FAPI-Nachrichten Das Internet-Magazin für antipsychiatrische Rezensionen. G K
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zuletzt aktualisiert am 23. März 2021
Selajdin Gashi: Schlaflos mit Kleopatra. Mein erster psychotischer
Schub und was danach geschah
Selajdin Gashi kann im Urlaub nicht mehr abschalten, er kommt sich überall
fremd vor, ist mit seinem Leben unzufrieden, seiner Freundin Sybille teilt
er sich nicht mit, seine Sorgen behält er für sich, er grübelt, dann hat
er wieder Sex mit ihr, beginnt aber heimlich immer noch im Urlaub
mit ihr eine Affäre mit einer anderen Frau ("Kleopatra"). "Aber
hatte ich eine andere Option?" fragt er sich, als er über sein Fremdgehen
und seine Heimlichtuerei schreibt. Seine Schlafprobleme halten an, und
irgendwann, zurück aus dem Urlaub, klappt er bei einem Freund zusammen,
so dass ihn dieser in die Psychiatrie einweisen lässt. Für den Autor rückblickend
alles eine zwangsläufige, nicht zu hinterfragende Entwicklung. Fixierung
und Psychopharmaka wirken. Selajdin Gashi entwickelt Krankheitseinsicht,
er reflektiert über "die Psychotiker" (direkt oder indem er seine Gedanken
seinen Gegenübern in den Mund legt), akzeptiert Neuroleptika als Hilfe,
ist überzeugt, dass er sie braucht bis sie wirken, und will sie so lange
nehmen, bis er glaubt, sie nicht mehr zu brauchen. Malen soll er und vor
allem alles vergessen, so der behandelnde Psychiater, und auch er selbst
findet es wichtig, die ganze Geschichte zu vergessen: eine typische Psychiatrie-Erfahrung.
Nach seiner Anstaltsentlassung genießt er die wiedergewonnene Freiheit
und das Erleben des Augenblicks. Das war's. "Bestechend" und "einfühlsam"
sei die Erzählung des Autors, so der Covertext. Und "Was ist eigentlich
normal? frage der Autor nach seinen Erfahrungen in der Psychiatrie. Normal,
so mein Eindruck nach dem Lesen des Buches, ist offenbar, sich mit allem
Möglichen auseinanderzusetzen, auch durchaus eloquent, aber bloß nicht
mit den Ursachen der psychischen Probleme, in diesem Fall mit den Gründen
für die Schlaflosigkeit. Und bloß nicht zu überlegen, was am eigenen Leben
und Verhalten zu ändern ist, damit sie in dieser Vehemenz und mit diesen
Folgen und Risiken nicht wieder auftritt. Aber vielleicht hat der Autor
diese Gedanken und was danach geschah für sich behalten, wer weiß, und
er hatte nie wieder mit Schlaflosigkeit und der Psychiatrie zu tun; aus
dem Buch geht hierzu nichts hervor. Nur der Buchtitel sagt, dass es bei
diesem einen Mal offenbar nicht geblieben ist. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 173 Seiten, ISBN 978-3-940636-34-8.
Neumünster: Paranus Verlag 2015. € 14.95 Peter Lehmann
Max Gawlich: Eine Maschine, die wirkt. Die Elektrokrampftherapie
und ihr Apparat, 1938-1950
"Folter wirkt", sagte Donald Trump, um zu begründen,
weshalb er Waterboarding wieder zulassen will. "Eine Maschine,
die wirkt", betitelte Max Gawlich, der am Historischen Seminar
der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg tätig ist, seine als
Buch erschienene Dissertation zur Entwicklung von Elektroschockapparaten
von 1938 bis 1950. Daran, dass die Apparate mit ihren Elektroschocks
wirken, ist wahrlich nicht zu zweifeln. Gawlich benennt die Wirkung
"Genesung", da die epileptischen Anfälle nicht nur die
Symptome auslöschten, die die Psychiater zur Verabreichung von
Elektroschocks veranlassten, sondern, so seine Worte, auch soziales
Anpassungsvermögen und Funktionalität fördern. Wenn man
die mit zunehmender Anzahl von Elektroschocks einhergehenden Hirnschäden,
die oft nur noch ein Leben auf herabgesetztem Niveau möglich machen,
als vorübergehend, somit letztlich unwesentlich abtut und die Bewertung
der Schäden einzig den Schädigern überlässt, kann man das durchaus so
sehen und Elektroschocks als "wirksam, sicher und zuverlässig" bewerten,
wie der Historiker Gawlich nachbetet.
Drei Fragen beschäftigten dann Gawlich: Wie dokumentierten Psychiater
die Verabreichung ihrer Elektroschocks? Wie waren die Apparate beschaffen?
Wie führte man die Behandlung durch? Was das Dokumentieren betrifft,
orientiert sich der Autor folgerichtig an den Aufzeichnungen von Psychiatern.
Wenn sie den Knopf am Apparat drückten, das Personal die krampfanfallbedingten
Muskel- und Knochenschäden zu verhindern versuchten und die Betroffenen
ihre Anfälle erlitten, waren Letztere nach Vollzug des Elektroschocks
zu nichts mehr in der Lage, die Psychiater konnten in Ruhe dokumentieren.
Im Buch sieht man die Diagramme mit Behandlungsdaten, Skalen, Stromstärken,
Dauer der Krampfanfälle und für die Anwender äußerlich
Sichtbares. Schäden im Gehirn, nicht so leicht sichtbar, bleiben
folgerichtig ohne Berücksichtigung, in den Dokumentationen wie
auch in Gawlichs Buch.
Im zweiten Kapitel befasste sich Gawlich mit den Apparaten. Gawlich
fand heraus, dass es "die Elektrokrampftherapie" nicht gibt
und gab, sondern dass eine Entwicklung der Apparate in verschiedenen
Ländern auf verschiedenen Stufen stattfand. Ähnliches könnte
man über "die Psychopharmakotherapie" sagen, verschiedene
Substanzen wurden in verschiedenen Ländern entwickelt. Überraschend
ist eine solche Einsicht eigentlich eher nicht.
Im dritten Hauptkapitel befasste sich Gawlich mit der Anwendung der
Apparate. Sie sei durch Nichtwissen, aber therapeutischen Vorsatz geprägt
gewesen. Dem kann man zustimmen, wenn man ignoriert, dass Psychiater
vorsätzlich Hirnzellen zerstören wollten, was sie in ihren
Fachschriften publizierten, und wenn man Autopsieberichte jener Jahre
sowie die Kenntnisse ignoriert, die an Versuchen mit Hunden und Affen
gemacht wurden und die kritische Neurologen und Psychiater wie John
Friedberg bzw. Peter Breggin (beide bleiben in Gawlichs Buch unerwähnt)
zur Grundlage ihrer Kritik an der Verabreichung von Elektroschocks machten:
über
das gesamte Gehirn verteilte kleine Blutungen und Zellzerstörungen,
da bei den Stromstößen durch das Gehirn die Blut-Hirn-Schranke
zusammenbricht und Blut ins Gehirn übertritt. Aber, wie gesagt,
solche Ausführungen findet man in Gawlichs Buch nicht, es ist eher
für Liebhaber von Elektroschockapparaten und deren Anwendung geschrieben,
die mit dem behaupteten Nichtwissen der Wirkungsweise von Elektroschocks
die Öffentlichkeit, die Patienten und deren Angehörige bis
heute hinters Licht führen wollen. Dieser Strategie ist Gawlich
trotz seiner beachtlichen, aber leider einseitigen Quellenstudien offenbar
auf den Leim gegangen.
Mit den nicht übersetzten englischen und französischen Zitaten
erfährt das Werk eine zusätzliche Einschränkung. Gebunden,
378 Seiten, 7 Tabellen, 41 schwarz-weiße Abbildungen, ISBN 978-3-506-78736-1.
Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh 2018. € 59. Peter Lehmann
Monika Gerlinghoff: Magersucht und Bulimie Innenansichten.
Heilungswege aus der Sicht Betroffener und einer Therapeutin
Betroffene Frauen berichten den Anfang, den Verlauf und die Psychotherapie
ihrer Essstörungen. Neben den beteiligten Eltern erläutert
die Autorin, eine Psychiaterin und Psychotherapeutin des Max-Planck-Instituts
für Psychiatrie in München, ihren psychotherapeutischen Ansatz.
Angesichts der Brisanz von Magersucht und angesichts des nichtbiologischen
Erklärungs- und Therapieansatzes sollte man sich von der psychiatrischen
Ausbildung und Sprache der Autorin nicht zurückschrecken lassen.
Kartoniert, 212 Seiten, ISBN 3-7904-0642-2. München: Pfeiffer Verlag
1996. DM 36. Peter Lehmann
Monika Gerlinghoff / Herbert Backmund: »Is(s) was?!« Ess-Störungen Wann sollten sich Eltern Sorgen machen? Wie Eltern und Fachleute
helfen können
In einem trendmäßig mit vielen bunten Bildern versehenen Buch sorgen
sich Dr. med. Monika Gerlinghoff und Dr. med. Herbert Backmund vom Therapie-Centrum
für Ess-Störungen in München um die vielen essgestörten Kinder in Deutschland.
Sie erläutern Ess-Störungen wie Magersucht und Bulimie (Ess-Brechsucht),
Übergewicht und Adipositas, erklären den Body-Maß-Index und die verschiedenen
Krankheitssymptome. Dem Kapitel über Ursachen von Ess-Störungen und
medizinischen Komplikationen folgt die Darstellung von Behandlungsmöglichkeiten:
für die beiden Autoren sind dies psychotherapeutische Herangehensweisen
(Gruppentherapie, Esstraining). Fast die Hälfte des Buches nehmen Berichte
von Betroffenen darüber ein, wie sie Ess-Störungen, Erziehungsmaßnahmen
und therapeutische Bemühungen erlebten. Eine subjektive Symptomliste
gibt einen schnellen Überblick über auffällige Verhaltensweisen. Zum
Schluss kommen Eltern zu Wort, die mit ihren Berichten aufzeigen sollen,
wie sie ihren Kindern in aller Regel Mädchen helfen
können, die Ess-Störungen zu überwinden. Fazit: Angesichts der möglicherweise
lebensbedrohlichen Ausmaße von Ess-Störungen ein Buch, das dazu beitragen
kann, Leben zu retten. Übersichtlich, leicht verständlich, empfehlenswert allerdings nur für von Magersucht und Bulimie Betroffene.
Behandlungsmöglichkeiten von Kindern insbesondere Jungen , die zu viel und zu fett essen und im Wesentlichen deshalb übergewichtig
werden, spielen im weiteren Verlauf des Buches keine Rolle. Kartoniert,
128 Seiten, viele bunte Bilder, ISBN 978-3-407-22511-5. Weinheim: Beltz
Verlag 2011. € 12.95 Peter Lehmann
Ines Giese: Die Steinaxt oder Berta von der Solvang
rettet die Welt
Nach Heide Olbrich-Müller Buch "Ist
die Welt denn noch zu retten Mein Leben mit Psychosen" (2015)
will schon wieder eine Autorin, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen
ist, die Welt retten. An sich ist die Weltrettung doch eine Domäne für
Männer auf Höhenflug; ob dies etwas zu tun hat mit dem seinerzeitigen
Anspruch auf Gleichberechtigung von Frauen im postulierten Sozialismus?
Sei's drum, Ines Giese gerät in die Krise, nachdem sie nach Mobbing
ihre Stelle im Freizeitbad verliert. Im Versuch, die Krise schreibend
zu bewältigen, gerät sie in einen Schreibrausch, der sie in die Psychiatrie
in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) führt. Fixierung, Psychopharmaka,
Aussetzung der Zwangsunterbringung und danach Verweigerung der weiteren
Einnahme von Psychopharmaka folgen. Auf wundersame Weise findet sie
einen Verlag, der sich für ihre Geschichte interessiert und für
ihr Buchprojekt begeistert. Dort beschreibt sie alles, was sie denkt,
sieht und tut, haargenau und ausführlich, sei es ihre Email-Korrespondenz,
ihre Facebook-Konversation, ihre Auseinandersetzungen mit ihrer Tochter,
ihre nachträgliche und vergebliche Beschwerde über Mobbing und Arbeitsplatzverlust,
ihren Flohmarktverkauf in Zinnowitz, ihren Kater, ihren Bekannten den "Dicken", mit dem sie herumzieht. Am Schluss bescheinigt
ihr ihre Psychiaterin die Rückkehr der Fahrtüchtigkeit, die
Tochter redet wieder mit ihr, das Buch ist fertig. Die Welt ist gerettet.
Eine Steinaxt hat sie übrigens mal auf einem Acker gefunden und dann
einem lieben Menschen geschenkt. Und wer Berta von Solvang ist, müssen
die Leser und Leserinnen selbst herausfinden. Kartoniert, 6 Abbildungen,
4 Faksimiles, 390 Seiten, ISBN 978-3-9817655-2-6. Greifswald: Karl-Lappe-Verlag
2016. € 19.80 Peter Lehmann
Josef
Giger-Bütler: »Wir schaffen es« Leben mit depressiven
Menschen Nach »Sie haben es doch gut gemeint Depression
und Familie« (2003), »Endlich frei Schritte
aus der Depression« (2007), »Jetzt geht es um mich.
Die Depression besiegen Anleitung zur Selbsthilfe« (2010)
und »Depression ist keine Krankheit Neue Wege, sich selbst
zu befreien« (2012) legt der in Luzern niedergelassene Psychotherapeut
Josef Giger-Bütler mit »Wir schaffen es Leben mit depressiven
Menschen« ein Buch für Partner und Angehörige depressiver Menschen
nach. Ziel des Buches ist es zu vermitteln, wie Partner und Angehörige
ihre depressiven Nächsten wirksam unterstützen können, ohne sich dabei
selbst zu verausgaben, ohne zu verzweifeln, sich von ihren depressiven
Nächsten abzuwenden und verbittert und grollend das eigene Leben weiterzuleben.
In elf Kapiteln, unterlegt mit Fallbeispielen und Checklisten, die allerdings
eher Listen mit Appellen sind, plädiert Giger-Bütler unentwegt darauf,
Verständnis für die depressiven Nächsten zu entwickeln, ohne Druck und
Schuldgefühle vorzugehen, das zu tun, was dem depressiven Nächsten Kraft,
Zufriedenheit und Ruhe vermittelt, eigene Überforderung zu vermeiden,
ihn zu ermutigen, auf sich zu hören, ihn zu unterstützen, wo er Schritte
unternimmt, um sich wichtig zu nehmen und für sich zu sorgen. Nur in diesem
Rahmen könne es dem depressiven Nächsten gelingen, sich von seiner Überforderung
zu lösen und sich schrittweise aus der Depression zu befreien. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden, 239 Seiten, ISBN 978-3-407-85992-1. Weinheim
& Basel: Beltz Verlag 2014. € 19.95 Peter Lehmann
Josef Giger-Bütler: Depression ist keine Kranheit Neue Wege,
sich selbst zu befreien In neun Kapiteln begründet der Autor, ein niedergelassener
Psychotherapeut aus Luzern, seine Sichtweise von Depressionen. Nur weil
die Betroffenen massiv leiden, sei es falsch, Depression als Krankheit
anzusehen, für die dann Ärzte und Psychopharmaka zuständig
sein sollen. Depressionen seien demgegenüber als Ergebnis eines
falsch gelernten und damit falsch gelebtes Lebens zu betrachten, das
es zu ändern gelte. Depressionen seien verstehbar als Ergebnisse
eigener Überforderung, und zuständig zu ihrer Überwindung
seien die Betroffenen selbst, und wenn sie es nicht alleine schaffen,
könnte psychotherapeutische Hilfe den Ausstieg aus Depressionen
unterstützen. Zusätzlich zum bloßen Verständnis
von Ursache, Verlauf und Ausstieg von Depressionen seien klare und umsetzbare
Schritte, die nicht überfordern, die nicht als Patentrezept zu
verstehen und die im Bereich des Leistbaren anzusiedeln sind und Zeit
brauchen. Wer noch Zweifel hat, diesen Weg zum Ausstieg aus seiner Depression
zu beschreiten, dem sei dieses Buch mit Nachdruck ans Herz gelegt. Gebunden,
214 Seiten, ISBN 978-3-407-85940-2. Weinheim & Basel: Beltz Verlag
2012. € 19.95 Peter Lehmann
Josef
Giger-Bütler: »Sie haben es doch gut gemeint« Depression
und Familie Die Pharmaindustrie, die mit ihr liierte biologische Psychiatrie
und alle, die Normalität für etwas Erstrebenswertes halten, werden dieses
Buch hassen. Depressive Menschen und solche, die ihnen beistehen wollen,
finden dagegen hier erstmals plausible Erklärungen, wie aus normalen
Lebensverhältnissen und all den Zwängen und Rücksichtslosigkeiten, die
mit diesen verbunden ist, depressive Reaktionsmuster entstehen. Ein
außergewöhnliches Buch, da der Autor nicht mit Schuldzuweisungen an
Menschen mit Depressionen oder abnorme Familien arbeitet, sondern die
Entwicklungsmuster für depressive Reaktionsformen, latente sowie manifeste
Depressionen, in der Normalität selbst aufspürt. Wenn Depressionen schließlich
manifest, nicht mehr zu verheimlichen geworden sind, bieten sie für
Giger-Bütler immerhin die Chance, Wege aus der ständigen Überforderung
zu finden, sofern man es nicht dabei belässt, mit Antidepressiva bloße
Symptomunterdrückung zu betreiben und damit die innere Dynamik der Depression
zu verschleiern oder gar den Boden für paradoxe Reaktionen, zum Beispiel
Manien, zu bereiten. Das unbedingt empfehlenswerte Buch endet mit dem
Kapitel "Wege aus der manifesten Depression" und der Empfehlung an Betroffene,
anzuhalten, innezuhalten, sich zu erholen, evtl. mit therapeutischer
Hilfe zu erkennen, wie und wo und wann man sich überfordert und was
man selbst tun kann und muss, um aus dem Kreislauf von Überforderung
auszubrechen und eine Veränderung zum Besseren zu bewirken. Gebunden
mit Schutzumschlag, 244 Seiten, Weinheim & Basel: Beltz Verlag,
3. Auflage 2008. € 17.90 Peter Lehmann
Josef
Giger-Bütler: »Endlich frei« Schritte aus der Depression Der Psychotherapeut Giger-Bütler beschreibt, wie der Ausstieg gelingen
kann aus der Depression, die meist mit Erschöpfung einhergeht, und benennt
die Schritte, anhand derer depressive Menschen wieder zu sich selbst
finden und die Depression hinter sich lassen können. Man muss sich nicht
ständig verausgaben bis zur Erschöpfung, es gibt ein anderes Leben,
auch wenn man schon lange keine Hoffnung mehr hat! Seine zentrale Botschaft
wiederholt er immer wieder. Erkennen und Annehmen der Müdigkeit sind
der Anfang der Selbsterkenntnis, des Sichverstehens und damit der erste
Schritt zur Veränderung. Verstanden werden möchte auch die Brüchigkeit,
die sozialisationsbedingt ist und zu wenig Sicherheit und Geborgenheit
vermittelt, was wiederum einen Kreislauf von Überforderung nach sich
zieht und zur Bildung einer depressiven Persönlichkeit führt, insbesondere
in Zeiten von familiären Krisen und steigenden Anforderungen im Erwachsenenleben.
Im zweiten Teil des Buches zeigt der Autor dann Wege aus der Depression
auf; nicht Patentrezepte, sondern entscheidende Verhaltensmuster, kleine
Schritte auf dem Weg zur Veränderung, entscheidende Aspekte. Welche?
Lesen Sie selbst, ich kann dieses Buch ohne jeglichen Vorbehalt empfehlen!
Gebunden mit Schutzumschlag, 330 Seiten, ISBN 978-3-407-85769-9. Weinheim
& Basel: Beltz Verlag, 3. Auflage 2009. € 19.90 Peter Lehmann
Josef
Giger-Bütler: »Jetzt geht es um mich«. Die Depression besiegen Anleitung zur Selbsthilfe
Selbsthilfe-Ratgeber für Leute, die therapeutische Hilfe ablehnen
und nach vielen Rückschlägen doch noch versuchen wollen, alleine
den Ausweg aus Depressionen zu finden: mit kleinen, an den eigenen Interessen
orientierten Schritten das Fundament des neuen Lebens zu schaffen. Hierzu
wiederholt der Autor wieder und wieder Lehrsätze, die sich die
Leser einprägen sollen. Ich will dies, ich will das, ich bin mein
eigener Herr und Meister, ich will gut zu mir sein, fast jeder Satz
fängt mit "ich" an. Diese persönlichen Formulierungen
sollen wie Merksätze zu dem A und O des erfolgreichen Aussitzens
aus der Depression und ihn auf dem Weg der Veränderung begleiten.
Er soll lernen, dass nur er es ist, der die Vorgaben setzt für
das, was zu tun ist. Im Dialog mit sich selbst, so die Anleitung, die
Giger-Bütler gibt, soll sich der Leser immer wieder bewusst werden,
dass es um ihn geht bzw. um sie, die Leserin. "Mache, was du willst
und kannst.". Kleine Schritte, immer wieder, immer wieder, immer
wieder. Tausendmal besser als immer wieder ein Antidepressivum, und
noch ein Antidepressivum, und noch ein Antidepressivum. Eine kleine
kritische Randnotiz soll allerdings nicht fehlen: Der Psychotherapeut
Giger-Bütler beschäftigt sich im Buch nur mit psychosozial
bedingten Depressionen, ohne dies jedoch explizit deutlich zu machen.
Es gibt jedoch auch eine Vielzahl körperlich bedingter Depressionen,
bei denen es sinnvoller ist, sich an die Behebung der physiologischen
Ursachen sofern möglich zu machen, zum Beispiel zerebralvaskuläre
Erkrankungen (Tumore, Parkinson), Infektionen wie AIDS oder Hepatitis,
endokrinologische Störungen wie Morbus Cushing, Dehydration, pharmakologisch
induzierte Depressionen zum Beispiel bei Tuberkulostatika, blutdrucksenkenden
Mitteln wie Betablocker, Chemotherapeutika, speziellen Antibabypillen,
Substanzen zur Behandlung von Nikotinabhängigkeit wie Vareniclin
(Markenname Champix), weiterhin Benzodiazepine, Antiepileptika, Antidepressiva
und insbesondere Neuroleptika. In einer Folgeauflage sollte dieser Tatbestand
nicht unerwähnt bleiben. Gebunden, 249 Seiten, ISBN 978-3-407-85889-4.
Weinheim & Basel: Beltz Verlag, 2. Auflage 2011. € 19.95 Peter Lehmann
David Gilbert: Die Normalen. Roman
Sehr am US-amerikanischen Leben orientierter Roman. Baseball, Fernsehprediger
und alles mögliche zutiefst Amerikanische bilden die Zutaten einer
Geschichte, bei der es um Tests mit antipsychotischen Substanzen gehen
soll. Zwar werden Muskelstörungen, Sabbern usw. als möglicherweise
zu erwartende Symptome angekündigt, doch man wartet vergeblich
auf die Schilderung von (fiktiven) Fakten, wenig verwunderlich bei einer
an Recherchegenauigkeit etwas zu wünschen übrig lassenden
Erzählung: Was bitteschön sollen "atypische Psychopharmaka"
sein? Oder war dem Autor oder Übersetzer die Verwendung des Begriffs
Neuroleptika, um die es wohl gehen soll, zu fachspezifisch? Egal, die
ganzen Tests bilden eh nur die Kulisse für alle möglichen
mehr oder für mich weniger interessanten Umtriebe
einiger der Testpersonen. "Was hinter den geschlossenen Türen dieses
Labors stattfindet und was das über Herz und Verstand von Menschen unserer
Zeit aussagt, ist so unerwartet erschütternd wie tragikomisch, eine
perfekte Allegorie unserer Tage, unser Catch 22 der Jahrtausendwende,
eine meisterliche Schilderung unseres kulturellen Wirrwarrs". Damit
ist wohl die öde US-amerikanische Durchschnittskultur gemeint.
Wer sich dafür interessiert, wird in dem Buch fündig. Aus
dem Englischen von Chris Hirte. Gebunden, 400 Seiten, ISBN 3-8218-5735-8.
Frankfurt/Main: Eichborn Verlag 2005. € 22.90 Peter Lehmann
Pascal Gmür / Helga Kessler: Wege aus der Depression. Ratgeber
für Betroffene und Angehörige Alle wesentlichen Depressionsprobleme scheinen nach diesem (Mach-)Werk
daher zu kommen, dass die Betroffenen nicht rechtzeitig Antidepressiva
oder Elektroschocks bekommen haben. Kritische Worte über Risiken
dieser Behandlungsmethoden fehlen, dafür wimmelt es im Buch derart
von psychiatrischen Banalitäten, dass sich der Verdacht einschleicht,
dass der Text direkt aus der Feder der Werbeabteilung einer Pharmafirma
stammt. O-Ton Eva H., ein Beispiel von vielen: »Der Psychiater
konnte nicht verstehen, warum ich nicht schon früher Psychopharmaka
bekommen hatte. (...) Es würde mich nicht belasten, wenn ich das
Psychopharmakon mein ganzes Leben lang schlucken müsste«.
Wohl bekomm's. Buch mit DVD. Kart., 206 S., ISBN 3-85569-258-0. Zürich:
Beobachter Buchverlag 2002. sFr 53.90 Peter Lehmann
Harald Görlich: Was Lebenskünstler richtig
machen von Achtsamkeit bis Zufriedenheit
Aufmerksam auf die Paperback-Ausgabe wurde ich durch den Titel »Was
Lebenskünstler richtig machen«. Verspricht doch der Titel den Spagat
vom historischen bis zum heutigen Begriff des »Lebenskünstlers«.
Der Autor ist Professor Dr. phil. Harald Görlich, Direktor eines Lehrerseminars
für Gymnasien und berufliche Schulen, Lehrbeauftragter an der Zeppelin-Universität
Friedrichshafen, Systemischer Coach mit Schwerpunkt Gesundheitscoaching,
Trainer für Autogenes Training und Progressive Muskelrelaxation sowie
Mediator. Laut Wikipedia wurde bereits in der Antike der Begriff Ars
vivendi (die Kunst zu leben bzw. frei übersetzt die
Kunst des Lebens) gebraucht. Zentrale Begriffe waren Glück (eudaimonia)
Selbstsorge, Tugend und Askese. Schon damals gab es eine Spaltung zwischen
philosophischer (theoretischer) und praktischer Lebensführung. In neuerer
Zeit stehen Vorstellungen von Lebenskunst oft in engem Zusammenhang
mit Humanismus und Aufklärung. Gerd B. Achenbach setzt dem Begriff der
»Lebenskönnerschaft« entgegen und versteht darunter eine lebenskluge
Form der Lebensführung, die nicht nur die leichte Oberflächigkeit des
schönen Scheins sucht, sondern sich auch in den schweren Stunden der
Existenz bewährt und dem Leben zudem Tiefe und Gewicht verleiht. Laut
Francoise Gilot, einer der vielen Lebensgefährtinnen von Pablo Picasso,
soll Picasso des Status des Künstlers durch das Überwinden der größtmöglichen
Barrieren definiert haben. Das Buch hat 313 Seiten, ein Geleitwort von
Prof. Dr. Jörg Fengler, em. Professor der Psychologie der Universität
zu Köln, hat 27 Kapitel und ein Schlusswort des Autors. Görlich hat
die 27 Kapitel durch die Abschnitte »Die Geschichte«, »Tatsachen,
Reflexionen, Anregungen« und »Zum Schluss ein Witzchen, ein
Aphorismus oder sonst ein kluger Spruch« unterteilt. Diese einfache
Matrix macht das Buch auch für Nichtakademiker lesbar. Innerhalb von
8 Tagen habe ich es Seite um Seite gelesen, ohne es wie der Autor es
empfiehlt, als Ratgeber zu benutzen. Laut Verlag fordert er vom Leser
Geduld, Ausdauer, Selbstdisziplin und ein Arbeiten an eigenen Entwicklungsmöglichkeiten.
