Vorwort von Peter Lehmann
In diesem Buch geht es darum, Patientinnen und Patienten in die Lage
zu versetzen, selbstbestimmt zu entscheiden, ob sie vorgeschlagene neue
Antidepressiva und atypische Neuroleptika einnehmen oder sich moderne
Elektroschocks verabreichen lassen wollen oder lieber nicht. Und welche
Alternativen bestehen sollten sie überhaupt eine Behandlung wünschen
bzw. nach ihrer Meinung gefragt werden. Neben den direkt Betroffenen spricht
dieses Buch auch alle anderen Personengruppen an, die mit dieser Thematik
zu tun haben, seien es Angehörige, Ärzte, Pharmakologen, Pfleger, Psychotherapeuten,
Genesungsbegleiter, Sozialarbeiter, Juristen, Journalisten, Politiker
oder Funktionäre von Krankenkassen.
Aus Gründen einer leichteren Lesbarkeit verzichten die Autoren mehrheitlich
darauf, in ihren Beiträgen beide Geschlechter einheitlich zu berücksichtigen,
und entschieden sich für die traditionelle Verwendung der deutschen Sprache.
Dafür verweigern sie sich der üblichen Praxis, was Literaturangaben betrifft:
Statt nur die Initialen der Vornamen von Autorinnen und Autoren zu nennen,
geben sie deren vollständige Vornamen wieder und machen damit die männliche
Dominanz in der herrschenden Wissenschaft deutlich.
Die Behandlungsrichtlinien von Psychiaterverbänden setzen den aufgeklärten
Patienten voraus. Dieser kennt die Risiken und Alternativen der Behandlung
ebenso wie die Ergebnisse der Untersuchungen seines körperlichen Gesundheitszustands.
Bestimmte Kontrolluntersuchungen (Monitoring) werden vor Beginn einer
Verabreichung von Elektroschocks oder Psychopharmaka vorgenommen, ebenso
nach gewissen Zeitabständen fortwährender Psychopharmaka-Behandlung, um
sich entwickelnden chronischen oder lebensbedrohlichen Schäden frühzeitig
auf die Spur zu kommen. Der aufgeklärte Patient kennt die Bedeutung von
Symptomen, die auf solche behandlungsbedingte Schäden hinweisen. Hierzu
gehören Herzrhythmusstörungen, Diabetes (Zuckerkrankheit), Blutbildveränderungen,
Geschwulstbildungen, Augenerkrankungen und vieles mehr. Die Betroffenen
selbst entscheiden, ob sie die Psychopharmaka oder Elektroschocks verabreicht
haben wollen.
Die Wirklichkeit sieht anders aus. In aller Regel lässt die Aufklärung
zu wünschen übrig. Patientinnen und Patienten wird eine umfassende Aufklärung
über die Risiken der Behandlung vorenthalten. Sie werden nicht über Behandlungsalternativen
informiert, nicht über die Bedeutung der Befunde, die in Kontrolluntersuchungen
erhoben werden wenn sie überhaupt geschehen , nicht über
Probleme beim späteren Absetzen der verordneten Psychopharmaka. Eine Verabreichung
von Medikamenten und sonstigen medizinischen Anwendungen gilt allgemein
als Körperverletzung. Die Strafbarkeit entfällt erst durch die informierte
Zustimmung.
Die ohne informierte Zustimmung erfolgte psychiatrische Anwendung, die
eventuell Folgeschäden nach sich zieht, gilt nicht als Offizialdelikt,
das heißt als Straftatbestand, der von Amts wegen staatsanwaltschaftliche
Ermittlungen auslöst. Trotz der erheblichen, zum Teil sehr häufig auftretenden
Gesundheitsschäden durch Psychopharmaka und Elektroschocks, wie sie die
Hersteller und Anwender in ihren internen Verlautbarungen und Beipackzetteln
eingestehen und die Thema dieses Buchs sind, sehen staatliche Organe keine
Notwendigkeit einzugreifen, auch nicht angesichts der im Vergleich zur
Durchschnittsbevölkerung hohen Sterblichkeitsrate psychiatrischer Patientinnen
und Patienten egal, ob man sie auf deren schlechte Lebensbedingungen
zurückführt oder auf die gesundheitlichen Belastungen durch Psychopharmaka
und Elektroschocks.
