letzte Änderung am 15.4.2024

Peter Lehmann

Jeder leidet für sich allein – Berichte über das chronische Entzugssyndrom bei Antidepressiva

Aus verschiedenen Gründen – u.a. aus Marketinggründen – ignorieren oder bestreiten Hersteller, Inverkehrbringer und Verschreiber von Antidepressiva sowie psychiatrische Interessensverbände deren potenziell körperlich abhängig machende Wirkung. Sie tun Entzugserscheinungen als Rückfall oder als Symptomverschiebung der ursprünglich diagnostizierten Problematik ab. Oder sie begründen sie mit einer (behaupteten) Überdosierung, falsch gestellten Diagnose, indikationsfremden Verabreichung oder zu schnellem Absetzen. Oder sie bagatellisieren sie als übertrieben, Einzelfall oder Ausdruck eines laienhaften Verständnisses. Oder sie reagieren auf das Leid der Betroffenen mit Gleichgültigkeit und Schweigen, Dosiserhöhung und/oder Elektroschocks.

Weitere Informationen zur Entzugsproblematik und den Gründen für das Leugnen siehe Peter Lehmann: Gibt es eine Abhängigkeit von Antidepressiva und Neuroleptika? Wem nützt welche Antwort? Und was folgt daraus für die Praxis?

Austausch und Hilfe finden Sie bei PsyAb (Psychopharmaka Absetzen), einer unabhängigen Initiative von betroffenen Privatpersonen zur Information und zum Austausch über das Absetzen von Psychopharmaka. Weitere Informationen zum Absetzen von Psychopharmaka siehe www.peter-lehmann.de/ex.htm.

Bericht vom 17.1.2023

Ich bin völlig verzweifelt und suche bereits seit zehn Monaten nach einem Ausweg, um der Entzugshölle zu entkommen oder die Symptome wenigstens lindern zu können.

Ich habe von 2004 bis zum Januar 2022 Escitalopram in wechselnden Dosierungen verschrieben bekommen und das Präparat innerhalb von fünf Wochen schrittweise reduziert und dann vollständig abgesetzt. Seitdem erlebe ich unerträgliche Zustände, welche ich zuvor niemals in diesem Ausmaß hatte. Die starken Nebenwirkungen der Escitalopram-Einnahme zwangen mich zum Absetzen, was ich zuvor schon einmal versucht hatte, jedoch dann die Tabletten erneut wieder einnahm, da ich es nicht aushielt. Spätestens da hätten bei mir und meinem Arzt die Alarmglocken schrillen müssen, aber ich habe jahrelang einfach nur teilnahmslos geschluckt und geschluckt!

Anfangs hatte ich nach dem Absetzen starke grippeähnliche Symptome, starke monatelange Übelkeit, stromschlagähnliche Empfindungen im Kopf und an anderen Körperteilen, Bewegungsstörungen, Sehstörungen, Muskelkrämpfe. Das alles hat inzwischen nachgelassen, nach nunmehr zehn Monaten Absetzzeitraum. Doch zeitverzögert hat sich eine permanente körperliche Schwäche entwickelt, vor allem in den Armen spürbar, dazu kamen unerträgliche Angstzustände, chronische Appetitlosigkeit, starker Schwindel, Verwirrtheit, Brain Fog (1) ein Gefühl der totalen Empfindungslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Freudlosigkeit, es gibt keinerlei spontanen Emotionen mehr, ich kann mich für nichts mehr entscheiden, auch für die simpelsten Dinge nicht, ich überlege ewig hin und her, dazu ein starker Tinnitus, schwere Depressionen, Selbstmordgedanken, ich lebe nur noch in der Vergangenheit, habe eine starke Sehnsucht nach früheren Zeiten.

Ich erlebe schon beim Aufwachen morgens immer dieses schreckliche unbeschreibliche Gefühl, das meinen Alltag so massiv einschränkt, ich bin schon das ganze Jahr überwiegend krankgeschrieben und habe auch große Angst um meine Existenz, große Zukunftsangst.

Ich weiß nicht, wie lange ich diesen Zustand noch aushalten kann, ich versuche ja seit Monaten, eine Linderung zu erreichen, indem ich verschiedene Nahrungsergänzungsmittel und Phytopharmaka, also nur pflanzliche Mittel, einnehme und habe dadurch schon viel Geld ausgegeben, vergeblich. Meine Krankenkasse übernimmt ja leider keine Kosten für orthomolekulare und ganzheitliche Medizin, nur diese teuren Antidepressiva, die wurden jahrelang bezahlt!