Es soll anregen, eigene Glücksquellen zu finden und zu nutzen, und das
in einem ganz besonderen ABC (26 Kapitel) der wichtigsten Begriffe der
Lebenskunst. Es soll Anstöße der Selbstreflexion geben und dieses auf
der Basis der langjährigen Erfahrungen aus Beratungs- und Seminarpraxis
des Autors. Mein Fazit: Das Buch ist leicht verstehbar, einfach gegliedert,
hat eine leichte Sprache und ist geeignet für Menschen, die mit der
Sinnfrage des Lebens kämpfen. Für Menschen jedoch, die nach Abraham
Maslow, einem dem Gründungsväter der humanistischen Psychologe, auf
der untersten Stufe der Bedürfnispyramide stehen, ist es Buch nicht
geeignet. Es hat weder theoretisch noch praktisch etwas zu tun mit Lebenskünstlern,
auch nichts mit Selbstverwirklichung, könnte aber gerade vor
dem Hintergrund einfacher Lebenskonzeptionen als Anregung für
Gespräche und Diskussionen mit diesen Menschen herhalten. Kartoniert,
313 Seiten, ISBN 978-3-7945-3213-1. Stuttgart: Schattauer Verlag 2017,
€ 19.99 Franz-Josef Wagner
Heinz-Wilhelm
Gößling: Besser schlafen mit Selbsthypnose Das Fünf-Wochen-Programm
für Aufgeweckte
Das Buch des Psychiaters Heinz-Wilhelm Gößling aus Hannover will dazu
beitragen, dass aus Schlafproblemen, unter denen viele Menschen leiden,
keine Schlafstörungen werden. Gößling nennt eine ganze Reihe von Ursachen
von Schlafproblemen; Psychopharmaka und Entzugserscheinungen sind allerdings
nicht darunter. Nichtsdestotrotz können die von ihm genannten Übungen
gemäß seiner Empfehlung in Absprache mit dem behandelnden Arzt als unterstützende
Maßhinzugezogen werden, man kann sie aber auch selbstständig praktizieren.
Schlafprobleme soll man mit einer Reihe von Maßnahmen angehen, natürlich
vernünftiger Ernährung, Verzicht auf aufputschende Getränke, mit diversen
Verhaltensänderungen und Maßnahmen zum Stressabbau, auch durch Selbsthypnose.
Diese beginnt damit, meditativ die Aufmerksamkeit auf eine bestimmte
innere Vorstellung oder auf eine bestimmte Bewegung lenken, dadurch
gehe das Gehirn in einen besonders lernfähigen Zustand über. Das mit
neurophysiologischen Ausführungen untermauerte Programm gliedert sich
in fünf wöchentliche Schritte (Kreisende Gedanken abschalten / Biorhythmus
nutzen / Inneres Konto ins Plus bringen / Mit Selbsthypnose mehr Tiefschlaf
finden / Mit Aktiv-Wach-Selbsthypnose am Tag den nächtlichen Traumschlaf
verbessern). Interessenten, die Internetzugang haben, können sich über
die Internetseite www.besserschlafenmitselbsthypnose.de von Heinz-Wilhelm
Gößling teils gratis ("Liegestuhl am Strand"), teils gegen gute Bezahlung
("Bedingungslose Selbstakzeptanz" u.v.m.) als MP3-Dateien herunterladen.
Ich habe allerdings die Art der Artikulation, bei fast jedem zweiten
Wort mit der Stimme hochzugehen, als ausgesprochen nervig empfunden.
Beschränkt man sich auf das Buch, tritt das Problem natürlich nicht
auf. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 143 Seiten, ISBN 978-3-8497-0084-3.
Heidelberg: Carl Auer Verlag 2015. € 17.95 Peter Lehmann
Peter
C. Götzsche: Gute Medizin, schlechte Medizin Wie Sie sinnvolle
Therapien von unnötigen und schädlichen unterscheiden lernen Peter Götzsche ist ein dänischer Medizinforscher, Autor von "Tödliche
Medizin und organisierte Kriminalität" (2014) sowie "Tödliche
Psychopharmaka und organisiertes Leugnen" (2016) und Gründer der
nordischen Cochrane Collaboration, einem internationalen Netz von Wissenschaftlern
und Ärzten, die systematische Übersichtsarbeiten zur Bewertung von medizinischen
Therapien erstellen. Da viele Pharmaunternehmen, insbesondere Hersteller
von Psychopharmaka, eine neutrale Bewertung ihrer Produkte fürchten,
sorgten sie dafür, dass Götzsche im Frühherbst 2018 aus der Cochrane
Collaboration ausgeschlossen wurde. Ä,rgern werden sie sich auch über
sein neues Buch; damit schuf er eine Grundlage für Patientinnen und
Patienten, damit diese sich ein eigenes Urteil über die vielen und oft
widersprüchlichen Informationen zu Vorsorgeuntersuchungen, Diagnosen
und Therapien im gesamten medizinischen inkl. psychiatrischen Bereich
bilden können. Unvoreingenommen, industrieunabhängig und streng naturwissenschatlich
orientiert untersucht Götzsche hier den therapeutischen Wirkungsgrad
von Medikamenten gegen Infektionen, Schmerzzustände, Herz-Kreislauf-Störungen,
Krebserkrankungen und Verdauungsstörungen sowie psychische Probleme
und altersbedingte Abbauprozesse. Er zeigt, worauf man achten muss,
wenn man sich selbst ein Urteil bilden will über publizierte Studien,
wo man brauchbare Informationen findet und welche Tests nötig, überflüssig
oder schädlich sind. Kein gutes Haar lässt er auch an Neuroleptika,
Antidepressiva, Lithium, sogenannten Stimmungsstabilisatoren und Substanzen
gegen "ADHS". Und besonders kritisch steht er der Alternativmedizin
(Reflexzonentherapie, Akupunktur, Kraniosakraltherapie, Homöopathie
usw.) gegenüber, da diese sich in Wirksamkeitsstudien als komplett unwirksam
erwiesen hätten. Das Buch ist hoch informativ, ausgesprochen gut zu
verstehen und außerdem unterhaltsam, da die Aussagen mit vielen Anektoden
veranschaulicht sind. Es ersetzt keine eigene Entscheidung, ob und wie
man sich behandeln lassen will, liefert aber vernunftbasierte Informationen,
so dass man sie um einiges leichter und verantwortungsvoller treffen
kann. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden, 352 Seiten, ISBN 978-3-7423-0440-7.
München: Riva Verlag 2018. € 24.99 Peter Lehmann
Peter
C. Götzsche: Tödliche Psychopharmaka und organisiertes Leugnen Wie Ärzte und Pharmaindustrie die Gesundheit der Patienten vorsätzlich
aufs Spiel setzen Der dänische Internist Peter Götzsche hat nach "Tödliche
Medizin und organisierte Kriminalität" ein neues Buch
geschrieben. 2015 erschien es original in englischer Sprache, jetzt
in deutscher Übersetzung. Es befasst sich mit den Folgen der Anwendung
schädlicher Psychopharmaka und ihrem fragwürdigen Nutzen: Jährlich würden
in den USA und in Europa über eine halbe Million Menschen im Alter von
65 und darüber an ihren Folgen sterben, insgesamt stellten die Psychopharmaka
die dritthäufigste Todesursache dar nach Herzkrankheiten und Krebs,
in 98% aller Fälle solle man besser auf sie verzichten. In seinem mit
18 Kapiteln übersichtlich strukturierten Buch greift G&puml;tzsche die Mainstreampsychiatrie
massiv an: Deren Anführer seien oft von der Pharmaindustrie gekauft.
Diagnosen dienten zur Absatzsteigerung von Psychopharmaka. Neuere Antidepressiva
vom Typ der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wären toxisch, wirkten nicht
besser als Placebos, oft suizidal und homizidal (das heißsie fördern
auch die Tötung anderer Menschen), Wirksamkeitsstudien seien in betrügerischer
Art manipuliert und gefälscht. ADHS sei keine Krankheit, sondern lediglich
die Medizinalisierung sich störend verhaltender Kinder; ADHS-Medikamente
seien gefährlich und sollten vom Markt genommen werden. Neuere Neuroleptika
wären nicht minder schlecht als ältere, manchmal noch schlimmer und
mitursächlich für die hohen Todeszahlen; die Chance zu genesen sei ohne
Psychopharmaka besser als mit. Die Absatzzahlen von Psychopharmaka bei
der Diagnose "bipolar" explodierten in manchen Staaten. Anti-Demenz-Medikamente
seien nutzlos, dafür gesundheitsschädlich. Elektroschocks seien primitiv,
unspezifisch, schädlich für das Gehirn. Bei psychischen Problemen sei
Zuwendung hilfreich, Psychotherapie, Bewegung usw. Psychopharmaka würden
nur zu körperlichen Störungen führen und abhängig machen, insbesondere
Benzodiazepine und Antidepressiva. Bestechung und illegale Vermarktung
seien mitverantwortlich für die Arzneimittelepidemie. Zwangsbehandlung
müsse verboten werden, wie sich dies auch aus der UN-Konvention über
die Rechte der Menschen von Behinderungen ergebe. Den Schluss des Buches
bilden Ratschläge für Patienten und Ärzte, wie sie zu einer besseren
und menschlicheren Psychiatrie beitragen könnten. Eingangs wies ich
darauf hin, dass es sich um eine Übersetzung ins Deutsche handelt. Also
beziehen sich die meisten Aussagen auf Vorgänge im englischen Sprachraum;
an sich kein Problem, Zyprexa wirkt dort nicht minder schädlich wie
hierzulande. Unangenehm fällt lediglich auf, dass als Informationsquellen
am Ende des Buches bis auf eine Ausnahme lediglich englischsprachige
Webseiten genannt werden. Hier wäre etwas Sorgfalt von Seiten des Verlags
angebracht gewesen. Spätestens in einer zweiten Auflage sollte dieser
Mangel beseitigt werden. Fazit: Ein ausgesprochen empfehlenswertes Buch.
Götzsche nennt die Psychopharmaka, Psychiater und Pharmafirmen beim
Namen, all seine Aussagen belegt er sorgfältig. Wer kritische und fundierte
Informationen sucht zu Psychopharmaka, wird in diesem Buch fündig. Als
Ergebnis der Lektüre habe ich Peter Götzsche eingeladen, an einem Symposium
über Maßnahmen gegen die katastrophale Frühsterblichkeit psychiatrischer
Patienten teilzunehmen, das ich gemeinsam mit Salam Gomez, dem Co-Vorsitzenden
des Weltnetzwerks von Psychiatriebetroffenen, bei der Konferenz des
psychiatrischen Weltverbands im November 2017 in Berlin anbieten will.
Ich freue mich, dass Peter Götzsche seine Teilnahme spontan zugesagt
hat, und hoffe, dass es der Pharmamafia und ihren Mitläufern nicht gelingt,
unser Symposium zu verhindern. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 431 Seiten plus 8 Seiten mit farbigen
Hochglanzfotos, ISBN 978-3-86883-756-8. München: Riva Verlag 2016.
€ 24.99 Peter Lehmann
Peter
C. Götzsche: Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität Wie
die Pharmaindustrie das Gesundheitswesen korrumpiert Götzsche ist Facharzt für innere Medizin, war 1993 Mitbegründer
der Cochrane Collaboration, einem an den Grundsätzen der sogenannten
evidenzbasierten (empirisch in ihrer Wirksamkeit nachgewiesenen) Medizin
orientierten internationalen Netzwerk von Wissenschaftlern und
Ärzten. Er hat viele Jahre für Pharmaunternehmen klinische Studien durchgeführt
und wurde 2010 an der Universität Kopenhagen zum Professor für klinisches
Forschungsdesign und Analyse ernannt. 2014 wurde sein Buch "Tödliche
Medizin und organisierte Kriminalität" in deutscher Übersetzung publiziert,
original erschien es 2013 in englischer Sprache. Es ist unbedingt lesenswert.
In 22 Kapiteln weist der Autor die Ähnlichkeit zwischen der Pharmaindustrie
und dem organisierten Verbrechen nach: Beide verdienen unwahrscheinlich
viel Geld (auch es im Fall der Pharmaindustrie gelegentlich zu Milliardenstrafen
kommt), gehen über Leichen (unerwünschte Pharmawirkungen sind nach Krebs
und Herzerkrankungen die dritthäufigste Todesursache) und bestechen
einflussreiche Politiker und andere Meinungsführer. Konkret befasst
Gözsche sich mit dem Zwielicht von Marketing und Forschung in der Medizin
(Psychiatrie inklusive), Interessenskonflikten medizinischer Fachzeitschriften,
gekauften Meinungsmachern, Ghostwritern, unzureichender Arzneimittelüberwachung,
Einschüchterung, Manipulation von Patienten- und Familienorganisationen,
Manipulation von Journalisten etc. Zwei Kapitel betreffen die Psychiatrie,
das "Paradies der Pharmaindustrie", mit ihrem Schwindel vom chemischen
Ungleichgewicht, mit dem Vertuschen unerwünschter Wirkungen wie beispielsweise
suizidalen Psychopharmaka-Wirkungen u.v.m. Die Beispiele und Zahlen,
die Götzsche nennt, sind drastisch, nachgewiesen, aussagekräftig. Beispiel
Zyprexa. Er schätzt, "... dass 200.000 der 20 Millionen mit Zyprexa
behandelten Patienten an den unerwünschten Wirkungen des Medikaments
gestorben sind. Besonders traurig daran ist, dass viele dieser Patienten
nie mit Zyprexa hätten behandelt werden müssen. Da Zyprexa nicht das
einzige Medikament ist, muss die Zahl der Opfer noch höher sein." Das
Buch ist hochinteressant für alle, die noch von einer ständigen Verbesserung
der medizinischen (inklusive psychosozialen) Versorgung ausgehen und
an verantwortungsbewusstes Handeln medizinischer (inklusive psychiatrischer)
Standesorganisationen, Gesundheitsverwaltungen und politischer Entscheidungsträger
glauben, jedoch mutig genug sind, den von Götzsche dargelegten Fakten
ins Auge zu blicken. Das Buch schließt mit Vorschlägen, wie das Gesundheitssystem
revolutioniert werden könnte im Sinne der Patientensicherheit und finanziellen
Vernunft. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden, 512 Seiten, ISBN 978-3-86883-438-3.
München: Riva Verlag, 3. Auflage 2016. € 24.99 Peter Lehmann
Colin Goldner: Psycho. Therapie zwischen Seriosität
und Scharlatanerie
Kritische und bissige Auseinandersetzung mit den geläufigsten Verfahren
esoterisch-spiritueller Lebenshilfe. Goldner zeigt anschaulich die teilweise
haarsträubenden und erzreaktionären theoretischen Hintergründe
der einzelnen Therapiemethoden auf. Die Kritik mancher Methoden, z.B.
der Homöopathie, als unwissenschaftlich, da nicht naturwissenschaftlich
beweisbar, lässt einen Beigeschmack zurück: Ist wirklich nur
das wirklich, was messbar ist? Insgesamt jedoch ein hochunterhaltsames
Buch, angesichts der Materialfülle auch extrem preiswert. Kart.,
424 S., Augsburg: Pattloch Verlag 1997. DM 29.80 Peter Lehmann
Colin Goldner (Hg.): Der Wille zum Schicksal. Die Heilslehre des
Bert Hellinger Ein längst überfälliges Buch zu dem therapeutischen
Treiben des Bert Hellinger, mit seiner Methode des »Familienstellens« wie lange noch? der Star unter den Psychotherapeuten.
Kritisch hinterfragt werden das Verfahren selbst, seine Versprechungen,
die Risiken, die Anbieter, die Konsumenten, das dahinterstehende Weltbild
und die zentrale Figur der Szene: Ex-Ordenspriester Bert Hellinger.
Mit Beiträgen von Ingo Heinemann, Micha Hilgers, Heiner Keupp, Claudia
Kierspe-Goldner, Beate Lakotta, Ursula Nuber, Jörg Schlee, Fritz B.
Simon, Hugo Stamm, Michael Utsch, Sigrid Vowinckel, Klaus Weber u.v.m.
Auch wenn einzelne der AutorInnen in ihren eigenen Arbeitszusammenhängen
nicht den allerbesten Ruf besitzen: dem Herausgeber Colin Goldner, klinischer
Psychologe und Wissenschaftsautor, lange Jahre in den USA tätig
und heute Leiter des »Forum Kritische Psychologie« (Informations-
und Beratungsstelle für Therapie- und Psychokultgeschädigte)
in München, ist es zu verdanken, dass ein stimmiges Buch zustande
kam. Gebunden, 304 Seiten, ISBN 3-8000-3920-6. Wien: Carl Ueberreuter
Verlag 2003. € 22.95 Peter Lehmann
Nils Greve / Margret Osterfeld / Barbara Diekmann:
Umgang mit Psychopharmaka
Jeder Mensch werde zur Einnahme eines Medikaments nur dann bereit sein,
wenn seine Vorteile klar ersichtlich sind, heißt es im Klappentext des
Buches. Ziel der Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient sei es, die
Vorteile für beide Seiten erfahrbar zu machen. Leider fehlen Worte darüber,
dass es auch von existenzieller Bedeutung sein kann, die Nachteile einer
psychiatrischen Behandlung zu kennen, ebenso Alternativen. Wobei als Alternativen
mehr zu benennen wäre aus nur der Wechsel von einem Psychopharmakon zum
andern, wenn man mit der Wirkung unzufrieden ist, sondern in Kenntnis
der abhängigkeitsbedingten Entzugssymptome Wege zum selbstbestimmten
Absetzen und zu nichtpsychopharmakologischen Alternativen. Leider finden
sich zur Abhängigkeitsproblematik von Antidepressiva und Neuroleptika
keinerlei Aussagen im Buch, immer geht es um Absetzsymptome, die genau
das Gegenteil von Entzugssymptome sind, denn von Absetzsymptomen spricht
man bei vielen Medikamenten (zum Beispiel Medikamenten gegen erhöhten
Magensäuregehalt), die zwar vegetative Gegenreaktionen beim Absetzen auslösen,
bei denen aber gerade keine Abhängigkeit vorliegt. Absetzsymptome bei
Antidepressiva würden meistens nach kurzer Zeit von selbst verschwinden,
in der Regel gar nicht auftreten. Berichte von Betroffenen, an die das
Buch gerichtet ist, sagen allerdings oft das Gegenteil. Und selbst Hersteller
informieren inzwischen über das Risiko der Medikamentenabhängigkeit und
lang anhaltender Entzugsprobleme. Positiv zum Buch ist zu sagen, dass
es übersichtliche und kurze Artikel zu speziellen Psychopharmaka
aufweist. Am Beispiel Aripiprazol, siehe unten, wird allerdings deutlich,
welche Folgen eine verkürzte Darstellung haben kann. Dafür wird im
Buch das Ideal der gemeinsamen Entscheidungsfindung propagiert. Dass es
entsprechend der Gesetzeslage der Patient ist, der nach Vorschlägen und
Informationen des Arztes in Ausübung seines Menschenrechts auf körperliche
Unversehrtheit die Entscheidung trifft, wird leider nicht gesagt. Dass
das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung keine
Verhandlungsmasse ist, scheint beim Psychiatrieverlag noch nicht angekommen
zu sein. Ein Kapitel, das richtig weh tut, handelt von Elektroschocks.
In vielen Fällen seien bis zu 12 Schocks erforderlich. Hinsichtlich der
Ansprechrate seien Elektroschocks Antidepressiva überlegen kein
Wunder, wird per Knopfdruck der beabsichtigte epileptische Anfall ausgelöst,
und dieser, insbesondere wenn er reihenweise ausgelöst wird, überdeckt
mit seinen Folgen, nämlich Hirn- und Gedächtnisschäden, das psychische
Leid rasch. Nebenbei, auch Schläge mit einem Knüppel auf den Schädel würde
eine hohe Ansprechrate aufweisen. Immerhin, das muss man den Autoren zugutehalten,
verweisen sie auf die Website des Rezensenten, wo man kritische Informationen
zu Elektroschocks findet. Weshalb diese nicht ins Buch eingeflossen sind,
dürfe dem Grundtenor des Buches geschuldet sein. Ziel ist es, die psychiatrischen
Behandlungsmaßnahmen an den Mann oder die Frau zu bringen. Zwar werden
im Gegensatz zum »Kompendium
der Psychiatrischen Pharmakotherapie« von Benkert und Hippius
gelegentlich Ratschläge erteilt, sich an Selbsthilfegruppen zu wenden,
alternative Krisenbewältigungsstrategien zu entwickeln, doch wünschenswert
wäre eine entscheidungsoffene Haltung der Autoren als Grundsatz. Eine
Haltung, die den Leser ernstnimmt, ihn rückhaltlos informiert und ihm
das Wissen vermittelt, eine eigene, fundierte Entscheidung zu treffen,
sich Psychopharmaka oder Elektroschocks verabreichen zu lassen oder eher
nicht. Das Beispiel Aripiprazol (Abilify) möge den Mangel des Buches veranschaulichen.
Während die Autoren schreiben: »Die Substanz hat im Vergleich zu den übrigen
Neuroleptika ein anderes Wirkprofil, wodurch eine geringere Sedierung
auftritt. Patienten berichten allerdings über vermehrte Unruhe«,
geben Hersteller von Aripiprazol an Ärzte diese Informationen zu
unerwünschten Wirkungen, die Greve und Kolleginnen den Betroffenen leider
vorenthalten: sehr häufig Müdigkeit bei Jugendlichen, Einschlaf- und Durchschlafstörungen,
Kopfschmerzen; häufig Ruhigstellung, Schläfrigkeit, Ruhelosigkeit, Agitiertheit,
Angstzustände, Aufmerksamkeitsstörungen, Schlaflosigkeit, Schwindelgefühle,
verschwommenes Sehen, gestörte oder fehlende Erektion des Penis bei sexueller
Erregung, erhöhte Kreatin-Phosphokinase (für den Energiestoffwechsel der
Muskelzellen notwendiges Enzym), Gewichtszu- oder -abnahme, Zuckerkrankheit,
Mundtrockenheit oder übermäßige Speichelabsonderung, Verdauungsstörung,
Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Muskelzittern, Akathisie (als quälend
empfundene, neurologisch bedingte Ruhelosigkeit oder zwanghafter Bewegungsdrang).
Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 284 Seiten, ISBN 9-783-86739-169-6.
Köln: BALANCE Buch + Medien Verlag, 5., vollständig überarbeitete Auflage
2017. € 20. Peter Lehmann
Nils Greve / Margret Osterfeld / Barbara Diekmann: Umgang mit Psychopharmaka Ein Patienten-Ratgeber
Ein Ratgeber, der die Betroffenen in die Lage versetzen soll, mit Psychiatern
zu verhandeln, "welches Medikament der beste Weg ist". Die Verabreichung
von Psychopharmaka wird von den AutorInnen als in vielen Fällen unverzichtbar
vorausgesetzt. Haldol oder Zyprexa, das ist dann noch die freie Wahl.
Auch Elektroschocks werden angeraten, der Stromstoß solle gerade ausreichen,
"um einen epileptischen Anfall hervorzurufen". Prima, in der Medizin
wird eigentlich versucht, epileptische Anfälle wegen der Gefahr der
damit verbundenen Hirnzellschädigung zu vermeiden. Elektroschocks gelten
den AutorInnen hinsichtlich der Ansprechrate als den Antidepressiva
überlegen. Da die therapeutische Wirkung des E-Schocks nicht lange anhalte,
würde der meist mit Antidepressiva kombiniert, und offenbar zustimmend "manche Kliniken empfehlen sogar eine 'Erhaltungs-EKT' einmal
pro Woche über längere Zeit." EKT sei als Behandlung der Wahl allgemein
akzeptiert offenbar glauben die AutorInnen, ihre psychiatrische
Haltung distanzlos verallgemeinern zu können. Einzelne Kapitel betreffen
die unterschiedlichen Psychopharmakagruppen, wesentliche Risiken werden
knapp aufgelistet, andere fallen unter den Tisch. Mit der durchsichtigen
Begründung, Neuroleptika würden nicht süchtig machen (wer lechzt schon
nach Haldol?), wird das Thema körperliche und psychische Abhängigkeit
vom Tisch gewischt. Ein Ausfallen der Regelblutung unter Neuroleptika
sei medizinisch harmlos, lese ich und erinnere mich an Forschungsergebnisse
amerikanischer Gynäkologen, die von der Erhöhung des Hormons Prolaktin
berichten, welche Menstruationsstörungen ebenso bewirken kann wie die
Bildung von Geschwulsten in den Brustdrüsen; so bestehe der Verdacht,
das zehnfach erhöhte Brustkrebsrisiko bei Psychiatriepatientinnen habe
mit der Wirkung der Psychopharmaka zu tun. Amerikanische Herstellerfirma
warnen seit 20 Jahren vor der Gefahr der Geschwulstbildung. Medizinisch
harmlose Menstruationsstörungen? Die kritischen Anmerkungen zu Psychopharmaka
in diesem Buch lesen sich so: "Hochpotente Neuroleptika sind nicht in
allen Fällen unbedingt erforderlich. Vielfach würden selbst zur Behandlung
akuter Krisen mittelpotente (typische oder atypische) Neuroleptika ausreichen."
Und ganz zum Schluss wird sogar die Gewichtszunahme unter Zyprexa diskutiert
mitsamt ihrer Risiken einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, von Krebs, Diabetes,
vermindertem Selbstwertgefühl, größerem psychosozialen Stress und sogar Höhepunkt dieser Abfolge "das Risiko einer unkontrollierten
Medikamentenabsetzung". Als Ratgeber kann ich das Buch aufgrund seiner
ideologisch geprägten psychiatrischen Ausrichtung nicht empfehlen; das
Thema Entzugsprobleme und unterlassene Hilfeleistung beim Absetzen wird
ebenso ausgespart wie die potentiell suizidale Wirkung von Neuroleptika.
Die Mitwirkung der Psychiatriebetroffenen Margret Osterfeld mag ihre
Spuren hinterlassen haben, doch bei der abschließenden Bewertung der
kritischen Punkte zählt in diesem Buch einzig die gewöhnliche psychiatrische
Sicht. Ein einseitiges Buch; Patienten-Psychoedukation wäre ein korrekter
Untertitel. Kartoniert, 190 Seiten, ISBN 3-88414-405-7. Psychiatrie-Verlag
2006; Neuausgabe BALANCE Buch + Medien Verlag, ISBN 978-3-86739-002-6.
€ 14.90 Peter Lehmann
Johannes
Michael Grill: ZANUSSI oder der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben.
Erzählung, Verse und Fragmente
Johannes Michael Grill war ein 1955 in München geborener Psychiatriebetroffener,
der 1998 erstmals psychiatrisiert wurde, eine typische Patienten-"Karriere"
mit insgesamt zehn Einweisungen in das BKW.Haar/Isar-Amper-Klinikum und
entsprechender Neuroleptikaverabreichung über sich ergehen lassen
musste und 2017 tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde, Todesursache
offenbar "unbekannt".Zwischendurch verfasste er unter
unterschiedlichen Namen diverse Texte, auch lyrische. Einer Initiative
von Gerd Westermayer und seinen Freunden ist es zu verdanken, dass seine
Texte nun in der Edition Humanistische Psychologie gleichsam als
Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht als Buch veröffentlicht
wurden, und zwar in einem bemerkenswert schön aufgemachten Band eingeleitet und mit einem editorischen Nachwort versehen von Hans-Jürgen
Heinrichs. Die erste Hälfte des Buches besteht aus lyrischen Versen
und Fragmenten. Die zweite aus "Brennende Bilder", einer Ich-Erzählung,
in der die Hauptperson "Hannes Zanussi" in drastisch-drallen
Worten beschreibt, in welch bigotter Familie er aufwächst, wie er
als widerspenstiger junger Mann in Konflikt mit der Polizei kommt und
von dieser jeweils aus nichtigem Anlass, unter entwürdigenden Umständen
und mit brutalen Methoden in die Psychiatrie verbracht wird, wie gleichgültig
und desinteressiert Unterbringungsrichter und Betreuer Entscheidungen
der Psychiater abnicken und wie sein Bruder die Psychiatrisierung nutzt,
um ihn als angeblichen Nichtsnutz ums Erbe zu bringen. Weshalb die näheren
Umstände des Todes von Johannes Michael Grill weder im Vorwort noch
im Nachwort thematisiert werden, bleibt das Geheimnis des Herausgebers
Hans-Jürgen Heinrichs. Er ist Ethnologe, der Sozialpsychiatrie zugeneigt
und hat vermutlich keine Kenntnisse von der potentiell lebensverkürzenden
Wirkung moderner Psychopharmaka. Insofern fehlen Angaben zu den Substanzen,
die Johannes Michael Grill vor seinem Tod eingenommen hat. Man fand diesen
zuhause in seinem Lieblingssessel mit nicht abgebrannter Zigarette. Dies
weist auf einen plötzlichen Herztod hin eine bekannte "Nebenwirkung"
von Antidepressiva und Neuroleptika. Gebunden, 112 Seiten, ISBN 978-3-89797-124-0.
