FAPI-Nachrichten – Das Internet-Magazin für antipsychiatrische Rezensionen. A – C
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zuletzt aktualisiert am 27. August 2023

Patch Adams / Maureen Mylander: Gesundheit! Bringt auf einzigartige Weise frischen Wind in die Segel Ihrer Gesundheit, ins Gesundheitswesen und unser ganzes Gesellschaftssystem
Wer sich für den US-amerikanischen »Spaßdoktor« interessiert, findet hier alles Wissenswerte. Kartoniert, 256 Seiten, 10 Abbildungen, Oberursel: 12 & 12 Verlag 1997. € 15.29
Peter Lehmann

Valentin Aichele / Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.): Das Menschenrecht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht – Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention
Herausgegeben ist das Buch von Valentin Aichele vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Dieses wurde 2009 damit betraut, die Funktionen einer unabhängigen Monitoring-Stelle gemäß der UN-Menschenrechtskonvention wahrzunehmen und zu kontrollieren, inwieweit Deutschland der Umsetzung seiner menschenrechtlichen Verpflichtungen nachkommt. Die Autorinnen und Autoren des Buches schauen also auf diejenigen menschenrechtlich sensiblen Bereiche, in denen die deutsche Rechtsordnung Menschen mit Behinderungen anders behandelt als nichtbehinderte. Im ersten Kapitel über grundlegende Perspektiven setzen sich Valentin Aichele und Theresia Degener mit der Auslegung des Artikels 12 aus völkerrechtlicher Sicht auseinander. Klaus Lachwitz befasst sich mit der Unterstützung von Menschen mit geistiger Behinderung und prüft, inwieweit dieser Personenkreis rechtlich handlungsfähig ist und wie die Unterstützungsverschaffenspflicht im Detail ausgestaltet ist, wobei er positive Beispiele aus dem Ausland aufzeigt. Wie sich die UN-Konvention auf die rechtliche Handlungsfähigkeit von Kindern mit ihren sich entwickelnden Fähigkeiten auswirkt, zeigt Lothar Krappmann auf. Im Kapitel 2 geht es um die rechtliche Handlungsfähigkeit von Behinderten in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, unter anderem auch in Arbeitsgerichts- und Strafverfahren. Für Psychiatriebetroffene am interessantesten ist sicher Kapitel 3 mit den Beiträgen »Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft nach Artikel 19 UN-BRK als Ausdruck rechtlicher Handlungsfähigkeit« von Minou Banafsche und insbesondere »Menschen in Krisen: Unterbringung und Zwangsbehandlung in der Psychiatrie« von Ralf Marschner, von Beruf Jurist und Diplom-Sozialpädagoge. Verständlich erläutert er die Auswirkungen von Artikel 12 der UN-Behindertenkonvention auf Unterbringung und Zwangsbehandlung und stellt auch den Zusammenhang mit den jüngsten höchstrichterlichen Entscheidungen her, die erstmals die UN-Behindertenkonvention berücksichtigen und das psychiatrische Recht auf gewaltsame Verabreichung von Psychopharmaka stark einschränken. Trotzdem plädiert er dafür, Psychiatern das Recht auf Zwangsbehandlung zu belassen, da ansonsten nach Polizeirecht mit Menschen in emotionalen Krisen verfahren werde. Gleichzeitig schließt er ein psychiatrisches Recht auf Zwangsbehandlung aus für den Fall, dass die Behandlung nicht mit einem vernachlässigbaren Restrisiko irreversibler Gesundheitsschäden verbunden ist. Dieser Widerspruch in der Argumentation und auch die Tatsache, dass der Autor den Tatbestand traumatisierender Gewalterfahrungen vollkommen außer Acht lässt, zeigt, wie wichtig es ist, trotz einer wohlmeinenden Haltung auch erfahrungswissenschaftlich orientierten Vertretern von Betroffenenorganisationen die Möglichkeit zur Artikulation zu geben. Die Gefahr, dass sich die jahrhundertealte Bevormundung von Menschen mit psychiatrischen Diagnosen im Gewand moderner Fürsprache fortsetzt, bedarf ständiger Reflexion darüber, ob die erfahrungswissenschaftlich orientierte Argumentation der weltweit gegen das psychiatrische Recht auf gewaltsame Verabreichung von Psychopharmaka und Elektroschocks vereinten repräsentativen Betroffenenverbände, die maßgeblich an der Entstehung der UN-Behindertenrechtskonvention beteiligt waren, in angemessener Weise aufgegriffen wurden. Weitere Beiträge innerhalb von Kapitel 3 betreffen fremdnützige Forschung und die Einwilligung Betreuender in die Sterilisation geistig Behinderter als Verstoß gegen die UN-Menschenrechtskonvention. Im letzten Kapitel versammeln sich Beiträge, die die Frage angehen, ob das deutsche Betreuungsrecht konventionskonform ist und dem Problem, dass Betreuer noch immer das von ihnen definierte »Wohl der betreuten Person« über deren Wünsche stellen und somit gegen die Wunschbindungsverpflichtung stellen können. Im abschließenden Kapitel 4 stellt Robert Northoff ein Erwachsenenhilfegesetz vor, das wegführt von Betreuung und Psychiatrisierung und hin zu einem System von Rechtsansprüchen auf Förderung von Hilfe und unter anderem eine verstärkte Werbung für Vorsorgevollmachten und – im Endeffekt Geld einsparende – verstärkte soziale Arbeit und Betreuung durch die Kommunen beinhaltet. Fazit: Man merkt den Beiträgen an, dass sich die Autorinnen und Autoren seit langem eingehend mit der Materie auseinandergesetzt haben. Auch wenn man ihre Sichtweise und Argumentation im Einzelnen nicht uneingeschränkt teilen muss, bietet der Sammelband eine fundierte Basis für alle, die sich tiefgreifend mit dem aktuellen Stand der Umsetzung der UN-Behindertenkonvention beschäftigen und versuchen wollen, auch die Stimme von Betroffenen zu Gehör zu bringen, um mitzuhelfen, dem Monolog der Experten ein Ende zu setzen und gemeinsam mit den bereits ernsthaft Engagierten das Undenkbare durchzusetzen: das Menschenrecht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht ohne Wenn und Aber. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 398 Seiten, ISBN 978-3-8329-7153-3. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2013. € 86.–
Peter Lehmann

Miriam Akhtar: Mit Positiver Psychologie aus der Depression. Selbsthilfe-Strategien für Resilienz und mehr Lebensfreude
Die Journalistin Miriam Akhtar, die nach eigenen Angaben selbst einige Jahre lang depressiv war, versteht sich als Vertreterin der Positiven Psychologie, die sich im Gegensatz zur normalen Psychotherapie mit den Stärken des Menschen beschäftige. Tätig als Referentin und Coach, plädiert sie für einen positiven Umgang mit leichten und mittleren Depressionen, Pflegen von Dankbarkeit, Genießen des Moments, Achtsamkeit, Optimismus, Resilienz, positive Beziehungen, Vitalität und neue Wege im Leben. Das kann nicht schaden und ist sicher besser als das Schlucken von Psychopharmaka. Und wenn es hilft, umso besser. Englischsprachige Originalausgabe 2018. Kartoniert, 207 Seiten, ISBN 978-3-432-10800-1. Stuttgart: Trias Verlag im Thieme Verlag 2019. € 17.99
Peter Lehmann

Götz Aly: Die Belasteten – "Euthanasie" 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte
Der Autor, Vater einer behinderten Tochter, bringt mit seinem neuesten Buch eine Arbeit zu Ende, die er 1981 begann, seinerzeit jedoch nicht beendete, da sein Antrag auf ein Habilitationsstipendium von der Deutschen Forschungsgemeinschaft abgelehnt worden war. Bestärkt von vielen Briefen Angehöriger, die mittlerweile nach ihren ermordeten Familienmitgliedern fragen, beschreibt Götz Aly mit großer Präzision, wie die »Euthanasie«-Morde von Verrückten, Behinderten, Arbeitsunfähigen und -unwilligen, Hilfsbedürftigen und anderen Menschen mit störender und unbequemer Lebens- und Sinnesweise während der Zeit des deutschen Faschismus organisiert wurden und wie sie konkret vor sich gingen, sowohl in Deutschland als auch in den überfallenen Gebieten. Thema ist auch die flächendeckende Einführung von Elektroschockapparaten, um Menschen rasch »symptomfrei« machen und nach ihrer Sterilisierung an ihren Arbeitsplatz zurückschicken zu können. Der Autor verwendet dabei viele Dokumente, die von »Euthanasie«-Betroffenen, Überlebenden und Familienangehörigen verfasst wurden. Dabei macht er deutlich, wie wesentlich die Haltung der Familien war: ob sie den Kontakt zu ihren untergebrachten Angehörigen hielten, sich für ihre Belange einsetzten, sie wieder zu sich holen wollten und gegen die befürchtete Ermordung protestierten (was durchaus zur Freilassung der Betroffenen führen konnte), oder ob sie froh waren, von einem als Belastung empfundenen Menschen befreit zu werden. Dankenswerterweise macht Götz Aly Schluss mit der verbreiteten Praxis, die Betroffenen durch die Verwendung von Initialen unkenntlich und zu anonymen Unpersonen zu machen. Folgerichtig plädiert er, in Gedenkstätten die Ermordeten namentlich zu ehren und ihre Lebensdaten in einer allgemein zugänglichen Datenbank zu nennen. Durch die Tatsache, dass der Autor die Betroffenen und nicht mehr die Täter in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt, hebt sich sein Buch deutlich von aller vorangegangenen Literatur zum Thema ab und zeugt von einer neuen, betroffenenzentrierten Qualität. Kein Buch für zarte Gemüter, aber (neben den Büchern von Ernst Klee) die Grundlagenliteratur zum Verständnis der medizinisch-psychiatrischen Massenmorde während des Faschismus und insbesondere der Leiden der psychiatrisch Gequälten und Ermordeten. Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzeinschlag, 348 Seiten, ISBN 978-3-10-000429-1. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2013. € 22.99
Peter Lehmann

