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des Antipsychiatrieverlags
Originalpublikation unter dem Titel »Antidepressiva«
in: Wolfram Pfreundschuh (Hg.): Kulturkritisches Lexikon. Online-Ressource
vom 31. Januar 2014 / Letzte Aktualisierung am 18. Januar 2025.
Peter
Lehmann
Kompaktwissen Antidepressiva Wirkungsweise, Indikationen, Risiken, Alternativen
Antidepressiva, auch Thymoleptika genannt, sind Wirkstoffe,
die Depressionen lindern sollen oder das Empfindungsvermögen
dämpfen, eine niedergedrückte Stimmung, innere Erregung
oder Ängste wahrzunehmen. So gelten sie als aktivierende Stimmungsaufheller.
In der Medizin, Psychiatrie inklusive, setzt man seit Mitte der
1950er-Jahre synthetische Antidepressiva ein.
Standardkriterien für die Zuordnung einzelner Psychopharmaka
zu speziellen Wirkstoffgruppen gibt es nicht. In manchen Ländern
werden spezielle Wirkstoffe den Antidepressiva zugeordnet, in anderen
Ländern den Neuroleptika. Die Klassifikation kann sich auf
die pharmakologische Struktur der Substanz beziehen, ihren biochemischen
Wirkmechanismus, ihre Auswirkungen oder die subjektive Intention
des Verabreichers.
Entsprechend ihren chemischen Strukturgemeinsamkeiten teilt man
Antidepressiva in Gruppen auf, hierzu zählen unter anderem
trizyklische Antidepressiva (wie zum Beispiel Amitriptylin,
Doxepin, Opipramol), tetrazyklische Antidepressiva (wie Maprotilin
und Mianserin), MAO-Hemmer (wie Tranylcypromin),
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SRI wie Escitalopram, Fluoxetin
und Paroxetin) oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
(SNRI wie Duloxetin und Venlafaxin).
Lange Zeit hielten Mediziner den veränderten Spiegel der Botenstoffe
(Neurotransmitter) als ausschlaggebend für die Wirkung der
Antidepressiva. Mittlerweile gestehen sie ein, dass diese Annahme
unzureichend und der genaue Wirkmechanismus unbekannt ist. Dass
Antidepressiva primär auf den Hirnstoffwechsel wirken, ist
dagegen unstrittig. Ergebnis ist eine vorübergehende flache
Euphorie oder eine ungesteuerte Aufstachelung der Gefühlslage
(Stimmungsaufhellung). Leiden Menschen massiv unter
ihrer demoralisierenden Lebenssituation, können Antidepressiva
vorübergehend eine subjektive Erleichterung bewirken
sofern die Gefühlsveränderung nicht einen Placebo-Effekt
darstellt oder gar den noch fehlenden Antrieb zur Umsetzung suizidaler
Gedanken liefert. Möglich ist auch, dass sich die Stimmung
überhaupt nicht verbessert. Zur Augmentation (Wirkungsverstärkung)
verabreichen Psychiater dann gerne weitere Psychopharmaka, Elektroschockserien
oder Narkose- und Schmerzmittel wie Esketamin.
Antidepressiva werden eingesetzt bei Diagnosen wie reaktive, neurotische
oder hirnorganische Depression, Angst- oder Zwangssyndrom, Nachtangst,
Panikattacken, Phobien (zum Beispiel Schulangst bei Kindern), chronischer
Schmerzzustand, Bettnässen, vorzeitige Ejakulation, Teilnahmslosigkeit,
Schlaflosigkeit, psychosomatische Störung, funktionelle Organbeschwerden,
Neurose, Schizophrenie, Entzugssymptom bei Medikamenten-, Alkohol-
und Drogenabhängigkeit, Manie. Antidepressiva werden auch in der Tiermedizin verwendet, beispielsweise
für Hunde, die tagsüber alleine sind und ihrem Herrchen oder Frauchen nachtrauern.
Der Münchner Arzt und Psychotherapeut Josef Zehentbauer warnt:
Antidepressiva vermehren oft die innere Unruhe, was dann als sehr
quälend empfunden werde. Antriebssteigerung und Aktivierung
können einen depressiven Menschen zur Selbsttötung bringen
oder dazu treiben, in ihrer Verzweiflung gegen andere gewalttätig
zu werden.
Aufgrund von möglichen Absetz- und Entzugsproblemen sollte
nicht nur die Einnahme, sondern auch der Entschluss zum Absetzen
und dessen Prozess gut durchdacht sein. Hilfe beim selbstbestimmten
Absetzen von Antidepressiva wird in aller Regel nicht gewährt.
Die Schulpsychiatrie streitet das Risiko körperlicher Abhängigkeit
im Interesse der Pharmaindustrie mit rein formellen und recht durchsichtigen
Argumenten ab: es gebe kein psychisches Suchtverlangen (was nie
jemand behauptet hat), also könne keine körperliche Abhängigkeit
entstehen. Als Konsequenz gibt es keine Diagnose der Antidepressiva-Abhängigkeit,
keine Differenzialdiagnose, mit der Entzugserscheinungen von Reboundeffekten
oder vom sogenannten echten Rückfall abgegrenzt werden können,
keine Abrechnungsziffern für Ärzte, keine kompetente Unterstützung
beim Absetzen, keine Reha-Angebote, kaum eine Chance für Schadenersatzklagen,
kein Verständnis für chronische oder zeitversetzt auftretende
Entzugserscheinungen und vor allem keinerlei Warnung vor dem Abhängigkeitsrisiko
vor Beginn der Verabreichung.
