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gekürzt veröffentlicht in: Rundbrief des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener e.V. (BRD), 2015, Nr. 2, S. 16. Und in: Leuchtfeuer – Journal des Landesverband Psychiatrie-Erfahrene Rheinland-Pfalz e.V. (Trier), 2015, Ausgabe 19, S. 4. Letztes Update am 28.1.2024

Peter Lehmann

Nachruf auf Klaus Laupichler

Am 16. April 2015 ist Klaus Laupichler, langjähriges Vorstandsmitglied im Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener (BPE), im Alter von gerade mal 61 Jahren nach einem Herzinfarkt gestorben. Klaus erlitt das Schicksal so vieler psychiatrischer Patienten: ein um durchschnittlich zwei Jahrzehnte verkürztes Leben aufgrund einer prekären Lebensweise und der damit verbundenen besonders schädlichen Psychopharmakawirkungen auf das Herz, andere Organe und den Stoffwechsel. Klaus' statistische Lebenserwartung lag bei 81 Jahren. Nicht gerade ein Spargeltarzan, wusste er um seine Gefährdung. Als wir uns anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie (DGSP) in Bremen im November 2014 das letzte Mal sahen, sprachen wir über die Frage des Absetzens von Psychopharmaka und die enormen Risiken, die insbesondere mit Übergewicht einhergehen. Für Klaus kamen seine Bedenken zu spät.

Ich weiß nicht mehr, wann sich unsere Wege das erste Mal kreuzten. Ich weiß nur noch, dass von Anfang an Vertrautheit zwischen uns bestand, sicher gefördert durch unseren ähnlichen schwäbischen Dialekt. Es war vor allem die Klarheit, mit der er sprach, ebenso seine Warmherzigkeit, Bescheidenheit und Zugewandtheit. Schickte ich ihm Entwürfe zu Artikeln über Psychiatriereform und Zwangsbehandlung, reagierte er postwendend mit hilfreichen Ergänzungsvorschlägen. Zum Beispiel bei »Blinde Flecken in der sozialpsychiatrischen Wahrnehmung« (2000) bot er an, Heimträger bei rechtsverletzenden Passagen in Heimverträgen durch Verbraucherschutzverbände abmahnen zu lassen; meine »Stellungnahme beim Arbeitskreis 'Zwangsmaßnahmen in der psychiatrischen Versorgung' der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer« (2012) gegen das psychiatrische Sonderrecht auf Gewaltanwendung unterstützte er mit konstruktiven Empfehlungen.

Seit 2009 arbeitete Klaus als Peer-to-Peer-Berater (Betroffene beraten Betroffene) am Klinikum Heidenheim, das von Martin Zinkler geleitet wird. Es ist die einzige mir bekannte psychiatrische Einrichtung, die eine stationäre Unterstützung beim Absetzen von Neuroleptika und Antidepressiva anbietet; auch die einzige Klinik, die mich jemals einlud, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu den Möglichkeiten und Problemen beim Absetzen psychiatrischer Psychopharmaka fortzubilden. Aktiv war Klaus auch als Vorsitzender des Landesverbands Psychiatrie-Erfahrener Baden-Württemberg sowie als Mitglied des Landesverbands Psychiatrie-Erfahrener Rheinland-Pfalz, der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Soteria und im erweiterten DGSP-Vorstand.

Auch als Mitglied im Geschäftsführenden Vorstand des BPE hielt er sich nicht für einen Besserwisser, der anderen vorschreiben will, was sie zu denken haben. – Und er war ein Dickschädel, der sich von niemanden mehr etwas vorschreiben lassen wollte. Ohne diese Festigkeit hätte er sicher nie den Weg geschafft aus einem Chronikerheim zurück in sein Leben. Am 9. August 2015 sendete der Westdeutsche Rundfunk einen Beitrag, in dem er kritisierte, wie allen Inklusionsbeteuerungen zum Trotz hierzulande nach wie vor arme, kranke, behinderte und störende Menschen von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen sind. Klaus war für diese Sendung interviewt worden und hatte auf das Trauerspiel der Abschiebung psychiatrischer Patientinnen und Patienten in Heime aufmerksam gemacht:

»Von da aus hört man nichts mehr von ihnen, und da sind sie eigentlich abgeschoben bis zum Tod. Und ich habe so das Gefühl, dass dies die Vergessenen sind und dass man die vor Ort mit Medikamenten so abfüllt, dass sie ruhig sind.« (Redebeiträge [33:15-35:05, 38:35-39:05] in: Hans-Volkmar Findeisen, Deutsche Inklusionslandschaften – Über das Versprechen der Gleichheit, WDR-Rundfunkfeature vom 9. August 2015)

Klaus Lebenskraft und Widerständigkeit nötigten mir großen Respekt ab. Bis heute lernte ich keinen anderen Psychiatriebetroffenen kennen, der aus dem Chronikerheim wieder rausgekommen war.

Seine Dickschädeligkeit, die ihn vermutlich in die Psychiatrie, aber auch raus aus dem Heim geführt hatte, wurde Klaus auch im BPE zum Verhängnis. Er eignete sich nicht als Manövriermasse für Vorstandstaktiken. Irgendwann 2008 muss er ausgerastet und vom Jähzorn gepackt worden sein und gegen seine Vorstandskolleginnen und -kollegen wilde Drohungen ausgestoßen haben – die Kehrseite so manch eines Mannes mit sanftem Gemüt, die aufmerksamen Menschen sicher bekannt ist. Das fortwährende Herunterschlucken von Wut und Zorn kann gelegentlich zu Zornesausbrüchen führen. Außerhalb der eigenen vier Wände ist dies vor allem für Männer ein riskantes Unterfangen, da das Zeigen von Gefühlen oft mit Schwäche gleichgesetzt wird.

