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Homepage des
Antipsychiatrieverlags
in: Kerstin Kempker
& Peter Lehmann (Hg.): Statt Psychiatrie (Berlin: Antipsychiatrieverlag
1993), S. 319-320 (Pressemitteilung) und 325-326
Karl Bach Jensen
Das Europäische Netzwerk von Psychiatrie-Betroffenen
Kritische Momente der Organisierung
PRESSEMITTEILUNG
EUROPÄISCHES NETZWERK VON PSYCHIATRIE-BETROFFENEN GEGRÜNDET
Zandvoort / Amsterdam, 12. November 1991
Eine Konferenz von 39 Delegierten aus 16 europäischen Ländern
gründete am 27.10.1991 ein internationales Netzwerk von Psychiatrie-Betroffenen
mit dem Ziel, Informationsaustausch und Zusammenarbeit zu fördern.
Das Netzwerk will in allen europäischen Ländern die Rechte
von Psychiatrie-Betroffenen verbessern. Es beschäftigt sich
mit den sozialen Belangen, dem Recht auf Wohnraum und Einkommen
sowie der Forderung nach Menschenrechten unabhängig von psychiatrischen
Diagnosen. Anwesend waren bei der Gründung Delegierte aus Großbritannien,
Skandinavien, den Benelux-Staaten, Deutschland, Österreich,
Schweiz, Frankreich, Italien, Griechenland und Polen. Am 12.11.1991
wird ein internationales Büro in Amsterdam seine Arbeit aufnehmen.
Die Aufgaben des Netzwerks sind,
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die rechtliche Position von 'Nutzern' und 'Nutzerinnen' psychiatrischer
Einrichtungen zu stärken;
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Informationen über die Wirkungsweise und Auswirkungen
psychiatrischer Psychopharmaka und Schockbehandlungen zu sammeln
und zu veröffentlichen;
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auf europäischer Ebene Einfluss auf Entscheidungen zur
Psychiatrie auszuüben;
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die Durchsetzung des Psychiatrischen Testaments, d.h. rechtswirksamer
Vorausverfügungen für den Fall der Psychiatrisierung,
zu fördern;
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nicht-psychiatrisch/medizinische Alternativen zur Psychiatrie
zu entwickeln und das Recht auf Psychopharmaka-freie Hilfe durchzusetzen.
Ein besonderes Augenmerk wird das Netzwerk auf illegale Anstaltsunterbringungen
und die besondere Benachteiligung von Minderheiten richten.
Das Netzwerk wird ein regelmäßiges Informationsblatt
in englischer Sprache veröffentlichen.
Die nächste Konferenz des Europäischen Netzwerks findet
Januar 1994 in Dänemark statt.
Die deutschsprachigen Delegationen (BRD, CH und A) wurden von FAPI-Mitgliedern
gestellt. Wer die oben genannten Ziele vertritt und am Ausbau des
Netzwerks und der Umsetzung und Erweiterung der Ziele mitarbeiten
will, ist herzlich eingeladen, Kontakt mit FAPI aufzunehmen. Die
bei FAPI organisierten Betroffenen verstehen sich nicht als Repräsentanten
der Psychiatrie-Betroffenen, sondern als Kontaktpersonen
und -gruppen.
Regelmäßige Informationen über die Entwicklung
des Europäischen Netzwerks von Psychiatrie-Betroffenen werden
in den FAPI-Nachrichten
veröffentlicht.
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Wenn wir das Europäische Netzwerk kritisch betrachten, lassen sich
sowohl auf lange Sicht als auch auf kurze einige Gefahren erkennen:
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Zwecks enger Beteiligung an den Entscheidungsprozessen in der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft (EEC), der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
und den Vereinten Nationen (UN) zu schnell einen bürokratischen
Apparat zu schaffen, um den Anforderungen auf europäischer oder
Weltebene gerecht zu werden;
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Eine anarchistische Organisation aufzubauen, bei der die Koordinationsorgane
trotz fehlenden Mandats möglicherweise eine Machtposition erlangen,
ohne dass wirkliche, authentisch demokratische Strukturen vorhanden
sind;
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Vereinnahmt zu werden, d.h. eine zu große Nähe zum psychosozial/psychiatrischen
System entstehen zu lassen, so dass unsere Ideen und Initiativen von
diesen gewaltigen modernen 'Monstern' geschluckt werden.
