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in: Die Irren-Offensive – Zeitschrift von Ver-rückten gegen Psychiatrie (Berlin), Heft 2 (1983), S. 2

Liebe Leserin, lieber Leser!

Es hat lange gedauert, bis nun endlich die zweite Nummer der ›Irren-Offensive‹ erschienen ist.

Wir leben – wie Ihr seht – immer noch. Die Redaktionsgruppe der Irren-Offensive hat sich vergrößert, allerdings sind wir als Selbsthilfeorganisation personell nicht stark angewachsen: Das liegt anscheinend daran, dass es wenig Verrückte gibt, die die Möglichkeit haben, offensiv zu werden und die in der Lage sind, sich auch in die Gemeinschaft einzuordnen. Unser ›harter Kern‹ ist jedoch geblieben; optimistisch sprießt er weiter. Hin und wieder kommt ein Mensch, der von der Psychiatrie noch nicht völlig zerstört wurde, hinzu und bringt neue Ideen, neue Impulse und neue Energie in die Irren-Offensive ein.

Zu unserer ersten Nummer: Sie ist sehr gut aufgenommen worden; von Betroffenen haben wir ausnahmslos positive Zuschriften erhalten, darüber haben wir uns sehr gefreut. Wir bedanken uns an dieser Stelle herzlich für die vielen Briefe und Karten, für Spenden und Anregungen.

Wir haben noch einen begrenzten Vorrat des ersten Heftes, das nachbestellt werden darf.

Leider ist in der Zeit, als wir unseren Treffpunkt im besetzten Haus Bülowstraße 54 hatten, viel Post verloren gegangen. Deshalb konnten viele Briefe oder Zeitungsbestellungen nicht beantwortet bzw. zugestellt werden. Hausbesetzer und teilweise sogar eigene Leute der Irren-Offensive gingen schlampig mit der Post um; einige Male wurde in unserem Treffpunkt eingebrochen und die Einrichtung zerstört. Und nicht zuletzt ist bekannt, dass die Post selbst Briefe in besetzte Häuser ›zufällig‹ äußerst nachlässig zustellte. Da wir nun Ende Januar 1983 geräumt wurden und als Irren-Offensive faktisch auf der Straße stehen, hat sich eine andere Lösung des Postproblems ergeben: Wir haben jetzt eine Postlagerkarte; das heißt, dass wir beim Postamt diejenigen Briefe abholen können, die dort unter unserer Nummer eingehen: Irren-Offensive, Postlagerkarte 7420 B, 1000 Berlin 62

Was die neue Nummer angeht, so bitten wir Euch, uns zu schreiben, was Euch gefallen bzw. nicht gefallen hat. Ihr könnt auch für die nächste Nummer Beiträge schicken; eine andere Form der Unterstützung sind Geldspenden, die wir in jeder Höhe brauchen können. Die Irren-Offensive ist inzwischen ein vom Finanzamt anerkannter gemeinnütziger Verein, so dass wir steuerabzugsfähige Spendenbescheinigungen ausstellen können. Auch für Informationen aller Art sind wir dankbar: über neue psychiatrische Drogenexperimente, über die Entwicklung der Zustände in den Anstalten, über neue Formen gemeindepsychiatrischer Ausspitzelung, über neue Formen der Sklaverei (›beschützte Arbeitsstätten‹) – letztlich über alle Formen psychiatrischen Terrors. Eine besonders schöne Form der Unterstützung wäre, wenn Ihr, besonders im bundesdeutschen, schweizerischen und österreichischen Raum, in Buchhandlungen geht und fragt, ob diese sich nicht am Verkauf der ›Irren-Offensiven‹ beteiligen wollen. Auch gewerkschaftliche, demokratische, sozialistische, christliche, Friedens-, Umweltschutz-, Frauen-, Männer-, Altengruppen usw. usf., die Büchertische machen, kommen als mögliche Wiederverkäufer der Irren-Offensive in Frage. Je schneller die Zeitschrift ›weggeht‹, desto eher sind wir in der Lage, eine neue Nummer zu produzieren.

Wir rufen alle auf, Mitarbeiter in psychiatrischen Anstalten, Psychiater, ›Pfleger‹, ›Schwestern‹, Angehörige, und insbesondere Euch Opfer psychiatrischer Gewalttätigkeit, offen oder heimlich daran mitzuwirken, dass die menschenunwürdige Psychiatrie zerschlagen und dass der Weg in den gemeindepsychiatrischen Überwachungsstaat gestoppt wird, dass Menschen nicht mehr wie (Schlacht-) Vieh gehalten, mit Nervengiften abgespritzt, mit elektrischem Strom gefoltert oder auf andere barbarische Weise ihrer Freiheit und Würde beraubt werden.

Berlin-West, April 1983
Die Redaktionsgruppe der Irren-Offensive