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des Antipsychiatrieverlags
in: Mitgliederrundbrief des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener
(BRD), 1996, Nr. 3, S. 13. Und in: Psychosoziale
Umschau (Bonn), 11. Jg. (1996), Nr. 2, S. V /
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Peter
Lehmann
Ein Quatrolog der besonderen Art
Psychiatriebetroffene, Eltern, Psychiater und
Industrie in Wien im Gespräch
Betroffene Eltern, Psychiatrie-Erfahrene, Psychiater und Psychopharmaka-Industrie:
Wann hat es das schon einmal gegeben, dass sie in einem »Internationalen
Gruppenforum der Unterstützung von Patienten« zusammenkamen?
Im Sommer 1995 hatte die Einladung der Zeneca GmbH auch den Bundesverband
Psychiatrie-Erfahrener e.V. erreicht. Zwei Vorstandsmitglieder
äußerten Interesse, der Einladung nach Wien zu folgen,
schließlich wurden Flug und Unterbringung bezahlt.
Anwesend am 27. Oktober 1995 im Wiener Luxushotel »Imperial«
waren neben uns beiden Psychiatriebetroffenen ca. 15 Funktionäre
von Elternverbänden (»Angehörige«) aus Kanada,
England, Italien, Deutschland (Frau Fischer und Herr Maaß),
Frankreich und den USA, ein Psychiater und mehrere MitarbeiterInnen
der Firma Zeneca GmbH. Diese will in den nächsten Jahren
mit einem neuen, atypischen Neuroleptikum (vermutlich à la
Leponex, Roxiam oder Risperdal) in den Markt einsteigen. Um dies
vorzubereiten, hatte sie den englischen Psychiater Julian Leff
eingeladen. Dieser referierte darüber, wie gut den Betroffenen
die emotionale Unterstützung der Angehörigen tut, wenn
sie mit Psychiatern kooperieren und darauf achten, dass ihre Kinder
brav die verordneten Neuroleptika dauerhaft einnehmen. Denn wenn
sie eigenmächtig absetzten, käme der Rückfall sofort,
das sei nachgewiesen. An dieser Stelle fragte ich den Herrn, wie
er denn einen »Rückfall« von einer Absetz-, Rebound-,
Supersensitivitäts- oder tardiven Psychose unterscheide.
Er antwortete darauf, die Betroffenen, von denen der geredet habe,
würden alle Neuroleptika nehmen, niemand würde absetzen.
Mir reichte diese Antwort, um auf weitere Diskussionen mit ihm
zu verzichten. Die ElternvertreterInnen allerdings lauschten ihm
weiter mit großen Ohren. Überhaupt war es beeindruckend
mitzuerleben, wie heiter und beschwingt sie auf das Angebot von
Zeneca reagierten, sie logistisch (und vor allem finanziell) darin
zu unterstützen, sich verstärkt zu organisieren und
ihren Druck auf Regierungen zu bündeln, um noch mehr Gelder
für genetische Forschung und biologische (d.h. auf der Verabreichung
von Psychopharmaka und Elektroschocks basierende) Psychiatrie
bereitzustellen. Dies war insgesamt der Sinn des Treffens. Schätzungsweise
100.000 DM hatte Zeneca aufgewendet, um die Handvoll straff organisierter
US-VertreterInnen sich gegenseitig erzählen zu lassen, wie
sie zu einem starken Verband von Eltern psychiatrisierter Kinder
wurden. Die US-VertreterInnen gaben einen prima Einblick in ihr
Vorgehen: nur eine Meinung würde zugelassen, und diese würde
auf allen Ebenen einheitlich vertreten. Diese Haltung empfahlen
sie auch den anderen. Hier hatte ich allerdings den Eindruck,
dass diese Empfehlung überflüssig war, denn auch bei
der europäischen Elternvertretung EUFAMI haben Eltern mit
psychiatriekritischer Haltung nichts zu melden.
Am Schluss fragten
dann die zuvorkommenden Zeneca-VertreterInnen, wie ihre Firma die Interessen der
anwesenden VerbandsvertreterInnen unterstützen könne. Ich bat um 50.000
DM zur Finanzierung des Kongresses zum Thema »Menschenrechte und Selbsthilfe«,
den der Bundesverband gemeinsam mit dem Forum Anti-Psychiatrischer Initiativen
e.V. dieses und letztes Jahr mangels Geld nicht ausrichten konnte. Dafür
sei leider kein Geld da, meinte der Zeneca-Obmann, und einige Eltern schauten
mich böse ob meiner Frage an.
Ich wollte dann eigentlich noch fragen,
wie sich die Ideologie der anwesenden PsychiatriebefürworterInnen hinsichtlich
der Genforschung in der Psychiatrie von der Vererbungsideologie unterscheidet,
die im Nationalsozialismus im psychiatrischen Massenmord endete. Der Blick auf
die ElternvertreterInnen, die schon bei meiner Frage nach Geld für den Menschenrechts-
und Selbsthilfekongress so beredt geschwiegen hatten, ließ mich meine quatrologische
Frage glatt vergessen. Aber vielleicht kann sich ja Herr Dörner, Mitglied
des Beirats des »Bundesverbands der Angehörigen psychisch Kranker«,
gelegentlich hierzu äußern.
Ich hatte im Vorfeld der Veranstaltung
angeboten, von den Ergebnissen der Umfrage zu berichten, die wir gemeinsam mit
der Zeitschrift Sozialpsychiatrische Informationen zum Thema Qualitätseinführung
und -sicherung in der Psychiatrie durchführten. Dies interessierte allerdings
niemanden. Letztlich stellte sich insgesamt heraus, dass wir beiden Psychiatriebetroffenen
auf dem Treffen störten. Der Zenecavertreter versprach zwar eine neue Einladung
zum nächsten Treffen: Aber offenbar wollen die im »Angehörigenverband«
organisierten Eltern ihre unfolgsamen Kinder ohne störendes Dazwischenreden
in der Psychiatrie und unter Psychopharmaka haben Fortsetzung des normalen
Familienkriegs.
Copyright by Peter Lehmann 1996