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des Antipsychiatrieverlags
Original in: Wolfram Pfreundschuh (Hg.): Kulturkritisches
Lexikon (Internetveröffentlichung vom 31. Januar 2014). Letzte
Aktualisierung am 4. Juli 2023
Tranquilizer
Tranquilizer sind eine chemisch uneinheitliche Gruppe. Man meint
mit ihnen diejenigen psychiatrischen Psychopharmaka, mit denen Angst-
und Spannungszustände tranquiliert, das heißt beruhigt
werden sollen. Andere Begriffe für Tranquilizer sind »Ataraktika«
(ausgleichende Mittel), »Anxiolytika« (angstlösende
Mittel) und »minor tranquilizers«. Als wesentlicher Unterschied
zu anderen Psychopharmaka, speziell Neuroleptika
(»Antipsychotika«, major tranquilizers), gelten die geringere
Toxizität und das Ausbleiben von Muskelstörungen. Psychiater
verabreichen Tranquilizer auch bei der Diagnose »Schizophrenie«,
dann allerdings in hohen Dosierungen. Zur Gruppe der Tranquilizer
zählt man unter anderem Benzodiazepine (z. B. Lexotanil, Rohypnol,
Tavor, Valium), Diphenylmethan-Derivate (z. B. Atarax) und Nicht-Barbiturat-Tranquilizer
(z. B. Buspar).
Tranquilizer greifen im Zentralnervensystem an, vor allem im Großhirn,
im limbischen System und im Bereich der Formatio reticularis. Durch
die verminderte elektrische Aktivität werden der Einfluss innerer
und äußerer Impulse auf höhere psychische Zentren
geringer, die psychische Verarbeitung der ursprünglichen Probleme
erschwert und unerwünschte psychische und körperliche
Begleiterscheinungen unterdrückt.
Als Indikationen für Tranquilizer gelten niedergedrückte
Stimmung, Angst- und Erregungszustände, psychovegetative Beschwerden,
Schlafstörungen u.v.m. Manche Benzodiazepin-Tranquilizer werden
auch zur Vorbeugung epileptischer Anfälle und zur Sedierung
vor diagnostischen und operativen Eingriffen sowie im Rahmen der
Narkoseeinleitung verwendet.
Tranquilizer bergen ein enormes Abhängigkeitsrisiko. Schon
nach kürzerem Gebrauch können Entzugssymptome auftreten
wie z. B. Zittern, Unruhe, Übelkeit, Erbrechen, Herzklopfen,
Kopfschmerz, Schweißausbrüche, Schwindel, Angstzustände,
Schlafstörungen, Depressionen, Delirien, epileptische Anfälle.
Unter Verweis auf das Suchtpotenzial und Abhängigkeitsrisiko
werden Tranquilizer seit Jahren in abnehmender Menge verabreicht
und verstärkt durch Antidepressiva und Neuroleptika ersetzt;
diese können allerdings ebenso körperlich abhängig
machen, was den Konsumenten jedoch in aller Regel verschwiegen wird.
In der Not, wenn alle Möglichkeiten der Selbsthilfe, naturheilkundlicher
Mittel oder Psychotherapie ausgereizt sind und die Unterbringung
in die Psychiatrie droht, kann die Einnahme von Benzodiazepinen
und Benzodiazepin-ähnlichen Wirkstoffen Sinn machen. Ihr Schadensrisiko
ist geringer als das von Antidepressiva
und Neuroleptika.
Aufgrund ihres Suchtpotenzials sollten Benzodiazepine allerdings
nur vorübergehend eingenommen werden, maximal ca. vier bis sechs
Wochen je kürzer desto besser , und wenn man zwei, drei Tage
schlafen konnte, sollte man besser eine Medikamentenpause machen.
Wegen möglicher Entzugsprobleme sowie zwecks Vermeidung eines sogenannten
Hangovers (»Katers«) sollte man sich zudem auf Präparate mit mittlerer
Halbwertszeit (ca. 8 Stunden) beschränken. Angaben zu Halbwertszeiten finden sich
auf der Website
des European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA).
Literaturempfehlungen zu Tranquilizer-Risiken, unerwünschten
Wirkungen, zum Absetzen und zu Alternativen
Peter Lehmann:
Schöne neue Psychiatrie. Band 1: Wie Chemie und Strom auf Geist
und Psyche wirken. Band 2: Wie Psychopharmaka den Körper verändern
Peter
Lehmann (Hg.): Psychopharmaka absetzen Erfolgreiches Absetzen
von Neuroleptika, Antidepressiva, Phasenprophylaktika, Ritalin und
Tranquilizern
Peter
Lehmann / Craig Newnes (Hg): Psychopharmaka reduzieren und absetzen
Praxiskonzepte für Fachkräfte, Betroffene, Angehörige
Peter Lehmann
/ Peter Stastny (Hg.): Statt Psychiatrie 2
Ernst Pallenbach: Die stille Sucht. Missbrauch und Abhängigkeit
von Arzneimitteln (Tranquilizer: S . 70-108) (Stuttgart: Wissenschaftliche
Verlagsgesellschaft 2009)
Josef Zehentbauer: Ärztliche Begleitung beim Umgang mit Psychopharmaka
und der Suche nach Alternativen, in: Peter
Lehmann / Volkmar Aderhold / Marc Rufer / Josef Zehentbauer: Neue
Antidepressiva, atypische Neuroleptika Risiken, Placebo-Effekte,
Niedrigdosierung und Alternativen, S. 185-197
Josef
Zehentbauer: Chemie für die Seele Psyche, Psychopharmaka
und alternative Heilmethoden
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