Ohne eine Beweislastumkehr sind die potenziell Geschädigten aus vielfältigen
Gründen nahezu chancenlos, Schadenersatzansprüche und Schmerzensgeld durchzusetzen.
Eine Umkehr der Beweislast hieße, dass beispielsweise um die Chance
auf Schmerzensgeld zu erhöhen bei einem Behandlungsschaden nicht
der Patient nachweisen müsste, dass der Schaden einzig durch die Behandlung
verursacht wurde und dass eingangs keine umfassende Aufklärung über Risiken
und Alternativen der Behandlung stattfand. Statt dessen müsste der Verabreicher
von Psychopharmaka oder Elektroschocks nachweisen, dass aufgetretene Schäden
nicht durch seine Behandlung verursacht wurden und er umfassend aufgeklärt
hat.
Wie Arno Deister, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie
und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), mitteilte,
seien in Deutschland innerhalb eines Jahres mittlerweile über 27 % der
Erwachsenen von Depressionen, Angststörungen und weiteren psychischen
Leiden betroffen, bei den Ursachen für Krankschreibungen und frühzeitige
Berentungen stünden psychische Erkrankungen ganz vorn. Dies wirke sich
auf fast alle Lebensbereiche aus Familie, Partnerschaft, soziales
Umfeld und Arbeit. Oft komme es zu Chronifizierungen und Frühberentungen
(2017). In Österreich und der Schweiz dürften die Zahlen ähnlich sein.
Dass psychische Probleme gravierendes Leid bereiten können, steht außer
Frage. Die Betroffenen können alles verlieren, was ihnen lieb und wichtig
ist: das Sorgerecht für ihre Kinder, ihre Freundinnen und Freunde, die
Wohnung, die Arbeit, den Studienplatz, Besitz und Vermögen. Sie können
verwahrlosen, sich und andere quälen und schließlich das Selbstbestimmungsrecht,
die Freiheit, die Lebensfreude und das Leben selbst verlieren. Umso wichtiger
ist es, dass eine medizinische Behandlung, beispielsweise die Verordnung
von Psychopharmaka, die Probleme nicht noch verschärft. Welch zentrale
Rolle bei der Verstärkung und Chronifizierung psychischer Probleme die
in steigender Zahl verabreichten neuen Antidepressiva und atypischen
Neuroleptika sowie moderne Elektroschocks spielen, welche körperliche
Leiden sie zusätzlich schaffen, welche Abhängigkeits-, Entzugs- und Absetzprobleme
sie hervorrufen und wie man die Risiken und Schäden kleinzureden versucht,
ist Thema des ersten Beitrags. Da in der Regel Ärzte die Verabreichung
ihrer Psychopharmaka und Elektroschocks als alternativlos darstellen,
endet der Beitrag mit Beispielen überprüfter humanistisch orientierter
Alternativen sowie einer Vielfalt von Hilfen, die gutwillige Ärztinnen
und Ärzte schon heute in einzelnen psychiatrischen Kliniken anbieten
jenseits von Pharmazie und Elektrotechnik.
Marc Rufers Auseinandersetzung mit dem Placebo-Effekt gibt Aufschluss
darüber, wie Menschen auf therapeutische Maßnahmen reagieren und wie sehr
die Psyche vermeintlich rein biologische Wirkungen bestimmt: Der Glaube
ist entscheidend, die Überzeugung, die Hoffnung auch, etwas Wirkungsvolles
eingenommen zu haben. Das gilt für Medikamente genauso wie für Placebos.
So ist es praktisch unmöglich, Placebo-Effekte und erwartete therapeutische
Wirkungen auseinanderzuhalten. Die Resultate von zulassungsorientierten,
placebokontrollierten Studien mit Psychopharmaka sind deshalb äußerst
fragwürdig. Patientinnen und Patienten sind gut beraten, wenn sie mit
Skepsis auf »evidenzbasierte Wirksamkeitsstudien« reagieren,
sollten Ärztinnen und Ärzte sie zur Akzeptanz ihrer Psychopharmaka verleiten
wollen.
