Peter
Lehmann
Neuroleptika als chemische Knebel Über die antitherapeutischen
Wirkungen antipsychotischer Medikamente
1. Wie wirken Neuroleptika?
Um ausführlich die Wirkungsweise und die schädlichen Auswirkungen
der Neuroleptika darzustellen, war es notwendig, mit dem "Chemischen
Knebel" ein fast 450-seitiges Buch zu schreiben. Hier will
ich in aller Kürze die wesentlichen Aussagen zusammenfassen: Neuroleptika,
auf deutsch: Nervendämpfungs- oder -lähmungsmittel blockieren wesentlich
die Empfangstellen (Rezeptoren) des Nervenimpuls-Überträgerstoffs
Dopamin und führen somit gezielt zu einer künstlichen neurologischen
Erkrankung, der Schüttellähmung (Parkinsonkrankheit). Mit dieser
'therapeutischen' Zweitkrankheit soll die Erst-'Krankheit', d.h.
die störende und unbequeme Lebens- und Sinnesweise überdeckt werden.
Neuroleptika stehen damit voll in der psychiatrischen Tradition:
Auch die unmittelbaren Vorgänger, Elektroschock und Lobotomie, produzierten
'therapeutisch' erwünschte neurologische Schäden, nämlich epileptische
Anfälle bzw. die Verstümmelung frontaler Hirnbereiche. Weltweit
litten infolge anhaltender Neuroleptika-Behandlung 1985 bereits
schätzungsweise 40 Millionen Menschen unter irreversibler tardiver
Dyskinesie, einer nicht-behandelbaren, veitstanzförmigen Muskelstörung
(als Symptom der herbeigeführten Hirnstörung); laut medizinischen
Untersuchungen geht die tardive Dyskinesie mit der Verkürzung der
Lebenserwartung einher. Peter Breggin, ein bekannter Psychiater
aus den U.S.A., wirft seinen Kollegen vor, mit den Neuroleptika
eine Epidemie neurologischer Leiden entfesselt zu haben:
"Selbst wenn tardive Dyskinesie die einzige bleibende
Körperschädigung wäre, die von diesen Medikamenten produziert würde,
würde sich diese unter den schlimmsten durch Medikamente verursachten
Katastrophen in der Geschichte befinden."
2. Über einige Auswirkungen der Neuroleptika
Mehr und mehr wird in psychiatrischer Literatur (die im "Chemischen
Knebel" zitiert ist) auf die neurologischen Veränderungen hingewiesen,
die von Psychiatern grundsätzlich nicht in Griff zu bekommen sind
und die durch den Einsatz von Antiparkinson-Mitteln wie Akineton
mittel- und langfristig sogar noch verschlimmert werden. Am dramatischsten
sind neuere Untersuchungen über Psychiatrie-Betroffene, die nicht
wegen 'Schizophrenie' mit Neuroleptika behandelt worden waren, nach
dem Absetzen jedoch erstmals eine Schizophrenie-förmige Symptomatik
entwickelten. Der international angesehene schwedische Mediziner
Lars Martensson vergleicht deshalb die Neuroleptika-Wirkung mit
dem Einbau einer künstlich psychotisch machenden Substanz ins Nervensystem,
weshalb er folgerichtig das Verbot dieser Chemobehandlung fordert.
Es gibt jedoch noch zahlreiche andere Argumente für eine restriktive
Behandlung der Neuroleptika-Frage: So ist es z.B. die der Alkoholbelastung
entsprechende Leberschädigung, die bei der in der Regel längerfristigen
Verabreichung der psychiatrischen Psychodrogen auftritt und
die genauso kritisierenswert ist wie z.B. die Missbildungen, die
als Folge Neuroleptika-bedingter Chromosomenrisse und -brüche bei
Föten Neuroleptika-behandelter werdender Mütter eintreten, in der
gleichen Weise, wie sie vielen von uns noch als Folge der Verabreichung
von Thalidomid (Contergan) bekannt sein dürfte. Noch ein oft unvermeidbares
Behandlungsergebnis mit Neuroleptika ist die emotionale Vereisung
("Zombie-Syndrom") und die Depression, die die Betroffenen,
vor der Behandlung z.T. noch lebenslustige Menschen, in den Selbstmord
treiben können. Intern, in psychiatrischer Literatur, wird immer
wieder auf diese katastrophale 'Neben'-Wirkung hingewiesen. Dass
unter der emotionalen Vereisung alle psychotherapeutischen Ansätze,
die vorhandene intrapsychische Konflikte aufdecken und somit zu
deren Verarbeitung beitragen könnten, von vornherein zum Scheitern
verurteilt sind, versteht sich von selbst; welcher Psychologe wollte
ernsthaft behaupten, Menschen therapieren zu können, die unter der
Wirkung vergleichbarer Psychodrogen stehen? Mit der 'chemischen
Knebelung' ist die pharmakologische Unterdrückung existentieller
Gefühle und des entsprechenden Handelns auf den Begriff gebracht.
