Pfeil Homepage des Antipsychiatrieverlags

Peter Lehmann, 22. November 2023

Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte

»Medizinische Notfälle

Generell gilt im Gesundheitswesen, dass keine medizinische Behandlung ohne Einwilligung der Person durchgeführt werden kann. Nur in Ausnahmefällen können Angehörige der Gesundheitsberufe eine Behandlung ohne informierte Zustimmung durchführen, zum Beispiel in Notfällen, wenn eine sofortige medizinische Behandlung erforderlich ist, um das Leben einer Person zu retten oder um eine schwerwiegende Schädigung ihrer Unversehrtheit zu verhindern und die Person bewusstlos oder nicht in der Lage ist, ihren ihren Willen zu äußern. Dies beruht auf der Annahme, dass die Menschen nicht wollen, dass ihnen unter solchen Umständen die notwendige medizinische Versorgung verweigert wird. Es ist jedoch zu beachten, dass die meisten Personen in Notfallsituationen, einschließlich derjenigen mit traumatischen Verletzungen, keine sofortige Intervention benötigen, um den Tod oder schwere Schäden zu verhindern, und sie haben die Fähigkeit, ihre Einwilligung zu geben.

Diese Ausnahme für Notfälle wird im Kontext der psychischen Gesundheit regelmäßig in diskriminierender Weise angewandt bei Personen, die sich in einer starken Notlage befinden oder ungewöhnliche Wahrnehmungen haben, entweder weil die Personen nicht als fähig anerkannt werden, eine informierte Zustimmung zu erteilen, oder weil ihre Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen unverzüglich als lebensbedrohliche medizinische Notfälle behandelt werden. Die Gesetzgebung für medizinische Notfälle sollten Personen mit psychischen Beschwerden und psychosozialen Behinderungen nicht diskriminieren, indem sie unterschiedliche Standards festlegt.

Verschreibung von Psychopharmaka

Die Länder sollten angesichts der potenziellen kurz- und langfristigen Risiken von Psychopharmaka einen höheren Standard für die freie und informierte Zustimmung zu diesen Substanzen einführen. Die Länder können beispielsweise eine schriftliche oder dokumentierte Einwilligung nach Aufklärung (z. B. durch eine Aufzeichnung in Video- oder Audioformaten) vorschreiben, nachdem ausführliche Informationen über mögliche negative und positive Wirkungen und die Verfügbarkeit alternativer Behandlungsmethoden und nichtmedizinischer Optionen gegeben wurden. Der Gesetzgeber kann das medizinische Personal dazu verpflichten, Dienstleistungsnutzer über ihr Recht zu informieren, die Behandlung zu beenden und dabei Unterstützung zu erhalten. Es muss Unterstützung angeboten werden, damit Menschen die Behandlung sicher beenden können. Die Verschreibung von Psychopharmaka und die Nachsorge erfordern eine sorgfältige Abklärung und Überwachung der körperlichen Gesundheit.«

Quelle: World Health Organization / United Nations High Commissioner for Human Rights (2023). Mental health, human rights and legislation. Guidance and practice. Genf: WHO & OHCHR, S. 57. Online-Publikation https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/373126/9789240080737-eng.pdf?sequence=1

Übersetzung: Peter Lehmann