Von Josef Zehentbauer folgen in langer Praxis erprobte
Hilfestellungen, die Allgemeinärzte Menschen mit ernsten psychischen Problemen
geben können, angefangen von naturheilkundlichen Mitteln über Ratschläge
zur Ernährung und zur Mobilisierung körpereigener Drogen bis hin zu psychotherapeutischen
Gesprächen und der Ermutigung, sich im Selbsthilfebereich zu engagieren
und Selbstverantwortung zu übernehmen.
Große Bedeutung hat die Minimaldosierung von Neuroleptika, wenn Menschen
mit ernsten psychischen Problemen in ihrer derzeitigen Lebenssituation
nicht ohne Psychopharmaka zurechtkommen oder diese nicht mehr vollständig
absetzen können. Angesichts des häufig schlechten körperlichen Zustands
psychiatrischer Patientinnen und Patienten sind hierbei Kontrolluntersuchungen
wichtig. Psychiatrisch Tätige, Patientinnen und Patienten und ihnen Nahestehende
sollten solche Untersuchungen kennen, um Risiken einigermaßen in Grenzen
halten und bei ersten Anzeichen sich entwickelnder Schäden frühzeitig
Konsequenzen ziehen zu können. Sollte aus welchen Gründen auch immer die
Verabreichung oder Einnahme von Neuroleptika unumgänglich sein, ist angesichts
des fortbestehenden Trends zu höheren Neuroleptika-Dosierungen, auf den
beispielsweise seit Jahren im »Arzneiverordnungs-Report« hingewiesen
wird, ein Appell an die Vernunft notwendiger denn je unterlegt
von all den psychiatrischen Studien, die den fehlenden Nutzen der üblichen
Dosierungen aufzeigen.
Im letzten Beitrag folgen Ratschläge für Menschen, die sich Gedanken
machen, ihre Psychopharmaka abzusetzen. Hierzu zählt der Rat, den Entschluss
zum Absetzen sorgfältig zu durchdenken, nichts zu überstürzen, gerade
bei längerer Einnahmezeit schrittweise vorzugehen, sich über Entzugs-
und Absetzprobleme sowie bewährte Maßnahmen zu ihrer Minimierung zu informieren
und sich im Anschluss auch mit dem Sinn der Depression oder Psychose auseinanderzusetzen,
um nicht blind in die nächste Krise zu stolpern.
Mit Volkmar Aderhold, Marc Rufer und Josef Zehentbauer ist es mir gelungen,
drei hochkarätige Mitautoren für dieses Buch zu gewinnen. Wir sie
als professionell tätige Ärzte und ich im Selbsthilfebereich weisen
grob geschätzt zusammen 150 Jahre Praxiserfahrung auf: Erfahrung in der
Praxis, Menschen zu helfen, ernste psychische Krisen ohne den Einsatz
riskanter Psychopharmaka zu bewältigen und den Weg aus den therapeutischen
Sackgassen zu finden, in die sie Mainstream-Psychiater mit großem finanziellen
Aufwand hineinmanövrierten.
An dieser Stelle bedanke ich mich auch bei Peter Ansari, Paul Göbel,
Iris Heffmann, Bernd Holdorff, Margret Osterfeld, Peter Stastny und Reinhard
Wojke, die mit Anregungen, medizinischen Erläuterungen, Übersetzungshilfen,
Korrekturen und Unterstützung in EDV-Fragen wesentlich zum Gelingen dieses
Buchs beigetragen haben.