Ingvar Ambjörnsen: Blutsbrüder
Der Autor, Sozialarbeiter, beschreibt literarisch aus seiner (professionellen) Sicht den Versuch zweier Psychiatriebetroffener, wieder im bürgerlichen Leben Fuß zu fassen. Wem »Ich hab dir nie einen Rosengarten versprochen« gefiel, wird auch Freude an den »Blutsbrüdern« finden. Nachdem den beiden Männern in der Anstalt (Roman!) offenbar geholfen wurde, haben sie mit ihrem Sozialarbeiter einen hilfsbereiten, unaufdringlichen und allen Problemen gegenüber aufgeschlossenen Helfer, der sie beim Bestehen der sympathisch und leicht ironisch geschilderten Anforderungen des bürgerlichen Lebens unterstützt. Roman. Geb., 256 S., München: Fretz & Wasmuth Verlag 1997. DM 36.90
Peter Lehmann

Michaela Amering / Margit Schmolke: Recovery – Das Ende der Unheilbarkeit
Recovery ist ein relativ neuer Begriff im psychosozialen Bereich, den sowohl psychiatriekritische als auch psychiatrische Kreise breit einsetzen. »Recovery« kann man übersetzen mit Bergung, Besserung, Erholung, Genesung, Gesundung, Rettung oder Wiederfindung. Die positive Konnotation der Hoffnung ist allen Verwendungstypen gemeinsam, kann aber in völlig unterschiedliche Richtungen zielen. Manche meinen mit Recovery die Erholung von einer psychischen Krankheit, das Nachlassen der Symptome oder die Gesundung. Andere denken dabei an die Erholung von unerwünschten Wirkungen der verabreichten Psychopharmaka nach dem Absetzen, die Wiedergewinnung der Freiheit nach Verlassen des psychiatrischen Systems oder die »Rettung aus dem psychiatrischen Sumpf«. Im vorliegenden Buch geht es um Recovery durch psychiatrische Behandlung, rasante Entwicklungen hätten hierzu beitragen. Damit meinen die Autorinnen offenbar atypische Neuroleptika à la Zyprexa, bekannt geworden durch seine Diabetes-auslösende Potenz. Die Autorinnen informieren über viele psychiatrische Recovery-Programme im In- und Ausland, von denen man sonst nie etwas hören würde (leider ohne auf die Frage der Praxisrelevanz einzugehen). Manche Leser werden sich freuen, dass eine Reihe von Publikationen Psychiatriebetroffener aufgelistet werden, dass Forschung und Fortbildung aus der Perspektive Psychiatriebetroffener thematisiert wird und ein Paradigmenwechsel des psychiatrischen Glaubens an die sogenannte Unheilbarkeit von Geisteskrankheiten gefordert wird. Mir allerdings gibt die Ausblendung psychiatriekritischer (antipsychiatrischer) Erfahrungen von Leuten zu denken, die sich wieder erholt haben, indem sie der Psychiatrie den Rücken kehrten. Pat Bracken vom Internationalen Netzwerk für Alternativen und Recovery (INTAR – www.intar.org) schreibt in dem Buch »Statt Psychiatrie 2«: »Die radikalste Folgerung der Recovery-Bewegung (...) besteht in der Feststellung, dass es die Betroffenen sind, die das größte Wissen und die meisten Informationen über Werte, Bedeutungen und Beziehungen besitzen. Im Sinne der Recovery-Bewegung sind sie die wahren Experten.« Man mag es eigentlich nicht mehr lesen, wenn psychiatrisch Tätige sich selbst für die einzig wahren Experten halten. Dass in diesem Weltbild noch nicht einmal INTAR einen Platz hat, ein internationaler Zusammenschluss aller wesentlichen Alternativansätze wie Soteria oder Windhorse, ist traurig. Kartoniert, 302 Seiten, ISBN 978-3-88414-421-3. Bonn: Psychiatrieverlag 2007. € 24.90
Peter Lehmann

Sue Anders: Blühe, wo du gesät bist. Ein Rückblick auf 40 Jahre Psychiatrie-Erfahrung
Die Autorin hat – so der Vorwortschreiber, der Klinikpsychiater Hans-Jürgen Luderer aus der Psychiatrie in Weinsberg, mit Genugtuung – »... es durch lange, leidvolle Erfahrung gelernt, dass sie nur dann ein gutes Leben führen kann, wenn sie die Krankheit und die erforderliche Behandlung akzeptiert und ihr Leben nach dem ausrichtet, was die Krankheit ihr erlaubt.« Diese Sichtweise hat die Autorin (Sue Anders ist ein Pseudonym), die vier Jahrzehnte lang (1973-2013) immer wieder in der Psychiatrie landet bzw. von sich aus dort hingeht, ungebrochen übernommen. Die Autorin versteht sich offenbar als Objekt äußerer Instanzen, die sie bestimmen, sie sozusagen »gesät« haben, wie der Buchtitel präzise vermittelt. Innerhalb dieser gesetzten Grenzen darf sie »blühen«. Sorgfältig dokumentiert sie ihre Lebensgeschichte, auch ihre vielen Psychiatrieaufenthalte beschreibt sie kurz. Diese – wie auch die jeweils vorausgehenden teilweise heftigen emotionalen Probleme – passieren für sie immer wie aus heiterem Himmel. In der Psychiatrie erhält sie über Jahrzehnte die jeweils neuesten Psychopharmaka, von Dapotum über Haldol bis Zyprexa. Auch wenn sie diese durchaus nicht immer mit Begeisterung schluckt, wird sie dennoch (oder trotzdem) immer wieder rückfällig. Vollkommen unkritisch, wie ich das bei Psychiatriebetroffenen noch nirgendwo erlebt habe, und ohne Spur jedweder Reflexion fügt sie die psychiatrischen Entlassberichte in die dreizehn Kapitel ein, in die sie ihre Lebensgeschichte untergliedert hat. Sie scheint sich komplett mit der psychiatrischen Bewertung ihres Lebens zu identifizieren. Aber offenbar ist sie eine so unverwüstliche Frau, dass sie trotz ihrer schicksalsergebenen Haltung, trotz ihrer langen Leidensgeschichte, trotz vieler Schicksalsschläge im Leben, zu der auch eine schwere Krebserkrankung gehört, und trotz der Vielzahl der ihr verordneten toxischen Psychopharmaka ihre Lebenskraft noch nicht verloren und nun in Eigenregie dieses Buch publiziert hat. Das nötigt Respekt ab. Erwähnt sein soll auch, dass sie es – im Gegensatz zu vielen anderen Psychiatriebetroffenen – unterlässt, anderen Ratschläge zu geben, ihre Probleme auf dieselbe Art verstehen und lösen zu wollen. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 304 Seiten, illustriert mit 8 farbigen Bildern von Karin Vollert, ISBN 978-3-943280-01-2. Wiernsheim: Druckfrey Verlag 2015. € 19.90
Peter Lehmann

Linda Andre: Doctors of deception—What they don't want you to know about shock treatment
Review in Journal of Critical Psychology, Counselling and Psychotherapy , Vol. 9 (2009), No. 4, pp. 231-232 and in Advocacy Update – The latest in activism and community news from ENUSP, Vol. 1 (2010), No. 1, pp. 24-25; Greek translation in Advocacy Update (Greek edition), Vol. 1 (2010), No. 1, pp. 19-20. Hardcover, XI + 361 pp., Piscataway, NJ (USA): Rutgers University Press 2009. € 20.99
Peter Lehmann