Welche Strategien brauchen wir, damit wir nicht in diese Fallen tappen?
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Wie auf dem Treffen in Zandvoort hervorgehoben, benötigen wir
zunächst eine weitgehend offene Organisationsstruktur, die den
Führungsgremien (Koordinations-Komitee und europäisches
Büro) keine oder nur geringe Machtbefugnisse einräumt. Wir
müssen darauf achten, dass diese Organe auch auf lange Sicht
nicht zu mächtig werden, und unsere Pläne und Entscheidungen
in den nächsten Jahren darauf ausrichten, den erforderlichen
NGO (Non-Governmental-Organisation)-Status, d.h. Beraterfunktion
ohne Regierungsstatus, bei der EEC und WHO zu erreichen.
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Wir brauchen derzeit einen Dachverband mit möglichen Einzel-
und Gruppenmitgliedschaften, müssen aber auch stark und handlungsfähig
sein. Ebenso benötigen wir den NGO-Status so schnell wie möglich.
Wir sollten daher keine irgendwie geartete Doppelstruktur schaffen
(einerseits offen, andererseits hierarchisch). Statt dessen müssen
wir eine umfassende Struktur finden und entwickeln, damit wir nicht
in die missliche Lage geraten, dass sich zwei Machtblöcke gegenseitig
bekämpfen. Die demokratischen Rechte und Einflussmöglichkeiten
sowohl für nutzerkontrollierte Gruppen als auch für Betroffene
in gemischten, nicht nutzerkontrollierten Gruppen und für Einzelmitglieder
müssen ausgewogen sein.
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Die größte, schwerstwiegende und unangenehmste Gefahr
lauert zweifellos in der Vereinnahmung durch das gigantische Psychiatrie-'Monster'.
Dieses Risiko sollten wir sehr ernst nehmen. Als Netzwerk, laut unserer
eigenen Definition eine Gemeinschaft von Klient(inn)en und Psychiatrie-Betroffenen,
sind wir in gewissem Maße genötigt, einige wechselseitige
Beziehungen zu dem 'Monster' einzugehen. Wir sollten uns von dem ganzen
Süßholzgeraspel jedoch nicht zu sehr beeindrucken lassen.
Auf keinen Fall sollten wir uns verpflichtet fühlen, aus Profilierungsgründen
an jeder europäischen Konferenz teilzunehmen, die etwas mit Psychiatrie
zu tun hat. Wir sollten uns lediglich als Kollektiv präsentieren,
allerdings nur, wenn wir sicher sind, die Tagesordnung oder Teile
davon bestimmen zu können. Wenn wir den subversiven Charakter
dieses Vorgehens nicht aus den Augen verlieren, werden wir langfristig
(Gegen-)Macht und Einfluss erlangen.
Aus dem Englischen von Rainer Kolenda
Über den Autor
Karl Bach Jensen: Im Herbst 1973 wurde ich wegen einer unerfüllten
Liebe verrückt und auf die (inzwischen abgeschaffte) Station M6 der Psychiatrischen
Anstalt Middelfart gebracht, der schlimmsten Hölle der damaligen dänischen
Psychiatrie. Man behandelte mich sehr schlecht und vergiftete mich mit
Megadosen von Neuroleptika: nicht, weil ich unglücklich war, sondern wegen
meiner 'falschen' politischen Ideen. Obwohl ich schon lange wieder normal
war, wurde ich noch zweimal zwangsweise bilateral elektrogeschockt. Inzwischen
bin ich als Leiter einer Rund-um-die-Uhr-Anlaufstelle für Psychiatrie-Betroffene
voll ausgelastet; ich versuche, ihnen dabei zu helfen, sich von ihrem
Status als PatientInnen und KlientInnen zu befreien. Buchveröffentlichungen:
Mitherausgeber von "Hjernemedicin en bog om den giftige psykiatri",
Kopenhagen: Amalie, Galebevægelsens forlag 1988; "Det mindste onde
om menneskerettigheder og tvang i psykiatrien", Kopenhagen: Amalie,
Galebevægelsens forlag 1992; u.v.m. (Stand: 1993)
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