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des Antipsychiatrieverlags
in: Mitgliederrundbrief des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener
(BRD), 2004, Nr. 3, Artikel 15, S. 20-22
Kerstin
Kempker, Projektkoordinatorin für den BPE
Diskriminierung von Psychiatriebetroffenen im Gesundheitswesen.
Eine europäische Studie
Mental
Health Europe, der europäische Zusammenschluss nichtstaatlicher
Psychosozialer Verbände, hat nach einer Vorbereitungsphase
im September 2002 gemeinsam mit dem belgischen Forschungsinstitut
LUCAS,
dem Europäischen
Netzwerk Psychiatriebetroffener (ENUSP, vertreten durch Peter
Lehmann), dem österreichischen Sozialpsychiatrieverband
Pro
Mente Salzburg und mit Betroffenen- und Angehörigenverbänden
aus Großbritannien (MIND),
Frankreich (FNAP
Psy), den Niederlanden Clientenbond)
und Spanien (FEAFES)
ein Aktionsprogramm zur Erforschung der Diskriminierung und Schikanierung
von Psychiatriebetroffenen im Gesundheitswesen gestartet. Im Herbst
2003 ist der BPE an die Stelle von FNAP Psy getreten.
Das Projekt dient dazu, Diskriminierung und Schikanierung von
Psychiatriebetroffenen im Gesundheitsbereich und im Bereich der
Psychiatrie zu erfassen, zu untersuchen und Maßnahmen zu
finden, wie dieses gängige und kaum hinterfragte Verhalten
minimiert werden kann. Diskriminierung (im Sinne von schlechterer
Behandlung als sog. normale Patienten) erfahren die Betroffenen
in unterschiedlicher Form Feindseligkeit, Anzweifeln, Vorenthalten
medizinischer Hilfe, Gewalt usw. und in unterschiedlicher
Umgebung in Arztpraxen aller Fachrichtungen, Krankenhäusern,
Notaufnahmen, Psychiatrien usw.
Ziele des Programms sind:
-
Das Zusammentragen von Informationen und harten Fakten über
Diskriminierungen (Fokusgruppen)
-
Die Erarbeitung von Strategien zur Bekämpfung von Diskriminierung
und Schikanierung
-
Die Verbreitung von und Sensibilisierung für Strategien
zur Beseitigung von Diskriminierung und Schikanierung gegen
Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen in allen
Bereichen des Gesundheitswesens
Diese Art der Diskriminierung ist bisher oft berichtet, aber
wenig erforscht. Um die Diskriminierung von Psychiatriebetroffenen
aus deren Erfahrung zu erfassen, wurden von den nationalen Partnern
2002/Anfang 2003 moderierte Fokus-Gruppen veranstaltet. In einem
zweiten Schritt wurden auch Angehörige und im Gesundheitswesen
Tätige in die Untersuchung mit einbezogen.
Die Ergebnisse der Fokusgruppen, die Diskussion der beteiligten
Partnerländer und die Erfahrungen innerhalb der deutschen
Betroffenenbewegung mit Diskriminierung, sind, soweit mir bekannt,
eingeflossen in die:
Empfehlungen
an die Europäische Kommission (www.peter-lehmann-publishing.com/articles/enusp/empfehlungen.pdf)
Kerstin Kempker (BPE), 4.11.2003:
Qualitätsstandards
-
Wirksame Beteiligung legitimierter und geschulter Betroffener
an der Einführung und Entwicklung von Qualitätsstandards
und Forschungsprojekten auf allen Ebenen
-
Sicherstellung der Einhaltung von Menschenrechten (Diskriminierungsverbot,
Schutz der Menschenwürde, Recht auf körperliche
Unversehrtheit, Recht auf Selbstbestimmung, Recht auf Privatsphäre)
z.B. durch rechtliche Absicherung von Vorausverfügungen
oder Approbationsverlust bei Behandlung ohne informierte Zustimmung;
Einführung eines Suizidregisters (unter besonderer Berücksichtigung
von beteiligten Psychopharmaka / Elektroschocks, vorangegangener
Fixierung und anderen Formen vorangegangener Zwangsmaßnahmen,
Schikanen und Diskriminierung)
Betroffenenorganisationen
-
Politische und finanzielle Stärkung unabhängiger
Betroffenenorganisationen und derer Projekte (z.B. alternative
Kriseneinrichtungen, Beratungsstellen, Öffentlichkeitsarbeit,
Forschungsprojekte, Peer coaching, Selbsthilfestellen) auf
allen Ebenen
-
Beteiligung legitimierter BetroffenenvertreterInnen in Entscheidungsgremien
und bei Kongressen und anderen Veranstaltungen (mindestens
zu zweit, als bezahlte Arbeit honoriert)
-
Finanzielle Förderung von Vernetzung und internationalem
Austausch von Betroffenenorganisationen
Beschwerdeinstanzen
-
National, regional und lokal organisiert
-
Rechtlich abgesichert, betroffenenkontrolliert, niedrigschwellig
(auf Wunsch anonym)
-
Unabhängig von medizinischen und psychiatrischen Trägern
-
Bezahlte Arbeit
-
Mit Befugnissen und Sanktionsmöglichkeiten gegenüber
den Institutionen und strukturell abgesicherten Einflussmöglichkeiten
auf die Entscheidungsträger
Wie immer in solchen Gemeinschaftsprojekten, werden die beteiligten
Partner beim nächsten Treffen im Februar 2004 in Brüssel
gemeinsame Empfehlungen erarbeiten, d. h. manches wird entschärft,
anderes hinzukommen.