Geleitwort von Andreas
Heinz
Volkmar Aderhold, Peter Lehmann, Marc Rufer und
Josef Zehentbauer legen ein umfangreiches und kritisches Buch
zu Wirkmechanismen und unerwünschten Wirkungen der derzeit gängigen
medikamentösen und neurobiologisch orientierten Therapieverfahren
in der Psychiatrie vor. In vielen Bereichen ist das Urteil über
diese Verfahren, zumindest was ihre länger dauernden Auswirkungen
betrifft, ausgesprochen negativ. Wer als professionell in diesem
Bereich tätige Person dieses Buch liest, mag an vielen Stellen
widersprechen wollen. Gibt es nicht eine Vielzahl von Patientinnen
und Patienten, die durch diese Therapieansätze eine deutliche
Besserung, wenn nicht gar Beschwerdefreiheit erreicht haben? Dieser
Einwand hilft allerdings weniger, als man denken könnte, denn
zurecht gehen die Autoren auch auf den Placebo-Effekt ein, der
ja jede Therapie, von der die professionell Behandelnden überzeugt
sind, bereits mit positiven Auswirkungen versieht, ganz unabhängig
davon, was deren eigentliche Wirkmechanismen auslöst. Gerade deshalb
ist die Auseinandersetzung mit dem hier vorliegenden Buch so wichtig.
Mit großer Sorgfalt haben die Autoren eine Vielzahl
von Befunden und kritischen Berichten zusammengetragen, die einen
umfassenden Überblick über die unerwünschten Wirkungen und die
Kritik am Einsatz der genannten Verfahren ermöglichen. Selbst
wenn man an dieser oder jener oder auch an vielen Stellen mit
den Schlussfolgerungen der Autoren nicht übereinstimmt, ist es
für therapeutisch Tätige entscheidend, diese Befunde und Bedenken
zu kennen. Dies umso mehr, als diese Therapieansätze auch bei
Patientinnen und Patienten zum Einsatz kommen, die aufgrund einer
Selbstgefährdung mit drohendem erheblichem Gesundheitsschaden
und bei mangelnder Einsicht in ihre Gefährdung gegen ihren aktuell
geäußerten Willen mit solchen Verfahren behandelt werden.
Aber auch jenseits dieser kontrovers diskutierten
Situationen ist es essentiell, dass die Patientinnen und Patienten
über die kurz- wie langfristigen unerwünschten Wirkungen der Therapieverfahren
ebenso aufgeklärt werden wie über widersprüchliche Befunde zur
kurz- und langfristigen Wirksamkeit und den Wirkmechanismen dieser
Therapieverfahren.
Dies gilt natürlich nicht nur für den Bereich der
Psychiatrie und Psychotherapie, sondern für die gesamte Medizin.
So finden sich die von den Autoren zurecht betonten Absetzsymptome
nach Verordnung von Neuroleptika oder Antidepressiva auch nach
dem Absetzen (»Entzug«) einer Vielzahl weiterer chronisch
verordneter Medikamente, beispielsweise beim Absetzen bestimmter
Antihypertensiva (Medikamente zur Behandlung eines Bluthochdrucks)
bis hin zu lebensbedrohlichen kardiovaskulären Komplikationen.
Diese Absetz- oder Entzugssymptome wecken bei vielen Betroffenen
die Sorge, dass sich eine Abhängigkeitserkrankung ausgebildet
hat. Aus medizinischer Sicht ist allerdings der Begriff der Abhängigkeitserkrankungen
für Suchterkrankungen reserviert, die nur dann diagnostiziert
werden sollten, wenn zusätzlich zu Absetz- bzw. Entzugssymptomen
auch ein starkes Verlangen nach der Substanz (dem Medikament oder
der Droge) und eine Kontrollminderung im Umgang damit gegeben
ist. Letzteres ist bei Morphium und Benzodiazepinen der Fall,
bei Antidepressiva und Neuroleptika aber nicht. Auch wenn hier
also aus medizinischer Sicht keine Suchterkrankung vorliegt, ist
die Kenntnis der substanzeigenen Absetzsymptome sehr wichtig,
wenn es darum geht, Patientinnen und Patienten beim Absetzen kompetent
zu begleiten.
Mit der Lektüre des Buches stellt sich die Frage
nach den praktischen Auswirkungen der hier vorliegenden Kritik.