Christophe André: Alles über Angst – Wie Ängste entstehen und wie man sie überwinden kann
Der Autor, ein Pariser Psychotherapeut und Psychiater, plädiert darauf, die Ursachen von Ängsten aufzudecken, gleichzeitig jedoch sich täglich darum zu bemühen, die Angstsymptome unabhängig von den Ursachen zu beherrschen. Sorgfältig bearbeitet er in einzelnen Kapiteln die Fragen, was normale Ängste von sogenannten pathologischen Ängsten unterscheidet, woher Ängste und Phobien kommen, wie ihr Mechanismus abläuft, wie man am besten beginnt, der Angst entgegenzutreten. Es folgen Vorzüge der kognitiven Verhaltenstherapie, mit der sich indirekt, aber dennoch wirksam auf das den Gedanken und Gefühlen zugrunde liegende Nervensystem einwirken und so eine emotionale Aktivierung und der Einsatz neuer synaptischer Verknüpfungen hervorrufen lasse. In einem weiteren Kapitel werden alle möglichen speziellen Ängste vorgestellt: Ängste vor Tieren, Flugangst, Schüchternheit, Lampenfieber, die Angst rot zu werden. Es folgt ein Kapitel über Angstattacken, Panikanfälle und Agoraphobie incl. Erste-Hilfe-Maßnahmen, um sich nicht selbst verrückt zu machen, und zuletzt folgt ein Kapitel zu Ängsten, die der Autor eher als selten betrachtet, beispielsweise Angst vor Inkontinenz, Angst vor sexuellen Beziehungen und sexuellem Versagen, Angst vor dem Tod. Das Buch ist geeignet für alle, die sich einen Überblick über die Vielfalt von Ängsten und psychotherapeutisches Herangehen verschaffen wollen und die daran Gefallen haben, dass der Autor, ein Psychiater, seine mit dem Zeitgeist der Neurobiopsychologie kompatiblen Ausführungen mit einer Vielzahl von Beispielen aus der Geschichte und Belletristik sowie »Fall«-Geschichten illustriert, ohne dass letztere je als Subjekte selbst zu Wort kommen. Gebunden mit Schutzumschlag, 299 Seiten, ISBN 978-3-7831-3262-5. Stuttgart: Kreuz Verlag 2009. € 19.95
Peter Lehmann

Marcia Angell: Der Pharma-Bluff – Wie innovativ die Pillenindustrie wirklich ist
Kritisches und lesenswertes Buch zu – problemlos auf den deutschsprachigen Raum übertragbaren – üblichen und üblen Marketingstrategien für Medikamente und psychiatrische Psychopharmaka. Über Arzneimittelprüfungen an Freiwilligen, das Missverhältnis zwischen Ausgaben für Forschung und Werbung sowie gefälschte Zahlen, Scheininnovationen, Abzocke der Steuerzahler, Einseitigkeit bei Publikationen oder Unterdrückung unangenehmer Erkenntnisse, Bestechung, direkte Verbraucherwerbung, als Fortbildung, Forschung und Aufklärung getarntes Marketing, Fachtagungen als Werbemaßnahmen, Dichtung und Wahrheit bei klinischen Prüfungen. Ein Glossar hilft beim Verständnis der amerikanischen Begriffe, Verbände und Verordnungen. Das Buch handelt auch von psychiatrischen Psychopharmaka (u.a. dem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Paxil [Wirkstoff Paroxetin, hierzulande im Handel als Allenopar, Aroxetin, Deroxat, Ennos, Euplix, Oxet, ParoLich, Paroxat, paroxedura, Paroxetin, Seroxat, Tagonis], und Prozac [Wirkstoff Fluoxetin, hierzulande im Handel als Felicium, Flox-ex, Fluctin, Fluctine, Fluneurin, Fluocim, Fluox, fluox-basan, FluoxeLich, Fluoxemerck, Fluoxe-Q, Fluoxetin, Fluoxgamma, Fluoxibene, Fluoxifar, FluoxiStad, Fluoxityrol, Flusol, Flux, Fluxet, Fluxil, FluxoMed, Fysionorm, Mutan, Mutin, Positivum, Prozac], sowie dem auch aus psychiatrischen Überlegungen heraus verwendeten Antiepileptikum Neurontin [Wirkstoff Gabapentin). Der Verlag schreibt zwar, die deutschen Markennamen würden nichts zum besseren Verständnis der geschilderten Sachverhalte beitragen, aber wenn schon einzelne amerikanische Markennnamen genannt werden, möchte man doch gerne wissen, wovon die Autorin konkret spricht. Aus diesem Grund habe ich die aktuellen (Stand: Juli 2005) Markennamen im deutschsprachigen Raum hier aufgelistet. Übersetzung aus dem Amerikanischen, Originalausgabe 2004. Gebunden, 288 Seiten, ISBN 3-9806621-9-5. Bonn / Bad Homburg: KomPart VerlagsGmbH 2005. € 24.80
Peter Lehmann

Peter Ansari / Sabine Ansari: Unglück auf Rezept – Die Antidepressiva-Lüge und ihre Folgen
Zusammen mit seiner Ehefrau Sabine Ansari, einer Heilpraktikerin, hat der Humanbiologie Peter Ansari ein wichtiges Buch über Antidepressiva geschrieben. Zehn Jahre hat er über Depressionen geforscht. Jetzt betreiben beide im niedersächsischen Coppenbrügge eine Gemeinschaftspraxis, wo auch Menschen mit psychiatrischen Diagnosen betreut werden. In sechs Kapiteln schreiben die Ansaris über die ungehemmte Verbreitung dieser Substanzen, ihre gelegentlich suizidfördernde Wirkung und über die Qualen, die beim Absetzen auftreten können. Im zweiten Kapitel geht es um die nach wie vor unbekannten biochemischen Vorgänge, die mit Depressionen einhergehen, um den Placebo-Effekt von Antidepressiva und die gerne verschwiegenen unerwünschten Wirkungen. Kapitel 3 handelt betrügerische Bewerbung von Antidepressiva und Milliardenstrafen für aufgeflogene Herstellerfirmen ab, Kapitel 4 die Lüge vom niedrigen Serotoninspiegel als Ursache von Depressionen. Im fünften Kapitel betrachten die Ansaris die verquere Geschichte der Antidepressiva seit den 1950er-Jahren, und im Schlusskapitel geht es um wirksame, "alternative" Behandlungsmöglichkeiten. Das Buch ist übersichtlich, die Ausführungen sind auch für medizinische Laien problemlos zu verstehen: also ein uneingeschränkt empfehlenswertes Buch für alle, die sich einen Überblick über das Geschäft mit den Antidepressiva (einschließlich den neueren Antidepressiva), deren Wirkungen und Risiken verschaffen wollen. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 300 Seiten, ISBN 978-3-608-98060-8. Stuttgart: Klett-Cotta 2016. € 16.95
Peter Lehmann

Rainer Appell (Hg.): Homöopathie, Psychotherapie und Psychiatrie. Hahnemanns weiterwirkender Impuls
Sammlung von kritischen (und z.T. homöopathische Grundkenntnisse voraussetzenden) Referaten der internationalen Hainsteintagung von 1992. Wer sich für eine humane und verstehende Psychotherapie interessiert, findet bei Samuel Hahnemann, dem Begründer der Homöopathie, die Vorwegnahme ihrer wesentlichen Elemente (Ganzheit, Gewaltlosigkeit, Verstehen). Hahnemanns Erfahrungen, so im Buch nachzulesen, seien heute von unverminderter Aktualität, da sie helfen könnten, dem in der modernen Psychiatrie oft zum Schweigen verurteilten Menschen seine Sprache wiederzugeben und ihm Gehör zu verschaffen. Das klingt gut, wird auch durch Fallbeispiele beschrieben, die zeigen, wie homöopathische Mittel Veränderungsprozesse bei Menschen einleiten, die – durch welche Umstände auch immer – in Sackgassen ihrer Entwicklung gelangt sind. Man darf gespannt sein, wie sich diese Menschen zu den Berichten äußern, wenn sie die Gelegenheit haben, schriftlich Stellung zu nehmen, denn letztlich können es nur die homöopathisch Behandelten selbst sein, die optimistische Behandlungsberichte anderer bewerten. Geb., 231 S., 31 Abb., Heidelberg: K.F. Haug Verlag 1993. DM 68.–
Peter Lehmann

