppierung, auch wenn sie in
der Nachkriegszeit einige T4-Mittäter als Führer ihres
Vereins wählte. Auch heutzutage sind immer noch ehemalige
SS-Psychiater aktiv; so berief das Sächsische Sozialministerium,
wie die Dresdner Neuesten Nachrichten am 20. August 1991
berichten, ausgerechnet den österreichischen Psychiater Gerhard
Harrer, ein ehemaliges Mitglied der SS, als Sachverständigen
in einen Untersuchungsausschuss, der sich mit Menschenrechtsverletzungen
befassen sollte, die Psychiater der Anstalt Waldheim im besonderen
Auftrag des DDR-Staatssicherheitsdienstes (Stasi) begangen hatten
(»SS-Psychiater«, 1991).
In Österreich wird Psychiatern das Recht auf willkürliche
Behandlung nach wie vor zugestanden; hier geben die §§
35-37 des nationalen Unterbringungsgesetzes vom 1. Januar 1991
dem behandlungswilligen Psychiater das Recht, ohne richterliche
Genehmigung und ohne Zustimmung eines formalgesetzlich Vertretungsberechtigten
zwangsweise tätig zu werden: wenn er die Behandlung für
so dringend ausgibt, dass der mit der Einholung der Zustimmung
des Pfleglings oder mit der Bestellung eines gesetzlichen
Vertreters verbundene Aufschub das Leben gefährde oder mit
der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit verbunden
wäre.
Anders gelagert ist die Rechtslage in den einzelnen Schweizer
Kantonen. Psychiater nutzen den rechtsfreien Raum, den ihnen die
Schweizer Regierung und Justiz weitgehend liefern: auch wenn das
nationale Zivilgesetzbuch, speziell Art. 397a ff, keinerlei gesetzliche
Grundlage für ihre zwangsweisen psychiatrischen Anwendungen
bietet; auch wenn der Schweizer BGH in einem alten Entscheid (99
IV 208 ff) unmissverständlich festhielt, dass die medikamentöse
Zwangsbehandlung den Tatbestand der Körperverletzung erfülle,
wenn sich der Anwender nicht auf die Einwilligung der Betroffenen
oder auf eine spezielle Rechtfertigung stützen könne
oder nicht eine spezielle gesetzliche Bestimmung ihn dazu ermächtige
(Mazenauer, 1990). Dies gelte auch für Injektionen, die darin
bestehen,
»... dass fremde Substanzen in den Körper
eingeführt werden, deren Wirkungen nicht unerheblich sind.
Sie stellen in jeder Hinsicht eine Verletzung der körperlichen
Integrität im Sinne von StGB 123 und 125 I dar.« (Pra
63 [1974] Nr. 95)
Der Kanton Bern schloss sich der Lehrmeinung an, dass das Zivilgesetzbuch
keine Rechtsgrundlage biete für eine »eingreifende medizinische
Zwangsbehandlung von Patienten zum Beispiel in einer psychiatrischen
Klinik« (Stellungnahme der Justizdirektion des Kantons Bern
vom 26. September 1989). Diese Haltung hat der bernische Regierungsrat
auch in einer Beschwerde festgehalten; zur Verabreichung eines
Neuroleptikums könne das »Gesetz zur fürsorgerischen
Freiheitsentziehung« nicht herangezogen werden. In einer
Entscheidung vom 30. November 1988 sprach er auch die Gefahr an,
die mit der Anwendung von Neuroleptika verbunden ist. Angesichts
eines Versuchs des Statthalters der Stadt Biel, einen Patienten
nach der Anstaltsentlassung zu zwingen, sich ambulant Haldol-Depot
einspritzen zu lassen, verfügte der Regierungsrat, dass ein
solches Neuroleptikum schwere Eingriffe in die persönliche
Freiheit bewirke und daher nicht ohne formelles Gesetz zwangsweise
verordnet werden dürfe (»Zwangsbehandlung«, 1989).