Zum einen verweist der vorliegende Band mit Recht auf die Notwendigkeit,
beim Absetzen der Medikamente vorsichtig vorzugehen und diese
langfristig schrittweise zu reduzieren, um unerwünschte Wirkungen
inklusive des gegebenenfalls erhöhten Risikos des Wiederauftretens
der Grunderkrankung zu vermeiden. Da bereits jetzt sehr viele
Patientinnen und Patienten ihre Medikation absetzen, meist eher
plötzlich, sind diese Hinweise ausgesprochen wichtig. Für diejenigen,
die erfolgreich mit den zur Verfügung stehenden Medikamenten behandelt
werden, ist die Information über erwünschte und unerwünschte Wirkungen
der Medikamente hoch relevant, um eine informierte Entscheidung
treffen zu können.
Alle Therapeutinnen und Therapeuten auch
die, die mit den im Buch geäußerten Einschätzungen nicht übereinstimmen
sind damit aufgerufen, sich mit diesen Studien auseinanderzusetzen,
weitere Erfahrungen und Studien in die Diskussion einzubeziehen
und den Patientinnen und Patienten ein informiertes Bild über
die Behandlungsmöglichkeiten und ihre Auswirkungen inklusive der
in diesem Band zusammengestellten kritischen Befunde zu ermöglichen.
Dies ist auch ein wichtiger Bestandteil der Entscheidung bei Vorausverfügungen
für krisengefährdete und ältere Menschen, damit diese ihr Recht
auf eine selbstbestimmte angemessene Behandlung wahrnehmen und
verteidigen können, auch gegen die Zwänge einer zunehmenden Ökonomisierung
des Gesundheitswesens.
Dies gilt gerade in Zeiten, in denen in vielen Industrienationen
die sozialen Netzwerke und die Gesundheitsversicherungen für einen
Großteil der Bevölkerung nicht garantiert sind und die Alternative
zu einer überfürsorglichen oder paternalistischen Gesundheitsversorgung
die Vernachlässigung, Obdachlosigkeit und gegebenenfalls Inhaftierung
eines großen Teils der psychisch kranken Bevölkerung ist, wie
sich das in Studien zum Abbau psychiatrischer Leistungen und zur
gleichzeitigen Erhöhung der Zahl der Gefängnisinsassen zeigt.
Die Alternative zu einer zu breiten und unkritischen Medikamentenverordnung
ist nicht der Abbau gesundheitlicher Versorgungsleistungen, sondern
der Aufbau ausführlicher Informationsstrukturen inklusive der
Garantie der dafür notwendigen Personalressourcen. Dies gilt für
Arztpraxen ebenso wie für Krankenhäuser, für ambulante multiprofessionelle
Teams, die derzeit noch unzureichend finanziert sind, für psychotherapeutische
Angebote, die für Menschen mit schweren psychischen Störungen
meist nicht zugänglich sind, für Selbsthilfegruppen und EX-INler
wie für Informations-, Beratungs- und Beschwerdestellen. Medikamente
können ein ausgesprochen wichtiger und hilfreicher Bestandteil
eines psychosozialen Behandlungsplans sein, wenn die Vor- und
Nachteile einer solchen Therapie sorgfältig von den Betroffenen
abgewogen werden können, wozu die ausführliche Information durch
Professionelle ebenso gehört wie soweit von den Betroffenen
gewünscht die Einbeziehung der Angehörigen und Freunde.
Für diese Information stellt das vorliegende Buch einen ebenso
kritischen wie ausgesprochen wichtigen Beitrag dar.
Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Heinz, Charité,
Berlin, im Juli 2017
Andreas Heinz. Dr. med., Direktor der Klinik und Professor
für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité Berlin. 2018-2019
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie,
Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). |
Geleitwort von Peter
& Sabine Ansari
Peter Lehmann ist der renommierteste Psychiatrie-Kritiker
im deutschsprachigen Raum, und das bereits seit mehr als 35 Jahren.