Tony Attwood: Leben mit dem Asperger-Syndrom. Von Kindheit bis Erwachsensein – alles was weiterhilft
Der Autor, klinischer Psychologe in Australien, laut Verlagswerbung einer der weltweit bekanntesten Asperger-Experten, hat ein Ratgeberbuch geschrieben für Menschen mit der Diagnose "Asperger-Syndrom", das jetzt in der 3. Auflage erschienen ist. Original wurde es 2007 in englischer Sprache publiziert. Es soll die Logik und Perspektive von Menschen mit Asperger-Syndrom erklären. Dazu erklärt er, was unter einem Asperger-Syndrom zu verstehen ist, wie die Diagnose zu stellen ist, wie eine vom Verstehen geprägte Kommunikation mit den sprachlichen Besonderheiten der Betroffenen herzustellen ist, weshalb für sie das Versenken in Spezialgebiete entspannend ist, wie sich ihre gelegentlich gestörte Bewegungsfähigkeit verbessern lässt und wie sie es lernen können, mit starken und oft zu vielen Reizen klarzukommen. Schule, Ausbildung, Beruf, Beziehungen auch langfristiger Art und Psychotherapie beschließen das mit vielen Zitaten Betroffener wie auch Hans Asperger versehene Buch. Etwas merkwürdig ist der Verweis auf "Hinweise" wonach geringe Mengen von Psychopharmaka Erwachsenen mit Asperger-Syndrom geholfen hätten. Die "Hinweise" beziehen sich auf gerade mal eine Studie mit dem Neuroleptikum Risperdal. Laut Herstellerinformation führt Risperdal sehr häufig zu Schläfrigkeit, Parkinsonismus, häufig zu Depressionen, Agitiertheit, gelegentlich zu Aufmerksamkeitsstörungen etc. Allerdings benennt der Autor auch negative Bewertungen von Neuroleptika, wonach diese nicht das innere Erleben der Betroffenen verändern, sondern lediglich die Energie einschränken, Gefühle wie beispielsweise Wut auszudrücken. Kartoniert, 448 Seiten, ISBN 978-3-432-10979-4. Stuttgart: Trias Verlag in Georg Thieme Verlag KG, 3. Auflage 2019. € 29.99
Peter Lehmann

Kurt Marc Bachmann / Wolfgang Böker (Hg.): Sexueller Missbrauch in Psychotherapie und Psychiatrie
Ergebnis einer Tagung vom November 1991 in Bern, herausgegeben von zwei Psychiatern. 5 PsychiaterInnen, 6 PsychologInnen, eine Sozialwissenschaftlerin und eine Juristin geben Definitionen, Literatur und aktuelle Zahlen wieder, stellen den Täterprofilen und -argumenten die erheblichen Folgeschäden der betroffenen (meist) Frauen gegenüber und äußern sich zu Prophylaxe und Sanktionen auf der einen und zu Anlaufstellen und Folgetherapien auf der anderen Seite. Besonders aufschlussreich fand ich den Artikel über sexuellen Missbrauch in der Psychiatrie. Nach einer anonymen Befragung an zwei Schweizer Anstalten gaben vom ›Pflegepersonal‹ 16,8% der Männer und 10,5% der Frauen (!) sexuelle Kontakte zu InsassInnen an. Ein nüchternes, klares, informatives Buch, wissenschaftlich, aber gut zu lesen. Kart., 168 S., Bern: Huber Verlag 1994. DM 39.80
Kerstin Kempker

Meinolf Bachmann / Andrada El-Akhras: Lust auf Abstinenz – Ein Therapiemanual bei Alkohol-, Medikamenten- und Drogenabhängigkeit
Das Arbeitsheft beinhaltet Aufgabenmaterialien und Informationen rund um die Psychotherapie substanzgebundener Abhängigkeitserkrankungen für die Begleitung beim Entzug mit den Schwerpunkten Beziehungen und soziale Kompetenzen, Gefühle, Geld, Rückfallverhütung und Alternativen zum Suchtverhalten. Das übersichtlich gegliederte Manual beinhaltet auch Material für die Patientenmaterial und behandelt Themen wie Wege aus der Sucht, Aufbau von Krankheitseinsicht, besserer Umgang mit Gefühlen, Verminderung des Rückfallrisikos speziell in der ersten Zeit nach der Therapie oder optimale Gestaltung von Selbsthilfegruppen. Leider beziehen Bachmann und El-Akhras in ihrem Arbeitsheft nur Menschen ein, die süchtig nach Alkohol, Schlafmittel und Benzodiazepinen bzw. von ihnen abhängig sind; Abhängigkeit von Antidepressiva und Neuroleptika scheint es für sie nicht zu geben. Insofern eignet sich das Buch nur bedingt für Psychiatriebetroffene, die Hilfe wollen beim Absetzen von Antidepressiva und Neuroleptika. Reflexion von Gefühlen und sozialen Beziehungen, Rückfallverhütung und nichtpsychopharmakologische Wege, ansonsten zur Wiedereinnahme psychiatrischer Psychopharmaka führende Konflikte zu lösen, kann man aber durchaus aus diesem Handbuch ebenso übernehmen wie alle anderen vernünftigen Vorschläge, Lust auf ein Leben ohne persönlichkeitsverändernde Substanzen zu entwickeln. Kartoniert, VIII + 179 Seiten, ISBN 978-3-540-89225-0. Berlin: Springer Verlag 2009. € 39.95
Peter Lehmann

Kurt Bader / Christian Elster / Hartwig Hansen / Birte Ludewig / Forschungsprojekt Lebenswelten: Zu Hause sein im Fragen – Ein ungewöhnlicher Forschungsbericht
Ein sehr lebendiger, offener und mit schönen farbigen Abbildungen der Beteiligten und diverser Tätigkeiten illustrierter Bericht von einem gemeinsam getragenen Forschungsprojekt zur Verbesserung der Lebensqualität. Erfahrungen mit Selbsthilfegruppen, mit ambulanten und stationären Angeboten und Praktiken der Psychiatrie. Interessant für alle, die sich mit dem aktuellen Thema der nutzerkontrollierten Forschung bzw. Forschung unter aktiver Einbeziehung von Betroffenen beschäftigen. Herausgegeben vom Forschungsprojekt Lebenswelten. Kartoniert, 202 Seiten, farbige Abbildungen, ISBN 3-926200-68-5. Neumünster: Paranus Verlag Die Brücke 2006. € 19.–
Peter Lehmann

Claudine Badey-Rodriguez / Rietje Vonk: Wenn alte Eltern schwierig werden – Für einen entspannten Umgang miteinander
Lockerer, leicht und schnell lesbarer Ratgeber, geeignet für Leute, die sich noch nicht Gedanken gemacht haben und sich plötzlich verändert verhaltenden Eltern gegenüberstehen. Eigentlich eher ein Psycho-Ratgeber im Umgang oder zur Abgrenzung, mangelt es dem Buch an einer reflektierten Position hinsichtlich körperlichen Veränderungen bei den Eltern, die ja in der Regel mit psychischen beim Älterwerden einhergehen. Speziell wenn es dann um Depressionen geht, die körperlich bedingt sein können, z.B. als psychische Komponente der Parkinsonerkrankung oder als Folge eines Schlaganfalls, ist der Verweis, mit dem Arzt zu reden, etwas dürftig, und angesichts dessen Hang zu synthetischen Psychopharmaka (oder gar Elektroschocks, wenn es zur Anstaltseinweisung kommt und die Depressionen zunehmen und sich verstärken), etwas fahrlässig. Kartoniert, 127 Seiten, ISBN 978-3-491-40103-7. Düsseldorf: Patmos Verlag 2007. € 14.90
Peter Lehmann

