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des Antipsychiatrieverlags
in: Soziale Psychiatrie (BRD), 24. Jg. (2000), Nr. 3, S. 28-29
"Die Psychiatrie ist von der Pharmaindustrie aufgekauft"
Loren Mosher tritt unter Protest aus der APA (American
Psychiatric Association) aus
In einem Brief an Rodrigo Muñoz, Präsident der American
Psychiatric Association, hat Dr. Loren R. Mosher seinen Austritt
aus der Gesellschaft bekannt gegeben. Eine Kopie dieses Briefes
liegt uns vor. Dr. Mosher gilt als einer der Pioniere der Gemeindepsychiatrie
in den USA und ist bekannt als der Vater der Soteria-Bewegung.
Seine vielen Veröffentlichungen haben einen großen
Einfluss auf die Entwicklung der Sozialpsychiatrie gehabt (z.B.
Mosher, L. / Burti, L.: "Community Mental Health: Principles
and Practice", New York, Norton, 1989 [deutschsprachige Neuausgabe:
"Seelische
Gesundheit Community Mental Health. Ein Leitfaden für
die Praxis", St. Gallen: itten books 2004 P.L.]),
Nachfolgend sein Brief:
Lieber Rod,
nach nahezu drei Dekaden als Mitglied lege ich diesen Brief,
der meine Austrittserklärung enthält, mit einer Mischung
aus Freude und Enttäuschung vor. Der Hauptgrund für
diese Aktion ist meine Überzeugung, dass ich in Wirklichkeit
von der Amerikanischen Gesellschaft für Pharmakologie zurücktrete.
Glücklicherweise erfordert die wahre Identität der Organisation
keine Änderung im Akronym (APA, die Red.). Unglücklicherweise
spiegelt die APA in dem was sie sagt und tut, unsere drogenabhängige
Gesellschaft und sie verstärkt das auch noch. Sie unterstützt
sogar den Drogenkrieg! Klienten mit Mehrfachdiagnosen z.B. stellen
ein schwerwiegendes Problem auf dem Gebiet der Psychiatrie dar.
Das kann natürlich nicht an den guten, sprich: rezeptpflichtigen
Medikamenten liegen, die die Psychiater verschreiben! Die "bösen"
Medikamente sind ja nur die, die man ohne Rezept bekommt! Ein
Marxist würde dazu bemerken, dass die APA, als gute kapitalistische
Organisation, nur die Drogen mag, an denen sie direkt oder indirekt
einen Profit erzielen kann.
Ich möchte nicht zu dieser Gruppe gehören. Zu diesem
Zeitpunkt in der Geschichte ist die Psychiatrie, meiner Ansicht
nach, fast vollständig von der Arzneimittelindustrie aufgekauft
worden. Die APA konnte nicht weitermachen ohne die Unterstützung
der Pharmafirmen in Form von Meetings, Symposien, Workshops, Zeitungsanzeigen,
großartigen Konferenzempfängen, nahezu uneingeschränktem
Zugang zu Fortbildungen, und so weiter und so fort. Psychiater
sind die Günstlinge der Pressekampagnen der Pharmaindustrie
geworden. Die APA vertritt natürlich den Standpunkt, dass
die Unabhängigkeit und die Autonomie in dieser Verführungssituation
nicht zur Disposition stehen.
Jeder, der noch einen kleinen Rest von gesundem
Menschenverstand besitzt und der am Jahrestreffen teilnimmt, würde merken,
was die Pharmaindustrie so an den Tag legt und wie die von der Industrie gesponserten
Symposien Menschenmassen anziehen mit ihren unterschiedlichen Verlockungen, während
die seriösen wissenschaftlichen Sitzungen kaum besucht werden. Auch die psychiatrische
Ausbildung reflektiert den Einfluss der Pharmaindustrie. Hauptthema eines
hiesigen Curriculums war z.B. die Halbwissenschaft des geschickten und effektiven
Handels mit Medikamenten, es ging hauptsächlich um die Verordnung von Rezepten.
Diese
psychopharmakologischen Begrenzungen unseres Könnens, die verlangen, dass
wir alle ausgebildete Ärzte sein sollen, begrenzen auch unseren intellektuellen
Horizont. Wir bemühen uns nicht mehr darum, den gesamten Menschen in seinem
sozialen Kontext zu verstehen, sondern wir sind dazu da, die Neurotransmitter
unserer Patienten auszurichten. Das Problem ist, dass es sehr schwierig ist, eine
Beziehung mit einem Neurotransmitter einzugehen, wie auch immer seine Konfiguration
auszusehen vermag.