Grevelsberg: EHP (Edition Humanistische Psychologie) Verlag Andreas
Kohlhage 2020. € 27.99 Peter Lehmann
Christina Grof / Stanislav Grof: Die stürmische Suche nach dem
Selbst. Praktische Hilfe für spirituelle Krisen
Über das Buch wird sich die esoterisch eingestellte Leserschaft freuen.
Wenn sie sich wie die Grofs mit Karma, Wiedergeburt und
Tod beschäftigt, wird sie ihre Probleme und Interessen im Buch zweifellos
wiederfinden. Herr Grof, Psychiater aus der früheren CSSR und inzwischen
in den USA tätig, bringt allerdings sein gewöhnliches Psychiaterwissen
ein. Er unterscheidet zwischen spirituellen und psychiatrischen Krisen.
Letztere lägen vor, wenn z.B. der Inhalt einer »Psychose«
unerfreulich ist für ihn , wenn die Leute misstrauisch
sind, wenn eine »Vorgeschichte von psychiatrischen Problemen«
da ist, wenn die »Kooperation« mit ihm fehlt usw. usf. Ich,
der Rezensent, bin allerdings schon einmal Psychiatern in die Hände
gefallen, als ich mich vom Gros der Menschheit verfolgt fühlte, und
sicher bin ich mir auch nicht, ob Grof die Form meiner Verrücktheit
gefallen hätte. Die Grofsche Unterscheidung durchzieht das ganze
Buch und rechtfertigt die übl(ich)e psychiatrische Diagnostik und
Behandlung bei denjenigen Menschen, in denen sich die Grofs nicht wiederzufinden
vermögen. Diese Ausgrenzung finde ich primitiv, deshalb landet mein
Rezensionsexemplar in der Ramschkiste. Gebunden, 382 Seiten, München:
Kösel Verlag 1991. DM 39.80 Peter Lehmann
Renate Grohmann / Eckart Rüther / Lutz G. Schmidt (Hg.): Unerwünschte
Wirkungen von Psychopharmaka. Ergebnisse der AMÜP-Studie
AMÜP heißt Arzneimittelüberwachung in der Psychiatrie.
Die Studie befasst sich im wesentlichen mit dem minimalen Teil akut auftretender
Schäden, die Psychiater veranlassen, ihre Medikamente abzusetzen,
die Dosis zu senken oder einen Austausch gegen andere Substanzen vorzunehmen.
Mittel- und langfristige Schäden sind ebensowenig erwähnt wie
all die quälenden Auswirkungen, die die Behandler zustimmend oder
mit einem Achselzucken zur Kenntnis nehmen. »Unerwünscht«
ist immer aus dem Blickwinkel des Psychiaters, Behandelte als Individuen
mit eigenen Wünschen, Gefühlen, Interessen tauchen in dem Buch
nicht auf. Werden dann einzelne Schäden, die zum Teil den Tod mit
sich brachten, kurz dargestellt, geht es in aller Regel darum, die Verantwortung
dem schwachen Allgemeinzustand der Behandelten, einer gleichzeitig als
Kombination verabreichten anderen Substanz oder sonst einem Umstand in
die Schuhe zu schieben. Deutlich wird bei der Lektüre, dass man bei
besonders stabiler Gesundheit sein muss, um die Verabreichung psychiatrischer
Psychopharmaka zu überstehen. Die Autoren jedoch nehmen Todesfälle
und Organschädigungen gelassen hin, die darauf zurückzuführen
sind, dass die Behandelten bereits vor Beginn der Verabreichung kaum belastbar
waren. Ein Buch, dessen hervorstechendstes Merkmal der Mangel an jeglichem
Mitgefühl mit den BesitzerInnen der geschädigten Organe und
Körper ist. Kart., 335 S., 162 Tab., Heidelberg usw.: Springer Verlag
1994. DM 110. Peter Lehmann
Daniel Grohn: Kind oder Zwerg
Was auf den ersten Blick so aussieht, als würde sich der Journalist
Poninger als vermeintlicher Patient in eine psychiatrische Anstalt aufnehmen,
um eine Reportage über dort vermutete Missstände zu schreiben, entpuppt
sich im Roman als pure Einbildung eines Psychiatriepatienten. Der Autor
hat sich als Poningers Gegenspielerin eine junge Ärztin ausgedacht, die
der Ursache seiner "Erkrankung" durch eine Gesprächstherapie
auf die Spur kommen will. Eine anfänglich interessant zu lesende,
dann je mehr der psychologistische Hintergrund erkennbar wird stark nachlassende Geschichte des Autors, eines Arztes, der sich vorzustellen
versucht, was Verrücktheit ist, und ein Szenario aufbaut, das Anklänge
an die Realität hat, sich vom Cybercafé bis zum Gehirn der
Ulrike Meinhof aller möglichen mehr oder weniger aktuellen Versatzstücke
bedingt, das Spektrum der üblichen Behandlung jedoch ausblendet mit Ausnahme des (angesichts der "Wahnsymptomatik" der Hauptfigur)
völlig unmotiviert angepriesenen Antidepressivums Citalopram. Dies
kann Grohn als Autor, er ist der Erfinder seiner Geschichte, Gedanken
sind frei (wer weiß, vielleicht steckt ja auch so etwas wie Produktplacement
dahinter, weshalb soll es das nur im Fernsehen geben). Gebunden mit Schutzeinschlag,
319 Seiten, ISBN 978-3-421-05785-3. München: DVA 2006. € 17.90 Peter Lehmann
Franjo Grotenhermen / Markus Berger / Kathrin Gebhardt:
Cannabidiol (CBD). Ein cannabishaltiges Compendium Das im Schweizer Nachtschatten-Verlag erschiene Buch befasst sich
mit der Anwendung, Wirkung, den Wechselwirkungen und Rezepturen von Cannabidiol
(CBD), zudem mit der Verwendung von Cannabis in der Küche. Das Buch beginnt
mit knappen Informationen zur Dosierung, fährt fort mit den CBD-Inhaltsstoffen,
der Verwendung bei Krankheiten und psychischen Problemen. Bei letzteren
wird häufig wie auch in der biologischen Psychiatrie üblich die Wirkung auf "Schizophrenie" oder Depressionen bei Ratten, Mäusen und
Fischen getestet und dann recht unreflektiert auf den Menschen übertragen,
was für die Autoren allerdings kein Problem darstellt. Über den industriellen
Herstellungsprozess geht es weiter zur Rezepten aus der Feld- und Versuchsküche
rund ums Backen und Kochen mit Hanf für Mensch und Tier. Wer Hanf-Margarine,
vegane Brownies, Hanf-Hundekekse, Hanf-Smoothies oder Schokomus mit Haschisch-Gruß
bis hin zu Cannabis-Zäpfchen zubereiten will, kommt in dem Buch auf seine
Kosten. Das 2015 in Erstauflage erschienene Buch endet mit CBD-Bezugsquellen
und Werbeanzeigen von CBD-Verkäufern und -Zeitschriften sowie Cannabis-Verbänden.
Originalausgabe 2015. Gebunden, 163 Seiten, viele farbige Abbildungen,
ISBN 978-3-03788-369-3. Solothurn: Nachtschatten Verlag, überarbeitete
und ergänzte Neuauflage 2018. € 24.80 Peter Lehmann
Swapnil Gupta / John Cahill / Rebecca Miller: Deprescribing
in Psychiatry
In their preface, the authors three Assistant Professors from the
Department of Psychiatry, Yale University School of Medicine describe
their approach to deprescribing psychiatric drugs. They want to offer
a pragmatic starting point to stimulate and open a conversation between
patient, prescriber, clinical team, friends and family. With this approach,
they ignore the starting points for such a conversation published in the
last quarter of a century about reducing and coming off psychiatric drugs.
The authors see deprescribing as a process of shared decision-making in other words, they overlook the fact that the main person who should
decide about reducing and coming off psychiatric drugs is the patient
whose human right of bodily integrity, under which the intake of psychiatric
drugs falls, is indivisible. The UN convention on human rights supports
this position. Further on, the authors accept the common biopsychosocial
approach of drug treatment as a rational entity, which means they accept
the mainstream-understanding of emotional distress in humans as a basic
biological problem. The primary target of the authors is "overmedicalization",
not unwanted medicalization. It is not to show how to support patients
who want help with full withdrawal of psychiatric drugs, but to ensure
minimum-effective dosing of psychiatric drugs combined with therapeutic
measures. I note these restrictions to protect the readers critical of
psychiatry from disappointment.
To understand and appreciate the position of the authors and their approach,
it is important to know their background. They reach their conclusions
from geriatric practice, where it is known that, over the years, elderly
people are prescribed and administered masses of drugs without considering
which substances are better to discontinue after surviving problems and
crises. One author, Swapnil Gupta, was educated in India a country
where psychiatric drug combinations are administered unrestrainedly, for
example absurd combinations such as Dep 37 or Depof 37, which contain
the neuroleptic trifluoperazine, the antidepressant imipramine, the benzodiazepine-tranquilizer
chlordiazepoxide and the antiparkinsonian trihexyphenidyl. India is no
exception; mainstream psychiatrists worldwide are administering massive
combinations of psychiatric substances. In this respect despite
the criticism mentioned above Deprescribing in Psychiatry is of
great importance to mainstream psychiatrists worldwide. Here, representatives
of mainstream psychiatry argue that their colleagues should reduce prescriptions,
they name anxieties of patients that oppose a reduction, they name withdrawal
and discontinuation symptoms that make a reduction difficult, they name
wellness supports that may be suggested by the prescriber but are essentially
put in place by the patient to support a deprescribing process that improves
the chances of success for the reduction.
In the practical part "The Intervention of Deprescribing"
the authors recommend alternative strategies which might prevent or best
manage an eventual increase in distress. They refer to the Wellness Recovery
Action Plan with the person's own identified toolbox of self-management
and nonpharmaceutical self-care strategies. They also recommend advance
directives (although strangely, as an example, they mention psychiatric
drugs and even electroshock as preferences in crises, but not their denial
of human rights and prevention of additional burdens). Exercise, family
support, various forms of psychotherapy, treatment of insomnia, peer support
and online resources are other potential aspects of wellness strategies.
Also, acceptance and commitment therapy is mentioned in this frame, but
without considering the important risk factors for bodily dependence from
psychiatric drugs when accepted by the patient for a longer period and
for chronic diseases due to the drugs' effects.
The section "The Process of Deprescribing" mainly deals with
a seven-step structured intervention for optimizing the collaborative
reduction of psychiatric drugs. Step 1 is Assess the Timing and Context,
step 2 Medication Reconciliation, step 3 Exploration of the
Patient's Experience, Attitudes, and Meaning About Medication, step
4 Frame Setting for the Deprescribing Intervention, step 5 Decision
Which Medication to Deprescribe, step 6 Development of the Specific
Deprescribing Plan, and step 7 Implementation, Monitoring and Adjustment
of the Plan. In their last chapters, the authors consider special
aspects in relation to antidepressants, neuroleptics, mood stabilizers,
benzodiazepine-tranquilizers and Z-drugs, and psychostimulants. Using
examples, the authors show procedures when patients want to reduce or
discontinue psychiatric drugs: switching to other psychiatric drugs, psychoeducation
(convincing patients that a relapse is imminent when they stop taking
psychiatric drugs), discussion of the desire to stop, further discussion
to reach a decision that both doctor and patient can agree on. Being under
the influence of personality-altering and attenuating substances while
having to convince their doctors is certainly not an optimal starting
point for meeting a person's wishes for a reduction in psychiatric drugs.
However, this is the sad reality, unless the patients take the initiative
and go ahead on their own.
Despite or rather because of the disastrous prescription practice in mainstream
psychiatry and even more so because of its reserved, moderate style of
argumentation, and with the above concerns, I can recommend the book as
a step in the right direction for psychiatrists. Especially for prescribers
of psychiatric drugs. Review
in the Journal of Critical Psychology, Counselling and Psychotherapy,
Vol. 20 (2020), No. 4, pp. 112-114.
Soft cover, XII + 247 pages, 12 figures, 11 tables, ISBN 978-0-19-065481-8.
Oxford: Oxford University Press 2019. RRP £ 32.99 Peter Lehmann
Nora Haberthür: Wege der Heilung Wege
der Hoffnung. Erfahrungen und Hintergründe von Heilung
Bei dem Buch handelt es sich um eine vielstimmige Sammlung mit Kranken-
und Heilungsberichten aus dem somatischen und psychiatrischen Bereich:
ermutigende Zeugnisse von Zuversicht, unerklärlichen Wendungen, Sinnfindung,
Erfahrung von Heilung (mit oder ohne therapeutische Hilfe), fernab von
Konzepten und Theorien. Was gibt Menschen Kraft angesichts von Schmerzen
und Schicksalsschlägen? Wo liegen innere und äußere Kraftquellen? Welche
körperlichen und geistig-seelischen Entwicklungen begründen letztlich
ein Heilwerden? Diese Fragen stellt sich Nora Haberthür, die Erfahrungsberichte
gesammelt hat von Menschen mit Tinnitus, Gehirnentzündung, chronischen
Schmerzen, Borderline, Traumatisierungen, Nierenversagen, Psychosen, Angstzuständen,
Anorexie, Brustkrebs etc. Das Buch besteht aus 7 Hauptkapiteln: Heilung
wie ein Wunder, Heilung durch Sinnfindung, Heilung durch Liebe und existenzielles
Mittragen, Heilung durch Stärken der eigenen Ressourcen, Heilung durch
Akzeptanz und Achtsamkeit, Heilung durch spirituelle Verbundenheit. Im
abschließenden Kapitel »Heilung als Weg und Wandlung« interpretiert
die Autorin die Berichte der Betroffenen, ihrer Angehörigen und Therapeuten
und kommt auf den gemeinsamen Nenner: Die Heilung geschah durch die Erfahrung
einer tragenden Lebenskraft, einer wandelnden, schöpferischen Energie.
Die schweizerische Autorin, die Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaften
studiert hat, wird mit dieser Aussage sicher keine Mainstream-Mediziner
erreichen, schließlich lässt sich Lebenskraft nicht im Reagenzglas und
schöpferische Energie nicht als Gen-Expression nachweisen. Für Betroffene,
Angehörige und humanistisch orientierte Therapeuten dürfte das Buch
mit seiner Vermittlung von Hoffnung jedoch höchst inspirierend sein. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden, 286 Seiten, einige schwarz-weiße Abbildungen,
ISBN 978-3-7228-0841-3. Fribourg (Schweiz): Paulusverlag 2013. Peter Lehmann
Martin Härter / Harald Baumeister / Jürgen Bengel (Hg.): Psychische
Störungen bei körperlichen Erkrankungen Ein anspruchsvolles, Theorie- und Statistik-lastiges Fachbuch, das
sich nicht an die Betroffenen wendet, sondern an in der somatischen
Medizin Tätige. Wer in der Wissenschafts- und Medizinersprache nicht
zu Hause ist, wird sich schwertun beim Lesen. Untersucht werden Häufigkeit,
Diagnostik und Behandlung von psychischen Belastungen und Störungen,
die speziell im Zuge chronischer Krankheiten wie Diabetes, Herz- und
Krebserkrankungen entstehen. Die Herausgeber arbeiten in der Klinischen
Epidemiologie und der Rehabilitationspsychologie an der Universität
Freiburg. Ihr Anliegen ist es, der Abschottung der Zuständigkeiten für
Körper und Psyche entgegenzuwirken. Es geht nicht um die oft übersehenen
somatischen Erkrankungen bei sog. psychisch Kranken und nur sehr oberflächlich
um pharmakologische Wechselwirkungen und Kontraindikationen. Umfangreiche
Literaturhinweise. Kartoniert, XII + 166 Seiten, 15 schwarz-weiße
Abbildungen, 17 Tabellen, ISBN 978-3-540-25455-3. Berlin: Springer Verlag
2007. € 34.95 Kerstin Kempker
Hans Halter: Ihr Recht als Patient. Grundsatzurteile, Fallbeispiele,
Rechtswege, Selbsthilfegruppen
Besonders im Bereich Psychiatrie ist das Buch ausgesprochen schwach.
Ansonsten, was den medizinischen Bereich betrifft, liefert der Autor,
Arzt von Beruf, gelegentlich durchaus zutreffende und auch interessante
Informationen, aber im Kern, wenn es darauf ankommt, stellt er die Patientenrechte
verkürzt und so letztlich unkorrekt dar. Fazit: Nicht empfehlenswert.
198 S., 2., akt. u. erw. Aufl., Düsseldorf: Econ Taschenbuch Verlag
1993. DM 12.80 Peter Lehmann
Dietmar Hansch: Erste Hilfe für die Psyche Selbsthilfe und
Psychotherapie. Die wichtigsten Therapieformen, Fallbeispiele und Lösungsansätze
Der Arzt und Psychotherapeut beschäftigt sich übersichtlich und leicht
verständlich mit allerlei psychischen Problemen, Stressreaktionen, Angststörungen,
Depressionen, funktionellen Störungen u.v.m., wie sie zustande kommen,
wie man sie überwinden kann, welche psychotherapeutischen Verfahren
es gibt und wie wichtig es ist, sich nicht nur auf Hilfe von außen zu
verlassen, sondern selbst aktiv zu werden. Am Schluss seiner Einleitung
bittet der Autor, man möge ihm per E-Mail einen Kommentar zu seinem
Buch zukommen lassen. Leider vergisst er, eine Mailadresse zu nennen.
Deshalb die Botschaft auf diesem Weg: "Lieber Herr Hansch, Sie
haben ein an sich lobenswertes Buch geschrieben, wären da nicht die
üblichen, die Interessen der Pharmaindustrie befriedigenden Aussagen
hinsichtlich der von Ihnen bedingt empfohlenen Psychopharmaka, sie seien
gut erprobt, die von Ihnen als Nebenwirkungen abgetanen unerwünschten
Wirkungen seien (allgemein) bekannt und bei endogenen Psychosen müsse
oft eine lebenslange medikamentöse Therapie bzw. Prophylaxe erfolgen.
Ich vermisse auch nur ein Wort zur Gefahr körperlicher Abhängigkeit
bei Antidepressiva und Neuroleptika, von Rezeptorenveränderungen, die
diese Abhängigkeit bewirken und Depressionen bzw. psychotische
Probleme chronifizieren können, auch nur ein Wort zur durchschnittlich
zwei bis drei Jahrzehnte reduzierten Lebenserwartung psychiatrischer
Patienten, denen neben der aufgrund ihrer Diskriminierung oft
prekären Lebenssituation vor allem die toxischen Wirkungen der
"erprobten" Psychopharmaka zum Verhängnis werden; auch nur ein Wort
zu Psychiatriebetroffenen, die gerade solchen Empfehlungen und der Psychiatrie
den Rücken gekehrt haben und nun ein psychopharmakafreies und erfülltes
Leben führen." Original erschienen 2003 im Springer Verlag. Taschenbuch,
282 Seiten, ISBN 978-3-86647-729-2. Köln: Anaconda Verlag 2012. €
7.95 Peter Lehmann
Hartwig
Hansen (Hg.): Höllenqual oder Himmelsgabe? Erfahrungen von Stimmen
hörenden Menschen Wie kamen die Stimmen in mein Leben? Was bedeuten sie mir heute?
Wie hat sich mein Leben durch die Stimmen verändert? Wer oder was hat
mir auf meinen Weg geholfen? Wie geht es mir heute mit allem? Antworten
auf diese und noch viele weitere wichtige Fragen geben Frank Dahmen,
Christian Derflinger, Rolf Fahrenkrog-Petersen, Andreas Gehrke, Wolfgang
Harder, Cornelia Hermann, Regina Hildegard, Ingrid Krumik, Monika Mikus,
Tim Panzer, Barbara Schnegula, Tom Seidel, Barbara Urban, Laura Vogt
und viele mehr. Wie schon aus dem Titel "Meine Stimmen Quälgeister
und Schutzengel" (2006) des Buches mit den Texten von Hannelore Klafki,
der Gründerin des deutschen Netzwerks Stimmenhören, hervorging, können
Stimmen von den Betroffenen als positiv interpretiert werden wie auch
als quälend. Vieles hängt von einem konstruktiven Umgang und der Möglichkeit
ab, sie in das eigene Leben zu integrieren. Andreas Gehrke, von dem
im Paranus-Verlag 2003 das Buch "Ausbruch aus dem Angstkäfig Ein Stimmenhörer berichtet " erschienen ist und der den Ansto� zum neuen
Buch gab, plädiert in seinem Beitrag dafür, "... dass Stimmen in jedem
Falle zu realen Freunden gemacht werden sollten. Das kompromisslose
Beseitigen von Stimmen, etwa durch Psychopharmaka, ist, wie die gängige
Praxis in den Psychiatrien beweist, sicher auf Dauer nicht der 'Königsweg'.
Erst die Freundschaft zu den Stimmen stärkt und unterstützt die eigene
Freiheit." Ob die anderen Autorinnen und Autoren ihre Freiheit mithilfe
der Stimmen erreicht haben, mit welchen Problemen (die sie gelegentlich
auch in die Psychiatrie führen) sie zu kämpfen haben, wie sie ihre Stimmen
interpretieren und mit ihnen auch unter Einfluss von Psychopharmaka umgehen, wie sie unter ihren Stimmen leiden, sie gelegentlich
vermissen, wenn sie vertrieben worden sind, wie sie sich mit ihnen arrangiert
oder gar angefreundet haben..... das alles lesen Sie in diesem vielstimmigen
Buch am besten selbst. Das Buch mit seinen 18 Berichten endet mit einem
Nachwort des Herausgebers angenehmerweise wieder frei von jeglicher
besserwisserischen Interpretation der Beiträge. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 206 Seiten, ISBN 978-3-940636-33-1.
Neumünster: Paranus Verlag 2015. € 19.95 Peter Lehmann
Hartwig Hansen (Hg.): Der Sinn meiner Psychose Zwanzig Frauen
und Männer berichten
"Lange galt die Schizophrenie als in sich sinnlose, unheilbare Gehirnkrankheit,
der ausschließlich mit Medikamenten begegnen werden kann", schreibt
der Herausgeber Hartwig Hansen auf der hinteren Umschlagseite des von
Dorothea Buck inspirierten und von ihm im sozialpsychiatrisch orientierten
Paranus Verlag herausgegebenen Buchs. Als Autorinnen und Autoren lud
Hansen Menschen ein, die in der Vergangenheit im ebenfalls im
Paranus Verlag erscheinenden Brückenschlag Beiträge veröffentlicht
hatten, womit die Weite des Denkhorizonts vorgegeben war: schließlich
galten diesen Beitragschreibern Psychosen schon lange nicht mehr als
sinnlose Symptome von Hirnstörungen. 1983 hatte Tina Stöckle in ihrem
antipsychiatrischen Buch "Die
Irren-Offensive Erfahrungen einer Selbsthilfe-Organisation von
Psychiatrieopfern" Mitglieder der damaligen Irren-Offensive Berlin
zu Wort kommen lassen und aus den Interviews Kriterien einer Alternative
zur Psychiatrie entwickelt, wozu sie explizit die Suche nach dem Sinn
des Wahnsinns, einem Ernstnehmen des Verrücktseins und die Auseinandersetzung
damit zählte. Sieben Jahre später gab Dorothea Buck ihrem Buch "Auf
der Spur des Morgensterns" den programmatischen Zusatztitel "Psychose
als Selbstfindung". Während es Tina Stöckle um die radikale Befreiung
vom psychiatrischen Einfluss ging und um den Kampf gegen psychiatrische
Menschenrechtsverletzungen, fordert Hartwig Hansen 30 Jahre danach ausschließlich
eine Weiterentwicklung der Psychiatrie, die dem Sinn von Psychosen mehr
Bedeutung einräumt und mehr Beachtung schenkt. Scheinbar liegen diese
beiden Positionen weit auseinander. Doch auch eine Haltung, die sich
primär der Suche nach dem Sinn des Wahnsinns verpflichtet fühlt, ist
Sand im Getriebe des psychiatrisch-industriellen Komplexes im Zeitalter
der boomenden Neurobiologie, die den Menschen mit seiner Gefühlswelt
(psychische Probleme eingeschlossen) auf biochemische Vorgänge reduziert.
Angesichts der gigantischen Kapitalinteressen im psychosozialen Bereich
ist nun nicht damit zu rechnen, dass "Der Sinn meiner Psychose" den
großen Umbruch in der Psychiatrie bewirkt. Aber Psychiatriebetroffenen,
die noch an die biologische Verursachtheit aller Psychosen glauben,
kann das Buch die Augen öffnen und sie dahin bringen, sich selbstkritisch
alleine, in der Selbsthilfegruppe oder in der Psychotherapie damit auseinanderzusetzen,
weshalb und wann sie ausrasten und was die Symptome zu bedeuten haben,
gilt es doch, wieder Herr oder Frau über das eigene Leben zu werden.
Katharina Coblenz-Arfken, Karla Kundisch, Peter Mannsdorff, Jan Michaelis,
Sibylle Prins, Gaby Rudolf, Reinhard Wojke und 13 weitere Psychiatriebetroffene
beschreiben in persönlichen Beiträgen, wie sie dem Sinn ihrer Psychose
auf die Spur gekommen sind und warum sie ihre besonderen Erfahrungen
als Bereicherung erleben. Das Buch enthält insgesamt 20 unterschiedliche
Erfahrungsberichte und Reflexionen von Betroffenen über den Sinn und
die Inhalte ihrer Psychosen, ihr Zustandekommen, ihre Auslöser, ihre
Verarbeitung und ihre Konsequenzen dankenswerterweise ohne jegliche
Interpretation des Herausgebers. So bleibt den Leserinnen und Lesern
die Möglichkeit, sich bei der Lektüre dieses vielstimmigen Buches ein
eigenes Urteil zu bilden. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 194 Seiten, ISBN 978-3-940636-24-9.
Neumünster: Paranus Verlag 2013. € 19.95 Peter Lehmann
Günter
Harnisch: Alternative Heilmittel für die Seele Selbsthilfe bei
depressiven Verstimmungen, Schlafstörungen und nervöser Erschöpfung
Der Autor zeigt auf, auf welch vielfältige Weise Depressionen,
Schlafstörungen und Erschöpfungszustände entstehen können
und wie man mit rezeptfrei erhältlichen Naturheilmitteln, Botenstoffen
für das Gehirn, Vitaminen, Vitalstoffen, geeigneter Ernährung
und Nahrungsergänzungsmitteln depressive Verstimmungen und anderes
Unbill bekämpfen kann (unter anderem Johanniskraut, Bachblüten,
Baldrian, SAM, Schüßler-Salze, Omega-3-Säuren, Ginseng,
Aminas und Inkakost). Dazu nennt er übersichtlich und verständlich
jeweils Inhaltsstoffe und Wirkungsweise, Anwendungsgebiete, Forschungsergebnisse,
Dosierungen, mögliche unerwünschte Wirkungen, Bezugsquellen
und Kosten. Kartoniert, 110 Seiten, 51 Farbfotos, ISBN 978-3-89993-576-9.
Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft 2009. € 12.90 Peter Lehmann
Renate Hartwig: Die Schattenspieler
Mutiges Buch der profilierten Scientology-Kritikerin Renate Hartwig
über die Umtriebe sogenannter Sektenbeauftragter der großen Kirchen
(»Pfarrer Gandow« usw.) und deren Helfer, deren Zusammenarbeit
mit dem Verfassungsschutz, die rechtsstaatswidrige Diffamierung missliebiger
Personen als »scientologynah«, die primäre Ausrichtung ihrer
Tätigkeit auf die Rechtfertigung der eigenen, mit öffentlichen Mitteln
gut bezahlten Arbeitsplätze und das verräterische Ausbleiben
jedweder Konsequenz ihres Wirkens in Richtung rechtsstaatlicher Klärung
des Status von Scientology. Gut, dass Renate Hartwig sich nach ihren
ersten Büchern "Scientology Ich klage an" (1994)
und "Abenteuer Zivilcourage Scientology contra Demokratie"
(1997) jetzt die obskuren Sektenjäger vornimmt, die an einer
rechtsstaatlichen Klärung der Angelegenheit Scientology offenbar
nicht interessiert sind. Die Autorin hat an die Rechtschaffenheit der
Sektenjäger über viele Jahre geglaubt, ihnen Material
geliefert. Jetzt fragt sie zurecht empört nach dem Sinn ihres Tuns,
wenn die Sektenjäger außer Diffamierungen, Schlammschlachten
und Vernebelung einer klaren Informationslage nichts zustande bringen.