Als er 1980 anfing, speziell die Wirkungsweise und unerwünschten
Wirkungen von Neuroleptika offenzulegen, wurde er mit harten Bandagen
bekämpft. Niemand wollte ihm zuhören. Um gedruckt zu werden, musste
er einen eigenen Verlag gründen. Jahre später waren seine Bücher
in mehrere Sprachen übersetzt und gelten heute als Standardwerke
der kritischen Psychiatrie. Zwischenzeitlich hat Lehmann einen
Ehrendoktortitel und anschließend das Bundesverdienstkreuz erhalten.
Aber es gibt immer noch Kritiker, die seine Einwände
nur für die älteren Antidepressiva und Neuroleptika gelten lassen
wollen. Neuere Psychopharmaka seien viel besser verträglich und
hätten gar nicht dieselben schweren Nebenwirkungen. Wie wenig
Wahrheit hinter dieser Behauptung steckt, hat Peter Lehmann in
seinem neuen Werk herausgearbeitet. In akribischer Kleinarbeit
hat er sich die neueren Antidepressiva und Neuroleptika einzeln
vorgeknöpft und beschrieben, für welche Indikationen sie eingesetzt
werden, aber vor allem auch, welche unerwünschten Wirkungen während
der Behandlung mit jedem einzelnen Medikament zu erwarten sind.
Die Leserinnen und Leser können dadurch prüfen,
ob die Symptome, unter denen sie leiden, von dem Medikament verursacht
werden. Sie können mit dieser Information dem von ärztlicher Seite
häufig geäußerten Argument »Sie haben aufgrund Ihrer Grunderkrankung
Schwindelgefühle, Unruhezustände, Übergewicht etc.« selbstbewusst
entgegentreten.
Neuere Langzeitstudien haben gezeigt, dass Menschen,
die dauerhaft Psychopharmaka einnehmen, früher sterben und seltener
selbstbestimmt an der Gesellschaft teilhaben als diejenigen, die
sich nach einer Krise gegen eine dauerhafte Einnahme von Psychopharmaka
entschieden haben.
An der Verbreitung dieses Wissens sind im deutschsprachigen
Raum seit Jahrzehnten die beiden Ärzte Marc Rufer und Josef Zehentbauer
sowie der Psychiater Volkmar Aderhold stark beteiligt. Jeder der
vier Autoren engagiert sich seit vielen Jahren für eine angemessene
und wirksame Hilfe für Menschen in psychosozialen Krisen und für
selbstbestimmte Hilfe beim Absetzen.
So endet das Buch mit dem wichtigen Absetzkapitel,
in dem die Autoren warnen, dass es nach jahrelangem Gebrauch keinesfalls
leicht ist, die Psychopharmaka abzusetzen. Nicht allen gelingt
der Entzug und für manche Neuroleptika-Patientinnen und -Patienten
ist es einfacher, eine weiterhin minimaldosierte Wirkstoffmenge
einzunehmen, als das Mittel vollständig abzusetzen.
Absetzen ist ein sehr ernstes Thema, viele »Rückfälle«
oder sogar psychiatrische Lebenskarrieren lassen sich auf einen
schlecht informierten Umgang mit Psychopharmaka zurückführen.
Wer diese Substanzen über einen längeren Zeitraum eingenommen
hat, verändert dadurch seine Gehirnbiochemie. Durch Anpassungsvorgänge
im Gehirn erhöht sich beim Absetzen das Risiko, erneut eine Krise
zu erleiden. Wir wissen aus Erfahrung mit unseren Patientinnen
und Patienten, wie wenig sie über Wirkungen und Risiken der Psychopharmaka
aufgeklärt werden. Dieses Buch liefert ihnen aber auch
Ärzten, Therapeuten und Angehörigen eine wertvolle Zusammenstellung
all der Informationen, die für eine selbstbestimmte Therapie benötigt
werden.
Dr. Peter Ansari und Sabine Ansari, Coppenbrügge, im
Juli 2017
Peter Ansari. Doktor der Humanbiologie, hat in Hamburg und
Berlin in der Gehirnforschung gearbeitet und zehn Jahre über
Depressionen geforscht. Gemeinsam mit seiner Frau betreibt er
eine psychotherapeutische Praxis. Sabine Ansari ist Sprecherzieherin
und war beim Südwestrundfunk als Fernsehmoderatorin tätig.