Argeo Bämayr: Psychische Gewalt im Berufs- und Privatleben – Ursache des Anstiegs von Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung aufgrund psychischer Erkrankungen
Argeo Bämayr arbeitete bis 2008 als niedergelassener Nervenarzt und Psychotherapeut in Coburg mit der Schwerpunktbehandlung von Mobbing-Opfern, jetzt ist er im Ruhestand und kann sich offenbar voll dem Verfassen von Büchern widmen. Aus seiner Erfahrung plus wissenschaftlicher Einsicht kommt er nun zum Ergebnis, dass die immer rigoroser durchgesetzte psychische Gewalt in unserer Gesellschaft ursächlich für den Anstieg von Arbeitsunfähigkeit und vorzeitigen Berentungen ist. Als psychische Gewalt versteht Bämayr – in Anlehnung an die Dublin-Studie der europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen – die absichtliche Anwendung von Macht gegen andere, aus der eine Schädigung in der körperlichen, geistigen, seelischen, moralischen oder sozialen Entwicklung resultieren kann.
Seine Aussagen belegt der Autor mit Fakten. Psychiatrische Diagnostik (z.B. Kategorie F43 des ICD-10 "Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen") greife viel zu kurz, da sie die Relevanz der Gewaltproblematik für die Entstehung der vielfältigen körperlichen, zentralnervösen und psychischen Symptomen der Patientinnen und Patienten nicht erkennen könne. Bämayr nennt die Ursachen beim Namen: unüberschaubare Überreglementierung, damit einhergehende Bevormundung, strikte Unterordnung im Arbeitsleben, Klima der Kälte, Unsicherheit und Angst. All das mache die Menschen krank, speziell diejenigen ohne Vermögen. Detailliert listet er strukturelle Gewaltelemente in staatlichen Funktionsbereichen auf, im Arbeitsleben und im medizinischen Bereich (unter den auch Ärzte und medizinisches Personal leiden bzw. wodurch sich diese zu unethischem Verhalten gezwungen sehen). Krankengeldfallmanager, psychiatrisch/psychologische Zwangsbegutachtungen, Mobbing in all seinen Varianten, häusliche Gewalt, unbrauchbare Diagnostik.... das sind die Themen, mit denen sich der Autor kenntnisreich und detailliert auseinandersetzt.
Mit neuen Diagnosen wie "Mobbingsyndrom" oder "Häusliches Gewaltsyndrom" deutet er Lösungswege an, wie die Folgen zunehmender psychischer Gewalt wenigstens korrekt diagnostiziert werden könnten. Für eine Neuauflage wäre wünschenswert, dass er den aufgelisteten, dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) vorgeschlagenen neuen Diagnosen noch F43.33 "Psychiatrisches Gewaltsyndrom" hinzufügt. Ebenso, dass er die Verbindung gestiegener Arbeitsunfähigkeit und vorzeitiger Berentungen sowie ständig steigender Sozialausgaben mit der chronifizierenden Wirkung von Antidepressiva und Neuroleptika, Toleranzbildung und Behandlungsresistenz überprüft. Dank seiner überzeugenden und faktenreichen Arbeitsweise, die auch dem vorliegenden Buch zugrunde liegt, wäre Argeo Bämayr mit Sicherheit ein hervorragender Verfasser und Begründer einer solchen gerade für Psychiatriebetroffene wichtigen Diagnose.
Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden, 107 Seiten, 14 Tabellen, ISBN 978-3-86515-075-2. Bochum: Europäischer Universitätsverlag 2018. € 19.–
Peter Lehmann

Argeo Bämayr: Das psychiatrische Gutachten – Eine subjektive unwissenschaftliche Werteinschätzung auf dem Prüfstand der Menschenrechte
Argeo Bämayr arbeitete bis 2008 als niedergelassener Nervenarzt und Psychotherapeut in Coburg. Jetzt ist er im Ruhestand und kann sich voll dem Verfassen wissenschaftlicher Bücher widmen. »Das psychiatrische Gutachten« ist das Ergebnis seiner langjährigen Erfahrungen als Arzt, der offenbar voll auf Seiten seiner Patientinnen und Patienten steht. Psychiatrische Gutachten (über medizinische und wirtschaftliche Versorgung bei Arbeitsunfähigkeit, Frührente, Rehabilitation, Behinderung, Pflege, Arbeitslosigkeit, Betreuung, Sorgerecht, gerichtliche Unterbringung usw.), die seit Jahrzehnten in allen Lebensbereichen massiv überhand nehmen, seien durch und durch subjektiv geprägt, unwissenschaftlich und spekulativ, letztlich nur an den Interessen von Krankenkassen und sonstigen Leistungserbringern orientiert. Und diese hätten hauptsächlich ein Ziel: sich vor fälligen Leistungen zu drücken. Mustergültig und anhand von Beispielen zeigt Bämayr, mit welch perfiden Methoden und aufgrund welch schwammiger Rechtslage die Betroffenen genötigt werden, »freiwillig« ihre Zustimmung zur Begutachtung zu geben, wie die Gutachter sich das Vertrauen der Begutachteten erschleichen und welche gesundheitlichen, psychischen und sozialen Folgen der »Seelenstriptease« mit sich bringen kann. Bämayrs Resümee: Bei Eintritt des Versicherungsfalls werde jeder Versicherungsnehmer grundsätzlich zum Gegner der Versicherungsgesellschaft (oder anderer Leistungserbringer): »Jeder von einer Versicherungsgesellschaft beauftragte psychiatrische Gutachter dient dabei primär nicht dem psychisch Kranken, sondern vorrangig seinem Auftraggeber.« Einzig der engagierte behandelnde Arzt oder Psychotherapeut sei in der Lage, ein korrektes Gutachten zu erstellen. Zuletzt zeigt Bämayr, wie man sich als Betroffene/r gegen die willkürliche und intensive Datenabsaugung durch psychiatrische Gutachter wehren könne. Er hat ein Musterschreiben an den Gutachter entworfen – mit der Einforderung von schriftlichen Informationen zu Risiken der Begutachtung, zu Informationen über den Auftraggeber, zur Qualifikation des Gutachters, zur Rechtsgrundlage der Begutachtung und zur eventuellen Begründung von Einwänden gegen eine als Schutz mitgebrachte Begleitperson. Fazit: Ein längst überfälliges Buch, hoch empfehlenswert für alle, die sich mit psychiatrischer Begutachtung herumschlagen müssen, egal ob Betroffene, Ärzte, Therapeuten oder Angehörige. Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden, 406 Seiten, 12 Tabellen, ISBN 978-3-86515-240-4. Bochum: Europäischer Universitätsverlag 2016. € 39.–
Peter Lehmann

Argeo Bämayr: Das Mobbingsyndrom – Diagnostik, Therapie und Begutachtung im Kontext zur in Deutschland ubiquitär praktizierten psychischen Gewalt
Im Gegensatz zu Frankreich oder Schweden ist Mobbing in Deutschland nicht strafbar, obwohl – oder weil? – ubiquitär, das heißt überall praktiziert. Mobbing, so der Autor, »liegt vor, wenn im Rahmen einer Täter-Opfer-Konstellation innerhalb einer sozialen Gemeinschaft oder einem Abhängigkeitsverhältnis Täter mittels einer individuell praktizierten psychischen und/oder körperlichen Gewalt systematisch und willkürlich die Persönlichkeitsrechte eines Opfers so verletzen, dass das Opfer, psychosozial destabilisiert, einen zunehmenden gesundheitlichen und sozialen Schaden erleidet.« Die Opfer werden meist alleingelassen. Reagieren sie mit Krankheitssymptomen auf die ihnen widerfahrene psychische Gewalt in Form von Mobbing, gibt es weder eine Krankheitsdiagnose für diesen Symptomenkomplex noch angemessene psychotherapeutische und parteiliche Hilfen. Durch Unverständnis und Willkürakte der Obrigkeit und von Krankenkassen, die im Krankheitsfall zum Feind der Betroffenen werden, sowie Jobcentern und Arbeitsgerichte, die – ebenfalls machtorientiert und ebenfalls mit Anspruch auf absolute Deutungshoheit – meist im Sinne machtausübender Mobber agieren, wird das Leid der Gemobbten meist potenziert und chronifiziert, wenn sie nicht gar in den Suizid getrieben werden.
Gegen dieses Unrecht schreibt Argeo Bämayr an. Bis 2008 arbeitete er als niedergelassener Nervenarzt und Psychotherapeut in Coburg mit der Schwerpunktbehandlung von Mobbingopfern. Er beschreibt die psychische Gewalt in Form von Mobbing und entwickelt eine sinnvolle Diagnostik für dessen gesundheitliche Folgen, die die verschiedenen Phasen des Leidensprozesses in differenzierter Weise erfasst und dadurch ein vereinheitlichtes Vorgehen für Therapeuten, Gutachter und die Justiz erlaubt. Gleichzeitig zeigt er Fehl- und Differentialdiagnosen auf, um den Blick auf die Symptomatik zu schärfen.
Anschließend legt er die Fallstricke bloß, die Krankenkassen und ihre Krankengeldfallmanager auslegen, um Mobbingopfer um ihren Anspruch auf Krankengeld und eine angemessene Therapie zu bringen, wodurch der Mobbingprozess noch verschärft wird, bis die Betroffenen zu Hartz-IV-Empfängern, Frührentnern und (häufig) Psychiatriepatienten werden und demoralisiert aufgeben.
Als Therapie nötig, so Bämayr, sei eine – durch geltende Psychotherapierichtlinien jedoch untersagte – Kombination aus nicht-dirigistischer Verhaltenstherapie mit bedarfsweiser Einflechtung tiefenpsychologischer Verfahrenstechniken in Verbindung mit einer in der Psychotherapie unüblichen parteilichen Unterstützung. Und er beschreibt, wie sie sich zur Wehr gegen die strukturelle Gewalt von Krankenkassen setzen können und wie eine Begutachtung mobbingbedingter Krankheiten nach Einführung der Diagnose »Mobbingsyndrom« eine Vielzahl der rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Gemobbten und Sozialversicherungsträgern reduzieren würde.
Ein hoch empfehlenswertes, logisch aufgebautes und leicht verstehbares Buch für Betroffene, Ärzte, Therapeuten und Richter mit dem Appell, psychische Gewalt genauso wie körperliche Gewalt zu sanktionieren und den Opfern therapeutische Hilfe und juristische Unterstützung beim Widerstand gegen Mobbing bzw. Entschädigung bei erlittener psychischer Gewalt in Form von Mobbing zukommen zu lassen. Bämayrs Aussagen lassen sich übrigens leicht übertragen auf Mobbing, das offenbar auch in Vereinen von Psychiatriebetroffenen wie beispielsweise dem Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener stattfindet.
Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden, 282 Seiten, 9 Tabellen, ISBN 978-3-89966-514-7. Bochum: Europäischer Universitätsverlag / Bochumer Universitätsverlag 2012. € 29.–
Peter Lehmann

