Ursula Zingler

Foto von Ursula (Uschi) ZinglerEnde Oktober 1939 wurde ich als drittes und vorletztes Kind meiner Eltern in Erfurt geboren. Im nächsten Jahr bin ich 40 Jahre verheiratet. Ich bin Mutter, zweifache Großmutter und in Teilzeit berufstätig (Korrektorin/Betriebsratsmitglied). 1981/1982 war ich in psychiatrischer Behandlung, ambulant und stationär. Diagnose: Endogene Depression. Das Jahr der Arbeitsunfähigkeit überlebte ich nicht aufgrund der sog. ärztlichen Kunst, sondern weil mein Umfeld zu mir hielt. Vor allem weil ich mich auf die Suche nach den Ursachen meiner "Fehlentwicklung" machte und die Erkenntnisse zur Umorientierung nutzte, konnte ich bis heute einen Rückfall verhindern.

Bei mir und vielen anderen erlebte ich, wie wenig hilfreich die Angebote der herkömmlichen Psychiatrie sind, weshalb ich mich seit 1982 aktiv für eine patientengerechte, eine der/dem Patientin(en) nutzende Psychiatrie – sei es stationär, sei es außerstationär – u. a. in den verschiedensten Gremien einsetze. Da aber nur Mitglieder von Organisationen die Möglichkeit haben, ihre Bedürfnisse an die Politiker heranzutragen und Einfluss zu nehmen, war ich nach vielen Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit als psychiatrieerfahrene Bürgerhelferin 1991 maßgeblich am Zusammenschluss der Psychiatrie-Erfahrenen in Stuttgart zur IPE beteiligt. Während der Feier unseres 10-jährigen Jubiläums habe ich meine Funktion als Sprecherin offiziell in die Hände von Rainer Höflacher gelegt. Die Gründung des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener e.V. 1992 begleitete ich aktiv von der ersten Stunde an und bin bis heute eines der Vorstandsmitglieder. Und mit tatkräftiger Unterstützung der Mitglieder der IPE (Stuttgart) konnte ich 1993 die Landesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener Baden-Württemberg auf den Weg bringen, deren Vorsitzende ich seitdem bin.

Der Dialog ist auf allen Ebenen im Gang. Oft jedoch leider noch zäh, sodass wir uns mit unseren Anliegen nur langsam durchsetzen. Woran liegt das? Es liegt nach meiner Überzeugung immer noch an der festgefahrenen Vorstellung mancher Helfergruppe von seelisch bedingten Störungen und dem Behandlungsziel. Es liegt aber auch daran, dass uns häufig nicht ausreichend Zeit bleibt, uns intensiv mit den Themen zu befassen. Zu viel ist zu tun, denn es "brennt" weiterhin an vielen Ecken gleichzeitig. Und so freue ich mich, dass ich erfolgreich in Stuttgart bei der Entstehung des Krisen- und Notfalldienstes und der Beschwerdestelle in den 80er und 90er Jahren mitwirken und nun den Verein "Offene Herberge" mit auf den Weg bringen konnte. Die Ziele trage ich uneingeschränkt mit und hoffe, dass ein baldiges Umsetzen möglich wird.

Was mich nervt, sind kräftezehrende u. zeitfressende Diskussionen, ob die psychiatrische, psychiatrie-kritische oder antipsychiatrische Bewegung den richtigen Weg einschlägt und dass wir immer noch keine gemeinsame Sprache gefunden haben. Damit wird die Motivation der aktiv Tätigen, die bei ihrem Einsatz oft die eigenen Grenzen missachten, nicht gestärkt. Toleranz gegenüber anders Denkenden ist angesagt. Wie bekannt, führen viele Wege nach Rom – in unserem Fall: zu einem adäquaten Hilfe- u. Unterstützungsangebot. Wie vielen anderen unseres Bundesverbandes wäre es freilich auch mir am liebsten, wir könnten die Psychiatrie abschaffen. Da es aber bis heute keine Möglichkeit gibt, "Ausraster" von Menschen zu vermeiden, halte ich es für sinnvoll neben der Schaffung von Alternativen zur Psychiatrie (z.B. Offene Herberge) das System als solches zu reformieren. Um das zu erreichen, benötigen wir viel Ausdauer, viel Kraft, viel Fantasie und Durchsetzungsvermögen, aber auch Zeit. Gerne bin ich bereit, auch künftig mein Möglichstes zu tun, die gesteckten Ziele zu erreichen. Über jede(n) neue(n) "Mitstreiter(in)" freue ich mich sehr.