So sorgt unsere Standesorganisation für ein Grundprinzip
durch ihre neurobiologische Tunnelvision, um uns auf Distanz zu halten zu den
Molekularkonglomeraten, die wir angetreten sind, als Patienten zu definieren.
Wir sehen über den weitverbreiteten Missbrauch und den Gebrauch einer Überdosis
von toxischen Chemikalien nicht nur hinweg, wir fördern ihn sogar noch, wo
wir genau wissen, dass das ernsthafte Langzeitfolgen haben wird: Spätdiskinesien,
spätere Demenz und ernsthafte Entzugserscheinungssyndrome. Also, möchte
ich ein Chemiker der Pharmaindustrie sein, der Moleküle mit seinem Formelbuch
behandelt? Nein, besten Dank. Es macht mich traurig, dass ich mich nach 35 Jahren
darauf freue, mich von solch einer Organisation zu trennen, die in keiner Weise
meine Interessen vertritt. Es liegt nicht innerhalb meiner Möglichkeiten,
mich in das geläufige biomedizinische-reduktionistische Modell einzukaufen,
das sich psychiatrische Führungsgruppen auf ihre Fahnen geschrieben haben,
um mich nochmals mit der somatischen Medizin zu verheiraten. Es handelt sich um
eine Modeströmung, um Politik, und es dreht sich wie bei der pharmazeutischen
internen Fusion um Geld.
Zu allem Übel ist die APA auch noch eine
unheilige Allianz mit NAMI (National Alliance for the Mentally Ill) eingegangen.
(Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Mitglieder gefragt worden sind,
ob sie solch eine Organisation unterstützen möchten.) Das führt
nun dazu, dass die von beiden Organisationen in der Öffentlichkeit verbreiteten
Glaubenssätze, was die Ursache von "Verrücktheit" angeht, sich in fataler
Weise ähneln. Während sie sich selbst als Verteidiger der Interessen
der Klienten ansieht, unterstützt die APA gleichzeitig Nicht-Mitglieder,
z.B. die Eltern in ihrem Wunsch, Kontrolle über ihre bösen oder verrückten
Sprösslinge zu bekommen auf dem Wege von legal verstärkter Abhängigkeit.
NAMI hat, mit der stillschweigenden Billigung von APA, eine Agenda ins Leben gerufen,
die Neuroleptika befürwortet und deren abhängigkeitsfördernde Anwendung
möglich macht, dahingehend, dass die bürgerlichen Rechte der Nachkommen
vergewaltigt werden. Zum größten Teil stehen wir einfach daneben und
lassen es zu, dass diese faschistischen Agenden sich ausbreiten können. Ihr
psychiatrischer Gott, Dr. E. Fuller Torrey, darf Diagnosen aussprechen und denjenigen
in der NAMI Organisation eine psychiatrische Behandlung empfehlen, mit denen er
nicht in Übereinstimmung ist. Das stellt ganz klar eine Vergewaltigung der
medizinischen Ethik dar. Protestiert APA? Natürlich nicht, denn Dr. Torrey
spricht das aus, womit APA in Übereinstimmung ist, aber nicht deutlich als
ihr Anliegen benennen kann. Er ist die Speerspitze, er ist ja nicht länger
ein Mitglied von APA (geschickte Arbeit, APA!).
Die Kurzsichtigkeit dieser
Vernunftehe zwischen APA, NAMI und den Pharmaunternehmen, die fröhlich beide
Gruppen unterstützen wegen ihrer gemeinsamen Pro-Medikation-Haltung, ist
eine Abscheulichkeit. Ich möchte nicht Teil einer Psychiatrie von Unterdrückung
und sozialer Kontrolle sein.
Geisteskrankheiten, die angeblich biologische
Ursachen haben, kommen Familien und praktischen Ärzten in gleichem Maße
entgegen. Das ist aber keine Haftpflichtversicherung gegen eine persönliche
Verantwortung. Wir sind einfach hilflos gefangen in einem Strudel von Gehirnpathologie,
für die niemand außer der DNA verantwortlich ist. Nun können erst
mal alle, die eine anatomisch definierte Gehirnpathologie aufweisen, eine Aufgabe
für die Neurologen darstellen. (Syphillis stellt ein ausgezeichnetes Beispiel
dar.) Um nun in Übereinstimmung zu kommen mit der Sichtweise von "Geisteskrankheiten",
werden alle Arten psychiatrischer Störungen das Territorium ihrer neurologischen
Kollegen darstellen. Ohne sie überhaupt begutachtet zu haben, werden sie
es vermeiden, Verantwortung für problematische Individuen zu übernehmen.Jedoch
würde es das Prinzip der Konsistenz verlangen, dass wir unsere "biologisch
verursachten Geisteskrankheiten" an sie weiterreichen. Die Tatsache, dass es keine
Eindeutigkeit gibt, die diese Zuordnung zu den Geisteskrankheiten bestätigt,
ist in diesem Punkt irrelevant. Um was es hier geht, ist Mode, Politik und Geld.