Lee Baer: Der Kobold im Kopf. Die Zähmung der Zwangsgedanken
Lee Baer, Psychologe am Behandlungszentrum für Menschen mit Zwangsstörungen am General Hospital von Boston und mittlerweile am McLean Hospital Leiter einer Gesprächsgruppe für Menschen, die unter negativen Gedanken leiden, beschreibt und kategorisiert anhand von Fallbeispielen Zwangsgedanken, die als Mordgedanken, Fantasien von Missbrauch und Vergewaltigung sowie blasphemische Sätze auftauchen können, um dann die Ursachen ihres Auftretens zu untersuchen und wirksame kognitiv-psychotherapeutische Wege zu beschreiben. Zuletzt kommt er auf die Grenzen psychotherapeutischer Interventionen und Selbsthilfe zu sprechen und empfiehlt vor allem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, ohne aber vor Abhängigkeitsproblemen und vor allem der Gefahr suizidaler und homozidaler Risiken zu warnen, was dem Buch einen negativen Beigeschmack verleiht. Kartoniert, 183 Seiten, 978-3-456-84949-2. Bern: Verlag Hans Huber. 3., unveränderte Neuauflage 2011. € 19.95
Peter Lehmann

Tim Bärsch / Marian Rohde: Kommunikative Deeskalation. Praxisleitfaden zum Umgang mit aggressiven Personen im privaten und beruflichen Bereich
Buch mit vielen Vorschlägen zum Umgang mit aggressiven Personen von Marian Rohde, Kommunikationstrainer und Leiter einer geschlossenen psychiatrischen Station, und Tim Bärsch, Deeskalationslehrtrainer für die Gewalt-Akademie Villgst. Die beiden Autoren empfehlen beispielsweise aktives Zuhören, den Gegenüber ausreden lassen, Gesprächspausen ertragen, nachfragen, Blickkontakt halten. Ihre Ratschläge gelten auch für Patientinnen und Patienten, die von psychiatrischer Gewalt bedroht sind, sowie für sie unterstützende Angehörige und Freunde oder für Mitglieder von Besuchskommissionen. Wer wissen will, welche Maßnahmen sinnvoll sind, um sich von psychiatrisch Tätigen nicht provozieren zu lassen (zum Beispiel, wenn man vermeiden will, dass wehrlose Zwangsuntergebrachte hinterher den Schlamassel ausbaden müssen), dem sei dieses Buch empfohlen. Natürlich gilt die Empfehlung auch für Menschen, die aus anderen Anlässen mit aggressiven Personen zu tun haben, zum Beispiel innerhalb normaler Familien, im Selbsthilfebereich, in alternativen Einrichtungen, in Vereinen........ Kartoniert, 144 Seiten, ISBN 978-3-8423-4164-7. Norderstedt: Books on Demand GmbH, 4. Auflage 2013. € 9.99
Peter Lehmann

Martin Baierl: Herausforderung Alltag – Praxishandbuch für die pädagogische Arbeit mit psychisch gestörten Jugendlichen
Dieses Buch richtet sich in erster Linie an alle mit Erziehungsaufgaben betrauten professionellen Helferinnen und Helfer, unabhängig von deren Ausbildung oder Arbeitsauftrag, und vermittelt ihnen ungebrochen das psychiatrische Mainstream-Wissen. Die Leser werden vertraut gemacht mit der (schubladenhaften) Diagnostik verschiedener psychischer Probleme und vor allen Dingen mit psychiatrischen Interventionsmöglichkeiten. Es ist nicht erkennbar, dass die Risiken und unerwünschten Wirkungen psychiatrischer Psychopharmaka für den Autor eine Rolle spielen; Entscheidungen über deren Einsatz sowie die davor liegende Diagnosenstellung sollen grundsätzlich dem »erfahrenen« Kinder- und Jugendpsychiater überlassen bleiben. Positiv gesehen, kann das Buch als Nachschlagewerk für Personen dienen, die wissen sollen, welchen Ideologien und Unterwerfungsmustern systemkonforme Menschen folgen, die mit Jugendlichen arbeiten, die als psychisch gestört gelten. Und für Personen, die nachlesen wollen, wie einfach es gemacht werden soll, die Verantwortung für wesentliche Entscheidungen im pädagogischen Bereich an Psychiater zu delegieren. Gebunden, 448 Seiten, 54 Tabellen, ISBN 978-3-525-49134-8, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2. Auflage 2010. € 39.90
Peter Lehmann

Borwin Bandelow / Stefan Bleich / Stefan Kropp: Handbuch Psychopharmaka
Bandelow, Bleich und Kropp, drei leitende Psychiater, haben ein ausgesprochen übersichtliches Buch über alle möglichen Arten von Psychopharmaka geschrieben, zudem auch Elektroschocks, Transkranielle Magnetstimulation und Lichttherapie abgehandelt. Dargestellt werden alle Substanzklassen von Psychopharmaka: Antidepressiva, Neuroleptika, Antiparkinsonmittel, Tranquilizer, Phasenprophylaktika, Psychostimulanzien, Antidementiva, triebdämpfende Substanzen, illegale Drogen, Mittel zur Raucherentwöhnung und Suchtbehandlung, pflanzenheilkundliche Substanzen und sonstige wie beispielsweise Hormone. Je nach Substanzklasse erfolgt eine Unterteilung in Untergruppen oder Substanzen, die keinen spezifischen Gruppen zuzuordnen sind. Zu den einzelnen Klassen, Gruppen und Substanzen gibt es Informationen über die angestrebte Wirkungsweise, Markennamen, Indikationen, Pharmakologie, Dosierungsempfehlung, Abbau der Substanzen im Organismus, Art und Dauer der Anwendung, sogenannte Nebenwirkungen (aufgesplittet nach den einzelnen Bereichen von Körper und Psyche), Absetzphänomene, Kontraindikationen, Anwendungsbeschränkungen, Überdosierung, Besonderheiten bei der Verabreichung an Kinder, Jugendliche und ältere Menschen, Wechselwirkungen etc. Eine Fundgrube für alle, die sich näher mit psychiatrischen Psychopharmaka beschäftigen. Gelegentlich, aber nicht übermäßig, wird auch ein Fremdwörterbuch nötig sein. Das Werk ist ringgebunden im DIN-A4-Querformat, lässt sich also leicht benutzen. Soweit zum Positiven. Aber Achtung: Das Buch enthält auch nicht zugelassene Indikationen, und zwar ausdrücklich zwecks Stimulierung von Untersuchungen über ihre Verwendung jenseits der zugelassenen Indikationen und zwecks Behandlungsversuchen in "therapieresistenten" Fällen. Die Richtung ist also vorgegeben. Entsprechend werden kritische unerwünschte Wirkungen im Buch relativiert: sind "noch nicht vollständig geklärt", noch "nicht zweifelsfrei nachgewiesen", werden "kontrovers diskutiert". Auf alle Fälle soll tüchtig weiterverabreicht und "bei Bedarf" zusätzlich elektrogeschockt werden, und wenn sich Toleranzen oder Entzugssymptome einstellen, dann eben höher dosiert werden. Das Buch liefert eine der theoretischen Grundlagen für die Verabreichung von Substanzen, die wesentlich beteiligt sind an der um durchschnittlich zwei Jahrzehnte verringerten Lebenserwartung psychiatrischer Patienten – ein Skandal, der den Autoren keine weitere Bemerkung wert ist. Rezension im BPE-Rundbrief. Ringgebunden, 466 Seiten, ISBN 978-3-8017-2323-1. Göttingen usw.: Hogrefe Verlag, 3., vollständig überarbeitete Auflage 2012. € 59.95
Peter Lehmann