Bisher regelt nur das Tessin durch ein formelles Psychiatriegesetz
die Frage der Zulässigkeit der Zwangsbehandlung. Laut »Gesetz
über die sozialpsychiatrische Betreuung« vom 26. Januar
1983 (LASP) dürfen Psychiater nur zwangsuntergebrachte
Psychiatrie-Benutzer zwangsbehandeln, und zwar nur
mit derjenigen Behandlungsmethode, die die Persönlichkeitsrechte
der Benutzer am wenigsten einschränkt (»Kranke«,
1991; Gassmann 1989) eine
nichtssagende Formulierung angesichts der Tatsache, dass Psychiater
all ihre Behandlungsmethoden als notwendig deklarieren
und mit ihnen nichts anderes wollen, als die infolge
der Krankheit verlorengegangenen Persönlichkeitsrechte
»so schonend wie möglich« wiederherzustellen (2).
Im US-amerikanischen Bundesstaat New York State sichert das 1991
im Rahmen des New York Code of Rules and Regulations (New Yorker
Gesetzbuch über Regeln und Vorschriften) in Kraft getretene
»Right to Provide Advance Instructions for Treatment«
(»Recht auf Vorausverfügungen in Behandlungsfragen«),
soweit die formalen Bedingungen beachtet wurden, zumindest Erwachsenen
das Recht zu, Bevollmächtigte
zu ernennen. In einer Verfügung können dabei auch spezielle
Wünsche und Anweisungen niedergeschrieben werden, wobei allerdings
im Gesetzestext keine Regelung für den Fall vorgesehen ist,
dass die Bevollmächtigten gegen den vorher erklärten
Willen der Betroffenen verstoßen (3).
Einen mehr oder weniger ernstgemeinten Versuch,
das Psychiatrische Testament gesetzlich abzusichern, versprachen
sich die Sozialdemokratische Partei (SPD) und die Alternativen
Liste Berlin in ihren Westberliner Koalitionsvereinbarungen vom
März 1989. Sie hielten hier den Willen fest, das Psychiatrische
Testament in das sogenannte »Gesetz für psychisch Kranke«
(PsychKG) zu integrieren (»Ergebnisse«, 1989); da allerdings
noch nicht einmal festgelegt wurde, an welche Version die SPD
dachte, die schwache oder die starke Version, ist es wenig überraschend,
dass bei Ablauf der Koalition 20 Monate später nicht ein
einziger Schritt hin zur erforderlichen Gesetzreform unternommen
war.
Letztlich verletze bereits das Reden über Menschenrechte
von psychiatrischen Patienten deren Rechte, betont Szasz
immer wieder. Wer über die Menschenrechte von Sklaven
spreche, legitimiere implizit die gesetzliche Unterscheidung zwischen
Sklaven und freien Bürgern, nehme ersteren die Freiheiten
und die Würde, die letztere selbstverständlich genießen.
Wie allgemein akzeptiert sei, bedeute der Status des Sklaven,
weniger Rechte zu haben als freie Bürger. Die Menschenrechte
von Personen mit dem Etikett psychische Krankheit
seien solange nicht geschützt, solange nicht wirklich akzeptiert
sei, dass Menschenrechte unabhängig von psychiatrischen Kriterien
gelten. Außerdem behaupteten Psychiater immer wieder, sie
seien Angehörige des Medizinerstandes wie andere Ärzte
und Ärztinnen auch und psychische Krankheiten
seien Krankheiten wie alle anderen auch; also müssten sie
auch die Konsequenzen tragen und ihren Patienten dieselben
Rechte und Pflichten zubilligen, die sie normalmedizinischen Kranken
ebenfalls zugestehen (Szasz, 1990).
Selbstbestimmungsrecht und Selbstverantwortung waren die beiden
Schlüsselbegriffe, die Ende Oktober 1991 in Zandvoort/Niederlande
bei der Gründung des Europäischen Netzwerks von Psychiatriebetroffenen
als die beiden zentralen Grundwerte aller nationalen Mitgliederorganisationen
allgemein anerkannt waren. So ist es kein Zufall, dass das neugegründete
Netzwerk als eine der ersten Aufgaben beschloss, zur Abwendung
der Gefahr psychiatrischer Zwangsbehandlung in allen europäischen
Ländern die Gültigkeit des Psychiatrischen Testaments
durchzusetzen, und zwar seine schwache Version als ersten Schritt
(»Psychiatric Will«, 1992).
Für wen gilt das Psychiatrische Testament?
