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Peter Lehmann

Schöne neue Psychiatrie, Band 2: Wie Psychopharmaka den Körper verändern

Einleitung

Wer Klarheit über die Risiken will, die mit der Verabreichung von psychiatrischen Psychopharmaka verbunden sind, muss sich mit deren Wirkungsweise und Auswirkungen auseinandersetzen, erst recht, wenn ärztlicherseits das Interesse an einer umfassenden Aufklärung zu wünschen übrig lässt. Das Buch kann angesichts der Inhalte zugegebenermaßen keine leichte Lektüre sein. Umfassende und eindeutige Informationen, die in dieser Form von seiten der Ärzte und Psychiater den sogenannten Laien nach wie vor vorenthalten werden, sollen das psychiatrische Dilemma (»Schöne neue Psychiatrie«) beim Namen nennen und dazu beitragen, das kritische Potential der Betroffenen und ihnen nahestehender Personen zu schüren. Sie können so – sofern sie überhaupt die Chance haben – selbst wählen und sich eigenständig für oder gegen Psychopharmaka entscheiden. Ist bereits ein Schaden eingetreten, soll der Nachweis erleichtert werden, dass der Schaden auf die Behandlung zurückzuführen ist.

Wem Psychopharmaka verabreicht werden

Schon seit Jahrhunderten verabreicht man alle denkbaren Substanzen, um die menschliche Psyche zu beeinflussen. Heutzutage ist es üblich, unangenehme und störende Gefühle und damit verbundene Einstellungen und Handlungsweisen mit Drogen aller Art zu unterdrücken oder Gefühle mit vermeintlichen Glückspillen künstlich zu produzieren. Viele Männer und Frauen denken, sie bräuchten Psychopharmaka zum Wohlbefinden und Überleben. Diesen Haltungen entspricht das nahezu unerschöpfliche Reservoir an Substanzen, die man als Psychopharmaka einsetzen kann. Im medizinisch-psychiatrischen Bereich sind dies neben Neuroleptika vor allem Antidepressiva.

Bewältigung der Alltagspflichten von Hausfrauen, Erziehungs- und Verhaltensprobleme von Kindern und Unzufriedenheit von Alten sind einige der umsatzträchtigen Indikationen, die in Werbeanzeigen mehr oder weniger direkt immer wieder genannt werden und zur Verschreibung psychiatrischer Psychopharmaka anregen sollen. Dies belegen z.B. die Abbildung 1 für das Neuroleptikum Compazine (Wirkstoff Chlorperazin; in Deutschland, Österreich und der Schweiz derzeit nicht im Handel), die Abbildung 2 für das Antidepressivum Insidon, die Abbildung 3 für das Neuroleptikum Dogmatil (»das sanfte Psychopharmakon«) und die Abbildung 4 für das Neuroleptikum Mellaril (Wirkstoff Thioridazin; im Handel als Melleretten, Melleril, Sonapax und Thioridazin). Die Schürholz Arzneimittel GmbH in München lieferte in ihrer Dogmatil-Anzeige gleich die Palette der Indikationen für die Verabreichung durch Kinderärzte:

»Verhaltensstörungen, psychoaffektives Fehlverhalten, aggressives Verhalten, Oppositionsverhalten, übermäßige Gehemmtheit, psychomotorische Instabilität, Agitiertheit, Phobien, Schlafstörungen, Tics, Nägelbeißen, Anpassungsstörungen in der Schule, Enuresis (Bettnässen), psychogene Anorexie (Appetitlosigkeit).«

Illustrationen wie in der Anzeige für das Neuroleptikum Trilafon führen dem Mediziner leichtverständlich vor, dass man per Spritze ›hysterischen‹ und anderen Frauen mit störendem Gefühlsleben wirksam helfen kann, nämlich indem man sie gleichsam wie einen Flaschengeist in die Ampulle verbannt (siehe Abbildung 5). Problemlos lässt sich mit dem Antidepressivum Faverin (Wirkstoff Fluvoxamin; im Handel als Fevarin und Floxyfral) der unglücklichen Frau ein heiter lächelnder Mund einsetzen (siehe Abbildung 6). Für Frauen, die unter dem »Syndrom des leeren Nestes« leiden, annoncierte man Triavil. Dieses Kombinationspräparat aus dem Neuroleptikum Perphenazin (im Handel als Decentan, Perphenazin und Trilafon) und dem Antidepressivum Amitriptylin (im Handel als Amineurin, Amitriptylin, Novoprotect, Saroten, Syneudon und Tryptizol; enthalten in Acordin, Betamed und Harmomed).

»... könne oft Frauen in den Wechseljahren helfen, erfolgreich mit einer neuen und anderen Rolle klarzukommen, wenn die Kinder erwachsen und aus dem Haus sind.«

70% aller Psychopharmaka werden Frauen verordnet. »Man kann sagen,« schrieb die Journalistin Ingrid Füller 1994 in dem Buch »Schlucken und ducken«,

»dass Frauen – in der Regel widerspruchslos – das herunterschlucken, was ihnen der Arzt verordnet, bzw. das, was die Anzeigenflut der pharmazeutischen Industrie, die ja gezielt in den Frauenzeitschriften auftaucht, ihnen vermittelt: die Botschaft ›Für jedes Problem gibt es eine Pille‹.«

Frauen erhalten die doppelte Menge an Psychopharmaka, da sie häufiger zum Arzt gehen, so C. Hock von der Münchner und Franz Müller-Spahn von der Basler Universitätsanstalt. Da sie insbesondere in ihrer Rolle als Mutter immer funktionieren sollen, stehen sie zudem ständig unter Druck, eigene Probleme aller Art zu unterdrücken, und sei es durch Psychopharmaka. Außerdem werden bei Frauen signifikant häufiger als bei Männern Persönlichkeitsstörungen attestiert und Psychodiagnosen gestellt: Schlafstörung, Depression, Neurose, Psychose oder Schizophrenie bis zu dreimal so häufig.

Die Zahl der Frauen in der Gerichtspsychiatrie ist zwar wesentlich geringer als diejenige der Männer; prozentual gesehen werden Frauen, die unter emotionaler Beteiligung Delikte begingen, jedoch siebenmal häufiger als Männer als psychiatrische Fälle diagnostiziert und in Hochsicherheitsanstalten geschickt, so das Ergebnis einer Untersuchung der britischen Tageszeitung Observer aus dem Jahre 1990. Die Wahrscheinlichkeit, dass man bei Frauen eine psychiatrische Behandlung anordnet, wenn sie vor Kriminalgerichten erscheinen, ist doppelt so hoch wie bei Männern.

Alte Frauen sind von psychiatrischen Verordnungen besonders betroffen. Karl Kimbel, Geschäftsführer der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, wies 1987 darauf hin, dass 1985 auf 100 Frauen im Alter zwischen 71 und 80 Jahren 228 Verordnungen für Psychopharmaka kamen, bei den Über-80-Jährigen sogar 282.