Franco Basaglia: Die Entscheidung des Psychiaters – Bilanz eines Lebenswerks
Als Direktor einer Psychiatrischen Anstalt habe Basaglia gespürt, wie ein »symbolischer Scheißgeruch in der Luft lag. Ich war mir sicher, mich in einer völlig absurden Institution zu befinden, die nur dazu diente, daß der Psychiater am Monatsende sein Gehalt bekam.« Allein dieser Satz Basaglias, den Klaus Hartung in seinem einleitenden Beitrag zitiert, macht deutlich, weshalb die deutsche Psychiatrie so wenig Existenzielles von der demokratischen Psychiatrie Italiens übernehmen wollte – zu wohl fühlten und fühlen sich deutsche Psychiater in ihren Einrichtungen jedweder Coleur. Die Ablehnung psychiatrischer Krankheitsbegriffe als Grundlage der Etikettierung und Behandlung, statt dessen die Zurückverwandlung des psychiatrischen »Patienten« in ein Subjekt mit eigenen Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten.... dies war Basaglias Entscheidung als Psychiater. »Der Psychiater weiß nichts, kompensiert diesen Mangel durch seine Macht.« Sein Anspruch an sich und seine Kollegenschaft, von der psychiatrischen Macht abzugeben und Menschen bei der Bewältigung ihrer psychischen Probleme sozialer Natur zu unterstützen und ihnen zu erträglichen (Über-)Lebensbedingungen zu verhelfen, bleibt sein Vermächtnis. Und dieses Vermächtnis mit erstmals publizierten Texten (über Psychiatrie mit ihrem Doppelcharakter als Befreiung oder Unterdrückung, über Psychiatrie und ihr Verhältnis zur Politik usw.) aus den 1970er-Jahren als Ansporn für die Kritik an der heutigen psychiatrischen Praxis vor dem Vergessen bewahrt zu haben, ist das Verdienst dieses Buches. Kartoniert, 256 Seiten, ISBN 3-88414-259-3. Bonn: Psychiatrieverlag 2002. € 22.90
Peter Lehmann

Lucinda Bassett: Angstfrei leben – Das erfolgreiche Programm gegen Stress und Panik
Durch Umdenken Angst und Panikattacken überwinden, so lautet die Botschaft dieses sehr amerikanischen (und einfältigen) Buches. Die Autorin, eine ehemalige Betroffene, appelliert unentwegt an den Leser umzudenken und daran zu glauben, wovon sie selbst überzeugt ist. Je nach Bedarf schüttelt sie Erlebnisse mit Einzelpersonen, die ihre Aussagen stützen sollen, aus dem Ärmel (»Ein Mann kam eines Tages in unsere Gruppe und erzählte.....«, »Viele Menschen haben mir folgendes gesagt.....«, »Eines Tages kam eine erfolgreiche Geschäftsfrau zu uns ins Midwest Center und erzählte uns.....«). Schließlich empfiehlt sie den Lesern, Ärzte entscheiden zu lassen, ob sie für Antidepressiva und Beruhigungsmittel »geeignet« seien, und zuallerletzt wird noch der liebe Gott zur Problemlösung bemüht. »Denk daran – für ein glückliches Leben braucht es nicht viel«, lässt die Autorin Marc Aurel am Ende ihres Buches sagen. Ob es zum glücklichen Leben ihres Buches bedarf? Kartoniert, 259 Seiten, ISBN 978-3-407-22819-2. Weinheim & Basel: Beltz Verlag, 9. Auflage 2009. € 15.95
Peter Lehmann

Ronald Bassman: A fight to be—Psychologist's experience from both sides of the locked door
in Journal of Critical Psychology, Counselling and Psychotherapy , Vol. 7 (2007), No. 4, p. 264
Peter Lehmann

Ruth Baumann / Charlotte Köttgen / Inge Grolle: Arbeitsfähig oder unbrauchbar? Die Geschichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie seit 1933 am Beispiel Hamburgs
»Ruth Baumann hat Gutachten der ›furchtbaren‹ Jugendpsychiater vor und nach 1945 untersucht und verglichen. Während die Diagnosen vor 1945 viele Kinder ins Abseits oder in den Tod führten, machten die Psychiater nach 1945 Karriere und prägten auch dann noch die Kinder- und Jugendpsychiatrie.« (Ernst Klee) Kart., 213 S., ISBN 9783925499760. Frankfurt/Main: Mabuse-Verlag 1994. DM 42.–
Peter Lehmann

Josef Bechter: Neue Wege zu Gesundheit durch erfolgreiche Medizin
Laut dem Autor Bechter, einem ehemaligen Polizeibeamten, werden im Buch die Ursachen der Krankheitsflut erörtert und naturheilkundliche, effektive und wissenschaftlich fundierte Behandlungsmethoden zu den häufigsten Zivilisationskrankheiten verständlich gemacht. Ebenfalls wird die Problematik der Alleinherrschaft der Schulmedizin, die wirtschaftlichen Interessen und Verflechtungen zwischen Pharmazie – Ärzteschaft – Gesundheitsbehörden – Politik angerissen. Ein Buch für alle, die den Glauben an die moderne Medizin (Notfallmedizin ausgenommen) völlig aufgegeben haben (und vice versa) und es statt dessen mit orthomolekularer Medizin, Kohlehydraten, Ölen und Fetten versuchen möchten. In Sachen Psychiatrie bietet der Autor außer Nährstofftherapie leider nichts. Chemische Medikamente könnten im Einzelfall dauerhaft erforderlich sein, bei einer ergänzenden Naturheiltherapie könne die Dosis aber oft wesentlich (und zum Teil sogar auf Null) reduziert werden. Wie sich naturheilkundliche Mittel und psychiatrische Psychopharmaka vertragen sollen, vergisst der Autor allerdings zu begründen. »Die Inanspruchnahme der richtigen Therapien« sei zur Gesundung nötig, dazu eine harmonische Umgebung für die Patienten und deren gute psychologische Betreuung. Mit richtiger Behandlung meint der Autor die bereits erwähnte Nährstofftherapie, die die seiner Meinung nach offenbar ausschließlich organisch und/oder genetisch bedingten psychischen Störungen ausgleicht. Psychiatriebetroffene als Subjekte, die sich mit Therapie oder in Selbsthilfe zur Aufarbeitung und Überwindung ihrer psychischen Probleme sozialer Natur machen, kommen in diesem biologisch geprägten Weltbild leider nicht vor,was das Buch für Psychiatriebetroffene wenig interessant macht und was die Aussagen auch nicht neu machen. . Wer sich mit orthomolekularer und Nährstofftherapie näher beschäftigen möchte, dem bzw. der sind »Burgersteins Handbuch Nährstoffe« oder das »Handbuch der Orthomolekularen Medizin« (Dietl / Ohlenschläger) ans Herz gelegt. Gebunden, 424 Seiten, 3-932576-70-5. Kernen: Sensei Verlag 2005. € 22.90
Peter Lehmann