Geschäftsunfähig ist,
»... wer sich in einem die freie Willensbildung
ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit
befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender
ist.« (§ 104 II BGB)
Diese Vorschrift findet sich im bundesdeutschen Bürgerlichen
Gesetzbuch im Dritten Abschnitt des Ersten Buchs unter der Überschrift
»Rechtsgeschäfte«. (Der Begriff vorübergehend
ist hierbei sehr eng gefasst; eine Störung der Geistestätigkeit
infolge eines mehrstündigen Rausches gilt beispielsweise
als vorübergehend.) Die höchstpersönlichen Erklärungen
bezüglich des eigenen Körpers sind keine Rechtsgeschäfte.
Die zitierte Vorschrift besagt nichts über die Wirksamkeit
von Erklärungen zur eigenen Behandlung. Auch der geschäftsunfähige
Mensch, der beispielsweise die Rechtsgeschäfte eines Kaufvertrags
oder einer Schenkung nicht wirksam vornehmen kann, ist nach geltendem
Recht zur Entscheidung über seinen eigenen Körper höchstselbst
berufen, soweit er nur die dafür erforderliche Einsichts-
und Willensfähigkeit hat. Das gilt für Noch-nicht-Volljährige,
für Personen mit einem Betreuer usw.
Um die Durchsetzung des eigenen Willens möglichst zu sichern,
ist es notwendig, das erwähnte Psychiatrische Testament schon
heute zu verfassen. Dies gilt für alle Betroffenen sowie
diejenigen, die nicht wissen, ob sie nicht vielleicht doch einmal
Betroffene sein werden. Oft werden Menschen für sich und
andere völlig überraschend in die Psychiatrische Anstalt
gebracht. Selbst der bundesdeutsche BGH stellte schon vor über
30 Jahren fest:
»Die Erfahrung hat gezeigt, dass Heilanstalten
immer wieder zur Festhaltung angeblich geisteskranker oder für
die Öffentlichkeit lästiger Personen mit Hilfe getäuschter
oder ihre ärztlichen Pflichten verkennender Ärzte missbraucht
werden...« (BGH III ZR 45/60 Urteil vom 24.
April 1961)
Es ist erforderlich, in gesunden Tagen den Willen
bezüglich üblicher Psychiatrie-Maßnahmen zu erklären.
Die Rechtslage ist kompliziert, viele Einzelheiten sind umstritten.
Eine eindeutige Erklärung, vielleicht noch mit einer Bescheinigung
von Zeugen und Zeuginnen (zum Beispiel Notar, Anwalt, Freundin,
Vater, Kollegin), dass der bzw. die Erklärende im Vollbesitz
der geistigen Kräfte ist, wird aber im Zweifel jedenfalls
in der gewünschten Richtung wirken. Wer wie viele
Leute, die noch nicht in der Anstalt waren glaubt, es sind
nur die anderen, die sich in der Gefahr der Psychiatrisierung
befinden, ihm oder ihr könne das nie passieren, kennt möglicherweise
Menschen, die schon von psychiatrischen Behandlungsmaßnahmen
betroffen waren. Diese Menschen können von einem großen
Angstdruck befreit werden, wenn sie auf die Möglichkeit des
Psychiatrischen Testaments hingewiesen werden. Übrigens:
Alle Menschen in Altenheimen brauchen den Schutz des Psychiatrischen
Testaments.
Letztlich nutzt das Psychiatrische Testament auch den psychiatrisch
Tätigen, die immer davon bedroht sind, straf- und zivilrechtlich
zur Verantwortung gezogen zu werden: Greifen sie nicht zum Mittel
der Zwangsbehandlung, und der unbehandelte psychiatrisierte Mensch
tut sich oder Dritten einen Schaden an, so sind schon Gerichtsurteile
ergangen, die den Psychiatern wegen der unterlassenen Maßnahmen
die Verantwortung für einen entstandenen Schaden zuschoben.
Greifen sie jedoch ohne in aller Regel nicht vorhandenen
rechtfertigenden Notstand zum Mittel der Zwangsbehandlung,
so machen sie sich grundsätzlich strafbarer Körperverletzung
schuldig, und sicher findet sich hin und wieder ein Gericht, das
die Gültigkeit der laut Verfassung direkt wirkenden Grundrechte
über die psychiatrische Diagnose stellt. Es bedarf einzig
eines Richterspruchs, aus einem psychiatrisch Tätigen einen
psychiatrischen Täter werden zu lassen.