Neben älteren Menschen und Frauen werden auch Kinder zunehmend psychopharmakologisch behandelt. In der Bundesrepublik Deutschland erhielten 1984 16,3% der Kinder im Alter von null bis zwölf Jahren Psychopharmaka. Wie Krankenkassen in Nordrhein-Westfalen ein Jahr später mitteilten, wurde jede siebte Psychopille von Kindern unter zwölf Jahren geschluckt. Nach Angaben der Frankfurter Rundschau lag die Gesamtzahl der psychopharmakabehandelten Kinder im Alter bis zu 14 Jahren in der BRD 1988 bei rund 900.000. 1989 wurden laut Bayernkurier 5% der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren als psychisch krank und behandlungsbedürftig betrachtet, ein Jahr später berichtete die Welt von 15% psychisch gestörten Kindern und Jugendlichen. Gemäß einer 1996 publizierten Studie der Universitätsanstalt Zürich weisen 22,5% der Kinder und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter im Kanton Zürich »eine oder mehrere psychische Störungen oder Verhaltensauffälligkeiten gemäss klinischen Kriterien auf«, wobei bei Kindern der Unterstufe (1. bis 3. Klasse) ein Spitzenwert von 32,7% Störungen aufgespürt wurde. Angesichts solcher Behauptungen kann man sich an allen zehn Fingern abzählen, dass die Psychopharmakaverordnungen weiter zunehmen werden.

»Die Zahl der in Gebrauch befindlichen Psychopharmaka ist beachtlich und als solche ein Beleg für enorme Fortschritte...«,

meinte 1984 Joest Martinius gemeinsam mit Kollegen in einem Lehrbuch für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Mit dieser Haltung wurde er 1988 prompt zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie gewählt. Dies ist kein Symptom spezieller deutscher Kinderfeindlichkeit. K. Makita von der Universitätsanstalt Tokio meinte beispielsweise beim kinderpsychiatrischen Symposium des Weltkongresses für Psychiatrie 1977 in Hawaii, es sei prinzipiell

»... nichts gegen eine notwendige oder hilfreiche medikamentöse Therapie in der kinderpsychiatrischen Praxis einzuwenden. Zudem wird die medikamentöse Behandlung in der Kinderpsychiatrie immer mehr an Boden gewinnen, denn heute besteht die Tendenz, den psychogenen Faktoren nicht mehr so große Bedeutung beizumessen wie früher und statt dessen, gemäß den modernen Ansichten in bezug auf psychische Störungen, umzudenken und die biologische Mitbeteiligung stärker in Betracht zu ziehen.«

Daraufhin fragte der Kongressteilnehmer J.E. Halasz aus Chicago offenbar voller Ernst:

»Man kann sich zwar fragen, was Kinderschizophrenie eigentlich ist, aber immerhin gibt es einige Autoren, die versuchen, zwischen der ›Kinderschizophrenie‹ und der Schizophrenie im Erwachsenenalter einen Zusammenhang herzustellen. (...) Nach diesen Autoren beginnen sich jetzt bestimmte biologische Merkmale, z.B. eine ungleichmäßige, ruckartig erfolgende Entwicklung, als Zeichen für ein hohes Schizophrenierisiko herauszukristallisieren. Hat schon jemand eine prophylaktische Behandlung mit Neuroleptika versucht?«

Tendenz steigend heißt es aber auch bei den Erwachsenen. Bereits jeder fünfte Bürger der (alten) BRD sei psychisch krank, meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 31. Mai 1991.

Wer Psychopharmaka verschreibt

Der Irrtum, nur bei psychiatrischen Diagnosen würden Psychopharmaka verschrieben, kann ebenso verhängnisvoll sein wie die Annahme, nur Psychiater würden sie verordnen. Im Rahmen der sogenannten Kurierfreiheit und angesichts der Beliebigkeit der Indikationen überrascht es wenig, dass es Allgemeinmediziner sind, die am häufigsten den Namen eines Psychopharmakons auf ihren Rezeptblock schreiben. Cornelia Krause-Girth von der Universitätsanstalt Frankfurt/Main nannte 1989 Zahlen:

»Der weitaus größte Teil aller Psychopharmaka-Verordnungen kommt von drei Facharztgruppen: praktischen Ärzten, Internisten und Nervenärzten, d.h. Neurologen und Psychiatern. Die restlichen Facharztgruppen verordnen zusammen nur etwa vier Prozent aller Psychopharmaka. Von Nervenärzten, Neurologen und Psychiatern werden rund 1/3 aller Antidepressiva und Neuroleptika verordnet, aber nur sieben Prozent aller Tranquilizer. In anderen Ländern, aus denen vergleichbare Daten vorliegen, ist es ähnlich. In den USA verordnen die Psychiater sogar nur fünf Prozent aller psychotropen (die Psyche beeinflussenden) Medikamente.«

Bei der Verordnungsmenge von Psychopharmaka an Kinder liegen Kinderärzte nach Allgemeinmedizinern an zweiter Stelle.
Der mit dem Ausbau der Gemeindepsychiatrie und einer Zunahme der Zahl niedergelassener Psychiater verbundene Anstieg der Zwangsunterbringungen, den der Bremer Medizinsoziologe und Psychiater Georg Bruns 1993 in seinem Buch »Ordnungsmacht Psychiatrie?« nachwies, dürfte neben einer Reihe anderer Faktoren ebenfalls zum Anstieg der Verabreichungsmengen von Psychopharmaka in den nächsten Jahren beitragen.

So genau wie niemand zuvor befasste sich Bruns mit den weiteren Konsequenzen der Ausweitung der Psychiatrie, als er formulierte:

»Die sozialpsychiatrischen Dienste mit dem in verschiedenen Fragen speziell ihnen erteilten Auftrag, die Bestimmungen eines PsychKGs (›Psychisch-Kranken‹-Gesetzes) auszufüllen, suchen selbst und werden von anderen Diensten dazu gebracht, das ihnen zur Verfügung stehende Instrumentarium auch anzuwenden und auf diese Art und Weise eine ›Zwangseinweisungsklientel‹ zu schaffen – ein Prozess der existentiellen Selbstrechtfertigung dieser Dienste, die, sind sie einmal installiert, von den in ihnen Tätigen mit Zähnen und Klauen verteidigt werden, handelt es sich doch großenteils um Angehörige von Berufsgruppen, die schlecht definierte Arbeitsfelder besitzen und einem hohen Risiko der Arbeitslosigkeit ausgesetzt sind (von 10,5 Planstellen eines Stadtteil-SpsD in Bremen sind vier für Sozialarbeiter und eine für Psychologen vorgesehen). Die institutionelle Selbstrechtfertigung der Dienste und die Notwendigkeit der materiellen Reproduktion der in ihnen Tätigen koinzidieren und verbinden sich zu einem vermutlich weitgehend unbewussten dynamischen Motiv, ›schwere Fälle‹ in Form von Zwangseinweisungen zu produzieren.«

Marktentwicklung von Psychopharmaka

Auf die Diagnostizierten warten unterschiedliche psychiatrische Anwendungen. Der Trend geht seit 1985 kontinuierlich weg von Tranquilizern und hin zu Antidepressiva und Neuroleptika, wie das Schaubild des Arzneiverordnungs-Reports 1995 belegt (siehe Abbildung 7). Der Spiegel nannte 1995 eine der Ursachen:

»Der Rückgang der Tranquilizer, vor allem der Benzodiazepine, bei gleichzeitigem Anstieg der Verschreibungen von Antidepressiva, Neuroleptika und pflanzlichen Therapeutika liegt im wirtschaftlichen Interesse der Pharmafirmen: Weil die Patente abgelaufen sind, sinkt der Preis der Benzodiazepine; Nachahmerpräparate sind verfügbar. Antidepressiva und Neuroleptika hingegen sind neu und deshalb teuer.«

Hinzu kommt, dass inzwischen Behandler und Hersteller von Tranquilizern zu Schadenersatzzahlungen wegen unterlassener Warnung vor dem Abhängigkeitspotential dieser Substanzen verurteilt wurden. Tranquilizer werden im Durchschnitt zehn Jahre lang verabreicht. Neuroleptika sollen an Menschen mit der Diagnose »Schizophrenie« zwar häufig noch länger, z.T. lebenslänglich verabreicht werden, doch wird deren abhängig machende Wirkung bisher bestritten, auch wenn man sie in fachinternen Veröffentlichungen längst zugegeben hat (siehe Kapitel »Abhängigkeit und Entzug«). Wenn Neuroleptika lebenslang genommen werden sollen, ist die Abhängigkeit auch deshalb kein Thema, weil sie sehr gelegen kommt.

Das deutsche Verordnungsspektrum der psychiatrischen Psychopharmaka ist im jährlich erscheinenden Arzneiverordnungs-Report beschrieben. Dort sind auch die jährlichen Verordnungszahlen der einzelnen Psychopharmakagruppen graphisch dargestellt. 1993 lagen der Absatz von Neuroleptika und Antidepressiva etwa gleich hoch. Der Report berichtete 1995:

»Eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Psychopharmakagruppen zeigt eine sehr unterschiedliche zeitliche Entwicklung. Die Verordnungen von Tranquillantien sind in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Dieser Trend wurde nach der Vereinigung Deutschlands nur kurzfristig durch die Einbeziehung der ostdeutschen Verordnungsdaten unterbrochen. Er hat sich 1994 verstärkt fortgesetzt. Umgekehrt nahmen Neuroleptika und Antidepressiva eine stetige entgegengesetzte Entwicklung, die durch die Verordnungen aus den neuen Bundesländern noch deutlicher wurde. Infolgedessen haben die Tranquillantien ihre früher dominierende Stellung verloren und machen inzwischen deutlich weniger als ein Drittel des Verordnungsvolumens von Psychopharmaka aus.«

Auch die Entwicklung der Umsatzzahlen der einzelnen Psychopharmaka in der BRD kann hier verfolgt werden. Unter den Neuroleptika war 1994 Haloperidol der umsatzstärkste Wirkstoff, Haldol der Spitzenreiter unter den Handelsprodukten. Es folgten Promethazin (Handelsnamen Atosil und Prothazin), Imap, Eunerpan, Melleril, Neurocil, Fluphenazin (Handelsnamen Dapotum und Lyogen), Taxilan und Dipiperon. Im Gegensatz zum Vorjahr hatte die Zahl der Verschreibungen 1994 insgesamt wieder zugenommen. Die mit Abstand höchste Umsatzsteigerung konnte Ciatyl-Z verbuchen, gefolgt von Haloperidol, Propaphenin (Wirkstoff Chlorpromazin) und Fluphenazin. Das Umsatzniveau von Leponex, dessen Wirkung sich weniger in der gut sichtbaren Motorik als vielmehr in den inneren Organen niederschlägt, blieb bestehen, wogegen der Umsatz von Sulpirid-Präparaten (Handelsnamen Dogmatil und Meresa), die man auch als Antidepressiva verkaufen kann, leicht zurückging.

1992 hatten insbesondere Psychopharmaka mit multiplen Indikationen die stärksten Zuwachsraten, vor allem Atosil und Imap 1,5 mg, das man auch als Tranquilizer verkauft und das von den Herstellern zur Verabreichung bei sogenannten nicht-psychotischen Störungen empfohlen wird.

Manche Psychiater sind mit der Entwicklung der Verabreichungszahlen offenbar nicht zufrieden. Reimer beispielsweise nutzte 1991 die Psychiatriezeitung Eppendorfer als Sprachrohr, seiner Forderung nach Befreiung der Psychiatrie von »modischem Firlefanz« und einem Verbot der psychotherapeutischen Verfahren Nachdruck zu verleihen, damit Sachlichkeit, Nüchternheit und verstärkte Anwendung von Elektroschocks die psychiatrische Tätigkeit noch mehr prägen als jetzt.

Wer Neuroleptika bekommt

Am häufigsten und intensivsten werden Neuroleptika verabreicht, wenn sich Psychiater für die Diagnose »Schizophrenie« entscheiden. Die Verabreichung ist »wie Essen und Trinken in vielen Fällen die Basis der Therapie«, so Psychiater in einer Werbebroschüre der deutschen ›Bundesarbeitsgemeinschaft der Träger psychiatrischer Krankenhäuser‹ Anfang der 90er Jahre. Anstaltsinsassen und -insassinnen mit der Diagnose »Schizophrenie« erhalten in 95% aller Fälle Neuroleptika. In Universitätsanstalten liegt die Rate noch um ein Prozent höher; bei der Diagnose »Depressionen« wird die Rate der Neuroleptikaverabreichung mit über 50% angegeben, bei der Diagnose »Neurosen« mit 41%. Dabei werden ca. 25% der Untergebrachten mit hochdosierten Neuroleptika behandelt.

Außerhalb von Anstalten, wo die Überwachungsmöglichkeiten geringer sind, liegt die Verabreichungsrate von Neuroleptika bei knapp 60%. George Crane vom National Institute of Mental Health (NIMH) in Chevy Case, Maryland, vermutete bereits 1973, in den USA und Europa lebten nur wenige ›Schizophrene‹, denen nicht bereits mindestens einmal Neuroleptika verabreicht wurden. Auch beim sogenannten manisch-depressiven Irresein (›affektive Psychose‹) gelten Neuroleptika als »Methode der ersten Wahl«. Finzen:

»Die Behandlungsrichtlinien sind verhältnismäßig einfach: hochpotente Neuroleptika in hoher Dosierung über einen längeren Zeitraum.«

Helmchen und Kollegen stellten klar:

»Kernstück der Therapie schizophrener und manisch-depressiver Kranker ist heutzutage die medikamentöse Behandlung mit Psychopharmaka (Neuroleptika und Antidepressiva).«

Allerdings ist dies kein Grund für Menschen mit anderen Diagnosen, sich nicht angesprochen zu fühlen. Krause-Girth schlüsselte die erwähnte Häufigkeitsverteilung der Diagnosen auf:

»Neuroleptika werden zu einem großen Teil bei Diagnosen außerhalb ihres Indikationsbereiches eingesetzt. Nur 40 Prozent der Verordnungen werden mit Psychosen begründet, 20 Prozent mit Neurosen, 16 Prozent mit mangelhaft behandelten Krankheiten, acht Prozent mit Symptomen, vier Prozent mit Hirngefäßerkrankungen, die restlichen zwölf Prozent verteilen sich auf ganz unterschiedliche Krankheiten.«

Auch unter den Neuroleptikabehandelten sind es die wehrlosesten oder vertrauensseligsten, die am stärksten behandelt werden.