Dass der Dachverband der sogenannten Anti-Sekten-Initiativen, die "Aktion
für Geistige und Psychische Freiheit" (AGPF), als dessen Geschäftsführer
der hoch bezahlte Ingo Heinemann firmiert, 2002 auch noch versucht hat,
das Bundesjustizministerium 2002 zu veranlassen, aus dem von der EU
geforderten Antidiskriminierungsgesetz ausgerechnet die Diskriminierungsgründe
Weltanschauung und Religion herauszunehmen (im Wortlaut nachzulesen
auf S. 386ff.), schlägt dem Fass den Boden aus. Demokratische Organisationen
und Behindertenverbände aller Coleur kämpfen um dieses Antidiskriminierungsgesetz,
und die AGPF, die sich besser Aktion gegen Geistige und Psychische
Freiheit nennen sollte, hält ein solches Gesetz für gefährlich.
Das sind die Vereine, die die AGPF bilden: S.I.E. SEKTEN-INFO
ESSEN e.V., ARBEITSKREIS SEKTEN e.V., Artikel 4 Initiative für
Glaubensfreiheit e.V., BBS Bürger Beobachten Sekten e.V.,
DELPHIN e.V., EBIS Baden-Württembergische Eltern- und Betroffeneninitiative
e.V., EL-Elterninitiative zur Wahrung der geistigen Freiheit e.V., Flügelschlag
e.V., FKP Forum kritische Psychologie e.V., KIDS Kinder in destruktiven
Sekten e.V., Kontakthilfe bei Sektenproblemen e.V., Niedersächsische
Elterninitiative gegen den Missbrauch der Religion e.V., Odenwälder
Wohnhof e.V., SEKTENBERATUNG BREMEN e.V., SEKTEN-INFO BOCHUM, SINUS
Sekten Information und Selbsthilfe e.V., VITEM Verein für
die Interessen terrorisierter Mitmenschen e.V., GSK Gesellschaft
gegen Sekten- und Kultgefahren, SADK Schweizerische Arbeitsgemeinschaft
gegen Destruktive Kulte. Vorsicht vor diesen Gruppen, die sich nach
außen hin so altruistisch geben! Und Vorsicht, wer Kritik äußert
und missliebige Fragen stellt, wird sofort in die Scientology-Ecke gesteckt.
Das von der Autorin angeprangerte Schema erinnert fatal an die Praxis
im Stalinismus, jede freie Meinungsäußerung sofort als Aggression
des Klassenfeindes und Imperialismus zu brandmarken. Renate Hartwig
gilt Ingo Heinemann logischerweise als Top-Täterin: "Renate
Hartwig umgefallen: Renate Hartwig war Deutschlands rüdeste Scientology-Kritikerin.
Renate Hartwig verteidigt heute Scientology" kann man auf Heinemanns
Website lesen (www.ingo-heinemann.de/Hartwig.htm 6.9.2005). Ich
habe kein Wort von Scientology-Verteidigung in dem Buch gelesen, peinlich
für Ingo Heinemann und seine Gefolgsleute, Mitläufer und Vorbeter
der sogenannten Anti-Sekten-Gruppen. Substanz und Redlichkeit scheinen
nicht gerade deren Stärke zu sein. Kartoniert, 389 Seiten, mit
Abbildungen und Faksimiles, ISBN 3-935246-02-1. Nersingen: Direct Verlag
2002. € 18. Peter Lehmann
Felix
Hasler: Neuromythologie Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht
der Hirnforschung
2007 schrieb der Züricher Arzt und Psychotherapeut Marc Rufer in
seinem Artikel "Psychiatrie Ihre Diagnostik, ihre Therapien"
in "Statt
Psychiatrie 2": "In den Medien werden die Befunde der
Hirnforschung zu Riesenerfolgen aufgebauscht. Die Hirnforschung, die
'Jahrhundertwissenschaft', ist dabei, sich zur neuen Gesellschaftslehre
aufzuschwingen. Eine neue Mythologie ist entstanden die Neuromythologie."
Jetzt erschien 2012 in erster Auflage ein ganzes Buch unter dem Titel
"Neuromythologie": ein brilliantes, längst überfälliges
und zudem leichtverständliches Buch über die Diskrepanz zwischen
dem gegenwärtigen Welterklärungsanspruch der Neurowissenschaften
und den real vorliegenden empirischen Daten, über die Arroganz
von Neurowissenschaftlern und über aggressive Verkaufsstrategien
von Psychopharmaka-Herstellerfimen. Der Autor, Forschungsassistent an
der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, Gastwissenschaftler am
Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsjournalist,
wehrt sich gegen den Hype, die Hirnforschung wisse genau Bescheid über
die biologischen Vorgänge, die dem Erleben, Denken und Handeln
des Menschen zugrunde liege und könne deshalb zielgenau und evidenzbasiert
ins Gehirn eingreifen, wenn etwas "schief läuft". Zentral
im Buch ist das Kapitel "Neuro-Reduktionsmus, Neuro-Manipulation
und das Verkaufen von Krankheit", das die Entwicklung der biologischen
psychiatrischen Methoden (Insulin- und Elektroschocks, Lobotomie und
Psychopharmaka) nachvollzieht, unter Bezug auf vorwiegend angloamerikanische
Psychiatriekritiker wie Breggin, Angell, Healy, Whitaker, Mosher etc.
die skandalösen Verkaufspraktiken von Pharmafirmen anprangert und
den Mythos dekonstruiert, die herrschende biologische Psychiatrie sei
eine Erfolgsgeschichte wissenschaftlicher Vernunft und ein Segen für
die Patienten. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 250 Seiten, ISBN 978-3-8376-1580-7.
Bielefeld: transcript Verlag, 3. Auflage 2013. € 22.80 Peter Lehmann
Alfred Hausotter: Erntedankfest Vorgeschichte,
Verlauf und Ausheilung einer Psychose
Der Autor, geboren 1954, verheiratet, zwei Kinder, Mag. Dr. phil., klinischer
Psychologe und Gesundheitspsychologe in Österreich und seit 1997 in
der Wohnbetreuung tätig, erlebte von 1974 bis 1983 vier psychotische
Episoden. Diese beschreibt er offen, detailliert und ohne jede Wertung.
Im zweiten Teil finden sich seine in den Krisenphasen entstandenen Texte
und Bilder. Sie geben einen exemplarischen Einblick in Form und Inhalt
psychotischen Bewusstseins und dessen Klärungsversuche. Eingebettet
in den ganz normalen Wahnsinn von Familie, Schule, Bundesheer und Psychiatrie
werden die Innenansichten seines Wahns beklemmend folgerichtig. Das
Buch handelt von Mut und Eigensinn und davon, wie Psychiatrie und Psychopharmaka
dem im Wege stehen. 2006 war es unter dem Titel "Der GottTeufel.
Innenansicht einer Psychose" original bei der sozialpsychiatrisch
orientierten Edition pro mente im oberösterreichischen Linz erschienen.
Bald war es vergriffen. Für die überarbeitete Auflage wählte der Autor
den Titel "Erntedankfest Vorgeschichte, Verlauf und Ausheilung
einer Psychose". Kurz vor der Fertigstellung wollte die Edition
pro mente den Begriff "Ausheilung" (einer Psychose) durch
"Überwindung" im Untertitel ersetzen. Der Autor lehnte ab:
Seiner Erfahrung nach sind Psychosen keine zu bekämpfenden Krankheitssymptome,
sondern im Gegenteil unterstützungswürdige Selbstheilungsversuche der
Psyche im Sinne des Soteria-Ansatzes. Mit der Bibliothek der Provinz
fand er glücklicherweise einen Verlag ohne ideologische Scheuklappen.
Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 373 Seiten, 6 zweiseitige farbige
und 2 einseitige einfarbige Abbildungen, 2 Faksimiles, ISBN 978-3-99028-216-8.
Linz: Verlag Bibliothek der Provinz 2015. € 28. Peter Lehmann
Markus
Hedrich: Medizinische Gewalt Elektrotherapie, elektrischer
Stuhl und psychiatrische »Elektroschocktherapie« in den USA, 1890-1950 Bei diesem Buch handelt es sich um eine aktualisierte faktenreiche
geschichtswissenschaftliche Dissertation an der Philosophischen Fakultät
der Universität Bonn von 2013 darüber, wie sich in den USA der elektrische
Stuhl 1888/89 aus der psychiatrischen Anstalts-Elektrotherapie entwickelte
und dieser ab 1940 wiederum die Übernahme und Weiterentwicklung der
sogenannten Elektroschocktherapie beförderte - beides vor dem Hintergrund
rassistisch-eugenischen Gedankenguts in der Kriminologie und Psychiatrie.
Dem Autor gelang es in seiner Forschungstätigkeit, in den USA extrem
schwer zugängliche Akten in Gefängnissen und psychiatrischen Anstalten
einzusehen. Daraus zitiert er dann reichlich leider in nicht
übersetzter englischer Sprache. Da sich deren Sinn meist aus dem Zusammenhang
ergibt, leidet die Lektüre dadurch aber nicht allzu sehr. Auf der anderen
Seite handelt es sich um eine wissenschaftliche Arbeit mit vielen nicht
erklärten Fremdworten und in der Tradition Michel Foucaults, in anderen
Worten: keine leichte Lektüre.
Nichtsdestotrotz gelingt es Hedrich mit seiner historisch-materialistischen
Herangehensweise, die Logik des Elektroschocks und seiner begeisterten
Aufnahme von Psychiatern vor dem Hintergrund sozialer und ökonomischer
Entwicklungen mit vielen Belegen zu erklären, ebenso dessen Einsatz
als brutales Mittel zur Bestrafung und Disziplinierung abweichenden
Verhaltens, speziell bei Frauen, als »annihilierendes Kontrollinstrument,
das die höheren Geistesfunktionen der PatientInnen durch die Induzierung
kognitiver Dauerdefekte paralysiert«, das heißt die Erkenntnis- und
Informationsverarbeitung betreffenden Fähigkeiten der Betroffenen auf
Dauer ausschaltet. Der Autor zeigt zudem anhand von Belegen die umfangreichen
Hirn- und Gedächtnisschäden; unter anderem, dass die Zellveränderungen
nach Elektroschocks denen entsprechen, die nach Tötungen durch den elektrischen
Stuhl gefunden wurden. Und anhand von Fallbeispielen weist er im Einzelnen
nach, wie der Elektroschock eingesetzt wurde, um den Widerstand der
Betroffenen zu brechen, bis sie sich schließlich voller Verzweiflung
der psychiatrischen Macht unterwerfen und Krankheitseinsicht und therapeutische
Wirksamkeit geloben, um fortgesetzten Elektroschockverabreichungen zu
entgehen, wie sie früher üblich waren und heute auch in deutschsprachigen
Ländern wieder üblich sind.
Außer auf amerikanische Quellen stützt sich Hedrich auch auf deutschsprachige.
So zitiert er beispielsweise den NS-Psychiater Anton von Braunmühl,
Oberarzt der bayrischen T4-Zwischenanstalt Eglfing-Haar, der 1947 darauf
pochte, nicht vom »Schock« oder »Krampfschock« zu sprechen, sondern
vom »Heilkrampf«. Am heute hierzulande noch gebräuchlichen Begriff der
»Heilkrampftherapie« zeigt sich, wie psychiatrische Sprachmanipulation
zur Verschleierung der Wirklichkeit, sogenanntes Neusprech, in psychiatrischen
Kreisen und sogar noch hier und da im Selbsthilfebereich verankert ist. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 343 Seiten, 23 schwarz-weiße
Abbildungen, 6 Tabellen, ISBN 978-3-8376-2802-9. Bielefeld: transcript
Verlag 2014. € 34.99 Peter Lehmann
Sibylle Heeg / Katharina Bäuerle: Freiräume Gärten für Menschen
mit Demenz
Ausgesprochen schön gestaltetes Buch für alle (Bauherren,
Träger von Pflegeheimen, Leitungskräfte, Betreuer und Pfleger,
Garten- und Landschaftsplaner, Architekten, Vertreter von Ämtern
und Behörden), die Einfluss haben auf die Gestaltung von Freibereichen
für Menschen mit Demenz, geprägt von Kompetenz, Verantwortungsbewusstsein
sowie Respekt für die Betroffenen. Mit einem Kapitel zur Bedeutung
von Freibereichen im Rahmen eines milieutherapeutischen Ansatzes sowie
Gründen für eine geringe Nutzung bestehender Gärten,
einem Kapitel zur Abstimmung des Gartens auf die besonderen Bedürfnisse
von Menschen mit Demenz, einem Kapitel zu Leitkonzepten therapeutischer
Gärten, einem Kapitel mit Planungshilfen und praktischen Hinweisen
zur Gestaltung von Freibereichen und einem Kapitel zum Planungs- und
Realisierungsprozess eines Gartens in zehn Schritten alles versehen
mit aussagekräftigen Farbfotos und Zeichnungen von Beispielen.
Kartoniert, 90 Seiten, viele farbige und schwarz-weiße Abbildungen,
ISBN 978-3-938304-85-3. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag, 2. Aufl. 2007.
€ 17.90
Peter Lehmann
Sibylle Heeg / Katharina Bäuerle: Heimat für Menschen
mit Demenz Aktuelle Entwicklungen im Pflegeheimbau
Großformatiges und übersichtlich gestaltetes Buch mit vielen
Beispielen ausgewählter Pflegeeinrichtungen in Deutschland, der Schweiz,
Dänemark und Finnland zur baulichen Umsetzung neuer Wohn- und Betreuungskonzepte
für Menschen mit Demenz. Die einzelnen Kapitel: Paradigmenwechsel im
Pflegeheimbau, Interventionskonzepte und ihre baulichen Erfordernisse,
Settings für Wohnen und Betreuung, integrierte Bau- und Betriebsplanung,
Bauliche Anforderungen umweltpsychologisch begründet. Hinzu
kommen 174 Seiten mit bebilderten Beispielen und Nutzungserfahrungen
hinsichtlich Grundrisstypologien, Fluren und Erschließungszonen,
Aufenthaltsbereichen, Essbereichen und Wohnküchen, Bewohnerzimmer,
Individual- und Pflegebädern, Pflegestützpunkten und Funktionsräumen,
Freibereichen, Fenstern, Ausgängen, Bodenbelägen, Akustik,
Heizung, Lichtgestaltung, Möbilierung und Bedienungselementen.
Aufgrund der sorgfältigen Darstellung von Problemen und Lösungsmöglichkeiten
liefert das Buch eine solide Grundlage für einen Dialog zwischen
Trägern von Altenhilfeeinrichtungen und deren Nutzer, was Planung
und Mängelbeseitigung betrifft. Kartoniert, 281 Seiten, zahlreiche
farbige Fotos und Zeichnungen, ISBN 978-3-938304-93-8. Frankfurt am
Main: Mabuse-Verlag 2008. € 36.- Peter Lehmann
Nina Heinrichs: Ratgeber Panikstörung und Agoraphobie Wer sich rein symptomorientiert, systematisch, schrittweise, mit
Hilfe von Arbeitsblättern und den Direktiven der Autorin seiner Panik
oder Phobie (generell ist von Agoraphobie die Rede) stellen will, bekommt
in diesem Ratgeber knappe konkrete Hinweise, speziell aus der Verhaltenstherapie,
entlang den Fragen: Was ist das? Wie entsteht es? Was kann man tun?
Knapp und mit Beispielen versehen wird sortiert, geplant, entspannt,
sich gestellt die Phobie handhabbar gemacht. Kartoniert, 108
Seiten, ISBN 978-3-8017-1986-9. Göttingen: Hogrefe Verlag 2007.
€ 12.95 Kerstin Kempker
Rudolf Heinz / Dietmar Kamper / Ulrich Sonnemann: Wahnwelten im
Zusammenstoß. Die Psychose als Spiegel der Zeit
Sammlung von Vorträgen, die 1991 im Literarischen Colloquium 1991
gehalten wurden. Minimalthese der AutorInnen: »Es gibt nicht nur,
wie man meinen möchte, eine einzige Wahnwelt, die der Psychose
im klinisch-psychiatrischen Sinne der Bezeichnung, sondern mehrere,
und innerhalb dieser Skala diejenige extreme, die man Normalität
nennt, und die es sich anmaßt, das andere Extrem als Dissidenz
und Pathologie zu bestimmen und zu verfolgen.« Hier einige der
Artikel: »Leidensverwaltung als gelingende Einheit institutionalistischen
Stumpfsinns, therapeutischen Widersinns und moralischen Schwachsinns«
(Ulrich Sonnemann), »Die Schizo-Chaosmose« (Felix Guattari),
»Eigensinn« (Elisabeth Weber), »Prismatische Stimmungsprozesse
in der Psychotherapie« (Alfred Drees), »Orakel Echo Rätselgesang. Sprachtumult und Psychose« (Heide &
Melanie Heinz). Am besten gefallen hat mir Martin Stingelins Beitrag
»Matto regiert Psychiatrie und Psychoanalyse
in Leben und Werk von Friedrich Glauser (1896 1938), weil Glauser
einer meiner bevorzugten Autoren ist, weil der Artikel einer der weniger
hochintellektuellen ist, und weil ich viel Handfestes über Glauser
und den Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit Psychoanalyse und
zeitgemäßer Psychiatrie erfahren habe. Geb., 269 S., 14 Abb.,
Berlin: Akademie Verlag 1993. DM 48. Peter Lehmann
Martin Heinze / Dirk Quadflieg / Martin Bührig
(Hg.): Utopie Heimat. Psychiatrische und kulturphilosophische Zugänge
Der Sammelband geht zurück auf eine Tagung der Gesellschaft für
Philosophie und Wissenschaften der Psyche im Mai 2005 in Bremen. Martin
Heinze, einer der Herausgeber, plädiert für einen positiven,
zukunftsbezogenen Heimatbegriff innerhalb der seinem Verständnis
nach kritischen Sozialpsychiatrie, wobei einerseits die psychiatrisch
betreuten Menschen sich heimisch fühlen können sollen, andererseits
der Heimatbegriff ein Potential zur fortwährenden Selbstkritik an den
eigenen Institutionen und Haltungen führen soll. Psychiater interpretieren
literarische Texte interpretieren und psychiatrische Themen aus philosophischer
Sicht und wollen dadurch, so ihre eigenen Worte, über die jeweiligen
Fachgrenzen hinaus denken. Allerdings sind Psychiatriebetroffene unter
den Autoren nicht zu finden sind, lediglich beispielsweise Friedrich
Hölderlin und Robert Walser wie gehabt unter den Objekten
der Betrachtung. Kartoniert, 248 Seiten, ISBN 3-938880-02-3. Berlin:
Parodos Verlag 2006. € 19. Peter Lehmann
Hansjörg Hemminger / Joachim Keden: Seele aus zweiter Hand Psychotechniken und Psychokonzerne
Über die vielfältigen psychologischen und pseudopsychologischen
Angebote, mit einer Bewertung aus evangelischer Sicht. Kart., 194 S.,
Stuttgart: Quell Verlag 1997. DM 29.80 Peter Lehmann
Walter Hempfing: Aufklärungspflicht und Arzthaftung
Über Kunstfehler, Aufklärungsrecht, Dokumentations-, Aufklärungs-
und Schweigepflicht, Schmerzensgeldbeträge auf den verschiedenen
Fachgebieten, Verhaltensvorschläge im Falle des Vorwurfs eines
Arztfehlers, Einsicht in die Behandlungsakten, Umfang von zu überlassenden
Behandlungsunterlagen, wirtschaflliche Aufklärungspflicht usw..
Geschrieben von einem Rechtsanwalt in Westerheim bei Stuttgart, der
sowohl medizinisch als auch juristisch ausgebildet ist. Das Buch ist
verfasst für Ärzte, denen der Autor ihre Pflichten und Rechte
erklärt, damit sie drohenden Haftungsklagen (noch) beruhigter entgegensehen
können. Vorschlag Hempfings an Ärzte: »Wird Ihnen ein
Vorwurf gemacht, müssen Sie ganz generell mit Äußerungen
und Stellungnahmen zu dem in Frage stehenden Fall außerordentlich
zurückhaltend sein. Auch im engeren Kreis, bei dem kein absolutes
Vertrauensverhältnis herrscht..., sollte der Fall nicht mehr diskutiert
werden. Sie müssen spätestens ab dem Zeitpunkt eines
Vorwurfs daran danken, dass Offenheit, Meinungsvielfalt oder
Abwägen Ihrer Position schadet. Und nur die ist dann wichtig. Gerade
das sind Sie der Offenheit und der Abgewogenheit Ihres Standpunktes
schuldig.« Also mauern, mauern, mauern als ärztliches Prinzip,
wichtig sind nicht die Interessen der möglicherweise Geschädigten,
sondern nur die wirtschaftlichen Interessen des Arztes. Orientiert
am BRD-Recht. Kartoniert, 309 S., Landsberg: Ecomed Verlagsgesellschaft
1995. DM 68. Peter Lehmann
Traute Hensch / Gabriele Teckentrup (Hg.): Schreie lautlos. Missbraucht
in Therapien
Authentischer Bericht über den sadomasochistischen Missbrauch zweier
Frauen durch ihren Therapeuten, einen Hamburger Psychosomatiker,
der das Abhängigkeitsverhältnis, in dem sich seine Klientinnen
während des Therapieverlaufs befinden, zum Ausleben seiner sadistischen
Begierden nutzt. Mit Auszügen aus den polizeilichen Vernehmungsprotokollen
und einer Nachzeichnung des Prozessverlaufs. Kart., 240 S., Freiburg:
Kore Verlag 1993. DM 35. Peter Lehmann
Gunter Herzog / Gabriele Tergeist: Störfall Sexualität.
Intimitäten in der Psychiatrie
Über Sexualität in psychiatrischen Einrichtungen, Diskurse
über Geschlechtlichkeit, Diagnoseschlüssel, Nebenwirkungen
von Psychopharmaka, erzwungene Sexualität, Sexualität in psychiatrischen
Behandlungsverhältnissen und in Therapie usw.. Kart., 268 S., Bonn:
Psychiatrie-Verlag 1996. DM 34. Peter Lehmann
Birgit Heuer / Renate Schön: Lebensqualität und Krankheitsverständnis.
Die Auswirkung des medizinischen Krankheitsmodells auf die Lebensqualität
von chronisch psychisch Kranken
Lebensqualität statt Krankheitsbegriff. Die Autorinnen befragen die
psychiatrische Praxis aus einer ebenso frappierenden wie naheliegenden
Perspektive. Sie zerbrechen sich nicht die Köpfe darüber, ob die heute
in psychiatrischen Institutionen übliche Behandlung sich durch dahinterstehende
Krankheitsbegriffe rechtfertigen ließe oder irgendwelche naturwissenschaftlichen
Beweismittel für die Angemessenheit der üblichen Krankheitskonstrukte
auszumachen wären. Sie fragen schlicht aber ergreifend, wie es sich
mit der Lebensqualität der Personen verhält, die eine psychiatrischen
Behandlung ausgesetzt sind oder waren. Schließlich wird man doch als
Ziel einer jeden ärztlichen Kur unterstellen dürfen, dass sie das Wohlbefinden
des "Patienten" im Effekt steigert. Nun handelt es sich bei der Lebensqualität
sicherlich um einen wissenschaftlich schwer zu fassenden Terminus, aber
immerhin hindert nichts daran, die Menschen nach der ihren zu befragen.
Kartoniert, IV + 434 Seiten,
ISBN 978-3-925931-30-7. Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag,
korrigierte Neuausgabe 2004. € 38.90 Lucinda Bee
Mario Hieke: Die Informationsrechte geschädigter
Arzneimittelverbraucher
Die Dissertation (Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität
Marburg, 2003) über das rechtliche Instrumentarium, das Arzneimittelgeschädigten
zu Verfügung steht, um den Schadensverursacher bei Vorliegen entsprechender
Voraussetzungen haftungsrechtlich zu belangen, besticht durch Materialfülle
und Übersichtlichkeit. Die Arbeit knüpft an den durch das
II. Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften
eingeführten materiell-rechtlichen Auskunftsanspruchs des Arzneimittelgeschädigten
gegenüber dem Arzneimittelhersteller an und beleuchtet die aus
dem reformierten Informationsanspruch resultierenden Möglichkeiten
und Grenzen der Darlegungs- und Beweismöglichkeiten. Kartoniert,
XV + 506 Seiten, ISBN 13: 978-3-89786-054-4, ISBN 10: 3-89786-054-6.
Frankfurt am Main: pmi Verlag 2003. € 68.50 Peter Lehmann
James Hillman / Michael Ventura: 100 Jahre Psychotherapie und der Welt geht's immer schlechter
Feuilletonistische, sehr gut lesbare Kritik am individualisierenden
Starren der Therapie auf Kindheitstraumata, welches Umweltbelastungen
und andere gesellschaftliche Stressdimensionen aus dem Blickfeld gelangen
lässt. Geb., 275 S., Düsseldorf: Walter Verlag 1993. DM 48. Peter Lehmann Paul Hoff: Psychiatrie: Ein Blick von innen. Geschichte Theorien Fälle Der Autor Paul Hoff, Psychiater und Philosoph, will das Fach Psychiatrie
und Psychotherapie in seiner ganzen spannungsreichen Vielfalt darstellen
und anhand von Fallbeispielen die zentralen und kontroversen Themenbereiche
veranschaulichen: Natur der (sog.) psychischen Krankheit, Behandlung,
Krankheitseinsicht, Deutungshoheit, Zwang und Missbrauch, Remission,
Recovery u.v.m. Ideologisch festgelegt, jedoch ohne Einsicht in seine
Festlegung, arbeitet er die Themenbereiche mit einer "Ja, aber"-Strategie
ab, benennt Widersprüche, um dann aber einzig solche Argumente
anzuführen, die vordergründig seine Position rechtfertigen;
Sichtweisen der Gegenposition(en) werden, wenn überhaupt, jeweils
nur verkürzt dargestellt, deren Protagonisten kommen nicht zu Wort,
auch wenn der Autor gelegentlich dafür plädiert, angesichts
der zunehmenden Autonomiebestrebungen von Psychiatriebetroffenen mit
dieser Personengruppe ins Gespräch zu kommen. So beschränkt
sich deren Rolle mal wieder darauf, als bloße Objekte von Fallbeispielen
zu dienen. Kartoniert, 223 Seiten, ISBN 978-3-7296-0834-4. Oberhofen
am Thunersee: Zytglogge Verlag 2011. € 30. Peter Lehmann
Nicolas Hoffmann / Birgit Hofmann: Depression. Informationsmaterial
für Betroffene und Patienten
Die Leserschaft bevormundendes, einseitiges und nahezu ausschließliches
Plädoyer für Verhaltenstherapie, basierend auf einem Verständnis
von Depression als teilweise erblich bedingter Krankheit mit sinnloser
Symptomatik, begleitet von pauschaler Abkanzelung der Selbsthilfe-Literatur
insgesamt auf der einen und ausnahmsloser Empfehlung selbstverfasster
Literatur auf der anderen Seite. Im Rahmen dieser Vorgaben finden sich
für Therapeuten und Klienten nachvollziehbare und die Therapie
unterstützende Anleitungen zur Reflexion und weiteren Planung der
einzelnen Therapieschritte. Kartoniert, 192 Seiten, ISBN 3-936142-81-5.