Was haben Sie zu tun?
Wollen Sie ein Psychiatrisches Testament errichten, können
Sie die Formblätter beim Verein zum Schutz vor psychiatrischer
Gewalt e.V. (Anschrift siehe Adressenverzeichnis im Anhang) bestellen.
Bitte schreiben Sie Ihre Adresse lesbar und legen Sie einen Scheck
oder Briefmarken über DM 8,-- bei (Stand: März 1993,
Preisänderungen vorbehalten). Bestellen können Sie die
Formblätter auch durch Vorabüberweisung an den Verein
zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt e.V., Konto 311443104
beim Postgiroamt Berlin (BLZ 10010010). von
hier ausdrucken oder downloaden (wahlweise als pdf oder Word-Dokument).
Im Rahmen seiner eingeschränkten Möglichkeiten gibt
der Verein auch Ratschläge zu dem Problem, Notare, Notarinnen,
Anwälte oder Anwältinnen zu finden. Zu den Formblättern,
die Ihnen verschiedene Möglichkeiten zur Entscheidung offen
lassen, gehört auch die entsprechende Gebrauchsanweisung,
in der Sie nachlesen können, was Sie beim Erstellen eines
Psychiatrischen Testaments beachten müssen (siehe: »Das
formelle Psychiatrische Testament: Gebrauchsanweisung und Mustertext«
von Hubertus Rolshoven und Peter Rudel).
Wenn Sie eine Anwaltskanzlei mit der Erstellung eines Psychiatrischen
Testaments beauftragen, müssen Sie mit gewissen Kosten rechnen.
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dürfen nicht
umsonst arbeiten. Nur bei schlechter Einkommenssituation der Ratsuchenden
haben diese nichts bzw. 20 DM zu zahlen, den Rest trägt die
Beratungshilfe. Wer die Voraussetzungen der Gewährung von
Beratungshilfe nicht erfüllt, muss sich laut BRAGO (Bundes-Rechtsanwalts-Gebührenordnung)
derzeit (März 1993) auf eine Rechnung zwischen 250 und 350
DM gefasst machen. Es kann aber auch mehr sein. Hierüber
ist sinnvollerweise rechtzeitig mit dem Anwalt bzw. der Anwältin
eine Absprache zu treffen.
Einen Zettel mit dem Vermerk, dass und wo Sie ein
Psychiatrisches Testament hinterlegt haben, direkt an die Personalpapiere
zu kleben, scheint wenig ratsam zu sein; zu leicht könnten
Sie bei nichtpsychiatrischen, geringfügigen Anlässen
Opfer von Vorurteilen werden. Ob es sinnvoll ist, speziell für
Personen, die noch nicht aktenkundig als psychisch krank
erfasst sind, Psychiatrische Testamente in den einzelnen infrage
kommenden Anstalten, Gesundheitsämtern oder Gerichten schon
im voraus zu hinterlegen, ist noch nicht geklärt. Der Vorteil
würde darin bestehen, dass sich kein Befürworter unerwünschter
psychiatrischer Behandlung darauf berufen könnte, er hätte
vom tatsächlichen Willen der Betroffenen nichts gewusst.
Der Nachteil bestünde darin, dass sich die Hinterlegenden
schon frühzeitig als potentielle Psychiatriebetroffene zu
erkennen geben. Ebenso wenig ausdiskutiert ist der Vorschlag,
die Willenserklärung zusätzlich mit Video aufzuzeichnen
(Buckley, 1987 & 1988) oder sich ein entsprechendes Symbol
auf die bevorzugte Stelle psychiatrischer Akutbehandlung, das
Hinterteil, tätowieren zu lassen.
Die Frage, ob es notwendig ist, das Psychiatrische Testament
in einer Anwaltskanzlei und damit gegen Gebühren zu erstellen,
ist ebenfalls nicht eindeutig zu beantworten. Sollte es eingesetzt
werden und zum Konflikt kommen, ist Ihre Rechtsposition stärker,
wenn die Gegenseite merkt, dass Sie sich bestmöglich juristisch
abgesichert haben. Einige haben das Psychiatrische Testament sogar
notariell beglaubigen lassen; ob dieser Schritt einen tatsächlichen
Vorteil gegenüber der Erstellung in einer Anwaltskanzlei
bedeutet, ist fraglich.