»Alle Neuroleptika werden Frauen deutlich häufiger verschrieben, bei Imap ist das Verhältnis sogar 78 zu 22 Prozent«,

so Krause-Girth.

Neben der Geschlechtszugehörigkeit ist das zunehmende Alter ein gewichtiger Risikofaktor. Besonders aus den USA kommen verstärkt besorgniserregende Nachrichten. Während dort der Bevölkerungsanteil der über 60 Jahre alten Menschen 1985 bei 11% lag, betrug ihr Anteil an Neuroleptikaverschreibungen über 33%. Können ältere Menschen nicht mehr weglaufen, werden besonders häufig Neuroleptika verabreicht. Eine Untersuchung von 1986, die sich 2000 chemischen Substanzen und Millionen von Verschreibungen widmete, ergab, dass 60,5% der Verordnungen an die über 65 Jahre alten Altenheimbewohnerinnen und -bewohner Neuroleptikaverschreibungen waren. Laut einer 1989 publizierten Studie von Jerry Avorn und Kollegen der Harvard Medical School in Boston, durchgeführt in 55 Altenheimen in Massachusetts, erhielten 55% von 1201 Untersuchten zumindest ein psychiatrisches Psychopharmakon. 39% bekamen Neuroleptika verabreicht, die übrigen Antidepressiva, Lithium und Tranquilizer. Bei der Neuroleptikagruppe war der Prozentsatz der Mehrfachverordnungen mit Abstand am höchsten. Die Verschreibungen waren immer wieder automatisch erneuert worden. Eine zweite Arbeit brachte ähnliche Ergebnisse:

»In einer Folgestudie untersuchten wir 837 Bewohner in 44 Altenheimen mit teilweise hohen Dosen antipsychotischer Medikamente. Bei ungefähr der Hälfte von ihnen war im Untersuchungsjahr offensichtlich kein Arzt an Entscheidungen über ihren psychischen Zustand beteiligt. (...) Wir kommen zum Schluss, dass Psychopharmaka in Altenheimen weit verbreitet sind, wobei die Mitarbeiter nur ein geringes medizinisches Verständnis von den möglichen Nebenwirkungen besitzen und der Gebrauch nur wenig medizinisch überwacht wird.«

Verordnet werden Psychopharmaka in Altenheimen von Allgemein- und praktischen Ärzten. In der Meinung, die Verordnung durch einen Psychiater sei eher vertretbar, beklagte sich Joachim Spahr aus Esslingen beim Spiegel über die ›unfachmännische‹ Verschreibung:

»In meiner sechsjährigen Berufspraxis als Altenpfleger kann ich mich an keinen einzigen Fall erinnern, wo Psychopharmaka – so wie es für eine gesicherte Diagnose erforderlich wäre – von einem Neurologen oder Psychiater verordnet wurden, sondern in der Regel werden sie von den behandelnden Hausärzten verschrieben.«

Viele Behandler meinen, dass ab einem bestimmten Alter Geschlechtsunterschiede im ›Bedarf‹ nach Neuroleptika auftreten. »Frauen über 40 benötigten in aller Regel höhere Dosen als Männer«, schrieb Mary Seeman vom Clarke Institute of Psychiatry in Toronto.

Privatversicherten werden hierzulande seltener Neuroleptika verabreicht als Kassenversicherten. Dies hat wahrscheinlich damit zu tun, dass Behandler gegenüber anderen Besserverdienenden mehr Verständnis aufzubringen bereit sind. In Einzelfällen kann die Frage der Versicherung eine andere Rolle spielen, z.B. wenn Chefärzte im Rahmen der Privatliquidation Geräte, Einrichtungen und Personal von Anstalten und Kliniken nutzen, um sich durch eine aufwendige und vor allem teure Behandlung Zusatzeinnahmen zu verschaffen. Die Großzügigkeit von Privatversicherungen schlägt sich dann in besonders intensiven psychiatrischen Anwendungen nieder. Wie eine privat abgerechnete Intensivbehandlung aussehen kann, wird beispielhaft deutlich an der multiplen Verabreichung psychiatrischer Anwendungen durch den damaligen Chefarzt der Universitätsanstalt Mainz, Peters. Einer gerade 18 Jahre alt gewordenen jungen Frau hatte er unter der Diagnose »Verdacht auf progrediente (fortschreitende) psychiatrische Auffälligkeiten, die über das Ausmaß einer Pubertätskrise hinausgehen« folgendes verabreicht, wie diese 17 Jahre später ermitteln konnte:

»5 Elektroschocks, wochenlang tägliche Insulinschocks (400 Einheiten i.v.), Antidepressiva-Infusionen, 14 verschiedene Neuroleptika, Tranquilizer, Antidepressiva und Barbiturate plus Kreislaufmittel plus Anti-Parkinsonmittel. Der Speiseplan am 28. März 1976, einem schockfreien Tag, sah z.B. so aus: Lyogen retard 3 mg, Melleril retard 2 x 30 mg, Ordinal retard 1 Dragee, Dihydergot 3 x 20 Tropfen, Tavor 2,5 mg, Pertofran 75 mg, Akineton retard 1 Dragee, Luminal 3 x 1,0 Tabletten, Valium 2 x 10 mg, Valium 20 mg i.m.. Zusätzlich zum E-Schock vom 16. März 1976 und den dabei verabreichten Herz-, Beruhigungs- und Betäubungsmitteln (Atropin, Brevimytal, Succinylcholin) gab es neben weiteren Kreislaufmitteln 2 Neuroleptika, 2 Tranquilizer und 1 Antidepressivum. Die laut Peters ›exzessiv hohe‹ Dosis von 400 Einheiten Alt-Insulin i.v. reicherte er noch an mit 3 mg Lyogen, 2 x 200 mg Melleril, 1 Dragee Ordinal, 3 x 20 Tropfen Dihydergot, 2,5 mg Tavor und 1 Luminal. Am 20. Februar 1976 brauchte er zusätzlich 10 Ampullen Traubenzucker i.v., um mich aus dem Koma zu holen.«

Mitglieder von Bevölkerungsgruppen, die weniger Ansehen und Einflussmöglichkeiten haben, werden mit größerer Wahrscheinlichkeit psychiatrischer Behandlung zugeführt als die Teilhaber gesellschaftlicher Macht. In Staaten wie den USA, wo die ›richtige‹ Hautfarbe häufig eine Voraussetzung für den sozialen Aufstieg ist, werden beispielsweise Schwarze öfter und länger psychiatrisiert sowie höherdosiert mit Neuroleptika behandelt. In den Südstaaten werden Schwarze dreimal so oft in die Anstalt gebracht wie Weiße. In England spricht man vom »›big, black and dangerous‹-syndrome« (»›Groß, schwarz und gefährlich‹-Syndrom«), um die Vorurteile der Behandler zu bezeichnen, die zur hochdosierten Neuroleptikabehandlung von groß gewachsenen und scheinbar gefährlichen Menschen mit starker Hautpigmentierung führen. Auch unter Ellektrogeschockten sind ethnische Minderheiten überrepräsentiert. Handelt es sich um schwarze Frauen, wird die Diagnose »Schizophrenie« überproportional oft gefällt und die Verabreichung von Neuroleptika entsprechend häufig angeordnet.