Anmerkung

(1) Beim Brain Fog (Gehirnnebel) handelt es sich um Phänomene, die einem jegliche Konzentration rauben und den Blick aufs Wesentliche "vernebeln". Man kann nicht mehr klar denken und wird vergesslich. (P.L.) Pfeil

Die Anfrage kommt von Rainer Schmid aus Ulm. Sollte jemand einen Vorschlag haben, was er gegen die Entzugsprobleme machen kann, würde er sich freuen, wenn Sie direkt Kontakt mit ihm aufnehmen: rainerschmid-ulm[at]t-online.de. Peter Lehmann, 10. November 2023

Bericht vom 20.4.2023

Ich hatte von 2011 bis zum September 2022 Antidepressiva eingenommen aufgrund einer schweren Depression im Jahr 2011 und von begleitenden Zwangsstörungen. Ich hatte mehrere Jahre Fluoxetin eingenommen (je nachdem zwischen 20 und 40 mg) und für einige Monate vor ungefähr 3 Jahren auch mal Paroxetin, war danach aber wieder auf Fluoxetin gewechselt. Ich habe die Einnahme letztes Jahr im September aufgrund von diversen Symptomen wie Müdigkeit, mangelhafte Regenerationsfähigkeit, Fettleibigkeit (trotz regelmäßigen Sports) Impotenz usw. beendet, da ich diese Symptome ich nach einigen Recherchen auf die Antidepressiva-Einnahme zurückführte.

Das Absetzen erfolgte leider kalt, also ohne stufenweises Ausschleichen, wie es eigentlich empfohlen wird, was mir aber bis dato als Laie unbekannt war. Ich wurde von meinem Psychiater, leider niemals über die Langzeitfolgen und andere wichtige Faktoren, wie stufenweises Ausschleichen, aufgeklärt. Mittlerweile bin ich also ungefähr 7 Monate "clean" und kämpfe dennoch immer noch mit sehr schwerwiegenden Symptomen, die mein Leben erschweren und die dazu geführt haben, dass ich meinen aktuellen Beruf nur noch wenige Stunden in der Woche ausführen kann.

Zu den Symptomen zählen:

  • Müdigkeit und Energielosigkeit
  • Mangelhafte Regenerationsfähigkeit des Körpers
  • Schlafstörungen
  • Wahrnehmungsstörungen
  • Motorische Störungen
  • Leichte Schwindelanfälle
  • Kopfschmerzen, bzw. "brain zaps"
  • Ein Gefühl im Kopf, als würde mein Gehirn "flüssig" werden, was andere Patienten wohl teilweise als "brain fog" beschreiben
  • Verringerte Gedächtnisleistung, vor allem Kurzzeitgedächtnis
  • Erektile Dysfunktion und Impotenz

Meine Frage an Sie: Können Sie mir irgendein "Hilfsmittel" nennen, was Ihrer Erfahrung nach dabei hilft, diese schlimme Phase zu überstehen? Eine erneute Einnahme dieses Nervengifts kommt für mich nicht mehr in Frage. Gibt es aus der Wissenschaft irgendwelche Erkenntnisse, was einem dabei helfen kann? Ich hatte von anderen Betroffenen gehört, dass diese es mit CBD-Öl, 5 HTP Griffonia oder L-Tryptophan versuchen.

Für mich, wie für viele andere Betroffene auch, mit denen ich mich schon in diversen Foren dazu ausgetauscht habe, hat sich die Langzeiteinnahme und das Absetzen von Antidepressiva als realer Alptraum erwiesen. Aus diesem Grund wäre ich Ihnen für Tipps, Ratschläge und Erfahrungswerte jeglicher Art sehr dankbar, und wenn es auch nur der Verweis auf einen hilfreichen Kontakt oder eine nützliche Publikation ist.


Bericht vom 15.6.2024

Mein Name ist Christian M., bin mittlerweile 34 Jahre alt und wohne in der Nähe von Marburg in Hessen. Ich bin mit 26 in eine leichte Angststörung geraten. Dann nach 10 Monaten mit meinem psychischen Leiden wurde mit SRI angefangen: Citalopram 20 mg.

Die ersten 8 Wochen der Einnahme konnte ich vor lauter unerwünschter Wirkungen wie beispielsweise Schwindel, Brainfog, Gedächnisstörungen, Körpertemperaturschwankungen, Muskelzittern, Erbrechen und vielem mehr einfach nur da liegen und alles über mich ergehen lassen. Die Symptome würden nur anfangs auftreten, bekam ich gesagt. Also ertrug ich diesen Wahnsinn. Irgendwie wurde mein Zustand auch langsam besser. Ich konnte meine Arbeit wieder aufnehmen und wurde die nächsten 3 Jahre bis Citalopram 40 mg weiter damit behandelt. Ich habe einige Änderungen in meinem Leben vorgenommen und mir ging es einfach wieder gut.