Wer nun Ihr Psychiatrisches Testament einsetzt, wird das Dokument
dem Psychiater per Einschreiben/Rückschein zustellen oder
ihm vor Zeugen übergeben; da ein Psychiater die Annahme einer
schriftlichen Erklärung scheut wie der Teufel das Weihwasser,
wird er versuchen, sich vor der Annahme des Dokuments zu drücken.
Lassen Sie sich nicht überrumpeln: Der Psychiater ist verpflichtet,
das Dokument zur Kenntnis und insbesondere zu den Anstaltsakten
zu nehmen. Im Streitfall ist damit bewiesen, dass der Psychiater
von Ihrem tatsächlichen Willen unterrichtet war.
Wer das Psychiatrische Testament anwandte, ist gebeten, einen
Erfahrungsbericht an den Verein zum Schutz vor psychiatrischer
Gewalt e.V. zu schicken; der Verein arbeitet mit RechtsanwältInnen
zusammen, sammelt die Berichte und wertet sie aus; auf Wunsch
bleibt die Anonymität gewahrt.
[Nachtrag: Die aktualisierte Form des Psychiatrischen
Testaments, die Psychosoziale Patientenverfügung, steht samt
Gebrauchsanweisung im Internet unter https://www.antipsychiatrieverlag.de/psychpav.htm
- Peter Lehmann, 24. November 2023]
Die bisherigen Erfahrungen mit dem Psychiatrischen Testament
sind durchaus ermutigend. Die einsetzende öffentliche Berichterstattung
sollte seine Bekanntheit und somit auch seine Akzeptanz fördern.
Wie David Oaks in den Dendron News berichtet, ohne allerdings
den Gesetzestext zu zitieren, hat inzwischen mit Michigan der
erste US-amerikanische Bundesstaat in einem neuen Psychiatriegesetz
die Rechtsgültigkeit von Vorausverfügungen anerkannt
(»Minnesota«, 1992). Es bleibt nach wie vor wünschenswert,
das Psychiatrische Testament, und sei es nur die schwache Version,
gesetzlich abzusichern, um von unzuverlässigen Bevollmächtigten
und Vertrauenspersonen und von unsicheren gerichtlichen Entscheidungen
bei möglichen Rechtsstreitigkeiten unabhängig(er) zu
werden und die Erfüllung des niedergelegten Willens zu garantieren.
Nachdem die Gerichte in ihrer Rechtsprechung in Psychiatrie-Angelegenheiten
bisher nicht den Eindruck machten, dass sie ständig alle
Menschenrechte beachten würden, wäre es gefährlich,
das Psychiatrische Testament in einem Rechtsstreit unvorbereitet
irgendeinem Pflegschaftsrichter vorzulegen, der dann möglicherweise
einen Psychiatrie-freundlichen Beschluss trifft, an den sich hinterher
alle übergeordneten Berufungsinstanzen halten. Deshalb: Menschen,
die das Psychiatrische Testament gerichtlich durchsetzen wollen,
sind dringend gebeten, vor der Einlegung von Rechtsmitteln Kontakt
mit dem Verein zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt e.V. aufzunehmen.
Nicht zuletzt soll erwähnt sein, dass das Psychiatrische
Testament auch einen therapeutischen Wert besitzt,
und zwar insofern, als sich beim Verfassen für jeden einzelnen
Menschen die Frage nach vorhandenen Vertrauenspersonen und nach
möglichen Unterstützungsformen für den Fall akuter
Verrücktheit stellt. Hier wird das Prinzip der Selbstverantwortung
besonders sichtbar: Es gilt einerseits, sich die eigene, möglicherweise
isolierte soziale Situation zu vergegenwärtigen, bestehende
Freund- und Bekanntschaften auf das Vertrauensverhältnis
zu prüfen und sich gegebenenfalls aktiv an die Veränderung
einer unbefriedigenden Situation zu machen, sprich: sich Freunde,
Freundinnen oder Verbündete zu suchen. Andererseits gilt
es, konkrete Maßnahmen für eine ungewisse Zukunft gedanklich
vorwegzunehmen: Was brauche ich, sollte ich (wieder) verrückt
werden? Was tut mir dann gut? Womit behandeln Psychiater? Was
erwartet mich im Altenheim? Was lehne ich ab? Was will ich? Was
nehme ich notfalls in Kauf? Wo sind die Menschen, die mich unterstützen
werden? Die frühzeitige Auseinandersetzung mit all diesen
Problembereichen könnte, ernsthaft angepackt, durchaus dazu
führen, das tägliche Leben bereits jetzt derart umzugestalten,
dass die Gefahr einer psychiatrischen Zwangseinweisung und Zwangsbehandlung
erheblich geringer wird. Ein korrekt niedergeschriebenes und in
der Anwaltskanzlei hinterlegtes Psychiatrisches Testament macht
dann das eigene Leben noch sicherer vor psychiatrischer Bedrohung.