Lengerich: Pabst Science Publishers 2002. € 20. Peter Lehmann
Nicolas Hoffmann / Henning Schauenburg (Hg.): Psychotherapie der
Depression. Krankheitsmodelle und Therapiepraxis störungsspezifisch
und schulenübergreifend
Buch zu den Theorien und Vorstellungen von Therapeuten aller Art über
die Genese und Behandlung von Depressionen. Wenn eingangs völlig
unkritisch die doppelte Häufigkeit der Diagnose "Depression"
bei Frauen erwähnt und bei Ursachen von Depressionen pharmakogenes
Auslösen vergessen wird, so ist dies leider ein deutliches Signal
für die doch begrenzte wissenschafltliche Qualität des Buches
und der auf den enthaltenen Vorstellungen aufbauenden psychotherapeutischen
Bemühungen. Kartoniert, 210 Seiten, ISBN 3-13-126061-0. Stuttgart:
Thieme Verlag 2000. DM 59. Peter Lehmann
Patrick Holford: Optimale Ernährung für die Psyche
Wenn man großzügig über die reißerische Aufmachung, den unschönen Satzspiegel,
die vielen Druck- und Übersetzungsfehler und manche allzu simple Diagnosen
und Heilsversprechen z.B. sind über 50% aller psychischen Probleme
ursächlich Blutzuckerprobleme und Zucker macht dumm , das reaktionäre
Verständnis von "Schizophrenie" als degenerative Erkrankung
und das Ausblenden eines jeglichen Ansatzes organisierter Selbsthilfe
hinweg sieht und sich von der Fülle der biochemischen Erläuterungen
und warnenden Fragebögen nicht erschlagen lässt, dann liefert das Buch
umfangreiche und teilweise praktikable Hinweise zu all den Stoffen,
die einer gesunden Ernährung dienlich sind und damit auch der Psyche.
Aber bitte nicht alles so ernst nehmen! Z. B. die "Aufputschmittelbestandsaufnahme",
die schon bei täglich zwei Tassen Tee und zwei Teelöffeln Zucker (aber:
kein Kaffee, kein Alkohol, keine Schokolade, Cola oder Zigarette) eine
psychische Gefährdung nahelegt und den Autor zu strengsten Empfehlungen
zwingt. Und steht hinter Verbrechen wirklich die "Zuckertraurigkeit"?
Ich gebe es zu, die letzten 150 Seiten dann nur noch überflogen zu haben.
Nach der "Lösung für Depression, manische Depression und Schizophrenie"
wird auf dreieinhalb Seiten schnell der Entzug von Alkohol, Heroin,
Nikotin und Medikamenten abgehandelt, dann die Jugend, Essstörungen,
Epilepsie und das Alter: "Sagen Sie Nein zu Alzheimer". Ein allwissender
Autor (von 20 "beliebten" Büchern, in 17 Sprachen übersetzt) lässt eine
zunehmend unwillige Leserin zurück. Zuckerunwillen? Kartoniert, XV +
390 Seiten, mit Abbildungen und Tabellen, ISBN 3-9501946-0-6. Vorchdorf:
Veda Nutria Verlag 2003. € 19.90 Kerstin Kempker
Patrick
Holford / Deborah Colson: Optimale Gehirnernährung für Kinder Fit im Kopf, fit in der Schule, fit im Leben
Tipps für eine gesunde Ernährung von Kindern, die ihre Entwicklung unterstützt
und ihre Intelligenz fördert. Für den Fall, dass Kinder unter Problemen
wie Legasthenie, Dyspraxie, Autismus, Aggressivität, Aufmerksamkeits-,
Ess- und Schlafstörungen leiden, empfehlen Holford und Colson die Umstellung
der Ernährung, insbesondere den Verzicht auf hydrierte Fette und raffinierte
Kohlehydrate und dafür die Verwendung von Vollwertnahrungsmitteln, Vitaminen,
Mineralstoffen und essenziellen Fettsäuren, insbesondere Omega-3-Fettsäuren.
Da oft genug der Einsatz psychiatrischer Psychopharmaka droht, wenn
Kinder Probleme bereiten, ist es ausgesprochen vernünftig zu versuchen,
Geist und Körper auf natürliche Art zu beeinflussen. Das Buch liefert
eine hilfreiche Erklärung in Theorie und Praxis, wie das funktionieren
könnte. Kartoniert, 294 Seiten, 17 schwarz-weiße Grafiken und 4 Fotos,
Tabellen, ISBN 978-3-86731-020-8. Kirchzarten: VAK Verlag 2008. €
18.95 Peter Lehmann
Petra Hollweg / Wolfram Schwarz: Fernöstliche
Heilkunst für die Seele Natürliche Selbsthilfe bei Krisen und
Verstimmungen Das Buch beschreibt die ganzheitliche Behandlung seelischer Verstimmungen
und sogenannter Angsterkrankungen mit traditioneller Chinesische Medizin
(TCM). Es versteht sich zwar als Ergänzung zu westlichen Behandlungsmethoden,
womit symptomunterdrückende medizinische Maßnahmen und Psychotherapieverfahren
gemeint sind. Aber wer schon unerquickliche Bekanntschaft mit psychiatrischen
Psychopharmaka gemacht hat, verzichtet eventuell gerne auf diese "bewährten"
Maßnahmen und sucht nach einem Weg jenseits gesundheitsgefährdender
Psychodrogen. Entsprechend ihrem Ansatz, traditionelle Chinesische Medizin
nur als Ergänzung zu sehen, stellen Hollweg und Schwarz die typischen
westlichen Behandlungsverfahren nicht in Frage, ebensowenig wie das
psychiatrische Krankheitsbild (endogen, Erbfaktor usw.). Dieser Sichtweise
muss man jedoch nicht folgen, und ab Seite 26 spielt sie dann auch keinerlei
Rolle mehr im Buch. Jetzt beginnt unvermittelt der eigentliche
Buchinhalt, nämlich die Erläuterung der Prinzipien der traditionellen
Chinesischen Medizin, Yin und Yang, und der Lebensenergie Qi, vergleichbar
etwa der Lebenskraft, wie sie die Homöopathie kennt. Stress, Angstzustände,
Panikattacken und Depressionen entstehen demzufolge durch Störung
des Lebensenergieflusses. Mit einem Fragebogen kann man ermitteln, welche
Elemente (Holz, Feuer, Erde, Metall oder Wasser) einen besonders beeinflussen.
Hieraus lassen sich dann Handlungsansätze entwickeln. Diese werden
in der zweiten Hälfte des Buches ausführlich, verständlich
und differenziert für die einzelnen Energietypen dargestellt: Akupressur,
Ernährung, Heilkräuter, Bewegung und psychologische Maßnahmen.
Wer lieber einen Bogen um psychiatrische Psychopharmaka machen will
und sich auf den Ansatz der traditionellen Chinesischen Medizin einlässt,
findet hier Anregungen für eigenständig praktizierbare oder
unter Anleitung von HeilpraktikerInnen und anderen Expertinnen durchführbare
Maßnahmen in Hülle und Fülle. Kartoniert, 144 Seiten,
24 Abbildungen, ISBN 978-3-8304-3691-1. Stuttgart: Trias Verlag in MSV
Medizin-Verlage 2010. € 12.95 Peter Lehmann
Schirin Homeier: Sonnige Traurigtage. Ein Kinderfachbuch
für Kinder psychisch kranker Eltern
Das Kind Mona bekommt mit, dass seine allein erziehende Mutter immer
mal wieder depressiv ist und deshalb ihren elterlichen Pflichten nicht
nachkommen kann. Deshalb wird Mona von ihren Freunden und in der Schule
diskriminiert. Und Mona hat Schuldgefühle gegenüber der Mutter.
Diese belastende Situation wird bebildert nachvollziehbar dargestellt.
Soweit der positive Aspekt des Buches. Jetzt aber beginnt der Ratgeberteil.
Das Kind lernt, dass der Psychiater der Facharzt ist, der herausfindet,
"... dass Mama eine psychische Krankheit hat. Das ist also der
Grund für die Traurigtage. Jetzt wissen wir, was los ist!"
Und weiter, wörtlich: Der Psychiater verschreibt Medikamente gegen
psychische Krankheiten. Im Sozialpsychiatrischen Dienst kümmern
sich die Fachleute um psychisch kranke Menschen. Weil Mama jetzt noch
mehr Hilfe braucht, geht sie für einige Zeit in die psychiatrische
Klinik. Dort erholt sich Mama. Leute, die keine Ahnung haben, geben
der Psychiatrie gemeine Namen wie "Irrenhaus" oder "Klapse".
Menschen, die eine psychische Krankheit haben, finden dort viel Zeit
und Ruhe. Sie finden Schutz und bekommen oft neue Medikamente. Und können
viel mit den Fachleuten reden, wodurch sie zu neuen Kräften kommen.
In anderen Worten: Psychiatrische Psychopharmaka (insbesondere die neuen,
die man bekommt) sind frei von unerwünschten Wirkungen und heilen
psychische Probleme. Überall sitzen Experten, bereit, mit den Betroffenen
hilfreiche Gespräche zu führen. Zwang und Gewalt gegen Betroffene
gibt es nicht. Nur Ignoranten, die Kritik an der Psychiatrie üben.
Dabei sind Psychiatrien echte Erholungsheime, geradezu Jungbrunnen......
Fazit: Ein Lehrbuch für die Indoktrination von Kindern, für
die Vermittlung psychiatrischer Glaubenssätze bar jeden kritischen
Gedankens, für die subtile Werbung für atypische Neuroleptika
und SSRI. Es wird Zeit, dass Kindern von Menschen mit psychosozialen
Problemen nicht nur ein Recht auf Schutz im Allgemeinen zugesprochen
wird, nicht nur ein Recht auf Geborgenheit, Fürsorge, Versorgung,
Freundschaften, Hobbys und Freude, sondern auch ein Recht auf Schutz
vor ideologisch geprägten einseitigen und primitiven Gut-Böse-Weltbildern
(beispielsweise à la Scientology oder biologische Psychiatrie).
Aus pädagogischer Sicht sind für Kinder die Konsequenzen solcher
Indoktrination doppelt fatal: Indem sie lernen, dass die psychischen
Probleme ihrer Eltern nichts als bloße Krankheitssymptome sind,
die wie etwa Geschwüre behandlungsbedürftig
und medizinisch wegzubehandeln sind, entsteht eine Enfremdung zwischen
ihnen und dem betroffenen Elternteil. Und die Kinder laufen Gefahr,
selbst einmal ärztegläubige Schlucker von Medikamenten und
Psychopharmaka zu werden. Als ob es nicht schon genügend medikamentenabhängige
Menschen geben würde. Gebunden, 125 Seiten, ISBN 978-3-938304-16-7.
Frankfurt am Main: Mabuse Verlag 2006. € 19.80 Peter Lehmann
Alexander Markus Homes: Von der Mutter missbraucht.
Frauen und die sexuelle Lust am Kind
Akribisch recherchiert und fast bis zur Unerträglichkeit gewürzt mit
Erfahrungsberichten zieht der Autor in einem Ton zwischen Rechtfertigung
und Anklage die Schleife von den Täterinnen über Feminismus und Pädophilie
hin zu den Opfern, die selber wieder zu Tätern und Täterinnen werden.
50 Seiten Literaturverzeichnis. Kartoniert, 459 Seiten, ISBN 3-89967-282-8.
Lengerich: Pabst Science Publishers, 2. Auflage 2005. € 25.
Kerstin Kempker
Lara Honos-Webb: ADHS als Geschenk. Wie die Probleme
Ihres Kindes zu Stärken werden können
Die Autorin, Psychologin aus Santa Clara, USA, sieht die Impulsivität
des Kindes positiv als Erkenntnisdrang und außergewöhnliche
Intuitivität. Mit speziellen Übungen, die an den Interessen
der Kinder anknüpfen statt wie bei anderen Büchern
vorgegeben sind soll daraus produktive Stärke gemacht werden.
Vom Ansatz her scheint dies durchaus sinnvoll zu sein, jetzt muss nur
noch ausprobiert werden, ob die Übungen auch von den Kindern so
gut gefunden werden wie von der Autorin. Cheerleader- und Bingospiele
sind zwar etwas amerikanisch angehaucht, dafür bilden Ritterspiele
oder Harry Potter ein auch hierzulande brauchbares Gegengewicht. Kartoniert,
192 Seiten, ISBN 978-3-87387-656-9. Paderborn: Junfermann Verlag 2007.
€ 19.50 Peter Lehmann
Renate Hornik: Honigschlecken. Plötzlich
Stiefmutter! Herz ist Trumpf Karrierefrau siegt mit Glanz und
Gloria
Von der Autorin als Roman angekündigt, der thematisch zum Antipsychiatrieverlag
und -versand passe. Leider gelang es mir nicht, den Zusammenhang zum
Thema Psychiatrie & Antipsychiatrie zu finden. Dafür schmeckten
die vom Verlag zu Werbezwecken beigelegten Honigbonbons ausgezeichnet.
Kartoniert, 214 Seiten, ISBN 3-937568-65-4. Aachen: spirit RAINBOW Verlag
2006. € 15.90 Peter Lehmann
Jürgen Hoyer / Katja Beesdo / Eni S. Becker: Ratgeber Generalisierte
Angststörung. Informationen für Betroffene und Angehörige Wer sich rein symptomorientiert, systematisch, schrittweise, mit
Hilfe von Arbeitsblättern und den Direktiven des Autors seiner Panik
oder Phobie (generell ist von Agoraphobie die Rede) stellen will, bekommt
in diesem Ratgeber knappe konkrete Hinweise, speziell aus der Verhaltenstherapie,
entlang den Fragen: Was ist das? Wie entsteht es? Was kann man tun?
Mit Beispielen versehen wird das übermäßige chronische Sorgen und Befürchten
von drei AutorInnen aus der klinischen Psychologie betrachtet, vom "normalen"
Sorgen abgegrenzt und schrittweise sortieren, planen, entspannen,
sich stellen handhabbar gemacht. Kartoniert, 79 Seiten, ISBN
978-3-8017-2030-8. Göttingen: Hogrefe Verlag 2007. € 9.95 Kerstin Kempker
Michael Hüll: Die Anti-Depressions-Strategie im
Alter
Buch eines Psychiaters aus Freiburg, der Depressionen bei alten Menschen
beschreibt, sowohl die biologische wie die psychologische Seite, jedoch
zwanghaft immer von einer gestörten Hirnfunktion ausgeht. Menschen,
die im Alter depressiv werden, sieht Hüll deshalb grundsätzlich als
neurologisch Erkrankte, und entsprechend gestaltet sich sein Angebot
von Behandlungsmöglichkeiten, das u.a. Antidepressiva, die in den letzten
20 Jahren "deutlich besser verträglich" geworden seien, ebenso einschließt
wie konventionelle, völlig unkritisch empfohlene Elektroschocks: eine
brutale Behandlung, die auf der Auslösung epileptischer Anfälle basiert
- ausgerechnet bei alten, auch körperlich immer weniger belastbarer
Menschen. Finger weg von diesem ideologisch geprägten und wenig christlichem
Buch. Bei der Vorstellung, die eigenen, alt gewordenen Eltern werden
einer Behandlung im Sinne Michael Hülls unterzogen, kommt einen das
kalte Grausen. Kartoniert, 158 Seiten, ISBN 978-3-451-61005-9, Freiburg:
Kreuz Verlag 2011. € 14.95 Peter Lehmann
Gerald Hüther / Helmut Bonney: Neues vom
Zappelphilipp ADS verstehen, vorbeugen und behandeln
Dieses Buch zweier kritischer ADS-Experten liefert Antworten auf Fragen
wie: Was verbirgt sich hinter der Bezeichnung "ADS"? Wie entsteht
dieses Verhaltensmuster? Wie kann man solche Fehlentwicklungen vermeiden?
Sollten sie bereits entstanden sein: Wie kann man den betroffenen Kindern
wirksam helfen? Das Buch ist geschrieben für Eltern, Kinderärzte
und Therapeuten und liefert kompakte Argumente in verständlicher
Sprache. Sehr empfehlenswert! Taschenbuch, 167 Seiten, ISBN 978-3-407-22927-4.
Weinheim & Basel: Beltz Verlag 2012. € 12.95 Peter Lehmann
Stephen S. Ilardi: Depression ist heilbar Das Sechs-Schritte-Programm ohne Medikamente
Menschen mit Depressionen stehen eine Reihe von Hilfsmitteln zur Verfügung,
gegen ihre Depressionen anzugehen: Naturheilkundliche Mittel, synthetische
Psychopharmaka, Engagement in der Selbsthilfegrupppe, Psychotherapien
diverser Art, Elektroschocks, Alkohol u.v.m. Selbsthilfegruppen, Psychotherapien
oder naturheilkundliche Mittel wie Johanniskraut helfen nicht immer, Elektroschocks
schädigen Gehirn und Körper sofort und nachhaltig, Alkohol auf
die Dauer ebenso, Antidepressiva stehen im Ruf, Depressionen zu chronifizieren,
Neuroleptika mit ihrer suizidalen Eigenwirkung sind auch nicht der Weisheit
letzter Schluss. Was also tun? Stephen Ilardi, Professor für klinische
Psychologie an der Universität von Kansas, publizierte 2009 ein intelligentes
Buch, das kürzlich in deutscher Übersetzung erschienen ist.
Für Ilardi sind Depressionen zwar schwere Krankheiten, da sie mit
enormem Leiden verbunden sein können, deshalb aber längst kein
Ergebnis von Stoffwechselstörungen, sondern primär von Schlaf-
und Bewegungsmangel, von schlechter Ernährung und von Stress. Um
den depressiv machenden Lebensstil zu ändern, empfiehlt er ein Spektrum
diverser, sich ergänzender Schritte, unter anderem Omega-3-Fettsäuren
als Gehirnnahrung, Anti-Grübel-Techniken und spannende Aktivitäten,
körperliche Bewegung, Sonnenlicht, soziale Beziehungen und Schlaf.
Sein 6-Schritte-Programm stellt er anschaulich und leicht verständlich
vor, und abgeschlossen wird das empfehlenswerte Buch mit einer Depressionsskala
als Praxishilfe, mit der man den zu erwartenden Fortschritt beim Nachlassen
der Depressionen wöchentlich messen kann. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzumschlag, 317 Seiten, ISBN 978-3-424-63036-7.
München: Kailash Verlag 2011. € 17.99 Peter Lehmann
Institut für kommunale Psychiatrie (Hg.): Auf die Straße
entlassen. Obdachlos und psychisch krank
Plädoyer für sozialpsychiatrisches »Zugehen« auf
Obdachlose, incl. Case-Management, Medikation usw. usf.
Antipsychiatrische Ansätze wie beispielsweise das Weglaufhaus Berlin
kommen nicht vor. Kart., 215 S., Bonn: Psychiatrie-Verlag. DM 29.80 Peter Lehmann
Irren-Offensive e.V. (Hg.): 30 Jahre Kampf für die
Unteilbarkeit der Menschenrechte
Das Buch besteht aus sieben mehr oder weniger interessanten Teilen zum
Thema Psychiatrie und Menschenrechte. Wolf-Dieter Narr, Prof. für Politikwissenschaft
am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, steuerte beispielsweise
eine Stellungnahme bei über die menschenrechtlichen Konsequenzen der
UN-Behindertenrechtskonvention, in der er die Abschaffung von Zwang
fordert, eine Reform der psychiatrischen Praxis, die Schaffung sozialer
Räume, in denen Menschen ohne repressive Behandlung leben können, und
alternative Formen der Konfliktlösung im Rahmen eines großen demokratisch
menschenrechtlichen Reformprojekts. Was dieser Text allerdings mit dem
Thema "30 Jahre Irren-Offensive" zu tun hat, vergaß der Autor zu sagen.
Eine konstruktive Mitarbeit der Irren-Offensive bei der Entwicklung
der UN-Konvention der Rechte von Menschen mit Behinderung bei den Vereinten
Nationen ist schließlich nicht bekannt. Wesentlich beteiligt an der
Konvention waren dagegen MindFreedom International sowie der Weltverband
von Psychiatriebetroffenen (dessen deutsches Mitglied der Bundesverband
Psychiatrie-Erfahrener BPE e.V. ist). Nichts bekannt ist auch
von einer konstruktiven Maßnahme der Irren-Offensive, die Konvention
hierzulande umzusetzen. Dazu wären allerdings Schritte aus der selbstgewählten
Sektiererecke nötig und die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen,
um sich vereint gegen den psychiatrisch-pharma-industriellen Komplex
zu stemmen. Von Rene Talbot stammt das Kapitel zur Geschichte
der Irren-Offensive mit einer bemerkenswerten Notiz am Ende: "Diese
wahre Geschichte wird von Rene Talbot erzählt, einem langjährigen Menschenrechtsaktivisten
in der Irren-Offensive". Da Talbot zehn Jahre, nachdem sich diese Gruppe
gegründet hatte, zu ihr stieß zu einem Zeitpunkt, als die Gründungsmitglieder
dem Verein den Rücken gekehrt hatten , meint er offenbar, er könne
frei über die Gründungsgeschichte der Irren-Offensive fabulieren und
dies per Fußnote zur "wahren Geschichte" deklarieren. Sich etwa der
Publikation "Die
Irren-Offensive Erfahrungen einer Selbsthilfe-Organisation von
Psychiatrieüberlebenden" von Tina Stöckle aus dem Jahre 1983 zu
bedienen, in der die Bedingungen und Entwicklungsprozesse der Gruppe
sorgfältig dokumentiert sind, war Talbot offenbar nicht möglich, stellten
diese Fakten doch ein Korrektiv für seine Möchtegern-Geschichte dar.
Vielleicht passt ihm auch der undogmatische Ansatz nicht, den Tina Stöckle
beschreibt. Viel lieber entwirft Talbot beispielsweise als Gründungsrahmen
der Irren-Offensive das Szenarium einer "spießigen Reaktion",
ein politisches Klima, das durch den Eintritt der Grünen in Regierungsämter
und Cerruti-Sakkos des Außenministers Joschka Fischer gekennzeichnet
gewesen sei und gegen das sich der Gründungsgeist der Irren-Offensive
gewandt habe. Dass zwischen Gründung der Irren-Offensive und Eintritt
der Grünen in die Regierung ca. 15 Jahre lagen, spielt für Talbot keine
Rolle. Selbstgefällig beleidigt er Mitglieder des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener
als "auf Krankheitseinsicht 'abgerichtete' Menschen", die ihre Krankheitseinsicht
wie eine Monstranz vor sich her tragen und mit ihrer Opferrolle das
psychiatrische Foltersystem stabilisieren, wodurch die politische Kritik
am psychiatrischen System wirkungslos werde. Auf die Idee, dass seine
besserwisserische Beschimpfung der großen Mehrheit von aktiven Psychiatriebetroffenen,
die auf ihre Weise Proteste und Gremienarbeit für
Alternativen, eine bessere Förderung des Selbsthilfebereichs und
die Durchsetzung von Menschenrechten im psychosozialen Bereich kämpfen,
bloß lächerlich ist und mitsamt den Un- und Halbwahrheiten dazu führt,
dem gesamten Buch den Stempel des Unsinns aufzudrücken, kommt der Autor
nicht. Schade für das Anliegen, schade für die Mitautoren und schade
für den Verlag. (Rezension im Rundbrief
des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener (BRD), 2011, Nr. 2). Kartoniert,
156 Seiten, ISBN 978-3-940865-14-4. München: AG SPAK 2010. € 16.
Peter Lehmann
Theodor
Itten: Jähzorn Psychotherapeutische Antworten auf ein unkontrollierbares
Gefühl
Wer kennt sie nicht, die unangenehme Erfahrung mit eigenem oder fremdem
Jähzorn? Jeder Fünfte war laut Befragungen in der Ostschweiz als Kind
Opfer von jähzornigen Eltern, 24 Prozent der Befragten bezeichneten
sich selbst als jähzornig. "Wenn wir als Kinder mit einem jähzornigen
Elternteil aufwachsen, werden wir durch diese Erfahrung geprägt. Wir
entwickeln eine Jähzornangst", schreibt der Autor, ein in St. Gallen
niedergelassener Psychotherapeut. Er weiß, wovon er spricht. Mit 14
Jahren zerhaute er die geerbte Geige seines Großvaters aus Wut darüber,
dass er das Instrument in eine Gitarre umschreinern sollte, da sein
engstirniger Vater ihm keine Gitarre kaufen mochte. Mit seinem Buch
macht Itten den Jähzorn erstmals im deutschsprachigen Raum zum Thema.
Wo kommt Jähzorn her? Wie zeigt sich Jähzorn? Was können Betroffene,
Angehörige und Therapeuten tun? Bei der Beantwortung brennt der Autor
ein Feuerwerk an Informationen ab, die man sich kaum umfassender vorstellen
kann: Jähzorn in Religionen, Mythen, Geschichte, Literatur, Filmen,
im Alltag, im Sport. "Im Überblick des Weges, den wir durch die Geschichten,
Mythen und Therapieberichte dieses Buches gegangen sind, merke ich viel
klarer, was sich im und durch den Jähzorn zeigt. Jähzorn kann verstanden
und verändert werden, sobald die verschiedenen Bereiche des eigenen
wahren und wirklichen Lebens miteinander in Verbindung sind." Gebunden,
XI + 193 Seiten, 1 Abbildung, 22 Tabellen, ISBN 978-3-211-48622-1. Wien:
Springer Verlag 2007. € 24.95 Peter Lehmann
Theodor Itten / Ron Roberts: Politik der Erfahrung Kritische Überlegungen zur Entwicklung von Psychologie und Psychotherapie
Die beiden Psychologen Theodor Itten und Ron Roberts untersuchen den
Einfluss des neoliberalen Kapitalismus auf die Kluft zwischen der akademischen
Psychologie und der psychotherapeutischen Kunst des Heilens und plädieren
für die Rückkehr zu einer authentischen und dynamischen Politik der
Erfahrung. Wie kam es zur heimlichen Politisierung der Erfahrung, dem
Verkauf des Wissens an die Meistbietenden, der Infizierung der therapeutischen
Beziehung und dem Hunger der Psychologen nach Status, Macht und Kontrolle?
Analytisch, historisch, persönlich und empirisch verknüpfen
die beiden Autoren ihre beruflichen und privaten Erfahrungen und finden
so Antworten auf die Frage, was Menschen inner- und außerhalb
der Psychotherapie hilft, sich selbst helfen und zur Sorge für
das eigene Wohlbefinden zu finden. In 12 Kapiteln geht es also um die
Beeinflussung der psychotherapeutischen Haltung durch Lehranalyse, Lehrtherapie
und Selbsterfahrungspraxis, um die Rolle von Intuition und Wissenschaft
in der Psychotherapie und die Einbeziehung von Ronald D. Laings Werk
und seinen Erfahrungen, um Mord, Korruption, Politik und Gedankenkontrolle
in den akademischen Elfenbeintürmen, um heilende und emanzipatorische
Aspekte der Psychotherapie, um die Auseinandersetzung mit den Grenzen
des methodischen Individualismus in der Psychotherapie, um das Verhältnis
der Arbeit von Psychotherapeuten zu den Erfahrungen der Betroffenen
u.v.m. Das Buch richtet sich an Psychologen in therapeutischer Praxis
sowie in Universitäten und ruft sie auf, sich der Rebellionsbewegung
gegen die Enthumanisierung des Menschen in der industriellen Gesellschaft
anzuschließen. Kartoniert, 336 Seiten, ISBN 978-3-8379-2537-1.
Gießen: Psychosozial Verlag 2016. € 36.90 Peter Lehmann
Leslie Iversen: Speed, Ecstasy, Ritalin.
Amphetamine Theorie und Praxis
Das 2006 original in englischer Sprache erschienene und jetzt in deutscher
Übersetzung vorliegende Buch enthält allerlei Wissenswertes
über eine umstrittene Klasse psychiatrischer Psychopharmaka und Drogen.
Allerdings beschränken sich die Quellen auf Veröffentlichungen
aus dem angloamerikanischen Sprachraum. Bücher wie Marc Rufers "Glückspillen.
Ecstasy, Prozac und das Comeback der Psychopharmaka", erschienen
1995, ignorieren sowohl der Autor als auch der Vorwortschreiber Dilling.