Heute arbeitet sie als Heilpraktikerin bei Hannover. Gemeinsame
Buchveröffentlichung: »Unglück auf Rezept
Die Antidepressiva-Lüge und ihre Folgen« (2016). |
Interview
von Peter Ansari mit Peter Lehmannund Antworten auf diese
Fragen: "Warum hast du das Buch geschrieben? Finden sich nicht
alle wichtigen Informationen in den Beipackzetteln der Medikamente?"
"Was rätst du Patienten, die nach einem sehr kurzen
Gespräch die Arztpraxis mit einem Rezept über ein Psychopharmakon
verlassen?" "Du giltst als Kritiker von Psychopharmaka,
dennoch hat Deutschlands oberster Psychiater Professor Andreas Heinz
ein Geleitwort zu deinem Buch geschrieben, wie kam es dazu?"
"Wann hast du mit der Arbeit an dem Buch begonnen und
gab es eine bestimmte Situation, die dich dazu motiviert hat?"
"Du beschäftigst dich seit über 40 Jahren
mit den Entwicklungen in der Psychiatrie. Was hat sich verändert?
Wo siehst du Gefahren, wo siehst du Chancen?" "Was
sind deine aktuellen Pläne? In welchen Projekten kann man Dich
unterstützen?" "Was würdest du einem
Patienten raten, der das Gefühl hat, etwas stimmt nicht mit
ihm?"
Wirkstoffe und aktuelle Handelsnamen
in Deutschland, Österreich und der Schweiz (Stichtag: 17.
Februar 2023)
Neue Antidepressiva
Agomelatin: Agomelatin, Thymanax, Valdoxan
Bupropion: Bupropion, Elontril, Wellbutrin, Zyban; enthalten
in Mysimba
Citalopram: Cipramil, Citalon, Citalopram, Citalostad, Claropram,
Pram, Seropram
Dapoxetin: Priligy
Desvenlafaxin: Desveneurax
Duloxetin: Cymbalta, Dulasolan, Duloxetin, Duloxgamma, Yentreve
Escitalopram: Cipralex, Escitax, Pramulex
Fluoxetin: Felicium, Fluctine, Fluoxetin, Flux, Fluxomed,
Mutan
Fluvoxamin: Fevarin, Floxyfral, Fluvoxamin
Milnacipran: Milnacipran, Milnaneurax
Mirtazapin: Mirtabene, Mirtazapin, Mirtel, Remergil, Remeron
Paroxetin: Deroxat, Ennos, Paronex, Paroxat, paroxedura,
Paroxetin, Seroxat
Reboxetin: Edronax
Sertralin: Adjuvin, Sertragen, Sertralin, Tresleen, Zoloft
Tianeptin: Stablon, Tianesan, Tianeurax
Venlafaxin: Efectin, Efexor, Trevilor, Venlafab, Venlafaxin,
Venlagamma, Venlax
Vortioxetin: Brintellix
»Atypische« Neuroleptika (Antipsychotika)
Amisulprid: Amisu, Amisulprid, Amisulpride, Solian
Aripiprazol: Abilify, Arileto, Arpilif, Aripipan, Aripiprazol
Asenapin: Sycrest
Brexpiprazol: Rexulti
Cariprazin: Reagila
Clozapin: Clopin, Clozapin, Leponex
Loxapin: Adasuve
Lurasidon: Latuda
Olanzapin: Olanpax, Olanzapin, Zalasta, ZypAdhera, Zyprexa
Paliperidon: Invega, Paliperidon, Trevicta, Xeplion
Quetiapin: Quentiax, Quetialan, Quetiapin, Sequase, Seroquel
Risperidon: Okedi, Risperdal, Risperidon
Sertindol: Serdolect
Sulpirid: Dogmatil, Sulpirid, Sulpivert
Ziprasidon: Zeldox, Ziprasidon
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