Mein Überblick über die nationale und internationale
Rechtslage, der Verweis auf Gerichtsurteile und die Darstellung
meines eigenen Psychiatrischen Testaments mögen auf den ersten
Blick den Leser und die Leserin, die sich bisher noch nicht mit
diesen juristischen Schutzmöglichkeiten befassten, dazu verleiten,
sich überfordert zu fühlen. Der erarbeitete Mustertext
nimmt nahezu alle Mühen ab: Es gilt nur noch,
sich Vertrauenspersonen und geeignete Juristen und Juristinnen
zu suchen sowie sich über die eigenen Bedürfnisse klarzuwerden.
Anmerkungen
(1) Bereits 1978 trugen
die Berliner Psychiater Hanfried Helmchen und Bruno Müller-Oerlinghausen
ihren Wunsch vor, Psychiatriebetroffene sollten schon vor Beginn
einer anstehenden Behandlung ihre Einwilligung zu Versuchen mit
neuartigen, noch nicht zugelassenen psychiatrischen Psychopharmaka
erklären: »Hierüber sollte man mit Patienten in
der Zeiten ihrer gesunden Phasen sprechen, wenn an ihrer Fähigkeit,
Wesen, Bedeutung und Tragweite klinischer Prüfungen
einzusehen, kein Zweifel besteht; und es müsste vielleicht
auch möglich sein, im voraus eine mehr oder minder spezifizierte
Einwilligung zu erhalten, an die man im Krankheitsfalle erinnern
kann.« (Helmchen & Müller-Oerlinghausen, 1978, S.
23) Diese Art von Willenserklärung unterscheidet sich nur
unwesentlich von derjenigen des Psychiaters Paul Appelbaum aus
dem Massachusetts Mental Health Center (Zentrum für psychische
Gesundheit) in Boston, präsentiert ein Jahr später,
1979, im New England Journal of Medicine: Danach sollten
Personen im voraus Bevollmächtigte ernennen, die dem Psychiater
im Bedarfsfall ihre Einwillung zur Zwangsbehandlung der psychotisch
gewordenen Personen erteilen. Dieser Psychiatrische Wille
»... würde auf Grundlage der eigenen, rationalen Wünsche
des Patienten eine vernünftige Behandlung erlauben.«
(Appelbaum, 1979) Szasz kritisiert diesen Trick, die eigenen psychiatrischen
Wünsche zu denjenigen der Behandlungsobjekte zu machen, den
Betroffenen jedoch kein Recht zur eigenen Willenserklärung
zuzugestehen: »... wenn eine Gesellschaft launenhaft und
unvorhersehbar handelt und es dem Individuum unmöglich macht,
im voraus die Spielregeln zu erkennen, die seinen Umgang mit dem
Staat (und dem Psychiater, einem Agenten des Staates), bestimmen
werden, dann hört die Gesellschaft auf, frei und zivilisiert
zu sein, und verdient einzig, despotisch genannt zu werden.«
(Szasz, 1983, S. 346) Eine weitere Spielart des Psychiatrischen
Willens publizierte der Psychiater Alan Pollack aus Woodland
Hills, Kalifornien, 1983 für seine gelegentlich manischen
Patienten. Sinn der von ihm ausgearbeiteten Vorausverfügung
soll sein, einem Psychiater vorab die Vollmacht zu einer »befristeten
intensiven ärztlichen Behandlung in Form der Hospitalisierung«