Ebenfalls vermisse ich eine ganze Reihe kritischer Literatur zu Ritalin,
von Abrams über Bonney bis hin zu DeGrandpre. Nichtsdestotrotz enthält
das Buch viele wichtige kritische Informationen über Amphetamine
(incl. Adderall) und das Aufputschmittel Ritalin, das eine den Amphetaminen
vergleichbare Wirkung hat. Die Informationen es sind auch befürwortende
Einschätzungen von Ritalin darunter betreffen sowohl was die
Wirkungsweise bei Mensch und Tier, als auch die gesundheitlichen Risiken
incl. Abhängigkeit und Amphetaminpsychosen bei legalem Einsatz (als
Antidepressiva, Wachmacher, Schnupfenmittel, Appetitzügler, Ruhigstellung
von "Zappelphilippen" usw.) und bei illegalem. Iversen zeigt,
wie Amphetamine einzeln oder in Kombination mit anderen Substanzen mit
großer Begeisterung für diverse Indikationen empfohlen worden
waren. Früher oder später, wenn ausreichende Berichte von Schädigungen
vorlagen, wurden diese "Medikamente" wieder vom Markt genommen.
Und das Buch enthält viele Spekulationen zu möglichen Ursachen
diverser psychischer "Krankheiten" (u.a. die "Dopamin-Hypothese
der Schizophrenie"), rückgeschlossen von der vermuteten Wirkungsweise
der Amphetamine. Kartoniert, 247 Seiten, 20 schwarz-weiße Abbildungen,
6 Tabellen, ISBN 978-3-456-84519-7. Bern: Huber Verlag 2009. € 29.95 Peter Lehmann
Frederike Jacob: Ess-Störungen. Lösungsorientiert überwinden
Eine Therapeutin berichtet aus ihrer Sicht. Ganz am Rande kommen Psychopharmaka
(Antidepressiva) vor. Der Bitte, beim Absetzen behilflich zu sein, weicht
sie aus. Kartoniert, 220 Seiten, ISBN 3-86145-254-5. Dortmund: Borgmann
Verlag modernes leben 2003. € 17.90 Peter Lehmann
Pe Jacobi: Angst erfolgreich überwinden Ein Praxisbuch für Frauen
Die Autorin Sozialpädagogin und Journalistin schreibt
engagiert, eloquent und praxisnah von weiblicher Angst, Vermeidungsverhalten,
Abhängigkeit, Therapie und Selbsthilfe. Hintergrund sind neben einschlägiger
Literatur eigene Erfahrungen, die Befragung vieler Frauen und besonders
die ausführlichen Berichte von fünf Frauen. Angenehm zu lesen, informativ
und ermutigend. Fraglich allerdings, wie fundiert manche Zahlen sind,
ob wirklich 11% der Bevölkerung an sozialen Phobien erkranken, wieso
Frauen genetisch anfälliger sind für kranke Angst, und warum die Autorin
so sehr darauf beharrt, die Angst zur Krankheit zu machen. Ist es nicht
eine Falle, wenn eine Frau krank sein muss, um ernst genommen zu werden?
Zitat: 'Ich weiß ja, dass sie krank ist und nichts dafür kann.'"
Original 2005 bei Rowohlt unter dem Titel "Ängste besiegen,
Panik überwinden Ein Buch für Frauen". Gebunden,
222 Seiten, ISBN 978-3-86647-323-2. Köln: Anaconda Verlag 2009.
€ 7.95 Kerstin Kempker
Bettina Jahnke: Vom Ich-Wissen zum Wir-Wissen Mit EX-IN zum Genesungsbegleiter
Das Buch besteht aus 14 Interviews mit Ex-In-Absolventinnen und Absolventen
über ihre persönliche, psychische Veränderung und Stabilisierung
(im Buch "Recovery" und "Empowerment" genannt) infolge
der Teilnahme am Programm. Die Interviews führt mit Bettina Jahnke
eine -Journalistin und EX-IN-Absolventin, die zudem als Genesungsbegleiterin
auf einer Sozialarbeiterinnenstelle in Viersen arbeitet. Dies hat den
Vorteil, dass sie als Insiderin Fragen stellt, auf die ein Außenstehender
nie kommen würde, und den Nachteil, dass die Fragen EX-IN-systemimmanent
bleiben und Fragen eher grundsätzlicher Natur nicht gestellt werden,
beispielsweise: Wie ist der Anspruch, antidiskriminierend tätig
zu sein, vereinbar mit der unkritischen Verwendung des Krankheitsbegriffs?
Lässt sich Empowerment, d. h. Selbstermächtigung, so einfach
reduzieren auf einen inneren Emanzipationsprozess unter fast
vollständiger Ausblendung aller Macht- und Gewaltverhältnisse
in der Psychiatrie? Was sagt es aus über die Ersteller des EX-IN-Curriculums,
dass in der Ausbildung die durchschnittlich um zwei bis drei Jahrzehnte
reduzierte Lebenserwartung psychiatrischer Patientinnen und Patienten
kein Thema ist? Wer sich an diesem Manko nicht stört, findet in
dem Buch aussagekräftige Einblicke in das, was die EX-IN-Teilnehmer
und -Teilnehmerinnen bewegt und welche psychischen Erkenntnisprozesse
die Ausbildung bei ihnen ausgelöst hat, welche neuen Prioritäten
sie in ihrem Leben gesetzt haben und wie sie mit ihren als problematisch
empfundenen Gefühlen und Konfliktverarbeitungsmechanismen, die
sie zuvor in die Psychiatrie haben kommen lassen, jetzt besser zurecht
kommen: EX-IN-Ausbildung sozusagen als spezielle Form einer Gruppenpsychotherapie.
Kartoniert, 215 Seiten, ISBN 978-3-940636-22-5. Neumünster: Paranus
Verlag 2012. € 19.95 (Rezension auch in: Rundbrief
des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener (BRD), 2013, Nr. 1) Peter Lehmann
Kewal K. Jain: Drug-induced neurological disorders
The book delivers a comprehensive and clearly arranged overview of all
kinds of drug-induced neurological disorders. In more than 400 pages
you can read about drug-induced encephalopathies (f.e., by antiepileptics
like valproate and carbamazepine), disorders of consciousness (f.e.,
benzodiazepines, antidepressants, valproate), neuropsychiatric disorders
(f.e., benzodiazepines, reserpine, antidepressants, antiparkinsonian
drugs, lithium), headaches, seizures, movement disorders, cervovascular
disorders, disorders of the cranial nerves and the special senses, peripheral
neuropathies, neuromuscular disorders, myopathies, diseases of the spinal
cord, cerebellar disorders, aseptic meningitis, benign intracranial
hypertension, disorders of the autonomic nervous system, sleep disorders,
eosinophilia myalgia syndrome, serotonine syndrome, Guillain-Barre Syndrome,
and many more. The book is primarily written for clinicians involved
in the management of neurological and other disorders which fell in
the field of psychiatry, but surely psychiatric patients who have a
medical dictionary can find useful information when their psychiatrists
try again and again to interprete drug-induced physical and mental disorders
as symptom-change of the primarily diagnosed psychiatric illness. Hardcover,
452 pages, ISBN 978-0-88937-425-6. Cambridge & Göttingen: Hogrefe
Publishing, 3rd, revised and expanded edition 2012. € 91.95 Peter Lehmann
Zdzislaw Jaroszewski (Hg.): Die Ermordung der Geisteskranken in
Polen 1939-1945 / Zaglada chorych psychicznie w Polsce 1939-1945
Zdzislaw Jaroszewski, von 1937 bis 1939 Arzt in Owinsk, wo zum ersten
Mal in der Geschichte der Menschheit industriell gemordet wurde, und
dann im Widerstand, hat in dieser einmaligen Dokumentation ein
grausiges Dokument des Massenmords durch Nazis und Psychiater das zusammengetragen, was heute über die systematische Ermordung der
polnischen PsychiatrieinsassInnen bekannt ist. Zweisprachig (polnisch
/ deutsch), original 1993 in Polen erschienen. Kartoniert, 249 Seiten
zahlreiche Fotos und Abbildungen, ISBN 978-3-926200-94-5. Edition Jakob
van Hoddis 2007 im Paranus Verlag. € 14.80 Peter Lehmann
Eva Jaeggi: Zu heilen die zerstossnen Herzen. Die Hauptrichtungen
der Psychotherapie und ihre Menschenbilder
Interessiert hätten mich ja bei diesem Buch auch die ethischen
Fragen der Therapie, die Macht- und die Geschlechterfrage, der gesellschaftliche
Bezug. Wären das nicht auch »vernünftige Vergleichskriterien«
der therapeutischen Schulen? Eva Jaeggi ist Analytikerin. Sie hat sich
»also vor allem in die Theorieschöpfung Freuds verliebt, und
dies ist dem Buch auch anzumerken«, schreibt sie entwaffnend gleich
zu Beginn. Unter Aspekten wie: Entwicklung, Körper, Unbewusstes,
Beziehung, Ziel und Gesellschaft befragt und vergleicht die Autorin
Psychoanalyse, Verhaltens-, Gesprächs-, Gestalt- und systemische
Therapie. Vorangestellt ist ein Musterfall, Frau B., die mit ihrem Problem
Vertreter dieser fünf Schulen zum Erstgespräch aufsucht. Knapp
und eindrücklich werden in den Gesprächssequenzen typische
Unterschiede, aber auch Parallelen deutlich. Eva Jaeggi will Relativierungen
anregen: »Dieses Buch könnte manchem wieder einmal klarmachen,
dass Heilung und Beruhigung im Bereich des Psychischen auf vielerlei
Arten zustande kommen kann, dass keine Therapieform ein Anrecht hat
auf Ausschließlichkeit. Dies muss vor allem an die Adresse der
Psychoanalytiker gerichtet werden. Wir neigen dazu, unsere Kollegen
aus anderen Schulen einfach als therapierende Laien abzutun.« Ja,
dazu neigt sie, und irgendwie erinnert mich um einmal zu assoziieren dieses kokette ich weiß schon, ich bin schlimm
am Ende des Buches an die Taktik meiner Schwester, mich erst zu hauen,
um mich dann trösten zu können. Das Buch führt ein in
die Grundlagen der Analyse und grenzt diese dann kritisch ab gegen die
anderen Therapieformen. Als Lehrbuch dieser Art ist es verständlich,
klug, gut aufgebaut und nicht ohne Selbstkritik. Eine Gesamtschau von
außen auf das Phänomen Therapie, die Ursachen, Wirkungsweisen
und (auch gesamtgesellschaftlichen) Konsequenzen, ist es nicht. Und
ganz fair scheint mir auch der Umgang mit den anderen Therapierichtungen
nicht zu sein. Produzieren »Therapiesysteme, die sich mit denjenigen
Seelenanteilen, die nicht verfügbar sind, nicht beschäftigen«,
wirklich »ein schales, banales Bild vom Menschen«? Vielleicht
verzichten sie eher auf die Produktion. Entspringt der Unwille zur Diagnose
bei Carl Rogers »therapeutischer Selbstüberschätzung«?
Rogers und die humanistische Gesprächstherapie kommen besonders
schlecht weg bei Jaeggi. Sie sind »gutgläubig« und »naiv«,
der »Geruch des Religiösen« haftet ihnen an. Nirgends
im Buch eine Frage zur Diagnostik, fast nichts zur Therapie sog. Psychosen,
zur Arbeit in der Anstalt. »Um der Homosexualität einer Patientin
auf die Spur zu kommen, fragt man sich« ...... warum, frage ich
mich, warum ihr auf die Spur kommen? Warum Therapie? Ein ordentliches
analytisches Lehrbuch, das mir mehr versprach, als es hält. Französische
Broschur, 320 S., Hamburg: Rowohlt Verlag 1995. DM 34. Kerstin Kempker
Holger Jenrich (Hg.): Altenpflege international Entwicklungen in der außereuropäischen Altenhilfe
Sammlung von Texten, die im Fachmagazin Altenpflege bereits publiziert
wurden, über Altenpflege in Ägypten, Argentinien, Australien,
Bolivien, Brasilien, Chile, China, Ghana, Indonesien, Israel, Japan,
Kambodscha, Kamerun, Kanada, Malaysia, Namibia, Nepal, Neuseeland, Singapur,
Sri Lanka, Südafrika, Südkorea, Thailand, USA, Vietnam und
Zimbabwe. Man kann sich informieren über die Unterschiede zu hiesigen
Systemen: Es existieren beispielsweise moderne Hightech-Heime in Japan
und simple Nachbarschaftsprojekte in Bolivien, karge Verwahranstalten
in Namibia und mondäne Retirement Villages in Australien. Kartoniert,
180 Seiten, ISBN 978-3-940529-04-6. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag
2008. € 19.80 Peter Lehmann
Jean C. Jenson: Die Lust am Leben wieder entdecken Eine Selbsttherapie
1995 in den USA original erschienen, 1997 erstmals in deutscher Übersetzung,
leitet die Autorin aus den USA an zur Selbsttherapie, um Kindheitstraumata
zu überwinden. In Anlehnung an Alice Miller, die ein vierseitiges Nachwort
beigesteuert hat, geht Jean Jenson vor dem Hintergrund vierzigjähriger
Erfahrung als Einzel- und Paartherapeutin davon aus, dass viele Menschen
in der Kindheit von ihren Eltern körperlich misshandelt und sexuell oder
emotionell missbraucht wurden und das sich die Kindheit auch heute noch
auf unsere alltäglichen Interaktionen als Erwachsene auswirkt. Verdrängung,
Vermeidungsverhalten, Überreaktion, zerstörerisches Verhalten usw. sind
die Folge, dargestellt an Beispielen. Im zweiten Teil geht es um die heilende
Aufarbeitung der Kindheit, Gefühle von der Vergangenheit nochmals zu leben,
die Identifikation von Symbolen und Auslösern, die Kunst der Selbstbeobachtung,
den Trauerprozess usw., und im abschließenden dritten Teil um von der
Autorin kommentierte Berichte und Fallstudien von Menschen, die dank Jean
Jenson die Lust am Leben wiedergefunden haben. Dass Misserfolge in dem
Buch nicht vorkommen, wird durch Alice Millers kritisches Nachwort ausgeglichen.
Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 224 Seiten, ISBN 978-3-407-22930-4.
Weinheim & Basel: Beltz Verlag, 3. Auflage 2012. € 14.95 Peter Lehmann
Karl-Heinz Joepen: Die Psychofalle. Über die Verdrängung
der Wirklichkeit bei der Suche nach dem wahren Selbst
Wohltuende Fundamentalkritik des modischen Kultes der Gefühligkeit.
Streitschrift gegen die Banalisierung und Vulgarisierung der Psychologie.
Kart., 169 S., Hamburg: Rotbuch Verlag 1997. DM 18.90 Peter Lehmann
Matthew Johnstone: Mein schwarzer Hund Wie
ich meine Depression an die Leine legte
Originell bebildertes Buch für Erwachsene von dem von Depressionen
betroffenen Autor aus Australien, der seine zeichnerischen Fähigkeiten
als Kreativdirektor in Werbeagenturen entwickelte und sie nutzte, seine
Depressionen als schwarzen Hund darzustellen, der ihn begleitet: heimsucht,
den Appetit verdirbt, die Konzentration und das Vergnügen raubt,
ihn böse Dinge sagen lässt, sich im Bett bemerkbar und das
Leben unerträglich macht, bis der Betroffene schließlich
therapeutische Hilfe sucht und lernt, mit dem schwarzen Hund zu leben,
ihn auch vor den Augen anderer herauszulassen, ihn mit Yoga, Bewegung
an der frischen Luft und anderen Mitteln fernzuhalten und ihn schließlich
insofern zu schätzen, als der zu einem reflektierteren Leben zwingt.
Ein ausgesprochen schönes Buch. Leider werden auf der letzten Seite
Literaturtipps und Websites genannt, die den guten Eindruck des Buches
stark relativieren. Die Leser werden vornehmlich an Informationsquellen
der herrschenden Psychiatrie verwiesen, die sich durch Verharmlosung
von Risiken psychopharmakologischer Behandlung und Elektroschocks auszeichnen.
Ob wenigstens (von der Pharmaindustrie unabhängige) Selbsthilfegruppen
in der nächsten Auflage genannt werden? Gebunden, 48 Seiten, ISBN
978-3-88897-537-0. München: Kunstmann Verlag, 2. Auflage 2009.
€ 14.90 Peter Lehmann
Matthew Johnstone, / Ainsley Johnstone: Mit dem schwarzen Hund leben Wie Angehörige und Freunde depressiven Menschen helfen können,
ohne sich dabei selbst zu verlieren
Nachfolgetitel zu "Mein schwarzer Hund Wie ich meine Depression
an die Leine legte". Wiederum originell bebildert werden Angehörige
angeleitet, Depressionen zu erkennen und die Betroffenen zu unterstützen,
ohne sich selbst zu verlieren oder Depressionen gar zu verstärken.
Vielen sinnvollen Ratschlägen stehen auch zweifelhafte gegenüber.
Zum Beispiel die Botschaft "Vielleicht stimmt es, dass 'alles nur
im Kopf stattfindet', bloß sagen sollten Sie es nicht." Ob
es wirklich hilfreich ist, die Gefühlslage des depressiven Ehepartners
auf sinnlose Hirnstoffwechselstörungen zu reduzieren und damit
den Zusammenhang mit realen Problemen in Abrede zu stellen, ihm jedoch
eine andere Überzeugung vorzumachen? Selbsthilfegruppen
werden nun auch genannt, denen man sich anschließen soll, allerdings
werden im Anhang vornehmlich Adressen wie den Schweizer "Verein
zur Bewältigung von Depressionen" genannt, die von der Pharmaindustrie
(Essex Chemie AG, Lundbeck AG, AstraZeneca AG, GSK GlaxoSmithKline AG)
gesponsert werden und sich entsprechend unkritisch gegenüber den
psychiatrischen Behandlungsmaßnahmen und ihrem reduktionistischen
Weltbild äußern. Gebunden, 80 Seiten, 80 Illustrationen,
ISBN 978-3-88897-594-3. München: Kunstmann Verlag 2009. €
14.90 Peter Lehmann
Steven Jones / Peter Hayward / Dominic Lam: Aus den Fugen. Zwischen
den Extremen Leben mit Bipolarität und manischer Depression
Ratgeber dreier Psychiater zur (ihrer Meinung nach) zugrunde liegenden
Problematik, der Diagnose, Behandlung und Begleitung von Menschen mit
der Diagnose "manisch-depressiv". Zeitgemäßes trialogisches
Plädoyer für Compliance, Therapie, Verhaltensänderungen
und Behandlung mit Psychopharmaka (Neuroleptika, Antidepressiva, Lithium,
Antiepileptika, Tranquilizer), wobei die Risiken von Psychopharmaka
heruntergespielt werden (z.B. finden sich keinerlei Warnhinweise vor
der oft suizidalen Wirkung von Neuroleptika, vor der Gefahr von Rezeptorenveränderungen
bei Neuroleptika und Antidepressiva, vor dem Fehlen insitutioneller
Hilfen beim Absetzen usw.). Gebunden, 212 Seiten, ISBN 3-0350-0026-3.
Zürich: Oesch Verlag 2004. € 14.90 Peter Lehmann
Charlotte Jurk: Der niedergeschlagene Mensch. Depression Geschichte und gesellschaftliche Bedeutung einer Diagnose Die Autorin behandelt die "Karriere" der Diagnose Depression. Während
sie zu Beginn des letzten Jahrhunderts noch "Melancholie" genannt und
als normaler Seinszustand angesehen wurde, gilt sie hierzulande mittlerweile
als Volkskrankheit, die auf eine Störung des Stoffwechsels zurückzuführen
sei und der man massiv mit Psychopharmaka auf den Leib rücken soll.
Unter Verwendung vieler sorgfältig dokumentierter wissenschaftlichen
Quellen beschäftigt sich die Sozialwissenschaftlerin Charlotte
Jurk damit, wie sich diese primitive und unbewiesene Sichtweise durchgesetzt
hat, das das psychische Leiden an den sozialen Verwerfungen der Moderne
zum Versagen des Individuums und seines Stoffwechsels uminterpretiert.
Kartoniert, 215 Seiten, ISBN 978-3-89691-751-5. Münster: Verlag Westfälisches
Dampfboot 2008. € 24.90 Peter Lehmann
Lydia Kang / Nate Pedersen: Abgründe der Medizin Die bizarrsten Arzneimittel und kuriosesten Heilmethoden der
Geschichte
Lydia Kang, eine Ärztin für Innere Medizin, und der Journalist Nate
Petersen haben ein informatives Buch über aus der heutigen Sicht abstruse,
zu ihrer Zeit anerkannte medizinische Behandlungsmethoden geschrieben,
beispielsweise Wieselhoden als Verhütungsmittel, Aderlass gegen Blutverlust
oder glühende Eisen bei Liebeskummer. Leider ist der Bereich der Psychiatrie
massiv unterrepräsentiert, nur die Lobotomie war es dem Autorenpaar
wert, erwähnt zu werden. Rotationsapparate, Salzeinspritzungen, Eismützen,
elektrische Reizung der Geschlechtsteile, Rizinusöl, Stockschläge, Klitorisentfernung,
Dauerbetropfung..... das Buch hätte den dreifachen Umfang, wenn psychiatrische
Behandlungsmethoden, mit denen so viele wehrlose Menschen gequält wurden,
angemessen dargestellt würden. Interessant wäre auch die Frage, wie
man erkennen könnte, welche der derzeit von der Schulmedizin anerkannten
Methoden sich wohl in einer zukünftigen Ausgabe von "Abgründen der Medizin"
wiederfinden, beispielsweise Neuroleptika (mit ihrer gezielten Auslösung
einer Parkinson-Symptomatik) oder Elektroschocks (mit der Auslösung
von epileptische Anfällen durch Stromstöße durch das Gehirn). Schade,
dass sich über die Jetztzeit hinausreichende Gedanken nicht im Buch
finden lassen. Denn wieso sollten ausgerechnet heutzutage praktizierte
Methoden von späteren Generationen nicht als ebenso abartig wahrgenommen
werden wie die im Buch dargestellten Methoden aus vergangenen Zeiten?
Das Buch erschien 2017 original in den USA. Gebunden, 352 Seiten, ISBN
978-3-7423-0716-3. München: mvg Verlag 2019. € 19.99 Peter Lehmann
Sudhir Kakar: Der Mystiker oder die Kunst der Ekstase Geschichte eines jungen Inders, der die Grenzen seines Bewußtseins
hinter sich läßt und Erfahrungen spiritueller Ekstase durchleben,
der fast wider Willen zum Mystiker wird und die innere Wahrheit seiner
Visionen gegen den aufgeklärten Verdacht, Halluzinationen aufzusitzen,
verteidigen muß. Gebunden, 268 Seiten, ISBN 3-406-48035-7. München:
C.H. Beck Verlag 2001. € 19.50 Peter Lehmann
Angelika Kallwass: Stark gegen die Angst. Wir finden einen Weg
Die Psychologin, Talkmeisterin und Geschäftsführerin eines
Textilunternehmens Kallwass schildert 15 typische Angstsituation und
empfiehlt angemessene Lösungswege. Alle Probleme lassen sich dann
ihrer Meinung nach ganz einfach lösen wie im Fernsehen.
Kartoniert, 157 Seiten, ISBN 3-7831-2450-6. Stuttgart: Kreuz Verlag
2004. € 14.90 Peter Lehmann
Heinz Kampmann / Jeanette Wenzel Psychiatrische und antipsychiatrische
Vorstellungen von Hilfe im Wandel der Zeit
Aus der Vergangenheit in die Zukunft. Zu den großen Verdiensten der
Autoren gehört es, den radikal gesellschaftskritischen Ansatz der kritischen
Psychologie (nach Holzkamp) an der Geschichte moderner psychologischer
und psychiatrischer Hilfskonzepte zu erproben. Nicht die vermeintlich
kritische Überwindung des Subjekts, wie poststrukturalistische Strömungen
sie vertreten, steht hier auf dem Programm, sondern der politische Kampf
für die Freiheit gesellschaftlicher Subjekte. Im Fokus der vorgelegten
Untersuchungen steht die Fragestellung, wie sich die systematische Abblendung
gesellschaftlicher Aspekte von psychischen Störungen auf gegenwärtige
und historische Hilfsangebote ausgewirkt hat. Die These lautet: Gerade
der Umstand, dass das (psychische) Leid wie eine Eigenschaft ausschließlich
auf das leidende Individuum bezogen wird, beschneidet in der Folge systematisch
seine Möglichkeiten als freies gesellschaftliches Subjekt zu handeln.
Psychiatrische Klassifizierung reduziert ihre Träger zu bloßen Objekten
von Fremdzuschreibung. In einem Ausblick auf alternative Hilfsangebote
konkretisieren die Autoren ihre radikal gesellschaftskritische Zugangsweise:
statt bei utopischen Ansätzen stehenzubleiben, leiten sie zu einer konkreten,
aber radikal gesellschaftskritischen Praxis über. Kartoniert, VII +
474 Seiten, ISBN 978-3-925931-39-0. Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag,
korrigierte Neuausgabe 2004. € 39.90 Lucinda Bee
Kerstin
Kempker: Mitgift Notizen vom Verschwinden
Jugend als psychiatrisierter Alptraum. Wenn die Kindheit sich überlebt
hat und sich unvermutet unendliche Räume dort öffnen, wo vorher unumstößliche
Autoritäten ebenso festgefügte Raster und Normen aufgestellt hatten,
nimmt das Abenteuer Leben mit ungeahnter Kraft an Fahrt auf. Kerstin
Kempker erzählt mit viel Verve und überraschend fesselnd, wie das Abenteuer
ihrer Jugend zu einem nicht enden wollenden Alptraum wurde. Eine unglaubliche
Irrfahrt durch unterschiedliche psychiatrische Einrichtungen, Therapiekonzepte,
Behandlungsmethoden, Krankheitszuschreibungen. Mit viel Sensibilität
berichtet diese Autobiographie von der Sprachlosigkeit einer vergifteten
Jugend, von der Sprachlosigkeit der Helfer und wie sie schließlich diesen
Alptraum losgeworden ist. Ein spannendes und zugleich tiefes Buch, das
ohne billige Schuldzuweisung auskommt. Kartoniert, 208 Seiten, 34 Abbildungen,
ISBN 978-3-925931-15-4. Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag
2000. € 14.90 Benjamin Sage
Warum nicht in der verrückten Sprache glücklich sein? "Teure
Verständnislosigkeit" ist ein mutiges Buch, das die tabuisierten Ränder
zu verrücktem und als krank diagnostiziertem Verhalten nicht außen,
sondern im Zentrum des sozialen Bandes in der Sprache sucht. Kerstin Kempker hat hier die künstlerische Produktion, besonders
die literarische Sprache, in den Fokus gerückt. Nicht um sich akademisch
korrekt in einem Metadiskurs zu etablieren, um von sicherer Warte
psychiatrisierende, germanistische oder sonst wie abgeklärte Urteile
ergehen zu lassen. Mit einer an Unbesonnenheit grenzenden Offenheit
hat sie sich auf die Suche zu sich selbst gemacht, zum eigenen (sprachlichen)
Ausdruck. Keine leichte Lektüre, hangelt sich die Autorin doch manchmal
allzu offensichtlich an einem antipsychiatrischen Raster entlang,
dem die Sache gelegentlich zu entgleiten droht. Bestrickend wirken
Kerstin Kempker Untersuchungen andererseits durch die Intensität der
Befragung des künstlerischen, besonders des literarischen Ausdrucks
(auch Graphiken und Bilder sollen hier zur Sprache kommen). Eine Empfehlung
für alle, die in der Literatur mehr und dringlicher suchen als das
bloße Klischee vom wunderlich verrückten Schriftsteller, das sich
so gut einzupassen versteht, in das eng umfriedete angepasste Leben
eines Lesers, der mehr wünschte, wenn er Worte fände. Lucinda Bee
Kartoniert, französische Broschur, 128 Seiten, 18 Abbildungen,
ISBN 978-3-925931-04-8. Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag
1991. € 9.90
Kerstin
Kempker (Hg.): Flucht in die Wirklichkeit Das Berliner Weglaufhaus
Die Wirklichkeit der Utopie witzig und schonungslos. Dies
ist nicht nur ein Buch über den "anderen Ort", sondern eins über seine
Realität und deshalb genauso schillernd und abwechslungsreich ein Buch, in dem ganz unterschiedliche und bisweilen widersprechende
Perspektiven auf die Verwirklichung einer Utopie nebeneinander stehen.