Zur Neuroleptikaverabreichung an Kinder lieferte Psychologie heute 1984 konkrete Zahlen. Zu diesem Zeitpunkt wurde Promethazin Kindern bis zu zwölf Jahren in der BRD alleine unter dem Handelsnamen Atosil 170.000mal verordnet, davon 100.000mal an Ein- bis Fünfjährige und 30.000mal an Säuglinge.

Wer Antidepressiva bekommt

Da Frauen weitaus öfter die entsprechenden Diagnosen erhalten, ist es selbstverständlich, dass ihnen häufiger Antidepressiva verordnet werden. Mit zunehmendem Alter steigt bei Männern wie bei Frauen die Wahrscheinlichkeit, Antidepressiva zu erhalten, um dann ab Beginn des Rentenalters auf konstant hohem Niveau zu bleiben. Auch Kinder erhalten Antidepressiva. Wie Shader und Kollegen ausführten, gelten als Indikationen zur Hälfte Bettnässen, da Antidepressiva als ›Nebenwirkung‹ tendenziell Harnverhalten bewirken, und zur Hälfte Verhaltensauffälligkeiten, die man chemisch neutralisieren will.

Im Arzneiverordnungs-Report beschrieb man die Marktentwicklung:

»Insgesamt haben die Verordnungen von Antidepressiva eindrücklich zugenommen. Dies betrifft vor allem die klassischen trizyklischen Substanzen mit eher dämpfenden und anxiolytischen (angstlösenden) Eigenschaften wie Amitriptylin, Doxepin und Trimipramin...«

Marktführer 1994 in der BRD waren Amitriptylin (Handelsnamen Amineurin, Amitriptylin, Novoprotect, Saroten, Syneudon und Tryptizol), Doxepin (Handelsnamen Aponal und Sinquan), Trimipramin (Handelsnamen Stangyl und Herphonal) und Insidon.

Lithium und Carbamazepin

Im deutschsprachigen Raum werden Lithiumpräparate unter den Handelsnamen Hypnorex, leukominerase, Li 450, Litarex, Lithiofor, Lithium, Neurolepsin, Neurolithium, Priadel, Quilonorm und Quilonum vertrieben. Ihr Absatz nahm 1994 in Deutschland stark zu.

Carbamazepin ist ein Antiepileptikum, das aufgrund seiner dämpfenden Wirkung auch als psychiatrisches Mittel verabreicht wird. In den deutschsprachigen Ländern wird Carbamazepin unter den Handelsnamen carba 200, Carbagamma, Carbamazepin, Carbium, Finlepsin, Fokalepsin, Neurotrop, Sirtal, Tegretal, Tegretol und Timonil verkauft. In Österreich gibt es zusätzlich das Carbamazepin-verwandte Trileptal. Die Carbamazepin-Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen stiegen in der BRD im letzten Jahrzehnt kontinuierlich. Lag beispielsweise die Zahl 1991 noch bei 56 Millionen Tagesdosen, betrug sie 1994 bereits 103 Millionen. Allerdings ist den Verkaufszahlen nicht zu entnehmen, ob sich die zugrundeliegenden Indikationen auf eher neurologische Erkrankungen wie Epilepsien bezogen oder auf psychiatrische Diagnosen.

Verabreichung von Psychostimulantien an Kinder

Hierzulande sind derzeit drei Aufputschmittel auf dem Markt: die Amphetamine Captagon, Ritalin und Pemolin (Stimul, Tradon). Das bekannteste an Kinder verabreichte Psychostimulans ist Ritalin. In Österreich wurde es früher unter dem Handelsnamen Rilatin verkauft. Andere, wenn auch bei sogenannten Aufmerksamkeitsstörungen weniger gebräuchliche Amphetamine, die man Kinder schlucken lässt, sind Pemolin und das in manchen nicht-deutschsprachigen Ländern gebräuchliche Dextro-Amphetamin (Dexedrine).

Psychiater gehen davon aus, dass 4% aller Kinder im schulpflichtigen Alter unter schwerer und chronischer Hyperaktivität leiden und deshalb mit Ritalin behandelt werden sollten. In den USA mussten 1990 nach Schätzungen des NIMH bereits 1.000.000 Kinder Ritalin einnehmen ; 1989 sollen 10% aller US-Jugendlichen hyperkinetisch gewesen sein, insbesondere Jungen.

Im Arzneiverordnungs-Report wiederholen Martin Lohse vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Würzburg und Bruno Müller-Oerlinghausen seit Jahren formelhaft, es bestehe bei der Indikation »hyperkinetische Verhaltensstörung« der Verdacht, dass Psychostimulantien bei Kindern bisher unterverordnet würden. Während die beiden für die BRD 1990 noch einen Verkaufsrückgang von Ritalin melden mussten, zog in den folgenden Jahren sein Verkauf deutlich an.

Bei den ritalinbehandelten Kindern sind es zu 90% Jungen. Meist handelt es sich um Kinder leistungsorientierter Eltern. Die Kinder erhalten täglich zwischen 5 mg und 200 mg. Mit der psychiatrischen Begründung, bei Verhaltens-, Schul-, Erziehungs- und Familienproblemen handele es sich um individuelle und organisch bedingte Funktionsstörungen, soll den Eltern die Zustimmung zur Chemobehandlung ihrer Kinder schmackhaft gemacht werden. U. Knölker von der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Abteilung der Universitätsanstalt Lübeck z.B. argumentierte in dieser Weise. Nach seiner Meinung

»... stellt die Eröffnung des Arztes, dass eine Störung vorliegt, für die Kind und Eltern primär nichts können, eine wesentliche Entlastung dar, die bereits ein Teil der Therapie ist. Der Familie sollte klargemacht werden, dass ihnen geholfen werden kann, wenn alle bereit sind, daran mitzuarbeiten. (...) Insgesamt stellt die Pharmakotherapie eine wesentliche Stütze in der therapeutischen Palette des hyperkinetischen Syndroms dar.«

Die Kommunikation mit dem betroffenen Kind, sofern sie überhaupt (noch) stattfindet, und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Anteil am Zustandekommen der Probleme und mit ungünstigen Schulverhältnissen werden dann zweitrangig. Kinder mit Aufmerksamkeitsproblemen bräuchten Ritalin wie Diabetiker ihr Insulin, so der Kinderarzt Martin Baren aus Orange, Kalifornien, beim Versuch, der Leserschaft des San Francisco Chronicle die ständig steigenden Verabreichungsziffern in den USA plausibel zu machen.