(Pollack, 1983) zu erteilen, auch wenn die juristischen Bedingungen
für eine Zwangsunterbringung nicht erfüllt werden: Sollten
die Betroffenen nach Meinung des Psychiaters bei einem Rückfall
den Arbeitsplatz, die Gesundheit und/oder die verwandtschaftlichen
Beziehungen ernsthaft aufs Spiel setzen und sich dem Angebot einer
freiwilligen Anstaltsunterbringung widersetzen, so darf der Psychiater
bei Einverständnis einer im voraus bestimmten dritten Person
für drei Tage eine Zwangsunterbringung veranlassen. Im Schizophrenia
Bulletin preisen Marilyn Rosenson von der National Alliance
for the Mentally Ill (Nationale Allianz für die psychisch
Kranken) und Agnes Marie Kasten von der National Depressive
and Manic-Depressive Association den sogenannten Ulysses-Contract
an. Dabei vergleichen sie wahnhafte Stimmen mit den
verderbenbringenden Lockstimmen der Sirenen; diese, so die griechische
Mythologie, konnten Ulysses (Odysseus) nur deshalb nichts anhaben,
da dieser seine Schiffsbesatzung rechtzeitig angewiesen hatte,
ihn vor Passieren der gefährlichen Gewässer an den Mast
zu binden und auf keinen Fall seinen unter dem Einfluss der Sirenen
selbstgefährdenden Wünschen nachzugeben. Mit einem solchen
Ulysses-Contract ausgerüstet, könnten die Betroffenen
schon frühzeitig den Weg zu Elektroschocks und Neuroleptika
freimachen und ihre unter Einfluss der psychischen Krankheit
geäußerte Ablehnung der psychiatrischen Behandlung
vorbeugend für null und nichtig erklären (Rosenson &
Kasten, 1991). Allerdings erkennen die beiden psychiatrisch Tätigen
die Stichhaltigkeit von Vorausverfügungen grundsätzlich
an: »Wenn bei einem Patienten die psychiatrischen Symptome
nachlassen, kann der authentischste Ausdruck seiner Autonomie
darin liegen, dass er im voraus Entscheidungen für den Krisenfall
trifft.« (ebd., S. 1)
(2) Die Schweizer Juristin
Beatrice Mazenauer bezeichnete 1990 auf der Jahrestagung der Schweizer
Stiftung Pro Mente Sana psychiatrische Zwangsbehandlung unter
Berücksichtigung der geltenden Rechtslage als generell illegal
(siehe »Zwangsbehandlungen«, 1990); eine Gesetzesreform,
die es in bestimmten Fällen erlaube, so hatte sie schon ein
Jahr zuvor geschrieben, schütze ausschließlich die
Anwender des Zwangs gegen die Betroffenen: »Ein Gesetz, welches
die psychiatrischen Zwangsbehandlungen fasst, hätte somit
einzig zum Ziel, die Anwendung der Zwangstherapien zu legalisieren.
Damit werden die Anwender und nicht die Behandelten geschützt!«
(Mazenauer, 1989, S. 22) In der Diskussion des Tessiner Psychiatriegesetzes,
das in der Schweiz sicher Schule machen und Psychiater bei ihrer
Zwangsbehandlung gesetzlich absichern wird, ist die Frage nach
der Gültigkeit von Vorausverfügungen noch nicht gestellt.