Nach knapp 3 Jahren wurde es schleichend schlimmer. Anders schlimmer. Ich bekam völlig unbegründete Ängste und eine Unruhe und war sehr aggressiv. Also erfolgte meine erste stationäre Behandlung.

Erstmals war ich arbeitsfähig für knapp 4 Monate. Schließlich bin ich von 40 mg Citalopram auf 20 mg Escitalopram umgestellt worden. Knapp 3 Monate ging es damit wirklich gut. Dann wieder deutlich schlechter. Mir wurde endlich bewusst warum. Es waren die Wirkungen der Antidepressiva. Kurz vor meinem 30. Geburtstag setze ich diese Substanzen auf Anraten meines Psychiaters einfach ab. Wieder ging es mir 3 Monate deutlich besser. Danach kam ein Zusammenbruch, den ich aus den ersten 8 Wochen kannte.

Ich fing an, mich zu informieren, und wusste, dann ich wohl habe einen Kaltenzug gemacht. Ich nahm die Antidepressiva noch einmal, aber sie wirkten nicht mehr. Also dachte ich mir, ich kämpfe mich da durch. In Kontakt mit Peter Ansari, der mir versicherte, es dauere keine 12 Monate, war mein Entschluss gefasst. Nach knapp 11 Monaten ohne Antidepressiva brach noch mal alles richtig zusammen. Ich entschloss mich, in eine Klinik zu gehen, auch weil sich meine Familie sorgte. Ich wollte wieder leben!

Stationär bin ich für 8 Wochen in der Klinik Hohe Mark gewesen. Diese hatte eigentlich einen guten Ruf. Entzug wurde da natürlich geleugnet. Dort bekam ich sogar Pro Antidepressiva Bilderbücher. Verfasser? Pharmakonzerne. Aufgrund meiner Verzweiflung hörte ich auf das Team und ließ mich nochmals auf Escitalopram und Mirtazapin für genau 6 Wochen in geringer Dosis ein. Ich wäre in der Klinik wegen der unerwünschten Wirkungen gefühlt fast gestorben – beispielsweise Kreislaufzusammenbrüche, Panikattacken, Schwindel, Ohnmachtsanfälle, Körpertemperaturschwankungen, Kopfschmerzen, Muskelsteifheit, Muskelzittern und vieles mehr. Ernst genommen hat das natürlich keiner. Auf die Geschlossene Station sollte ich! Ich setze alle Psychopharmaka sofort ab und habe mich selber entlassen.

Knapp 14 Tage später folgte in der Ameos Klinik in Bremen die nächste stationäre Behandlung. Allerdings ging es mir dort wie erwartet relativ gut. Es gab auch ein Gespräch mit Herrn Gonther, er war der erste, der mich ernst nahm. Er meinte aber, der Entzugsprozess könne sogar 24 Monate dauern. Ab dem Punkt war für mich klar: Ich kämpfe!

Diese Psychopharmaka haben mir so viel Leid gebracht und mich erst arbeitsunfähig gemacht. Nie wieder wollte ich davon was wissen!!! Diagnosen habe ich durch den Kaltentzug mehr als genug erhalten, sei es von den Kliniken oder meinem Psychiater. Das hat nicht annähernd etwas mit dem zu tun, weswegen man mir diesen Dreck mal gegeben hat.

Die Entlassung aus der Ameos Klinik ist nun 39 Monate her. Seit über 4 Jahren bin ich arbeitsunfähig und bekomme Erwerbsunfähigkeitsrente. Mit den vielen Diagnosen bin ich arbeitsunfähig geschrieben, und das nur wegen der Antidepressiva!!! Ich habe in den 39 Monaten wirklich alles erlebt, ein ständiges Auf und Ab. Mittlerweile spüre ich teilweise mich selbst wieder. Aber genauso leide ich auch noch unter ausgesprochen starken Symptomen, insbesondere unbegründeten Angstzuständen, Brainfog, Depersonalisation und Derealisation, Lustlosigkeit, die Liste ist lang. Dieser Kampf ist wirklich einfach eine äußerst grenzwertige Erfahrung. Und leider noch nicht vorbeiā€¦ Aber die Hoffnung habe ich noch nicht aufgegeben. Nicht eine Tablette, nicht mal eine des Schmerzmittels Ibuprofen habe ich seither genommen.

Das Vertrauen zu Ärzten und Psychiatern ist weg. Mittlerweile stehe ich hauptsächlich über Social Media zu vielen Menschen in Kontakt, die die gleichen Probleme haben. Außer denen nimmt einen niemand wirklich ernst, egal ob Ärzte – abgesehen von Herrn Gonther – oder das persönliche Umfeld. Selbst ein Drogenentzug dauert nicht so lange. Der von Antidepressiva aber doch. Es kann und will einem niemand helfen, das ist wirklich zum Verzweifeln!!!