Wer Tranquilizer bekommt

Es ist sicher kein Zufall, dass man 1960 Chlordiazepoxid, den ersten Tranquilizer, zuerst bei psychiatrisierten älteren Menschen ausprobierte. Die bei der Verabreichung neben Sprachstörungen und Koordinationsstörungen von Bewegungen aufgetretene Ruhigstellung führte dazu, dass in der Folgezeit viele unzufriedene Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, unbequeme und fordernde Menschen, verstärkt in den ›Genuss‹ von Tranquilizern gekommen sind. Peters und sein Kollege M. Seidel teilten 1970 mit:

»Es gelingt dem Arzt, mit Hilfe von Diazepam (im Handel als diazep, Diazepam, duradiazepam, Faustan, Gewacalm, Lamra, Paceum, Psychopax, Stesolid, Tranquase, Umbrium, Valiquid, Valium und Valocordin; enthalten in Acordin, Betamed und Harmomed) gerade von den klagsamen Patienten einen gewissen Abstand zu gewinnen.«

Zunehmendes Alter und weibliches Geschlecht stehen mit dem steigenden Absatz von Tranquilizern in Wechselbeziehung. Ab dem 40. Lebensjahr, wenn sich viele vermehrt über ein sinnentleertes Leben Gedanken zu machen beginnen, gehen die Tranquilizerverordnungen sprunghaft in die Höhe. Die Hälfte aller Verschreibungen betreffen Personen zwischen 60 und 80 Jahren. Menschen im höheren Lebensalter erhalten besonders häufig und dauerhaft Tranquilizer, meist Benzodiazepine. Krause-Girth kritisierte die Anwendung in Form von Großpackungen und schrieb:

»Die massenhafte Verordnung von Benzodiazepinen an alte Menschen, bei denen sie gehäuft zu unerwünschten oder paradoxen Wirkungen führen, ist besorgniserregend.«

Neben älteren Menschen sind Frauen besonders von Tranquilizerverschreibungen betroffen, zwei- bis dreimal so häufig wie Männer. Frauen der mittleren Altersgruppe sind deutlich überrepräsentiert.

In der BRD erhalten schätzungsweise zwischen 10% und 20% der Bevölkerung Tranquilizer. Noch 1983 konsumierten laut »Transparenz-Telegramm« 18% der männlichen und 27% der weiblichen BRD-Bevölkerung Tranquilizer. 1985 schrieb die Psychologin Sybille Ellinger vom Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf, es sei

»... davon auszugehen, dass ca. sechs Prozent der erwachsenen Bevölkerung im Bundesgebiet täglich Schmerzmittel, zwei Prozent täglich Schlaftabletten und fünf Prozent täglich Beruhigungsmittel nehmen. Auch unter der Annahme, dass diese Medikamente gleichzeitig gebraucht werden, kann man die Zahl derjenigen, die täglich mindestens einer der genannten Präparategruppen verwenden, auf ca. sieben Prozent der erwachsenen Bevölkerung schätzen; das sind etwa 3,5 Millionen Menschen.«

Allerdings sind die Zahlen seit zehn Jahren rückläufig, weshalb sich Lohse und Müller-Oerlinghausen Sorgen machen, »ob es in bestimmten Indikationen zur Untermedikation« gekommen sei.

Die Verschreibungszahlen sind international uneinheitlich. Nahmen 1987 in den USA beispielsweise 11,1% der Bevölkerung zwischen 18 und 79 Jahren innerhalb eines Jahres Tranquilizer, lag die Rate in den Niederlanden nur bei 7,4%, in Belgien dagegen bei 17,6%.

Marktführer 1994 unter den Tranquilizern in der BRD war Bromazepam (Handelsnamen Normoc, Lexotanil, durazanil, Gityl usw.) vor Oxazepam (Handelsnamen Praxiten, Sigacalm, Noctazepam usw.), Diazepam (Handelsnamen Faustan, Valium usw.) und Lorazepam (Handelsnamen Tavor, Tolid). Möglicherweise waren allerdings wesentlich mehr Diazepampräparate verkauft. Da die auf Normpackungen bezogene Rezeptgebühr höher als der jeweilige Packungspreis ist, bezahlen die Kundinnen und Kunden nur den Packungspreis, Apotheken leiten dann das Rezept nicht an die Krankenkassen weiter. Der Umsatz von Meprobamat ist relativ gering.

Ein Drittel aller Neuroleptika und Antidepressiva, aber nur 7% der Tranquilizer werden von Neurologen und Psychiatern verordnet. Mit Abstand neigen praktische Ärzte und Internisten am ehesten zur Verabreichung von Tranquilizern. Ein Anzeigentext für Miltown (Wirkstoff Meprobamat) aus dem Jahre 1963 macht deutlich, dass Tranquilizer allen Medizinern schmackhaft gemacht werden können: Miltown sei »der Tranquilizer, der in jede Praxis gehört«, und zwar für

»den an Schlaflosigkeit Leidenden, den gespannt-nervösen Patienten, den Patienten mit Herzstörungen, den chirurgischen Patienten, das Mädchen mit Dermatosis (krankhafter Hautveränderung), den spannungsbedingten Kopfschmerz, die Frau im Klimakterium, die mit Angst einhergehende Depression, die prämenstruelle Spannung, den erregten senilen Patienten, den Alkoholiker, das Problemkind, den gastrointestinalen (von Magen-Darm-Problemen geplagten) Patienten.«

Noch 1981 standen 20% aller in Krankenhäuser eingelieferten Personen unter Tranquilizern. Bei den ambulanten Patientinnen und Patienten lag die Rate um 50%, bei den stationären um 30%, so Ulrich Klotz vom Stuttgarter Margarete-Fischer-Bosch-Institut für Klinische Pharmakologie. Weltweit wurden zu diesem Zeitpunkt täglich 40 Billionen Einzeldosen verschrieben. Dabei führen ›echte‹ medizinische Ursachen, d.h. einfach messbare Krankheiten, nur in geringem Maß zu ihrem Einsatz. Der häufigste Verordnungsgrund sind psychosomatische Störungen. Diesen Diagnosen lastet unter naturwissenschaftlich orientierten Medizinern der Vorwurf der Beliebigkeit an. Diese habe zur rasanten Absatzentwicklung beigetragen, deshalb gelten »mindestens drei Viertel aller Verordnungen als nicht rational begründet«. Besteht auf Krankenstationen ein Pflegenotstand, wird dieser häufig mit Tranquilizern behoben. Die Pflegebedürftigsten, z.B. hospitalisierte ältere Menschen, erhalten deshalb besonders häufig Tranquilizer. Im Spiegel-Artikel »Dieser Bärenkram muss aus dem Verkehr« konstatierte Werner Platz von der Karl-Bonhoeffer-Anstalt in Berlin, allenfalls jede zehnte Tranquilizerpille werde wirklich zum Wohle der Betroffenen eingesetzt, z.B. bei epileptischen Anfällen, in den Tagen und Wochen nach dem Herzinfarkt, vor Operationen, bei beginnenden Psychosen oder bei künstlicher Beatmung in der Intensivstation. Der Rest sei »Verdummung, Geschäftemacherei«.