Informieren Sie sich gründlich, bevor Sie sich zur Einnahme
überreden lassen oder entschließen. Sind Sie dazu gerade nicht in der Lage, bitten Sie eine vertrauenswürdige Person um Beistand. Insbesondere die
Gefahr der Chronifizierung von Depressionen sollte beachtet werden,
wenn man sich entschließt, Antidepressiva längerfristig
einzunehmen. Wer Klarheit über die Risiken will, muss sich
mit deren Wirkungsweise und Auswirkungen auseinandersetzen, erst
recht, wenn ärztlicherseits das Interesse an einer umfassenden
Aufklärung zu wünschen übrig lässt. Es gilt, das Risiko der Einnahme gegen das Risiko der Nichteinnahme abzuwägen in Einklang mit Ihren Problemen und Optionen.
Antidepressiva können zu bleibenden Rezeptorenveränderungen
im Nervensystem führen, zur Toleranzbildung, Behandlungsresistenz
und körperlichen Abhängigkeit. Längerfristig eingenommene
Antidepressiva erhöhen das Abhängigkeitsrisiko, da sich
das Nervensystem an künstlich veränderte Transmitterspiegel
gewöhnt. Dies kann zu erheblichen Entzugserscheinungen führen,
unter anderem Erschöpfung, Panikattacken, Übellaunigkeit,
Erregtheit, Schlaflosigkeit, Sinnesstörungen wie Lichtblitze
oder elektrische Schläge, Übelkeit, Erbrechen,
Muskel-, Magen- und Darmkrämpfe, Schweißausbrüche,
Schüttelfrost, Herzstolpern, Verschlechterung der ursprünglichen
Depression oder schnellere und stärkere Rückfälle.
Dies kann eine Weiterverabreichung der Antidepressiva nötig
erscheinen lassen nicht wegen einer weiter bestehender Depression,
sondern wegen der Entzugssymptome. Diese können zeitversetzt
auftreten und gelegentlich monatelang oder noch länger anhalten.
Entwickelt sich eine Behandlungsresistenz, gilt diese Psychiatern
als Indikation für die Verabreichung von Elektroschockserien.
Reichen Selbsthilfemaßnahmen nicht aus, gibt es eventuell
Alternativen zu Antidepressiva: Psychotherapie (kognitive Verhaltenstherapie,
systemische Verfahren, tiefenpsychologische Verfahren, Gruppentherapie),
naturheilkundliche oder homöopathische Mittel (zum Beispiel Johanniskraut,
Passionsblume), Aromatherapie, Akupunktur, Lichttherapie, Wachtherapie,
Sport (Joggen, Gymnastik, Schwimmen etc.), Physiotherapie, Biofeedback-Therapien,
Achtsamkeitstraining, Massagen, Spaziergänge, Yoga, Meditation,
autogenes Training, kreative Therapien und Ergotherapie (Tanz-,
Musik-, Kunst- oder Beschäftigungstherapie), spezielle Ernährungsmaßnahmen,
psychosoziale Hilfen und Sozialberatung (zum Beispiel bei Problemen im
Bereich Arbeit, Wohnen, Finanzen).
Literaturempfehlungen zu Antidepressiva-Risiken, unerwünschten
Wirkungen, zum Absetzen und zu Alternativen:
Peter
Lehmann / Craig Newnes (Hg): Psychopharmaka reduzieren und absetzen
Praxiskonzepte für Fachkräfte, Betroffene, Angehörige
Giovanni
A. Fava: Antidepressiva absetzen Anleitung zum personalisierten
Begleiten von Absetzproblemen
Peter
& Sabine Ansari: Unglück auf Rezept Die Antidepressiva-Lüge
und ihre Folgen
Peter
Lehmann / Volkmar Aderhold / Marc Rufer / Josef Zehentbauer: Neue
Antidepressiva, atypische Neuroleptika Risiken, Placebo-Effekte,
Niedrigdosierung und Alternativen
Peter Lehmann:
Schöne neue Psychiatrie. Band 1: Wie Chemie und Strom auf Geist
und Psyche wirken. Band 2: Wie Psychopharmaka den Körper verändern
Peter
Lehmann (Hg.): Psychopharmaka absetzen Erfolgreiches Absetzen
von Neuroleptika, Antidepressiva, Phasenprophylaktika, Ritalin und
Tranquilizern
Peter
Lehmann: Antidepressiva absetzen Massive Entzugsprobleme,
keine professionellen Hilfen
Peter Lehmann
/ Peter Stastny (Hg.): Statt Psychiatrie 2
Peter
Lehmann: Gibt es eine Abhängigkeit von Antidepressiva und Neuroleptika?
Wem nützt welche Antwort? Und was folgt daraus für die
Praxis?
Josef
Zehentbauer: Chemie für die Seele Psyche, Psychopharmaka
und alternative Heilmethoden
Aufklärungsbögen
Antidepressiva
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