"Flucht in die Wirklichkeit" lädt auf intelligente und ziemlich witzige
Weise dazu ein, darin zu stöbern und sich aus dem Kaleidoskop der Berichte
und Kommentare selbst ein Bild von den ersten Erfahrungen mit einem
bislang einzigartigen Antipsychiatrieprojekt zu machen. Das was unmittelbar
besticht und den Band sofort zu meinem Lieblingsbuch der Antipsychiatrie
gemacht hat, ist die Ungeschminktheit, mit der hier bisweilen "krass
subjektiv" wie die Herausgeberin Kerstin Kempker selbst formuliert Erfahrungen und Reflexionen von Bewohner/innen, Mitarbeiter/innen
und politischen Unterstützer/innen aufeinandertreffen. Dies Buch ist
nicht nur radikal, weil es die Verwirklichung einer Praxis beschreibt,
die radikal gegen die etablierte Psychiatrie und die diskret im Hintergrund
agierende Pharmaindustrie gerichtet ist; sondern es ist auch radikal
in der Offenheit, mit der es diese Praxis analysiert und ihre Schwierigkeiten
benennt. Das sind einerseits Schwierigkeiten, die dem Weglaufhaus in
der Auseinandersetzung mit der Bürokratie, der Politik oder zum Beispiel
den teilweise unverständigen Nachbarn des Hauses entstanden sind. Das
sind aber vor allem auch Probleme, die aus dem anderen Umgang mit Verrücktheit
selbst resultieren. Hier lässt gerade der kaleidoskopische Blick ein
ungeahnt intensives Bild entstehen: Was passiert wirklich, wenn verrücktes
Verhalten auf engagierte und hilfsbereite Menschen trifft, die beschlossen
haben, "dabei zu sein" und nach Möglichkeit zu verstehen? Diese Offenheit
reißt einen Horizont auf, den ich in der psychologischen und psychiatrischen
Fachliteratur schmerzlich vermisse. Vielleicht erlaubt erst dieser offene,
selbstreflektive und gewissermaßen auch radikal untheoretische, aber
multiple Blick eine Beschreibung dessen, was wirklich in der Auseinandersetzung
mit Menschen, die uns als verrückt begegnen, passiert und passieren
kann. Es ist deshalb kein Zufall, dass sich die fundamentale Blickverschiebung
dieser gut durchdachten Anthologie mit dem Ansatz des Projekts trifft.
"Flucht in die Wirklichkeit" ist meine große Empfehlung nicht nur für
Menschen, die nach politischen Alternativen zur Psychiatrie suchen,
sondern für jeden, der mit verrückten Menschen zu tun hat und wissen
will, wie jenseits theoretischer Horizontverengungen neue
Möglichkeiten konkret werden können. Kartoniert, 344 Seiten, 60 Fotos,
65 Abbildungen, ISBN 978-3-925931-13-0. Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag
1998. € 14.95
Lucinda Bee
Peter
Kern: Amalgam das schleichende Gift. Folgekrankheiten, Entgiftungsmethoden,
Checklisten
Ratgeber für professionelle Therapieansätze u.a. bei amalgambedingten
Depressionen, Antriebsarmut, Allergien, chronischen Müdigkeitssyndromen,
Fibromyalgie, Neuropathien, Missempfindungen, Muskelzuckungen, Verdauungsbeschwerden,
Darmerkrankungen, Hormonstörungen u.v.m. Für Betroffene ist das Buch
insofern wertvoll, da sie nicht nur über amalgambedingte Schäden informiert
werden, sondern auch über Schäden, die bei der Amalgamentfernung entstehen
können. Außerdem enthalten: umfangreiche Checklisten für Selbsttests,
Erklärung von Möglichkeiten der Gebiss-Sanierung, notwendige Entgiftungsmaßnahmen.
Kartoniert, 165 Seiten, ISBN 978-3-86731-006-2. Kirchzarten: VAK Verlag
2007. € 12.95 Peter Lehmann
Doron Kiesel / Hans von Lüpke (Hg.): Vom Wahn und vom Sinn.
Krankheitskonzepte in der multikulturellen Gesellschaft
Eines der wenigen Bücher über Psychiatrisierung und Psychotherapie
bei MigrantInnen mit verschiedenartigen praxisbezogenen Beiträgen,
geschrieben von psychiatrisch und psychotherapeutisch Tätigen,
die den Krankheitsbegriff leider häufig undifferenziert anwenden.
Die Kulturabhängigkeit der Verständigung wird an konkreten
Therapiebeispielen deutlich gemacht: TherapeutInnen mit einem zumindest
ähnlich gerichteten Blick auf die konkreten religiösen und
kulturellen Hintergründe können die Probleme der Betroffenen
am ehesten aufnehmen. Kartoniert, 151 Seiten, ISBN 3-86099-281-3. Frankfurt
am Main: Brandes & Apsel Verlag 1998. DM 29.80 Peter Lehmann
Renate Kingma (Hg.): Mit gebrochenen Flügeln
fliegen... Menschen berichten über bipolare Störungen
Was sagte der Pharmakologe Prof. Peter Schönhöfer in der ARD-Sendung
Panorama " Tricksen
und Tarnen Pharmaindustrie unterwandert Selbsthilfegruppen"
am 27.10.2005: "Ich würde keinem Patienten raten, eine Selbsthilfegruppe
als seinen Agenten, als seinen Vertreter zu akzeptieren, die Geld von
der Pharmaindustrie nimmt offen oder verdeckt. Denn was immer an Finanzierung
durch die Pharmaindustrie geschieht, ist dazu da, um Marketing zu betreiben und nicht, um den Patienten zu helfen."Mit gebrochenen Flügeln
fliegen" sei so etwas wie eine "verschriftlichte Selbsthilfegruppe",
steht auf dem Klappentext des Buches der Deutschen Gesellschaft für
Bipolare Störungen (DGBS) e.V. 45 Beiträge von Menschen mit
einer bipolaren Diagnose berichten, wie sie versuchen, ihre existentiellen
Lebensprobleme in Griff zu bekommen, in aller Regel mit psychiatrischen
Psychopharmaka, häufig Lithium plus sonstige Substanzen. Immer
wieder schildern die Autorinnen und Autoren, wie ihnen diese synthetischen
Mittel helfen sollen, mit ihren Problemen klarzukommen. Alle sind krankheitseinsichtig,
das Vertrauen auf psychiatrische Psychopharmaka zieht sich durch das
ganze Buch, auch wenn deren schädliche "Neben"-Wirkungen
offensichtlich sind und Psychiatrieaufenthalte auch trotz "medikamentösem
Schutz" vorkommen. Rückfälle, die nach dem Absetzen auftraten,
werden nicht weiter kritisch betrachtet ob es sich um Reboundeffekte
oder Entzugserscheinungen handelte, wird ebensowenig reflektiert wie
die Frage, ob die Betroffenen irgend etwas unternahmen, um ihren ursprünglichen
Problemen entgegenzuwirken. In typisch psychiatrischer Weise wird die
tendenziöse Einseitigkeit der Aussagen interpretiert als absolute
Notwendigkeit zur Compliance. Bezeichnend ist auch die Tatsache, dass
mit der Auswahl der Autorinnen und Autoren als der DGBS Nahestehende
die Tendenz des Buches vorweggenommen ist und kritische Potentiale von
vornherein ausgeschlossen sind, was allerdings im Buch nicht angesprochen
wird. Der Grund hierfür dürfte deutlich werden, wenn man sich
die DGBS-Fördermitglieder
anschaut: die Firmen AstraZeneca, Desitin, Glaxo-Smith-Kline, Janssen-Cilag,
Eli Lilly, Novartis, Sanofi-Aventis, Wyeth, Werbeatelier Dieter Bülk
Pharma Medizin. Kommentar überflüssig. Gebunden mit Schutzumschlag,
292 Seiten, ISBN 3-8330-0662-5. Norderstedt: Books on Demand, 2. Auflage
2005. € 28. Peter Lehmann
Judith Kirchmayr-Kreczi: Kraft meiner Angst Ein Mutmachbuch bein Angst und Panikattacken
Buch einer österreichischen Managementtrainerin, Lebensberaterin und
Yogalehrerin, die nach vielen Jahren psychosozialer Tätigkeit am eigenen
Leib Angst- und Panikattacken erleidet und beschreibt, wie sie diese
mit psychotherapeutischen und alternativmedizinischen Maßnahmen bewältigt.
Ein mutmachendes, höchstpersönliches und ehrliches Buch. Hervorzuheben
ist das Kapitel, in dem sie schildert, wie sie die Entscheidung getroffenen
hat, ob sie Psychopharmaka nehmen will oder nicht im Angesicht all der
Personen um sie herum, die auf diese psychotropen Substanzen schwören
und meinen, es gehe nicht anders. Soll sie Psychopharmaka schlucken,
damit alles so bleibt, wie es ist? - fragt sie sich, und weiß nach sorgfältiger,
meditativer Überlegung, dass sie von den Wellen des Lebens (wie sie
poetisch schreibt) bewegt und berührt werden will, auch wenn diese vorübergehend
stürmisch sind. Statt passiver Ruhigstellung durch Psychopharmaka entscheidet
sie sich für aktive Auseinandersetzung mit ihren Panikattacken: für
verhaltenstherapeutische Methoden, Techniken der Selbstwahrnehmung und
Selbststeuerung (Alexander-Technik), Akupunktur, Meditation, Yoga, Achtsamkeit
u.v.m. Englisch Broschur, 120 Seiten, ISBN 978-3-85068-898-7. Steyr:
Ennsthaler Verlag 2012. € 13.90 Peter Lehmann
Hannelore
Klafki: Meine Stimmen Quälgeister und Schutzengel. Texte einer
engagierten Stimmenhörerin
"Kurz vor meinem sechzehnten Geburtstag geschah etwas, das ich wohl
nie vergessen werde. Ich war allein zu Hause und hörte plötzlich, wie
ganz laut mein Name gerufen wurde zuerst nur von einer Person,
dann von mehreren ... Angst, Schreck, Verwirrung und der alles beherrschende
Gedanke 'Jetzt werde ich verrückt' das hat sich fest als Erinnerung
eingegraben. Mit jemandem darüber zu reden, kam auf gar keinen Fall
in Frage." Wenn heute sogar hinter den festgefügten Mauern psychiatrischer
Dogmatik die Vorstellung an Glaubwürdigkeit verliert, wer Stimmen höre,
sei krank, schlichtweg schizophren, dann ist das auch Hannelore Klafkis
Verdienst. Aus der verängstigten, als Kind sexuell missbrauchten Frau,
die bald darauf das Schicksal einer typischen Drehtürpatientin der Psychiatrie
erlitt, wurde die Mitbegründerin des internationalen Stimmenhörer-Verbands
INTERVOICE (1994) und des deutschen Netzwerks Stimmenhören (1998). Das
Buch versammelt Vorträge und Aufsätze, aber auch Abbildungen von Skulpturen,
welche die Autorin als ausdrucksstarke Künstlerin ausweisen. Obwohl
in den Texten viel von schmerzhaften Erfahrungen in der Kindheit und
als Patientin der Psychiatrie die Rede ist, macht es dennoch Spaß, die übrigens locker formulierten Aufsätze zu lesen. Denn ihre
kämpferischen Texte für die Anerkennung des Stimmenhörens, des Andersseins
überhaupt, weisen den Weg aus einem Dasein als Opfer zu einem kreativen,
selbstbestimmten und politisch engagierten Leben, das Hannelore Klafki
selbst gelebt hat. Dabei hat die Autorin es nicht nötig, sich auf die
Seite einer dogmatischen Antipsychiatrie zu schlagen: Sie sondiert das
verminte Gelände ihrer Erfahrungen, der offiziellen Politik, der gesellschaftlichen
Spielräume und leitet daraus engagierte Forderungen ab, ohne sich gegen
unangenehme Einsichten zu sperren. Dies Buch will ich wärmstens all
denen ans Herz legen, die mehr darüber erfahren wollen, wie es sich
anfühlt, gerufen zu werden, ohne zu wissen von wem, oder vielleicht
"aus seinem Körper aussteigen" zu müssen. Ganz besonders empfehlen will
ich es außerdem allen, die sich selbst gegen die immer noch geltenden
Normen der Psychiatrie engagieren wollen. Kartoniert, 192 Seiten, 24
schwarz-weiße Abbildungen,
ISBN 978-3-925931-42-0. Berlin · Eugene, OR (USA) · Shrewsbury
(UK): Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 2006. € 13.90 Sophie Blau
Hans-Gottfried Klamroth: Das frühe Licht des
Morgens
Laut Klappentext, also vom Autoren selbst verfasste Beschreibung des
Buches, soll dieses ein Licht auf die unmenschliche Praxis der ambulanten
und stationären Psychiatrie werfen. Der Autor ist Psychiater, es
geht um die etwas langatmig ausgebreitete Geschichte seiner eigenen
Depression. Unmenschlich an der Psychiatrie sind für ihn beispielsweise
"unsachliche" Kritik an Psychopharmaka, das Dazwischenreden
psychiatrisch nicht ausgebildeter Angehöriger, das negative Bild
des Psychiaters in der Öffentlichkeit, die fehlende Bereitschaft
zum Festhalten von Patienten auf offenen Stationen oder nicht vollzogene
Zwangsbehandlungen. "Wir Psychiater haben bis heute damit zu tun,
dass die Patienten sich weigern, die notwendigen Medikamente zu nehmen.
Dabei muss man es nur einmal miterlebt haben, wie ein schwer gequälter
halluzinierender Patient in der Aufnahme mit einer Spritze Haloperidol
erlöst werden kann. Diesen Antipsychiatern fehlt einfach die Erfahrung
mit Schwerkranken." Solcherart Weisheiten legt der Autor den handelnden
Personen in den Mund. Sein Protagonist David fällt der durch außen
geschürten fehlenden Krankheitseinsicht prompt zum Opfer, lehnt
den Klinikaufenthalt ebenso ab wie das rettende Lithium und verfällt im Buch am Schluss so abrupt wie unmotiviert dem stimmungsaufhellenden
Opium, das naturgemäß in die Sackgasse führt in dem Buch ins belehrende Nachwort, dass man Depressionen heutzutage
"relativ gut medikamentös behandeln" könne. Ein
literarisch mehr als fragwürdiges Ende, zudem einseitig und ideologisch
motiviert, abweichende Erfahrungen schlicht ausklammernd. Werbung für
biologische Zwangspsychiatrie in Romanform. Kartoniert, 426 Seiten,
ISBN 978-3-8334-7227-5. Norderstedt: Books on Demand 2008. € 24.90 Peter Lehmann
Ernst Klee: Irrsinn Ost Irrsinn West. Psychiatrie in Deutschland
Ich habe das Buch in einem Stück gelesen, wenn auch mit Entsetzen,
denn es deckt menschenverachtende und -vernichtende Praktiken in der
Psychiatrie auf, die ebenso unglaublich wie aktuell sind. »Die
Hölle von Ueckermünde«, das erste Kapitel, wurde von
Ernst Klee auch im Film festgehalten, der letztes Jahr im Fernsehen
lief. Nach der Wende hat Klee mehrere Ost-Psychiatrien besucht, mit
Überlebenden sowie Mitgliedern der »Interessengemeinschaft
für Psychiatriebetroffene Durchblick« gesprochen
und die Verbindungen hochangesehener west- wie ostdeutscher Psychiater
zur mörderischen Nazi-Psychiatrie erforscht. Er nennt Namen und
Fakten und, wie es im Klappentext heißt, »er fand eine gesamtdeutsche
Gemeinsamkeit: Im Westen wie im Osten blieben Nazi-Schergen im Amt,
machten Karriere, während die Opfer bis heute verhöhnt werden.«
Ich schätze die Beobachtungsschärfe und die Klarheit und Handlungsbereitschaft
Ernst Klees sehr. Angesichts der Zustände in einigen Ost-Anstalten,
»wo Menschen schlechter behandelt werden als vielerorts Tiere«,
liegt es nahe, erst einmal die verheerendsten Missstände beheben
zu wollen, eine menschlichere Psychiatrie. Dieses Gefühl, mit meinen
antipsychiatrischen Forderungen den Boden der Tatsachen auf vielleicht
unverantwortliche Weise zu verlassen, beschlich mich auch hin und wieder
beim letzten Treffen des »European Network of Users«. Ist
es wichtig, ob man sich »Survivor« oder »User« nennt,
solange viele nicht einmal überleben? Einerseits nein, andererseits:
Auch Worte können töten. Lebensunwert, das war ein Todesurteil.
Geb., 251 S., 41 Abb., Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag 1993. DM 36.
Kerstin Kempker
Martin Kleen: Psychiatrie. Kriminalroman
Spannender Krimi über massive illegale Versuche einer Pharmafirma,
den Psychiater Kerrmann zuerst durch verlockende finanzielle Angebote
an sich zu binden und angesichts dessen ablehnender Haltung schließlich
zum Schweigen zu bringen, als dieser die lebensbedrohlichen Entzugssymptome
des (fiktiven) Serotoninwiederaufnahmehemmers Fluxetilin nicht auf sich
beruhen lassen will. Auf "Gumpelmann"
folgt Kerrmann entspricht die Noncompliance auch unter Psychiatern
realen Entwicklungen? Taschenbuch, 266 Seiten, ISBN 978-3-934927-92-6.
Leer: Leda Verlag 2007. € 8.90 Peter Lehmann
Violetta Klenk / Carmen Klenk: Als Idas Mama
die Farben verlor
Die Familientherapeutin Carmen Klenk hat die Texte für dieses Bilderbuch
für Kinder von 5-10 geschrieben, die Kunsttherapeutin Violetta
Klenk hat es illustriert. Grundlos und aus heiterem Himmel wird Mama
"kummerkrank", es ist ihr, als ob sie alle Farben verliert,
das heißt sie ist depressiv. Deshalb "muss" sie in die
Psychiatrie, wo sie Bilder malen darf. "Alle im Krankenhaus helfen
Mama, damit die Farben wiederkommen." Schön bebildertes Buch
zum Vorlesen mit der Absicht, Kindern betroffener Eltern Schuldgefühle
zu nehmen. Heile Psychiatrie statt heile Familie: Kinder werden in die
Weltsicht der biologischen Psychiatrie eingeübt: Depressionen fallen
vom Himmel, die Psychiatrie ein Paradies. Englisch Broschur, 44 Seiten,
ISBN 978-3-941528-02-4. Hitzacker: Edition per ce Val 2009. €
9.90 Peter Lehmann
Thomas Klie: Recht der Altenhilfe. Gesetzes- und Vorschriftensammlung
für die Altenhilfe und Altenpflege
Unkommentierte umfangreiche Sammlung deutscher Gesetzestexte aus den
Bereichen: Recht »psychisch Kranker«, Gesundheitsschutzrecht,
Heim-, Sozial-, Arbeits-, Arbeitsschutz-, Berufs-, Wohn-, Miet-, Haftungs-,
Erb-, Staats- und allgemeines Verwaltungsrecht. Berücksichtigt
sind Aspekte des Einigungsvertrags, des Betreuungsgesetzes und Entwürfe
geplanter Gesetze, z.B. des Gesundheitsreformgesetzes oder des neuen
Heimgesetzes. Betroffene & Angehörige, denen das Buch zu teuer
ist, wissen nun, nach welchem Buch sie in der Bibliothek suchen müssen,
wollen sie sich über den Wortlaut der Gesetzestexte informieren.
Gebunden, 820 Seiten, Hannover: Curt R. Vincentz Verlag 1991. DM 76. Peter Lehmann
Andreas Knuf (Hg.): Gesundung ist möglich! Borderline-Betroffene
berichten
20 Betroffene beschreiben ihre als »Borderline« diagnostizierten
Probleme und Wege, wie sie damit fertig wurden oder zumindest ein überwiegend
zufriedenes Leben führen können. Sie zeigen auf individuelle
Weise, wie unterschiedlich die Bewältigungsstrategien sind. Die
gemeinsame Botschaft lautet, dass es Hoffnung gibt. Im Abschlusskapitel
reflektiert der Herausgeber als "Fachperson" über den
Krankheits- und Gesundheitsbegriff, den Verlauf von Borderline über
die Jahre hinweg, über Therapiemethoden und den eingeschränkten
(und einschränkenden) Wert von Psychopharmaka und vor allem die
Notwendigkeit der Betroffenen, Selbstverantwortung zu übernehmen
und Selbsthilfe zu praktizieren. Da kann man nichts dagegen sagen. Kartoniert,
249 Seiten, ISBN 978-3-86739-034-7. Bonn: Balance Buch und Medien Verlag
2008. € 14.90 Peter Lehmann
Andreas Knuf (Hg.): Leben auf der Grenze. Erfahrungen mit Borderline
Zwanzig Betroffene und ergänzend einige Angehörige beschreiben
ihre Erfahrungen von Lebensproblemen unter der Diagnose »Borderline«.
Eine Reihe durchaus lesenswerter Beiträge, sicher lohnend für
alle, die sich nicht vom Vorwort des Herausgebers abschrecken lassen,
in dem er »Borderline als eine ganz normale psychische Erkrankung«
apostrophiert ohne mit einem Wort zu bedenken, dass einige der AutorInnen
sich vermutlich dafür bedanken, ihre Erfahrungen als krankhaft
abqualifiziert zu sehen; dafür bedankt sich der Herausgeber für
das Vertrauen, das die AutorInnen ihm »als Fachmann« entgegengebracht
haben als als Fachmann wofür? Für das Interpretieren
interessanter Berichte von Borderline- und Psychiatriebetroffenen? Kartoniert,
210 Seiten, ISBN 3-88414-316-6. Bonn: Psychiatrieverlag 2002. €
12.90 Peter Lehmann
Kritisches Statement als Anhang zu P. Lehmanns Kurzrezension
zur online-Veröffentlichung in den FAPI-Nachrichten
»Als Co-Autorin von Leben auf der Grenze halte ich
Peter Lehmanns Kurzrezension für durchaus treffend. Nicht dem Buch
an sich gilt seine Kritik, sondern dem Intro des Herausgebers, wo dieser
vorauseilend um Verständnis wirbt und im selben Atemzug
altbekannte Negativklischees bedient. Muss aber, wer einmal in der Borderline-Schublade
war, es für immer bleiben? Wie steht's um Fehldiagnosen samt verschleppten
Folgen, iatrogene Chronifizierung oder mit dem Ärgernis, dass Lebensäußerungen
Psychiatrisierter pauschal als interpretationsbedürftig gelten?
Und inwiefern hängen Modediagnosen mit beruflichen Existenzsicherungsinteressen
zusammen? Leider spart Herr Knuf solche Fragen in seiner Aufklärungskampagne
aus. Die Einsicht, dass Entstigmatisierung so nicht greift, hätte
man dem Mitverfasser eines Titels zum Thema Empowerment eigentlich zutrauen
können. Zum Trost lässt Herr Knuf keinen Zweifel, wo er Deutungskompetenz
verortet nämlich letztinstanzlich bei sich selbst. Fazit:
Den Totalverzicht auf Entgelt für meinen Textbeitrag habe ich um
anderer Prioritäten willen akzeptiert (wiewohl dies keineswegs
selbstverständlich sein sollte). Gegen das Instrumentalisieren
von Selbsterfahrung zum Zweck der Krankheitspropaganda verwahre ich
mich jedoch ganz entschieden; diesbezüglich wurde mein Vertrauen
in der Tat enttäuscht.« (Ivy Anger)
Andreas Knuf: Empowerment in der psychiatrischen
Arbeit Der Autor, Psychologe und Therapeut, bringt konzentriert, übersichtlich
und durchaus selbstkritisch auf den Punkt, was psychiatrisch Tätige
tun (und nicht tun) können, um Betroffenen zu einem selbstbestimmteren
Leben zu verhelfen. Ressourcenorientierter Arbeit, Betroffenen-Mitbestimmung,
Selbsthilfe- und Recovery-Förderung steht in der Praxis vieles entgegen:
Stigmatisierung, institutionelle Hierarchien, Wunsch nach Compliance,
Zwang, Psychopharmaka und nicht zuletzt die Tradition defizitorientierter
'Fürsorge'. Ein nützliches Buch für psychiatrisch Tätige. Kritische
Betroffene dürfte es stören, dass die Frage der Psychopharmaka allzu
grob abgehandelt wird, das Psychiatrische Testament keine Erwähnung
findet, Selbsthilfe nur zu "Störungsbildern" vorgestellt wird und die
Internetadressen oft fehlerhaft sind. Kartoniert, 141 Seiten, ISBN 3-88414-409-X.
Bonn: Psychiatrieverlag 2006. € 14.90 Kerstin Kempker
Andreas
Knuf, Anke Gartelmann (Hg.): Bevor die Stimmen wiederkommen
Ein zwiespältiges, in mancherlei Hinsicht ärgerliches Buch.
»Stimmenhören« ist in, deshalb haben die Herausgeber
sich für einen entsprechenden Titel entschieden, auch wenn die
Buchbeiträge nahezu nichts mit Stimmenhören zu tun haben.
Durchweg gute Beiträge Psychiatriebetroffener, die ihre durchdachten
Vorstellungen zu einem selbstbestimmten Umgang mit dem eigenen Verrücktwerden
zu Papier brachten, werden missbraucht, um Stimmung für ein gemeindepsychiatrisches
Szenarium zu machen: für den in der Regel verständnisvollen
niedergelassenen Psychiater und sein richtiges Medikament in der richtigen
Dosis sowie den hilfreichen und vertrauenswürdigen Sozialpsychiatrischen
Dienst. Dass die Wirklichkeit so nicht aussieht und sich viele Psychiatriebetroffene
längst an die Beantwortung der Frage gemacht haben, was ihnen im
Falle des Falles statt Psychiatrie hilft, blenden die
Herausgeber aus, womit sie ihre heile gemeindepsychiatrische Welt retten
wollen. Auch die Beiträge der Psychiatriebetroffenen, die etwa
ein Drittel des Buches ausmachen, werden von den Herausgebern mit einer
ideologischen Brille betrachtet. Egal ob etwa der psychiatriekritische
Pirmin von Reichenstein resümiert, alle wahre Hilfe sei Hilfe zur
Selbsthilfe, ob Wolfgang Voelzke klarstellt, dass es die Betroffenen
selbst sein müssen, die über die Frage der Psychopharmakaeinnahme
entscheiden, oder ob die Selbst-CheckerInnen ihre Probleme teilweise
gerade nicht als Krankheit verstehen und sich so unbefangen und ohne
diagnostische Scheuklappen mit ihnen auseinandersetzen können:
Die Herausgeber, zwei Diplompsychologen, psychoedukativ ausgebildet,
wissen alles besser. »Pillen. Wir stehen ihnen äußerst
zwiespältig gegenüber, was aber bedeutet, dass wir sie in
vielen Fällen für unverzichtbar halten müssen.«
Müssen? Geht es denn nicht um die Betroffenen als Subjekte ihres
Lebens und ihrer Entscheidungen? Aber es ist vielleicht gar nicht die
persönliche Meinung der Herausgeber, die wiedergegeben wird, sondern
das Ergebnis der immer wieder zitierten Studie zweier britischer Psychiater,
die allerorten verbreiten, dass mit dem Absetzen der Psychopharmaka
das Rückfallrisiko steige. Dass die beiden Fachmänner
die Möglichkeit neuroleptikabedingter Rezeptorenveränderungen,
Rebound- und Supersensibilitätspsychosen, die beim Absetzen und
in der ersten Zeit danach mächtig zu schaffen machen können,
außer Acht gelassen und somit eine aussagelose Studie geliefert
haben, interessiert die psychiatriegläubigen Herausgeber nicht.
»Medikamente bieten vielen Betroffenen in Zeiten hoher Anforderungen
eine Möglichkeit, ihr Gleichgewicht zu bewahren.« So steht
es auch in der Werbung. »Wer auf Nummer sicher gehen
möchte, ist mit einer Dauermedikation am besten beraten.«
Dito. »Häufig werden die negativen Wirkungen der Neuroleptika,
Lithiumpräparate und Antidepressiva auch überbewertet und
mit der Eigendynamik der Erkrankung verwechselt.« Häufig wird
einfach nur Mist (nach-)erzählt.