Dies hat auch Pro Mente Sana erkannt, für die psychiatrische
Zwangsbehandlung prinzipiell nicht nur ethisch vertretbar ist,
sondern auch therapeutisch sinnvoll sein kann. So
fordern die Vertreter der Stiftung in einer Stellungnahme vom
22. März 1991 von Psychiatern, Vorausverfügungen zu
berücksichtigen, allerdings mit solchen Einschränkungen,
dass von ihrem ursprünglichen Sinn im Konfliktfall (der bei
Zwangsbehandlungen die Regel ist) kaum etwas überbleibt:
»2.2.6. Hat der Patient/die Patientin in urteilsfähigem
Zustand eine Willenserklärung über die von ihm/ihr gewünschte
Behandlungsart bzw. Nichtbehandlung abgegeben (Psychiatrische
Patientenverfügung), so ist dieser Wille zu respektieren,
sofern dadurch nicht eine unmittelbare und ernsthafte Gefahr für
das Leben des Patienten/der Patientin oder die Sicherheit von
Drittpersonen entsteht. Wird von dieser Verfügung abgewichen,
so ist die Abweichung schriftlich zu begründen.« (Stellungnahme,
1991) Im »Jahresbericht 1991« findet sich eine Forderung,
die der zitierten Stellungnahme hinsichtlich der enthaltenen Inkonsequenz
in nichts nachsteht: Vorausverfügungen seien zu respektieren,
Zwangsmaßnahmen »nur in Ausnahmefällen und mit
gesetzlicher Regelung zulässig« (»Interessenvertretung«,
1992). Da die Psychiatrie von vornherein als außergewöhnliche
Interventionsmaßnahme gilt und Psychiater erfahrungsgemäß
im Konfliktfall in ihre Diagnosen die nicht auszuschließenden
Selbst- und Fremdgefährlichkeit einbauen, um zum Ziel
ihrer Wünsche zu kommen, wäre eine Stellungnahme von
Pro Mente Sana, in der auch nur ein einziger Fall definiert würde,
in dem einem Psychiater das Recht auf Zwangsbehandlung konsequent
verweigert wird, um einiges glaubhafter.
(3) Das Gesetz sieht
vor: »Solange einer erwachsenen Person nicht von einem Gericht
die Geschäftsfähigkeit abgesprochen wurde, ist ihre
Geschäftsfähigkeit wirksam, um auf die Zukunft gerichtete
Behandlungsanweisungen zu erlassen. Auch wenn eine Person als
psychisch krank diagnostiziert oder sogar zwangsweise in eine
psychiatrische Klinik untergebracht wurde, gilt sie nach wie vor
als geschäftsfähig, auf die Zukunft gerichtete Anweisungen
zu erlassen. (...) Wie es das Health Care Proxy Law (Gesetz
über die Vertretung im Gesundheitsbereich) vorsieht,
haben geschäftsfähige Erwachsene das Recht, eine andere
erwachsene Person zu bestimmen, die für den Fall das Recht
auf Entscheidungen hinsichtlich Behandlungsfragen hat, dass sie
die Geschäftsfähigkeit verlieren. Diese festgelegte
erwachsene Person, bekannt als Health Care Agent (Agent
für das Gesundheitswesen), kann alle Behandlungsfragen
soweit entscheiden, wie es das Individuum (der Auftraggeber)
normalerweise auch könnte. Entscheidungen über Behandlungsfragen
beinhalten Entscheidungen über psychiatrische Behandlungsfragen
ebenso wie möglicherweise die Zustimmung zu einer Behandlung
oder deren Ablehnung.« (»Right«, 1992, S. 29/31)
Da das Gesetz die Entscheidungen der Health-Care-Agenten von den
Interessen der Betroffenen abhängig macht (»Health Care
Proxy Law«, 1991, Erläuterungen), ohne jedoch zu benennen,
wem im Konfliktfall gilt die Meinung des Psychiaters oder
ein vorher geäußerter unbequemer Wunsch eines/r Betroffenen?
die Macht auf Definition der eigenen Interessen zugestanden
wird, muss abgewartet werden, für wen sich das Gesetz bewährt.
Entfernt vergleichbar mit dem Psychiatrischen Testament ist die
Crisis Card der International Self-Advocacy Alliance
aus Großbritannien. In dieser Krisenkarte, zusammengefaltet
im Ausweis mit sich zu tragen, können alle möglichen
Wünsche an möglicherweise gewaltsam tätig
werdende Psychiater vermerkt werden. Die Allianz schränkt
in einem Informationsblatt zur Krisenkarte jedoch ein, ihr Vorteil
liege eher darin, dass die Psychiater die Wünsche der Betroffenen
überhaupt zur Kenntnis nehmen: »Rechtsanwälten
prüften die Karte sorgfältig und wiesen darauf hin,
dass sie keine formellen rechtlichen Konsequenzen hat. Sie wird
niemanden zu irgendwelchen Handlungen verpflichten.« (International
Self-Advocacy Alliance, 1989)
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der Pro Mente Sana« (1990), in: Pro Mente Sana Aktuell,
Nr. 4, S. 59-60
Hinweis
Die kursiven Erklärungen in Klammern stammen von Peter Lehmann
Copyright 1993 by Peter Lehmann