3. Fehlende Aufklärung
Eine Aufklärung über die unglaubliche Breite der Risiken neuroleptischer
Behandlung findet in der Regel nicht statt; den Behandelten werden
die Wirkungsweise und die Auswirkungen der Neuroleptika in der Regel
vorenthalten, so dass sie an sich keine rechtswirksame, informierte
Zustimmung zur Behandlung treffen können. Im "Chemischen Knebel"
wird nun jedoch aufgedeckt, was Psychiater von den Augen der Betroffenen,
ihren Angehörigen sowie der interessierten Öffentlichkeit verbergen.
Im Geleitwort zur Neuauflage schreibt der ehemalige Direktor des
Sigmund-Freud-Archivs und Psychoanalytiker Jeffrey M. Masson aus
Berkeley/Kalifornien u.a.:
"Ich habe durch dieses Buch mehr über die geheime,
innere Arbeitsweise der Psychiatrie gelernt als zuvor in zehn Jahren
psychoanalytischer Ausbildung. Nach einer persönlichen Analyse und
verschiedenen anderen Psychotherapien war das Lesen dieses Buches
die beste Therapie, die ich je erlebte."
Zwei letzte 'Feinheiten', die hier erwähnt sein sollen, sind 1.
die Geschwulstbildungen (Neoplasmen, die in eine Krebs-Erkrankung
übergehen können): Neuroleptika können diese Wucherungen bei Nagetieren
hervorrufen, wenn sie langzeitig in Dosen verabreicht werden, wie
sie heute in der chronischen psychiatrischen Behandlung üblich sind.
In den U.S.A. müssen Neuroleptika-Verpackungen seit 1978 einen entsprechenden
Warnhinweis tragen, in Deutschland wird diese nicht uninteressante
'Kleinigkeit' von Herstellern und Psychiatern verschwiegen. Erinnerungen
an die nicht allzuweit zurückliegende Vergangenheit der deutschen
Psychiatrie werden bei einer solchen Missachtung der Gesundheit der
'Geisteskranken' wach. Im Bereich der Medizin jedenfalls würden
Medikamente mit solche Folgen sofort vom Markt genommen werden.
2. Alle Neuroleptika, die schwach- wie auch die starkpotenten, können
schon bei einmaliger Anwendung lebensbedrohliche Folgen herbeiführen.
Alle irreversiblen, d.h. nicht umkehrbaren Schäden können schon
nach kurzer Zeit eintreten.
4. Reaktionen auf Neuroleptika-Schäden
Die Entgegnung, die oft von Befürwortern der Neuroleptika-Verabreichung
kommt, wenn ausnahmsweise kritische Stimmen zu Wort kommen, vernachlässigt
meist die überwiegend stattfindende Langzeitbehandlung, insbesondere
die psychiatrischen Forschungsbemühungen, Neuroleptika-Implantate
in Mastdarm und Gebärmutter einzupflanzen, um eine mehrmonatige
Dauerbehandlung sicherzustellen. Psychiater pochen dann auf (angebliche)
kurzfristige Behandlungserfolge in sogenannten Krisensituationen.
Der bereits erwähnte Lars Martensson warnt jedoch vor einer solchen
Illusion, da sie die Folgen außer acht lässt:
"Wenn die Psychose ohne Medikamente besiegt wird,
wird der Glaube des Patienten an sich selbst und den Mitmenschen,
der ihn unterstützte, angewachsen sein. Diese Dinge Selbstvertrauen,
Selbstwertgefühl und Glaube an Mitmenschen sind genau das,
was er braucht, um mit der Zeit seine Schizophrenie endgültig zu
überwinden. Wenn Medikamente benutzt werden, wird er die entgegengesetzte
Lehre ziehen und sich auf dem Weg steigender Medikamentenabhängigkeit
befinden."
Dass kurzfristige Anpassungsleistungen, wie bei anderen Drogen auch
(Marihuana, Alkohol, Amphetamine), unter Neuroleptika anzutreffen
sind, scheint in der Tat logisch. Doch die Augen und Ohren vor den
Gefahren und Folgen zu verschließen, zeigt wenig Verantwortungsbewusstsein.
Literatur
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