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Leserbrief

6. Dezember 1990

An
Verlag Dr. med. Mabuse
Leserbrief-Redaktion
Postf. 11 06 42
6000 Ffm 1

Betr.: Rezension »Der chemische Knebel« von Asmus Finzen in Dr. med. Mabuse, Heft 69/1990, S. 65-66


Liebe Leute,

ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr meine Stellungnahme zu o.g. Rezension als Leserbrief abdrucken würdet.

Neuroleptika-Kritik

Betr.: Finzen-Rezension vom »Chemischen Knebel« in Mabuse 69, Seite 65f.

»Menschenschinder« – so bezeichnet sich Asmus Finzen selbst, wenn er das Neuroleptika-kritische Buch rezensiert. Nur weniges scheint dieser Psychiater begriffen zu haben, z.B. noch die Tatsache, dass er als Behandler das Buch deshalb kennen muss, weil es schlichtweg peinlich ist, wenn die Betroffenen und deren Angehörige mehr über Neuroleptika-Schäden wissen als er. Wenn Finzen jedoch den Vorwurf erhebt, das Buch würde nicht – wie im Untertitel formuliert – erklären, »warum Psychiater Neuroleptika verabreichen«, so hat er offenbar das zentrale Kapitel über »die von Psychiatern erwünschten körperlichen Neuroleptika-Auswirkungen« (S. 224ff.), sprich: die Hauptwirkungen verdrängt. Warum sagt er nichts zu den von seiner Kollegenschaft vorsätzlich hergestellten neurologischen Erkrankungen wie z.B. dem Parkinsonoid oder den Hirnrhythmusstörungen – ›Leitsymptome der Therapie‹? Wieso schweigt er über die Ausführungen zu den – von psychiatrischer Seite – nicht minder erwünschten Kreislaufstörungen, den Blutbild-Veränderungen, der Dämpfung vegetativer Zentren usw.? Gehört auch er, Finzen, zur Masse der Psychiater, welche die neuroleptisch hergestellte Impotenz und Unfruchtbarkeit schweigend und vor allem billigend in Kauf nehmen, um es sehr vorsichtig auszudrücken? Weiterhin vermisse ich bei Finzen jegliche Reflexion über das Verhältnis von Normalität und Behandlung, Thema des letzten, Gemeindepsychiatrie-kritischen Kapitels im »Chemischen Knebel«. Auch zu den im neuen Nachwort der 2. Auflage aufgelisteten Hauptvorwürfen gegen Neuroleptika (Mutationen, Tumorbildungen in den Brustdrüsen, suizidale Wirkung und vor allem Rezeptorenveränderungen incl. tardive Dyskinesie und tardive Psychose sowie dosisunabhängige Lebensgefahr) schweigt Finzen völlig. Zu unangenehm? Oder tritt hier gar ein berufsständisches Interesse zutage, demzufolge kritische Psychiatrie-interessierte Angehörige medizinischer Berufsgruppen von diesen heißen Themen ferngehalten werden sollen?

Mit freundlichen Grüßen
Peter Lehmann

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