»Im Zorn wird etwas in uns aufgerissen – nämlich die Daunendecke der Vernunft –, und die Verbundenheit des Menschen mit seiner Tiernatur wird spürbar. (...) Der plötzlich heftig ausbrechende Zorn kann nicht mehr zurückgehalten werden. Es gibt die Auslöser, die ihn hervorbringen. Es gibt die temperamentvolle Veranlagung dazu. Der Jähzorn kann aus einem Menschen herausbrechen wie die Lava eines Vulkans aus der Erde. Wenn die innere Gefühlsspannung zu groß wird, die betroffene Person keine Möglichkeit hat, mit ihren Gefühlen gut genug umzugehen, bricht der Zorn jäh aus ihr heraus. Zu viel ist zu viel.« (Theodor Itten: Jähzorn – Psychotherapeutische Antworten auf ein unkontrollierbares Gefühl, Berlin / Heidelberg: Springer Verlag, 2., überarbeitete Auflage 2015, S. VII / IX)

Eigentlich sollte gerade unter Psychiatriebetroffenen das Phänomen des Überwältigtwerdens von den eigenen, unterdrückten Gefühlen bekannt sein. Dennoch entschuldigte sich Klaus für seine Entgleisung, die Drohungen seien niemals ernst gemeint gewesen. Doch obwohl seine Entschuldigung von Matthias Seibt, dem Leiter der BPE-Geschäftsstelle, mit Dank angenommen wurde und dieser es wieder für möglich erachtete, miteinander zu reden (nachzulesen im BPE-Mitgliederrundbrief Nr. 3/2008, S. 19), sah sich Klaus bei der BPE-Mitgliederversammlung im Oktober desselben Jahres in Kassel einer beispiellosen Attacke ausgesetzt. Als er sich als Kandidat für den Vorstand vorstellte, wurde er vom BPE-Geschäftsstellenleiter und den für ihre Wiederwahl kandidierenden Dagmar Bartelt-Paczkowski, Reinhild Böhme, Elke Bücher und Doris Steenken sowie Miriam Krücke von der BPE-Geschäftsstelle in einer vorbereiteten Flugblattaktion als unberechenbarer und aggressiver Mann dargestellt, mit dem man absolut nicht zusammenarbeiten könne. Daraufhin zog Klaus seine Kandidatur zurück.

Vier Jahre später nutzte der BPE-Vorstand die Chance, den Dickschädel komplett loszuwerden: Der BPE-Landesverband Baden-Württemberg, dessen Vorsitzender Klaus war, hatte eine Stellungnahme publiziert, die die Anwendung von Zwang und Gewalt in der Psychiatrie »bei krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit« und bei gleichzeitiger schwerwiegender Gesundheitsgefährdung als letztes Mittel rechtfertigte. Statt sich im Januar 2012 in einer Sitzung des BPE-Gesamtvorstands, der Klaus als Vertreter des baden-württembergischen Landesverbands beiwohnte, mit dieser verbreiteten Position, die letztlich die übliche psychiatrische Gewalt rechtfertigt, in konstruktiver Weise auseinanderzusetzen, ohne dass es zu einer Spaltung der Betroffenenbewegung kommt, interessierte Klaus' Meinung nicht mehr. Auf Antrag Doris Steenkens wurde sein formeller Ausschluss aus dem BPE durch Dagmar Bartelt-Paczkowski, Jurand Daszowski, Ruth Fricke, Matthias Seibt und die Antragstellerin unverzüglich und einstimmig vollzogen.

Natürlich sei er, so Klaus später mir gegenüber, gegen Gewalt in der Psychiatrie. Ihm selbst habe die Zwangsunterbringung das Leben gerettet, mit der in seinem Fall freundlichen Behandlung sei eine Wende in seinem Leben eingetreten, zuvor sei es durch Obdachlosigkeit, Mangelernährung, Alkoholmissbrauch, Nikotinabhängigkeit, Hoffnungslosigkeit und Aggressivität bestimmt gewesen. Zwang könne deshalb manchmal auch hilfreich sein, so seine persönliche Erfahrung.

Peter Lehmann, Reinhard Wojke, Klaus Laupichler, Margret Osterfeld, Franz-Josef Wagner Von links: Reinhard Wojke (ehemals Mitglied des BPE), Klaus Laupichler, Margret Osterfeld (ehemals Mitglied des BPE), Franz-Josef Wagner (ehemals Mitglied des BPE) und Peter Lehmann (ehemals Mitglied des BPE) bei der Jahrestagung der Aktion Psychisch Kranke e.V. (»Gleichberechtigt mittendrin – Partizipation und Teilhabe«), Rathaus Schöneberg, Berlin, 6. November 2012

Nun ruht Klaus in Frieden. Im BPE wird weiter gezankt und ausgegrenzt. Andere schütteln darüber vermutlich den Kopf, sofern diese Querelen überhaupt jemanden interessieren.

Viele Mitglieder haben den BPE seither verlassen. Das Fehlen von Klaus, nun unwiderruflich, tut besonders weh.

Berlin, 14. Mai 2015

Weitere Nachrufe für Klaus Laupichler von Rainer Höflacher, Christian Mayer, Norbert Südland, Franz-Josef Wagner

Zinkler, Martin (2015): Nachruf Klaus Laupichler. In: Hilde Schädle-Deininger / Reinhard Peukert / Franz-Josef Wagner (Hg.): »Trialogisches Miteinander – Chance voneinander zu lernen. Zum Gedenken an Klaus Laupichler«, Köln: Psychiatrie Verlag in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie e.V. 2016, S. 155-156

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