Ein Weg zur Reduzierung der Diskriminierung von Psychiatriebetroffenen
im Gesundheitssektor soll ein Training für professionell
Tätige sein, das sie für ihr Verhalten und mögliche
Veränderungen sensibilisiert. Mein Anliegen ist hier einmal,
dass möglichst viele Psychiatriebetroffene an der Durchführung
dieses Trainings beteiligt sind, und zum anderen, dass auch ein
Training für Betroffene erarbeitet wird, das diese stärkt
im Umgang mit Profis im Gesundheitswesen.
Am 23. April 2004 werden die Ergebnisse des Aktionsprogramms
auf einem europäischen Seminar in Brüssel vorgestellt.
Anschließend (Mai/Juni) wird in Berlin ein nationales Seminar
hierzu abgehalten, wo ich auf viele BPE-Mitglieder hoffe und wir
gemeinsam mit Politikern, Profis aus dem Gesundheitswesen u.a.
die konkrete Umsetzung des Programms besprechen können.
Eine besondere Chance sehe ich hier bei uns darin, dass die Bundesregierung
unter Zugzwang steht, die EU-Richtlinien zur Bekämpfung von
Diskriminierung umzusetzen:
Im Jahr 2000 wurden europäische Gesetze sogenannte
Richtlinien verabschiedet, in denen Diskriminierungen aus
Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion
oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der
sexuellen Ausrichtung verurteilt wurden. Die Regierungen aller
Mitgliedstaaten sind nun verpflichtet, ihre eigenen nationalen
Gesetze bis Ende 2003 an diese Richtlinien anzupassen.
Ich empfehle allen, die sich um die Durchsetzung und Umsetzung
von Betroffenen-Projekten bemühen, als Argumentationshilfe
und politische Grundlage die Info-Materialien der EU (http://europa.eu.int./comm/employment_social/fundamental_rights/index_de.htm
- Adresse ist inzwischen veraltet, 20.7.2011)
Nachfolgend ein Auszug aus dem Antidiskriminierungs-Jahresbericht
der Europäischen Union von 2003:
"Die Regierungen sind übereingekommen, die für die
Einhaltung dieser Richtlinie erforderlichen Maßnahmen
bis zum 19. Juli 2003 einzuführen. In einigen Ländern
müssen dafür neue Gesetze erlassen werden, in anderen
bedeutet dies eine Änderung bereits bestehender Gesetze.
In allen Ländern müssen die Regierungen darüber
hinaus eine Stelle benennen, die Personen, die aufgrund ihrer
Rassenzugehörigkeit diskriminiert wurden, praktische und
unabhängige Unterstützung bei der Weiterverfolgung
ihrer Klage und der Durchsetzung ihres Rechtsanspruchs gewährt.
Das bedeutet, dass gegebenenfalls eine Stelle zur Wahrnehmung
dieser Aufgaben neu einzurichten ist.
Die zweite Richtlinie betrifft die Schaffung von gleichen Rechten
und Chancen im Bereich Beschäftigung und Ausbildung, einem
Schlüssel zu sozialer Anerkennung, Erfolg und Lebensqualität.
Die Richtlinie verbietet daher die Diskriminierung aufgrund
der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen
Ausrichtung. Diesbezüglich sind die Regierungen übereingekommen,
die notwendigen Änderungen in der nationalen Gesetzgebung
bis zum 2. Dezember 2003 vorzunehmen, wobei sie die Möglichkeit
haben, eine Zusatzfrist von bis zu drei Jahren in Anspruch zu
nehmen, um die Bestimmungen über die Diskriminierung aufgrund
einer Behinderung oder des Alters umzusetzen. Wenn sie diese
Zusatzfrist in Anspruch nehmen, müssen sie jedoch jährlich
Bericht über die Maßnahmen erstatten, die sie zur
Bekämpfung dieser Diskriminierungen ergreifen, wie auch
über ihre Fortschritte im Hinblick auf die vollständige
Anpassung der nationalen Gesetzgebung an die Richtlinie. (Dies
trifft auf die Regierung der BRD zu, die es bisher versäumt
hat, ein Antidiskriminierungsgesetz zu erlassen, K.K.)"
Quelle: Jahresbericht
über die Gleichbehandlung und Antidiskriminierung 2003",
Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen
Gemeinschaften, Luxemburg 2003, Seite 2
Weitere Informationen zu der Antidiskriminierungsstudie stehen
im Internet unter www.peter-lehmann-publishing.com/articles/enusp/overview.htm#deutsch
Auf der Mitgliederversammlung des BPE im Oktober 2004 würde
ich das Projekt gerne vorstellen, damit wir die Chancen nutzen können,
die sich daraus ergeben. [Nachtrag: Der BPE-Vorstand hatte damals kein Interesse, Kerstin Kempker für die anstehende Jahrestagung einzuladen, damit sie über
die vorgeschlagenen Antidiskriminierungsmaßnahmen berichtet, und überging ihr Angebot mit reiner Ignoranz.]