Verabreichung von Depot-Präparaten

In der Vergangenheit nannten Psychiater einige Gründe für die Verabreichung von Psychopharmaka in Depotform, insbesondere von Depotneuroleptika. Das Prinzip von Depotpräparaten besteht darin, dass ein Ester der Substanz, d.h. eine durch Kondensationsreaktion (vergleichbar der anorganischen Salzbildung) entstandene Verbindung, mit einer Fettsäure in einem Ölvehikel aufgelöst und intramuskulär gespritzt wird. Dadurch wird eine langsame Abgabe der Substanz aus dem Depot und eine Wirkungsdauer von einigen Wochen gesichert. Depotpräparate seien eine »wichtige taktische Erweiterung der Behandlungsmöglichkeiten«, meinte Kurt Heinrich, der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde e.V., und sein Kollege Finzen argumentierte in dieselbe Richtung:

»Wegen der Hartnäckigkeit der manischen Symptomatik und der Notwendigkeit, hochdosierte Neuroleptika über längere Zeit zu verabreichen, kann eine Depot-Medikation sinnvoll sein. Sie sichert die Medikamenteneinnahme und macht den Umgang mit dem Patienten einfacher, indem sie ihm und seinen Therapeuten den täglichen Kampf über die Frage ›Medikamente ja oder nein?‹ erspart.«

Die in ständig steigender Zahl verabreichten Depotpräparate seien nebenbei auch teurer und damit umsatzsteigernd, meinte der US-amerikanische Psychiater Loren Mosher mit kritischem Unterton. Unter dem Titel »Ohne Depot-Neuroleptika geht es kaum« war 1988 in Selecta der herrschende psychiatrische Standpunkt nachzulesen, der auf dem Symposium »Depotneuroleptika – ein Konsensus« in Antwerpen 1987 formuliert worden war:

»Es ist leider eine Tatsache, dass die Schizophrenie eine lebenslang andauernde Erhaltungstherapie mit Neuroleptika braucht.«

Dieser Auffassung sind auch die Vertreter der Gemeindepsychiatrie, wie in demselben Artikel nachzulesen ist:

»Sozialpsychiatrie außerhalb der Kliniken ist ohne Depot-Neuroleptika nicht durchführbar.«

Sponsor des Kongresses war die Firma Janssen; in Deutschland vertreibt sie 1996 außer den Neuroleptika Dehydrobenzperidol, Dipiperon, Haldol, Impromen, Orap, Risperdal und Triperidol auch die Depotneuroleptika Haldol-Decanoat und Imap.

»Ein wesentliches Fundament dieses ganzen Systems ist nun die psychiatrische Pharmakotherapie«,

stellten Helmchen und Hippius für die gemeindenahe Psychiatrie klar. Diese Instanz zur Gewährleistung u.a. der Depotmittelverabreichung hatten Psychiater schon lange herbeigesehnt, so auch Harald Neumann von der Freiburger Universitätsanstalt, der 1961 prophezeite,

»... dass in Zukunft wahrscheinlich die Hauptaufgabe jeder nachgehenden Fürsorge der Psychiatrischen Landeskrankenhäuser sein wird, die Dauermedikation entlassener schizophrener Kranken zu überwachen...« Die gemeindenahe Psychiatrie habe sich dort, wo sie bereits praktiziert werde, als zeitgemäße und effektive Organisationsform zur Ausschöpfung der ›Chancen der modernen Psychopharmakotherapie‹ bewährt, verriet Albert Huhn von der Bonner Universitätsanstalt und Schatzmeister der psychiatrischen ›Aktion Psychisch Kranke‹. Nach den Worten Lindes ist die depotneuroleptische Behandlung die unerlässliche Voraussetzung gemeindenaher Psychiatrie. Linde, der den deutschen Angehörigenverband als ›Experte‹ berät, über sein Spezialmittel Dapotum: »Da aber die Schizophrenie in der Regel chronisch exazerbierend (verschlimmernd) oder progressiv verläuft, und die Exazerbationsquote direkt mit abhängig ist von einer anhaltenden neuroleptischen Medikation, ist eine verlässliche depotneuroleptische Behandlung die Conditio sine qua non (unerlässliche Voraussetzung) für eine extramurale (außerhalb der Anstaltsmauern vollzogene) Therapie. Schizophrene neigen verständlicherweise dazu – insbesondere bei Beschwerdefreiheit -, die Medikation abzusetzen oder nur unregelmäßig einzusetzen. Das für eine durchschnittliche Wirkungsdauer von 21 Tagen berechnete Depot bietet einen relativ sicheren Schutz vor Rezidiven, insbesondere auch deshalb, weil er eine ärztliche Administration in regelmäßigen Abständen erfordert und der Patient somit eine therapeutische Führung hat.«

Pöldinger führte aus, dass sich seine Kollegenschaft die Entwicklung der Antidepressivaverabreichung ähnlich der von Neuroleptika vorstellt:

»Wir wünschen einen Fortschritt in der Entwicklung von Antidepressiva mit retardierter (verlangsamter) und vor allem mit Depot-Wirkung, da insbesondere bei chronisch-depressiven Patienten und bei der Dauermedikation von Antidepressiva zur Prophylaxe die Compliance (Fügung in das diagnostische und ›therapeutische‹ Regime) der Patienten gelegentlich zu wünschen übrig lässt. Die therapeutischen Erfolge mit Depot-Neuroleptika seit mehr als 20 Jahren lassen diesen Wunsch besonders dringlich erscheinen.«

Um die Absicherung der gemeindenahen Langzeitverabreichung von Psychopharmaka sicherzustellen, arbeiten Psychiater an der Entwicklung neuer Techniken. Als mögliche Verabreichungsformen, die die mess- und steuerbare Reproduzierbarkeit und Veränderung der pharmakologischen Stoffe im Organismus verbessern sollen, nannte Linde einpflanzbare Kristalle sowie über die Haut aufnehmbare oder einspritzbare Mikrokapseln als Langzeitdepots. Auch implantierbare, über Radiowellen computergesteuerte Arzneimittelpumpen könnten die Langzeitbehandlung perfektionieren. Frank Ayd, einer der weltweit einflussreichsten Psychiater, gab im Vorwort zu seinem Buch »The future of pharmacotherapy« (»Die Zukunft der Pharmakotherapie«) einen Ausblick auf die Entwicklung neuer Verabreichungsformen. Als Lagerraum für implantierte Depots sollen Männer ihren Mastdarm und Frauen ihre Vagina oder Gebärmutter zur Verfügung stellen:

»Bei uns implantiert man in anderen Bereichen der Medizin bereits Medikamente – außer in der Psychiatrie. In manchen Gebieten der Welt benutzt man eine implantierbare Form von Antabus zur Behandlung von Alkoholismus. Diese setzt die Medikamente allmählich über eine Dauer von sechs bis acht Monaten frei, bevor ein neues Implantat notwendig wird. Ich glaube, dass es in naher Zukunft andere, neue Wege der Medikamentenverabreichung geben wird. Vielleicht ist es dann möglich, Silikon mit einigen Neuroleptika zu imprägnieren. Wenn man eine intrauterine (in die Gebärmutter einführbare) Vorrichtung oder ein Pessar mit einem Neuroleptikum imprägnieren könnte, wäre vielleicht eine Minidosis wirksam. Von der Erfahrung mit Prostaglandinen wissen wir, dass die Absorption (Aufnahme) von der Vagina und dem Uterus sehr gut ist. Wir beginnen auch, mehr zu würdigen, dass die Medikamentenverabreichung durch das Auge, die Wangen- und Nasenschleimhaut und das Rektum (Mastdarm) sicher eintretende metabolische Wege (Bahnen im Stoffwechsel, auf denen die verabreichten Substanzen chemisch verändert und abgebaut werden) vermeidet. (...) Somit könnten wir in den nächsten Jahren einspritzbare oder einpflanzbare Psychopharmazeutika mit möglicherweise einer Wirkungsdauer von sechs Monaten bis zu einem Jahr haben und über diese Wege die Verabreichung hoher Dosen...«