Das Ausmaß an intellektueller und wissenschaftlicher Unehrlichkeit ist einfach
zu ungeheuerlich für mich, um es durch meine Mitgliedschaft zu unterstützen.
Es
überrascht mich nicht zu sehen, dass die psychiatrische Ausbildung folgerichtig
von Schulabgängern von amerikanischen Schulen missbilligt wird. Das sollte
ein Grund zur Sorge sein, wenn man den Zustand der Psychiatrie von heute betrachtet.
Es mag bedeuten, dass sie, zumindest teilweise, die Psychiatrie als etwas sehr
Begrenztes und wenig Herausforderndes ansehen. Für mich scheint es klar zu
sein, dass wir auf eine Situation zusteuern, in der, ausgenommen von Akademikern,
die meisten Psychiater keine wirklichen Beziehungen so wesentlich das auch für
den Heilungsprozess sein mag zu den gestörten und störenden Personen
haben, die sie behandeln. Ihre einzige Rolle wird das Rezepteschreiben sein, sie
sind nichtssagende Gestalten in der Verkleidung von "Helfern".
Schließlich,
warum muss die APA vorgeben, mehr zu wissen, als sie tut? DSM IV (Diagnostic
and Statistic Manual for Mental Health) ist die Erfindung, aufgrund deren die
Psychiatrie die generelle Anerkennung durch die Mediziner sucht. Eingeweihte wissen,
dass es mehr ein politisches als ein wissenschaftliches Dokument ist (...) DSM
IV ist eine Bibel geworden, ein Bestseller, mit dem man Geld machen kann, ungeachtet
seiner schwerwiegenden inhaltlichen Schwächen. Das Manual begrenzt und definiert
die Praxis, einige halten es für eine ernsthafte Handlungsanweisung, andere
sind da realistischer. Auf diese Weise kann man bezahlt werden. Man kann damit
leicht eine Begründung für die diagnostische Verlässlichkeit von
Forschungsprojekten erreichen.
Der Knackpunkt ist doch: Was erzählen uns diese Kategorien
letztlich? Repräsentieren sie tatsächlich die Personen
mit einem Problem? Sie tun es nicht und sie können es nicht,
weil sie keine externen Bewertungskriterien für psychologische
Diagnosen geben können. Es gibt weder einen Bluttest noch
spezifisch anatomische krankhafte Veränderungen für
irgendeine größere psychische Störung. Nun, wo
sind wir? APA als eine Organisation hat sich implizit oder explizit
in ein theoretisches Betrugsmanöver eingekauft. Ist die Psychiatrie
ein Betrugsmanöver, so wie sie heute praktiziert wird?
Was empfehle ich einer Organisation,
die ich verlasse, nachdem ich drei Dekaden ihrer Geschichte erlebt habe?
-
Das Wichtigste zuerst: Lasst uns wieder wir selber sein.
Lasst uns damit aufhören, unheilige Allianzen einzugehen,
ohne die Mitglieder um Erlaubnis zu fragen.
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Lasst uns Wissenschaft, Politik und Geld auseinander
halten. Lasst uns jedes mit den richtigen Etiketten versehen,
d.h., lasst uns uns selber sein.
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Lasst uns das gemeinsame Bett mit NAMI und den Pharmagesellschaften
verlassen. APA sollte wenn sie glaubwürdig sein will den Interessen der eigentlichen Zielgruppen dienen, d.h.
den ehemaligen Patienten, Psychiatrie-Überlebenden etc.
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Lasst uns mit den Mitgliedern reden. Es kann einfach
nicht sein, dass ich mit meinen Ansichten alleine dastehe.
Wir scheinen ein Grundprinzip
vergessen zu haben: Dass es nötig ist, die Bedürfnisse der Patienten,
Klienten und Konsumenten zu befriedigen. Ich werde niemals diese kluge Aussage
von Manfred Bleuler vergessen, die da lautet: "Loren, du darfst niemals vergessen,
dass du der Angestellte der Patienten bist." Letztendlich werden es die Patienten
sein, die entscheiden, ob die Psychiatrie auf dem Marktplatz der Dienstleistungen
überlebt oder nicht.
Hochachtungsvoll
Loren Mosher
Übersetzung aus dem Englischen: Martina Allisat, DGSP-Geschäftsstelle,
Köln