»Vor allem Vorsorge- und Selbsthilfebemühungen sollten von
professioneller Seite stärker als bisher gewürdigt und unterstützt
werden.« Sie haben es gemerkt, der Zug der Selbsthilfebewegung
würde ohne sie abfahren, sollten sie nicht noch schnell aufspringen und das Steuer übernehmen. Von dieser Strategie der mehr
oder weniger subtilen Beeinflussung der Schritte, die zur psychiatriefernen
Selbstbestimmung führen könnten, legt das Buch unfreiwillig
Zeugnis ab. Das Buch des Psychiatrieverlags endet mit dem Krisenpass:
für Einträge zur »aktuellen Medikation« und zu Erfahrungen
mit Medikamenten stehen 180 mm zur Verfügung, für
»Besonderes (z.B. besondere Wünsche an die Behandlung)«
ganze 21 mm. Kart., 221 S., Bonn: Psychiatrie-Verlag 1997. DM 24.80 Peter Lehmann
Andreas Knuf / Ulrich Seibert: Selbstbefähigung fördern. Empowerment
in der psychiatrischen Arbeit
Empowerment, so steht es im neuen Buch des Psychiatrieverlags von Andreas
Knuf und Ulrich Seibert, komme aus der Befreiungsbewegung der Schwarzen
und Frauen und heiße eigentlich Auflehnung gegen Unterdrückung
und Machtlosigkeit (gemeinsame Einleitung, S. 6). Empowerment im psychosozialen
Bereich heißt Selbstbemächtigung, gemeint so eine
der bekanntesten Personen der Selbsthilfe- und Befreiungsbewegung von
Psychiatriebetroffenen, Judi Chamberlin aus den USA in dem Buch »Statt
Psychiatrie« ist unter anderem: »mit der eigenen Stimme
sprechen, die eigene Identität neu definieren, die eigenen Möglichkeiten
und das Verhältnis zu institutionalisierter Macht neu definieren«.
Was machen psychiatrisch Tätige mit dieser Aussage? Der Psychologe
Wolfgang Stark aus München ignorierte in seinem Buch »Empowerment«,
erschienen 1996 im Lambertus-Verlag, Publikationen von Psychiatriebetroffenen
ausnahmslos. Knuf und Seibert lassen sie zwar einige zu Wort kommen,
kommen aber bereits mit einer eigenen Definition von Empowerment: Neben
verstärkter Einflußnahme auf der politischen Ebene sehen
sie Empowerment als »Bewältigung der psychischen Krankheit«
und als »vermehrte Mitbestimmung bei der Behandlung«, und
neben den Betroffenen als den Subjekten des eigentlichen Empowerments
sehen sie professionell Tätige als Menschen, die von (omni)potenten
Helfern zu Beratern und Förderern eines zunehmenden Emanzipations-
und Partizipationsprozesses werden. Schön gesagt. Aber was ist
mit den Menschen, die die Denunzierung einer störenden und unbequemen
Lebens- und Sinnesweise und unzivilisiert ablaufender emotionaler Prozesse
als krank und damit als grundsätzlich und zudem medizinisch behandlungsbedürftig
zurückweisen? Was ist mit den Menschen, die es schlicht ablehnen,
das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit als Verhandlungsmasse
zur Disposition zu stellen? Was ist mit Medizinern, die aufgrund ihrer
naturwissenschaftlich orientierten Ausbildung ständig von Stoffwechselentgleisungen
träumen und deshalb gar nicht in der Lage sein können, Menschen
mit psychischen Problemen sozialer Natur helfen zu können? Hatte
nicht auch das 1995 in der Zeitschrift Sozialpsychiatrische Informationen
publizierte Ergebnis einer Umfrage des BPE eine als »vernichtend«
zu bezeichnende Absage an die Psychiatrie erbracht, als nur 10% der
Antwortenden angegeben hatten, dort Hilfe zur Lösung der Probleme
gefunden zu haben, die zur Psychiatrisierung geführt hatten? Was
ist mit diesen psychiatrisch Tätigen, die z.B. Jugendliche aus
nichtigem Anlass mit Elektroschocks, Insulinkoma-Behandlungen und multiplen
Pharmacocktails traumatisieren und mit dieser energischen Behandlungsattitüde
Leitfiguren psychiatrischer Berufsverbände werden? Was ist mit
den Psychiatriebetroffenen, die die Anwendung des Strafrechts auch im
psychiatrischen Bereich fordern bei dem Straftatbestand, der da heißt
»fortwährende strafbare Körperverletzung durch Eingriffe
in die körperliche Unversehrtheit ohne wirksame Aufklärung
über Behandlungsrisiken und Alternativen«? Was ist mit den
sozialpsychiatrisch Tätigen, die nicht einmal in der Lage sind,
massivste Vorschädigungen ihrer PatientInnen durch brutale biologische
Behandlungsmaßnahmen zu erkennen? Löst die Verwendung des
Modebegriffs Empowerment all diese Probleme? Oder soll die Vielzahl
der Psychiatriebetroffenen inner- und außerhalb des BPE, die unter
der Losung »Geld und Rechte« nach einem wirksamen Schutz vor
willkürlichen psychiatrischen Übergriffen und nach selbstverwalteten
nichtpsychiatrischen Alternativen streben, wieder einmal ausgegrenzt
werden? Viele Fragen, die sich nach Lektüre des Buches aufdrängen,
und die leider allesamt unbeantwortet bleiben. Kartoniert, 300 Seiten,
Bonn: Psychiatrie-Verlag 2000. DM 39.80 Peter Lehmann
»... es ist nahezu unmöglich, Psychiater und gleichzeitig
ein anständiger Mensch zu sein« schreibt eine Patientin an den
Leiter der (fiktiven) Mandelburger Klinik. Diesen Satz belegt Koehler
in seinem Buch ausgiebig und genüßlich. Die Lektüre macht gleichzeitig
ungeheuren Spaß und furchtbar wütend. Der Leser wird, hoffentlich,
diesem unglaublichen Pandämonium durchgeknallter Psychiater und Psychologen
nie ausgeliefert sein. In der Mandelburger Leitungsebene regieren
Karrieregeilheit, Drogensucht, Sexbesessenheit und die unheilvollsten
gegenseitigen Abhängigkeiten. Die Patienten bleiben in diesem Getriebe
unbedeutende Schachfiguren, unterworfen einer nie durchschaubaren
Willkür der Ärzte.
Besonders spannend macht dieses Buch die Tatsache, dass mit Koehler
ein hervorragend informierter Insider über das gnadenlose psychiatrische
Treiben schreibt. Der Leser kann also davon ausgehen, dass zwar einige
Versatzstücke der Groteske fiktiv sein mögen, der größte Teil aber
aus dem richtigen Leben gegriffen ist. Die Geschichte um die äußerst
zweifelhafte Erprobung eines riskanten neuen Medikaments an unwissenden
Patienten offenbart, dass es in der heutigen Psychiatrie nicht um das
Wohl und Wehe der Patienten, sondern nur noch um Geld, Macht und persönliche
Eitelkeiten geht.
Lesevergnügen und Entsetzen durchdringen sich gegenseitig. Ein böses,
ein wichtiges Buch. Wolf Buchwald, in: BVVP-Magazin (Zeitschrift des Bundesverbands
der Vertragspsychotherapeuten e.V.), 4. Jg. (2005), Nr. 1, S. 38
Auf ein Buch wie dieses haben wir schon lange gewartet: unterhaltend,
spannend wie ein Krimi und zugleich fachlich informativ. Auch wenn
das Dargestellte kräftig überzogen wirkt, bekommt der Leser
einen Einblick in die Welt der akademischen psychiatrischen Krankenhäuser
und wird über Pharmastudien und die Pharmaindustrie informiert.
Der Autor beschreibt stets auf witzige Weise, wie der Chef seine Macht
ausnutzt und wie die hierarchischen Verhältnisse sind. Immer
wieder bereitet es Schwierigkeiten passende PatientInnen für
die Studie des neuen Psychopharmakons »Oneirin« zu gewinnen,
da nicht immer eine hundertprozentige Compliance besteht. Die PatientInnen
haben leider manchmal Symptome, die doch eigentlich Ausschlusskriterien
für die Studie sind.
Das Sexualleben der Hauptfiguren des Romans kommt nicht im Mindesten
zu kurz. Ich vermute, der Autor wollte damit ausdrücken, dass
Sexualität häufig benutzt wird, um Menschen vor allem
Frauen zu kontrollieren, zu beherrschen und auszubeuten. Die
Hauptbotschaft des Buches kommt meiner Ansicht nach klar durch: Professor
Gumpelmann, der großen Respekt für Menschen mit der Diagnose
Schizophrenie hat und an ihrem Wohlergehen interessiert ist, ist der
Lichtblick des Buches er verkörpert den Psychiater, der
sich tatsächlich noch auf die PatientInnen einlässt. Als
Gumpelmann sich entscheidet, zwei Monate früher in den Ruhestand
zu gehen, schreibt er einen Abschiedsbrief an den Direktor Dieser Brief ist für Psychiatrie-Erfahrene ein wahres Goldstück!
Die Haupthandlung des Romans ist die »Oneiron-Studie«. Wird
es genug Probanden geben? Spuren die Ärzte? Wie verhalten sich
die Probanden? Geht es um transparente oder geheime Forschung? Wird
dabei das Selbstbestimmungsrecht der Teilnehmer beachtet? All diese
Fragen halten die Spannung der eigentliche Genuss aber liegt
in den Zwischenzeilen und Zwischeninformationen. Ich will nicht zu
viel verraten, nur so viel, dass wir dabei viel über Doo-Wop
und das Verhalten von Mäusen erfahren. Wer Sinn für Humor
hat, freut sich sehr über dieses Buch und wünscht sich,
dass Karl Koehler bald ein neues schreiben möge. Vicky Pullen, in: Rundbrief
des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener, 2005, Nr. 1, S. 20
Der Leser erlebt hautnah mit, wie machtbesessen, korrupt und skrupellos
die Psychiater einer deutschen Uniklinik sind und ihre Patienten als
Versuchskaninchen für die Pharmaindustrie missbrauchen. Dem Autor,
einem pensionierten Professor für Sozialpsychiatrie, ist ein spektakulärer
Roman gelungen, gespickt mit deftigem Sex und beißendem Humor. (Constance
Dollwet)
Taschenbuch, 317 Seiten, ISBN 978-3-925931-36-9, Berlin: Peter Lehmann
Antipsychiatrieverlag 2004. € 9.95
Klaus Köhler: Kindesmissbrauch Gewalt ver-rückt
die Seele. Zur Rekonstruktion der Lebensgeschichte von psychisch Kranken
Der Pädagoge Köhler hat eine als »chronisch schizophren«
geltende langjährige Anstaltsinsassin zu ihrer Geschichte befragt
und ist dabei auf frühkindlichen Inzest gestoßen, dessen
Andeutungen vom Anstaltspersonal nie ernstgenommen wurden. Die Interviews
haben dem Autor zur Dissertation verholfen und Frau F. möglicherweise
vor einer endgültigen Ausmusterung als unverständliche Irre
bewahrt. So verhalten die Psychiatriekritik Köhlers ist, der vier
Jahre in der Anstalt arbeitete, so klar ist er aber in der Einschätzung
der Lage von Frau F.: »Das Ergebnis dieser bis dahin achtjährigen
Behandlung liegt darin, dass Frau F. fähig wird, sich einer weiteren,
realen und gewalttätigen Wirklichkeit anzupassen.« Reichlich
Theorie drumrum, der Titel verspricht etwas zu viel, die Anonymität
der Frau F. scheint mir bei dem detaillierten Lebenslauf nur eine relative. Insgesamt aber ein selbstkritischer Versuch, »Krankheit
als gesunde Reaktion« verstehbar zu machen. Kartoniert,
360 Seiten, Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 1991. DM 66. Kerstin Kempker
Alexander Koenig: Das verhängnisvolle Irren Wirklichkeit oder Verkennung der Realität
"Was sind wir, warum sind wir, woher kommen wir, wohin gehen wir? Was
ist Zufall, was ist Schicksal?" Der Autor, ein Psychiater, stellt wichtige
Fragen auf der Suche nach Ursprung und Sinn des menschlichen Seins,
er will Natur und Kosmos verstehen und falsche Auslegungen, egoistische
Denkweisen, nicht erkannte psychische Störungen, religiöse und ideologische
Besserwisserei sowie Irrmeinungen widerlegen, die im Laufe der Geschichte
zu dramatischen Ereignissen führten, wie er schreibt. Das versucht er
mit einem 383seitigen, kleinschriftigen und auf mich einen recht chaotischen
Eindruck machenden Buch besser gesagt einem Konvolut von Artikeln
und Ausführungen über Gott und die Welt; eine Ordnung ist für mich kaum
nachvollziehbar. Zudem schlägt sein monokausales neuropsychiatrisches
Denken voll durch. Nicht Menschen morden, lerne ich gerade, es sei das
Gehirn und seine Stoffwechselstörung, die dies tun. Neuroleptika heilen
Stoffwechselstörungen um so etwas, was nicht einmal von der Pharmaindustrie
in Werbeanzeigen verbreitetet wird, zu glauben, muss man sich wahrscheinlich
nicht nur "Facharzt" nennen können, sondern wie der Autor auch
"wissenschaftlicher Mitarbeiter an verschiedenen Universitätskliniken".
Ich blättere weiter zwischen Türkenkriegen, amerikanischen Präsidenten,
der Definition von Leben, der Definition von Eisenbahn ("... ein
schienengebundenes Verkehrsmittel zum Transport von Personen und Gütern
..."), der Definition von Straßenverkehr, Luftverkehr, Schiffsverkehr,
dem Vertrag von St. German, Perikles, Alzheimer, Rita Hayworth und der
Beschreibung von Raketentriebwerken, und mich beschleicht das Gefühl,
das hier jemand Wikipedia geplündert, die Textbausteine gelegentlich
mit psychiatrischen Bemerkungen versehen, neu zusammengewürfelt und
in Buchform gegossen hat. Eine Frage ist leider ausgespart: Wen bloß,
außer den Autor selbst und seinen engsten Freundeskreis, soll das alles
interessieren? Broschur, 383 Seiten, ISBN 978-3-939337-58-4, Passau:
Schenk Verlag 2008. € 18.90 Peter Lehmann
Frank König / Wolfgang P. Kaschka (Hg.): Interaktionn und Wirkmechanismen
ausgewählter Psychopharmaka
Eine Vielzahl von Psychopharmaka haben, wenn man sie miteinander kombiniert,
unangenehm potenzierende Wirkungen, d.h. unerwünschte Wirkungen
zum Beispiel auf Herz und Kreislauf verdoppeln sich. Andere Kombinationen
führen zu verzögertem bzw. beschleunigtem Abbau einzelner
Substanzen. Da man davon ausgehen muss, dass verordnende Ärzte
und Psychiater im konkreten Fall und bei Substanzen, die nach Abschluss
ihrer Studien auf den Markt kamen, wenig über solche Zusammenhänge
wissen oder aber ihr Wissen gezielt einsetzen, um (für die Betroffenen
unerwünschte) Wirkungen zu verstärken, sollte man sich als
Objekt der Behandlung ebenfalls dieses Wissen aneignen, um in Entscheidungen
(zumindest wissensmäßig) einigermaßen dagegenhalten
zu können. Allerdings ist das Buch in medizinisch-psychiatrischer
Fachsprache geschrieben. Hinzu kommt die dazu passende nonchalante Haltung
zu besonderen Gefahren psychiatrischer Behandlung. Beispiel: Kombination
von Lithium und »Nichtmedikamentösen antidepressiven Verfahren«,
in diesem Fall Elektroschocks. So lesen wir auf S. 82: »Obwohl
nach kasuistischen [Einzelfall-]Berichten verstärkte zentrale Nebenwirkungen
wie delirante Zustände oder ausgeprägte Gedächtnisstörungen
unter dieser Kombination beobachtet wurden, empfehlen andere Autoren
durchaus die Durchführung einer EKT unter laufender Lithium-Medikation.«
Wo unsereins den Approbationsentzug und eine strafrechtliche Verfolgung
fordert, geht der Autor Kaschka, Mitherausgeber und Psychiater an der
Unianstalt Ulm und am Zentrum für Psychiatrie Weissenau, cool zum
nächsten Punkt weiter. Möglicherweise bin ich als Rezensent
durch das tausendfache Lesen medizinischer und psychiatrischer Literatur
abgebrüht; so freue ich mich, wenn ich nebenbei lese, dass der
Autor Walter Müller, Professor am Biozentrum der Uni Frankfurt/Main,
in seinem Artikel über Wirkungsmechanismen älterer und neuerer
Neuroleptika einen relativ klaren Blick auf die breitgestreute Rezeptorenblockade
moderner »atypischer« Neuroleptika behalten hat und zum Schluss
kommt, hier sei man pharmakologisch »im Prinzip wieder einen Schritt
zurückgegangen« und habe Substanzen entwickelt, »die
neben dem primär für die Wirkung relevanten Mechanismus noch
zusätzliche Mechanismen beeinflussen. Im Gegensatz zu den Altsubstanzen
hat man«, so der Autor weiter, hier versucht, gezielt »...
solche Mechanismen in die Molekülstruktur einzubauen, die bestimmte
Nebenwirkungsqualitäten (besonders EPS [extrapyradmidale, d.h.
bei Bewegungsabläufen im Muskelsystem auftretende Störungen]
abdämpfen. Damit sind die Substanzen aus der neuesten Generation
der Neuroleptika im pharmakologischen Sinne dirty drugs,
also Substanzen mit mehr als einem Wirkungsmechanismus.« (S. 54)
Geradezu sensationell schätze ich die Überlegung der beiden
Psychiater Max Schmauß und Thomas Messer aus der Psychiatrischen
Anstalt Augsburg ein, bei vielen als therapieresistent beurteilten Betroffenen
liege »keine echte Therapieresistenz« vor, sondern möglicherweise
ein hirnorganischer Krankheitsprozess, eine neurologische oder internistische
Krankheit oder man höre und staune eine psychopharmakabedingte
Depression. Fazit: Für die Betroffenen, die Kombinationen von Psychopharmaka
einnehmen, und insbesondere der älteren unter ihnen ist dies ein
notwendiges Buch, auch wenn seine Produktion durch die Pharmafirma Lundbeck
gesponsert wurde. Kartoniert, XV + 177 Seiten, 14 Abbildungen, ISBN
3-13-105452-2. Stuttgart / New York: Thieme Verlag, 2., überarbeitete
und erweiterte Auflage 2003. € 24.95 Peter Lehmann
Rudolf Köster: Das seelische Tief überwinden Ein
Leben frei von Depressionen Freundliches Büchlein mit einfachen Tips, wie man sich selbst
vor seelischen Tiefs schützen kann: negative Einstellungen überprüfen,
Veränderungen zulassen, Probleme lösen (statt verdrängen),
menschlich leben, Lebensfreude wachsen lassen, loslassen und gelassener
werden, körperlich in Bewegung kommen, lachen, das Gute sehen,
mit Ärger konstruktiv umgehen, konfliktfähig werden, miteinander
sprechen lernen, Kontaktstörungen beseitigen, fair streiten, jeden
Tag ein bißchen Liebe... All diese Ratschläge klingen einfach,
sind aber für einen Autor, der Arzt und Psychiater ist und dennoch
nicht mit Psychopharmaka herumwirbelt, eine bemerkenswerte Leistung.
TB, 143 Seiten, 2. Auflage, Freiburg: Herder Verlag 1999. DM 16.80 Peter Lehmann
Charlotte
Köttgen: Ausgegrenzt und mittendrin Jugendhilfe zwischen Erziehung,
Therapie und Strafe
Ausgesprochen informatives Buch über positive wie auch negative
Folgen von Fallkonstruktionen und -bewertungen in Jugendhilfe, Therapie,
Psychiatrie und Justiz und der Zusammenhang zwischen Armut, sozialen
Verhältnissen und psychischen Problemen. Die jeweils detailliert
dargestellten Fallschilderungen unterlegen die Forderungen der Autorinnen
und Autoren, die Hände von ausgrenzenden, freiheitsberaubenden
und entmündigenden "Hilfe"-Formen zu lassen. Besser sollten
integrierende, die sozialen Lebensbedingungen der Betroffenen berücksichtigende
und die Mitwirkung der Hilfeadressaten und -adressatinnen fördernde
hierarchiefreie Hilfesysteme geschaffen werden. Eines der Fallbeispiele
betrifft Vera
Stein, die aufgrund familiärer Probleme in der Jugendpsychiatrie
landete und dort und in der Folgezeit massiv gesundheitlich geschädigt
und emotional verletzt wurde (siehe Trotzdem. Behindert ist man nicht behindert wird man, Abwesenheitswelten Meine Wege durch die Psychiatrie und Diagnose »unzurechnungsfähig«).
Im Rahmen ihrer Schadenersatzklage
wurde sie u.a. von Charlotte Köttgen begutachtet. Die Tatsache,
dass die Begutachtete mir, dem Rezensenten, das Buch empfahl, zeigt
die Stichhaltigkeit der kritischen Aussagen Köttgens hinsichtlich
der verantwortungs- und gedankenlosen Praxis in der Jugendpsychiatrie.
Deutlich wird in dem Buch auch das von wenig Verantwortungsbewusstsein
geprägte Verhalten vieler Sozialarbeiter kritisiert: "Die
eigentlichen 'Experten sozialer Problemlagen', die Sozialarbeiter, verweisen
gern auf ihre Nichtzuständigkeit, besonders wenn sie Dank einer
Diagnose auf die 'höhere Kompetenz' von Ärzten verweisen können."
Kartoniert, 235 Seiten, ISBN 978-3-925146-63-3. Frankfurt am Main: IGfH-Eigenverlag
2007. € 19.50 Peter Lehmann
Jolien Kok-van Esterik: Clozapine: Benefits and Risks of a Controversial
Drug siehe unter Sammelrezension
Peter D. Kramer: Glück auf Rezept. Der unheimliche Erfolg der
Glückspille Fluctin
Ein Buch, das aus den USA (»Talking about Prozac«) kommt und
voll auf der Welle der biologischen Psychiatrie schwimmt. Wer, wie der
Psychiater Kramer, glaubt, dass Elektroschocks und Haldol dem Menschen
zu Glück und Wohlbefinden helfen, der wird auch von dessen Buch
begeistert sein: dank Verabreichung der chemischen Substanz Fluoxetin,
einem Serotoninwiederaufnahmehemmer, komme die wahre Natur des Menschen
zum Vorschein; zuvor sei sie lediglich stoffwechselbedingt abhanden
gekommen, Ursache von Depressionen. Kein Wort im Buch von all den Klagen
wegen schwerer Zwischenfälle unter Prozac, wie Fluctin in den USA
heißt, über Filmrisse und Gewaltakte gegen andere
unter Fluoxetineinfluss, über Suizide usw. Wer etwas erfahren will
über die Gefahren der gelegentlich mörderischen Substanz Fluoxetin
und über das primitive Menschenbild, das ihren Einsatz favorisiert,
dem bzw. der seien folgende zwei Bücher empfohlen: a) Peter Breggin
/ Ginger Ross-Breggin: »Talking back to Prozac«, New York:
St. Martin's Press 1994; b) Marc Rufer: »Glückspillen. Ecstasy,
Prozac und die Rückkehr der Psychopharmaka«, München:
Knaur Verlag 1995. Geb., 384 S., Stuttgart: Kösel Verlag 1995.
DM 48. Peter Lehmann
Alfred Kraus / Christoph Mundt (Hg.): Schizophrenie und Sprache
In diesem teuren Band aus der »Sammlung psychiatrischer und neurologischer
Einzeldarstellungen« machen ein Dutzend Psychiater ihren Kotau
vor ihren geistigen Vätern Kraepelin und E. Bleuler und vor ihrem
Anführer Peters, dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft
für Psychiatrie und Nervenheilkunde, und legen wortreich dar, wie
sie mit linguistischen Mitteln die Diagnose »Schizophrenie«
zementieren wollen. Ausgehend davon, dass die »organische Läsion«
als Ursache des irgendwie anderen wohl nicht gefunden wird, machen sie
sich nach der Medizin nun noch eine andere Wissenschaft zunutze, die
Sprachwissenschaft. Es werden fleißig »Sprachregelverstöße«
gesammelt, wie »Weitschweifigkeit« oder »Verdichtung«,
»Konkretismus« oder »abnorme Symbolbildung«, »Bizarrerie«
und »Eigenbezüglichkeit«. Es werden Briefe von InsassInnen,
sog. »Pseudotexte«, zerpflückt, Sprichwörter sind
im »konventionell verbindlichen Sinn« zu interpretieren und
Textlücken ebenso zu schließen. Aus alledem ergibt sich zwar,
dass die einander oft widersprechenden »Sprachregelverstöße«
nicht nur von »Schizophrenen« und auch nicht von allen und
auch nicht regelhaft begangen werden (s. Peters), dass aber mit einem
kleinen Schlenker, bei Peters ist das die Hinzuziehung von »Kontext
und Kotext«, doch noch alle erwischt werden, weil die »Schizophrenie«
schon durch die Interpretation eines einzigen Satzes dingfest gemacht
werden kann. Denn solche »Sprachstörungen« entsprechen
in ihrer »diagnostischen Wertigkeit dem Symptom ersten Ranges«.
So lassen sich Ferndiagnosen aufgrund von Textproben stellen oder auch
postum, wie Peters und sein Wiener Kollege Navratil das mit Hölderlin
taten.
Mehr oder weniger gut verdeckt wird dieses Interesse psychiatrischer
Machtabsicherung und -bereicherung durch die immer wieder einmal eingestreute
Floskel von der durch die Sprachzerpflückung zunehmenden Verstehbarkeit
und den daraus erwachsenden therapeutischen Möglichkeiten. »Der
Firma Janssen sei herzlich gedankt« heißt es im Vorwort,
und die Firma Janssen dankt sicher herzlich zurück, sie vertreibt
die »therapeutischen Möglichkeiten« (Haldol usw.) mit
Gewinn, der »großzügige Druckkostenzuschuss« ist
da ein Klacks. Kartoniert, 156 Seiten, Stuttgart/New York: Georg Thieme
Verlag 1991. DM 80. Kerstin Kempker
Anja Krebs (Hg.): Die wiedergewonnene Freiheit Angstbetroffene erzählen ihren Weg
Buch einer jungen Frau, die nach vielen vergeblichen Anläufen für
sich die Lösung ihrer Angstprobleme in Hypnosetherapie gefunden
und daraufhin mit Dr. E. Reinhold ein professionelles Selbsthilfeprogramm
entwickelt hat, um anderen Betroffenen die Gelegenheit zu geben, denselben
Weg zu gehen. Mit 14 Berichten von Klientinnen des von Anja Krebs gegründeten
Instituts für Angstbefreiung incl. ihrer eigenen Geschichte über
die durchweg positiven Effekte der von ihrem Institut für Angstbefreiung
angebotenen Hypnosetherapie. Allerdings wird diese Therapieform kombiniert
mit Familienaufstellungen à la Hellinger und dessen Ideologie,
was zur Folge hat, dass sich geschlagene und gequälte Kinder bei
ihren Peinigern für ihre Erziehung auch noch bedanken dürfen.
Kartoniert, 243 Seiten, ISBN 978-3-937844-15-2. Vechta-Langförden:
Geest-Verlag, 7. Auflage 2008. € 12.50 Peter Lehmann
Matthias Krisor / Kerstin Wunderlich (Hg.): Vom Kopf auf die Füße Der Mensch ist nicht nur krank, wenn er krank ist Reader zu den 7. Herner Gemeindepsychiatrischen Gesprächen von 2001.
Bürgerladen Halle, Herner Ateliers, Aktuelles aus dem Berliner Weglaufhaus,
ein Blick nach England, ein Pilgerprojekt und ein Pilotprojekt zu geistig-energetischem
Heilen; der Band bietet ein erstaunlich breites Spektrum an teilweise
neuen, oft von Betroffenen initiierten und vorgestellten und immer gewaltfreien
Wegen im Umfeld der Psychiatrie. Wo gibt es das: Ein Baseler Psychiater
beschreibt sachlich, aber sichtlich beeindruckt die Wirkkraft einer
Heilerin. PsychiatriepatientInnen pilgern wochenlang mit ihren MitarbeiterInnen
auf dem Jakobusweg, und ein "Verein der Freunde und Förderer gewaltfreier
Psychiatrie" setzt sich öffentlich gegen die "Aktion Psychisch Kranke"
zur Wehr. Ein Buch, das Herz und Verstand anspricht und Neugier weckt.
Kartoniert, 295 Seiten, ISBN 3-89967-000-0. Lengerich: Pabst Science
Publishers 2003. € 20. Kerstin Kempker