Lesehinweise

Untereinander sind sich Ärzte und Psychiater einig, dass innerhalb der einzelnen Psychopharmakaklassen keine selektiven Wirkungsunterschiede bestehen, aus denen eine differentielle Indikation abgeleitet werden könnte. Es sei ohne Bedeutung, ob die gleiche Wirkung beispielsweise von dem Neuroleptikum Trifluperazin oder von dem Neuroleptikum Thioridazin erreicht wird. Alle Psychopharmaka einer Klasse wirken mehr oder weniger gleich und haben im Prinzip dieselben Risiken und ›Nebenwirkungen‹. Leserinnen und Leser, die sich ausschließlich für die ›Nebenwirkungen‹ bestimmter Psychopharmaka interessieren, finden ein paar – allerdings nicht ausreichend kritische und vor allem unvollständige – Stichworte in der jährlich neu erscheinenden »Roten Liste«, im »Austria-codex« und im »Arzneimittelkompendium der Schweiz«. Diese Produktverzeichnisse der Pharmaindustrie können in Apotheken, Bibliotheken oder Arztpraxen eingesehen werden.

Bei Publikationen über die Wirkungen von Psychopharmaka wird meist der Wirkstoff genannt. Damit besser verstehbar wird, wovon die Artikel und Zitate handeln, gebe ich bei der jeweils ersten Erwähnung in Fußnoten oder Klammern die derzeit im deutschen Sprachraum handelsüblichen Produktnamen an. Das muss aber nicht heißen, dass die im Text erwähnten Substanzen unter einem dieser Handelsnamen eingesetzt wurden.

Als Kompromiss zwischen ästhetischen und praktischen Kriterien wählte ich das bereits angewandte Zitierverfahren. Dabei bezieht sich die erste Ziffer des Literaturhinweises – Beispiel: 1598:44 – auf die im Quellenverzeichnis aufgelistete soundsovielte (hier 1598.) Quellenangabe; sofern vorhanden, weist die zweite Ziffer – im angeführten Beispiel 44 – auf die betreffende Seitenzahl.

Die Übersetzung von Zitaten aus fremdsprachiger Literatur stammt von mir. Wo ich medizinisches Fachchinesisch zitiere, füge ich hinter den jeweiligen Fachbegriff in Klammern und Schrägschrift die Übersetzung in die Umgangssprache an.

Überblick

Zwei Fragen sollen einführend beantwortet werden: Was sind eigentlich psychiatrische Psychopharmaka? Was sind ihre vegetativen und zentralnervös-motorischen Wirkungsbereiche?

Psychiatrische Psychopharmaka

»Alle Substanzen, die den Aktivitätszustand des ZNS (Zentralnervensystems) und damit psychische Prozesse beeinflussen, sind als Psychopharmaka im weiteren Sinne zu bezeichnen.«

Diese Definition stammt aus dem Buch »Pharmakotherapie – Klinische Pharmakologie«. In der Medizin insgesamt, zu der sich auch die Psychiatrie rechnet, kommen aus der Vielzahl der psychotropen Substanzen – mit Ausnahme der Halluzinogene – Vertreter aller Gruppen zum Einsatz:

  • Neuroleptika, z.B. Chlorpromazin, Dapotum, Esucos, Haloperidol, Imap, Leponex, Nozinan, Risperdal, Truxal

  • Lithium und Antidepressiva, z.B. Anafranil, Aurorix, Fluctin, Insidon, Tofranil, Floxyfral

  • Tranquilizer, z.B. Halcion, Lexotanil, Librium, Ludiomil, Noveril, Rohypnol, Tavor, Valium

  • Hypnotika (Beruhigungs- und Schlafmittel), z.B. Amytal, Antabus, Baldrian, Distraneurin, Heroin, Luminal, Opium

  • Antiparkinsonmittel, z.B. Akineton, Artane, Cogentin, Parkopan

  • Antiepileptika, z.B. Finlepsin, Tegretal, Timonil

  • Psychostimulantien, z.B. Captagon, Kokain, Ritalin, Stimul, Tradon

  • Halluzinogene, z.B. Haschisch, LSD, Marihuana, Mescalin.

Das Schwergewicht des psychiatrischen Psychopharmakagebrauchs liegt bei Neuroleptika, Antidepressiva und Lithium; gelegentlich werden noch Tranquilizer gegeben. Antiepileptika werden wegen ihrer dämpfenden Wirkung ebenso eingesetzt wie Psychostimulantien, die man aufgrund ihrer ›paradoxen‹ Wirkung zur Ruhigstellung von ›Zappelphilippen‹ gibt. Antiparkinsonmittel, die auch psychische Auswirkungen aufweisen und deshalb in diese Liste aufgenommen wurden, benutzt man vor allem zur Unterdrückung neuroleptikabedingter Muskelstörungen.

Nichttranquilizer-artige Hypnotika werden in der Psychiatrie kaum verabreicht. Distraneurin (Wirkstoff Clomethiazol) und Antabus (Wirkstoff Disulfiram) spielen im wesentlichen bei der Behandlung alkoholabhängiger Menschen eine Rolle. Diese Substanzen sind deshalb in »Schöne neue Psychiatrie«, wo es im wesentlichen um die Behandlung von sogenannten psychischen Krankheiten geht, nicht angesprochen. Manche Autoren zählen hirndurchblutungsfördernde Mittel (Noo-, Neurotropika) wie z.B. Piracetam (im Handel als Avigilen, Cerebroforte, Cerepar, Cuxabrain, durapitrop, Encetrop, Memo-Puren, Nootrop, Nootropil, Normabrain, Novocetam, Piracebral, Piracetam und Sinapsan) zur Gruppe der Psychopharmaka. Die therapeutische Wirkung der Nootropika ist umstritten, außerdem sind sie nicht frei von unerwünschten Wirkungen (siehe »Schöne neue Psychiatrie«, Band 1: »Wie Chemie und Strom auf Geist und Psyche wirken«).

Das deutsche Verordnungsspektrum der psychiatrischen Psychopharmaka ist regelmäßig im Arzneiverordnungs-Report beschrieben. Dort sind auch die jährlichen Verordnungszahlen der einzelnen Psychopharmakagruppen graphisch dargestellt. 1993 lagen der Absatz von Neuroleptika und Antidepressiva etwa gleich hoch. Der Arzneiverordnungs-Report berichtete 1994:

»Eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Psychopharmakagruppen zeigt eine sehr unterschiedliche Entwicklung im Laufe der letzten zehn Jahre. Die Verordnungen von Tranquillantien sind in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Dieser Trend wurde nach der Vereinigung Deutschlands nur kurzfristig durch die Einbeziehung der ostdeutschen Verordnungsdaten unterbrochen. Er hat sich 1993 verstärkt fortgesetzt. Umgekehrt nahmen Neuroleptika und Antidepressiva eine stetige entgegengesetzte Entwicklung, die durch die Verordnungen aus den neuen Bundesländern noch deutlicher wurde. Infolgedessen haben die Tranquillantien ihre früher dominierende Stellung verloren und machen inzwischen deutlich weniger als die Hälfte des Verordnungsvolumens von Psychopharmaka aus.«

Quellenhinweise siehe Buchtext

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