Kirsten Becken (Hg.): Ihre Geister sehen – Seeing Her Ghosts
Anfang 2017 meldete sich eine junge Frau bei mir und fragte, wen ich als Geleitwortschreiber für ihr Buch empfehlen könnte. Sie wolle sich mit dem Schicksal ihrer stimmenhörenden Mutter, deren Psychose und psychiatrischen Behandlung auseinandersetzen. Ich empfahl ihr Dorothea Buck. Sofort rief sie Dorothea an, besuchte sie in Hamburg und bekam von ihr einen Buchbeitrag. Diese Entschlossenheit beeindruckte mich, und so schrieb ich auch einen Artikel für das Buch, und zwar über die BeMAPPs, die vielen Beratungsstellen für Menschen mit Abhängigkeitsproblemen von psychiatrischen Psychopharmaka, wo man ambulante und stationäre Angebote kompetenter Begleitung beim Absetzen genannt bekommt und wo man vor der Kontaktaufnahme zu Organisationen, die der Pharmaindustrie nahe stehen und die Entzugs- und Abhängigkeitsprobleme herunterspielen, ausdrücklich warnt. Man könne die BeMAPPs auch im Internet finden, einer vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten nutzerorientierten Website. Leider nur ein Traum, für uns, für Mainstream-Psychiater eher ein Alptraum, bisher zumindest.
Kirsten Becken, so hieß die junge Frau, wolle ihr Buch mit Crowdfunding, also im Internet geworbenen Zuwendungen finanzieren, noch so ein Traum. Dieser ist jedoch offenbar rasch in Erfüllung gegangen, und im September 2017 erschien ihr mit Familienfotos, Aquarellen und anderen Abbildungen darstellender Kunst farbig bebildertes Werk. Im Eingangskommentar schreibt die US-amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt, Ehefrau von Paul Auster:
"Seeing Her Ghosts ist ein gewaltiges, kraftvolles Zeugnis der Komplexitäten, des Schmerzes, aber auch der Schönheit psychotischer Zustände – sowohl in Worten als auch in Bildern. In der Eile, der Eile zu erklären, zu diagnostizieren, zu behandeln, geraten die individuellen Dramen, das einzigartige Narrativ der Betroffenen zumeist in den Hintergrund. Kein Mensch ist seine Diagnose und kein gefühlter, subjektiver Zustand kann auf die technischen Informationen eines MRT-Scans reduziert werden. Das visuelle Zwiegespräch zwischen Mutter und Tochter – das Herzstück dieses Buchs – erinnert uns daran, dass nicht nur dynamische, kreative Werke aus quälender, menschlicher Erfahrung entstehen, sondern vielmehr Kunst, die immer eine Suche nach dem Anderen, immer ein Greifen danach, gesehen und gehört zu werden – als eine Form der Heilung dienen kann."
Im Oktober erlebte ich Kirsten Becken, wie sie in Berlin ihr Buch öffentlich vorstellte. Sie ist keine Betroffene, sondern "nur" Angehörige. Doch solche wünscht man sich: Menschen, die ihre Kinder, Väter oder in diesem Fall Mütter nicht auf Diagnosen reduzieren und als psychisch krank abtun. Sondern sich neugierig auf ihren Schmerz einlassen, sie mutig darin unterstützen, seelische Krisen offenzulegen, besser sich auseinandersetzen als untätig hinnehmen, dass die Krisen im Innern brodeln und sich erst nach jahrelanger Unterdrückung der eigenen Bedürfnisse explosionsartig ihren Weg an die Oberfläche bahnen. Über einen bildlichen, künstlerischen und textlichen Zugang dient das Buch als Gesprächsanreiz und Plattform für Familien zum Einstieg in das Thema seelische Krisen, zu Austausch und Dialog. Wie die Autorin mitteilte, hatte die gemeinsame Arbeit mit ihrer Mutter und die intensive Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte zudem einen therapeutischen Effekt. Nicht nur ihre Mutter wurde viel wacher und bereit für einen Neustart, auch die Autorin fühlte sich, als sei ihr ein Schleier von ihren Augen gefallen.
Das Buch hat 84 Seiten im Großformat, 28 x 31,5 cm, ist gebunden und enthält teils englische und teils deutschsprachige Beiträge, unter anderem auch von Gerd Glaeske, David Shrigley und Robert Whitaker. Einzig Siri Hustvedts Geleitkommentar ist in beiden Sprachen enthalten. Für alle, die auch einigermaßen Englisch verstehen, eignet sich das Buch insbesondere als Weihnachtsgeschenk. Auch wenn ich nicht als Co-Autor drin vertreten wäre: Ich würde es trotzdem absolut empfehlen.
Rezension im BPE-Rundbrief
. Hardcover, 84 Seiten, viele farbige und schwarz-weiße Abbildungen, ISBN 978-3-903153-31-8. Wien: Verlag für moderne Kunst 2017. € 30.–
Peter Lehmann

Marty Becker: Heilende Haustiere. Wie Hund, Katze und Maus Sie seelisch und körperlich gesund halten
Haustiere bei Herzleiden, Hunde zur Traumabewältigung und Krebsfrüherkennung, große Hunde für hyperaktive Kinder, ehrenamtliche Arbeit im Tierheim oder persönliche Beziehungen zu Wellensittichen gegen Depressionen, Gesundheitschecklisten für die gesunde Mensch-Tier-Beziehung – ein aus dem Amerikanischen stammendes, in seiner Struktur etwas unübersichtliches Buch, aufbauend auf einem ziemlich veralteten biologischen Medizin- und vor allem Psychiatrieverständnis und durchsetzt mit Massen von Anekdoten. Insofern wäre ein Register extrem hilfreich gewesen. Wer das Buch aber wie ein Roman liest, kommt sicher auf seine Kosten, insbesondere wenn er oder sie nach Beispielen sucht, weshalb Tiere allemal besser sind als beispielsweise synthetische Psychopharmaka und andere Chemikalien. Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzeinschlag, 361 Seiten, 12 x 21,5 cm, ISBN 978-3-936994-24-7. München: riva Verlag 2007. € 22.–
Peter Lehmann

Monika Becker-Fischer / Gottfried Fischer: Sexuelle Übergriffe in Psychotherapie und Psychiatrie – Orientierungshilfen für Therapeut und Klientin
Das Buch ist eine Orientierungshilfe für alle Psychotherapiepatientinnen und -patienten, die auf der Suche nach einem integren Psychotherapeuten sind, sowie für alle interessierten Helfer. Täterprofile, Vorbeugung, juristische Gesichtspunkte, Hilfen – das sind einige der Stichworte, um die es in acht logisch gegliederten Kapiteln geht: »Sexuelle Übergriffe als Problem der psychotherapeutischen Profession«, »Epidemiologie sexueller Übergriffe in Psychotherapie und Psychiatrie«, »Das Professionale Missbrauchstrauma: Vertrauensbruch und Machtmissbrauch der Tätertherapeuten«, »Ergebnisse der Online-Nachfolgeuntersuchung 2006«, »Was hilft beim Professionalen Missbrauchstrauma?«, »Juristisches Vorgehen gegen Tätertherapeuten nach sexuellen Übergriffen«, »Aufklärung der psychotherapeutischen Berufsgruppen und Folgerungen für die Ausbildung« und »Herstellung von Öffentlichkeit: Informationen und Hinweise für Betroffene und Angehörige«. Welcher Teufel die Autoren allerdings geritten hat, als Anlaufstelle für Betroffene ausgerechnet eine holländische und keine deutschsprachige Website zu nennen, bleibt mir schleierhaft. Abgesehen von diesem Lapsus und dem Glauben der Autoren, die Lösung des Problems liege in einem Paradigmenwechsel, der durch die landläufige Forderung nach mehr Wissenschaftlichkeit und leider nicht nach prinzipieller Ausrichtung an den Erfahrungen der Betroffenen als der zentralen Kategorie), charakterisiert ist, lässt sich das Buch dennoch als zeitgemäßes Standardwerk zum Thema Sexueller Missbrauch in Psychotherapie und Psychiatrie für Betroffenen und Profis empfehlen. Kartoniert, 222 Seiten, ISBN 978-3-89334-460-4. Heidelberg: Asanger Verlag, 3., völlig neu bearbeitete Auflage 2008. € 25.50
Peter Lehmann

Bernd Behrendt: Meine persönlichen Warnsignale: Ein psychoedukatives Therapieprogramm zur Krankheitsbewältigung für Menschen mit Psychoseerfahrung. Arbeitsbuch für Gruppenteilnehmer
Wer im Original nachlesen möchte, wie Psychiatriebetroffene in der Psychoedukation für dumm verkauft werden, für den dürfte dieses Arbeitsbuch interessant sein – aber nur zu diesem einzigen Zweck. Ansonsten ist das Buch hundsmiserabel. Ideologisch einseitig werden die Betroffenen auf die Einnahme von Psychopharmaka, speziell Neuroleptika getrimmt. Darüber hinaus wird das primitive Modell der genetisch mitbestimmten Stoffwechselentgleisung als Ursache sogenannter Psychosen propagiert. Die Risiken von Neuroleptika werden im plumpester Weise verharmlost, die Abhängigkeitsgefahr, schon seit den 1960er-Jahren durch viele psychiatrische Publikationen bekannt, schlichtweg abgestritten, und wenn man auf S. 40 liest, dass bei sog. atypischen Neuroleptika wie Risperdal Muskel- und Bewegungsstörungen »so gut wie nie« auftreten, beschleicht einen das Gefühl, der promovierte Diplom-Psychologe, der in der Uni-Psychiatrie in Homburg arbeitet, könnte sein Wissen einzig aus den Waschzetteln der Pharmamultis haben. Da aber selbst dort – Beispiel der Vermerk über Risperdal in der Roten Liste: »gelegentl.: EPS (Tremor, Rigidität, Hypersalivation, Bradykinesie, Akathisie, akute Dystonie). B. Pat. m. akuter Manie traten in klin. Stud. sehr häufig EPS auf« – vor Muskel- und Bewegungsstörungen gewarnt werden, kann man über die Motive des Autors nur spekulieren. Eines scheidet nach meiner Meinung grundsätzlich aus: Verantwortungsbewusstsein. Fazit: Ein übles und in seiner Gefährlichkeit für das Wohlergehen von Psychiatriebetroffenen nicht zu unterschätzendes Machwerk. Leider wirft eine solche Publikation nicht gerade ein gutes Licht auf den Verlag (Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie – DGVT), in dem es erschienen ist. Mit CD-ROM. Materialie 51. Kartoniert, 136 Seiten, ISBN 978-3-87159-311-6. Tübingen: DGVT, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage 2009. € 18.80
Peter Lehmann

Bernd Behrendt: »Meine persönlichen Warnsignale«. Ein psychoedukatives Therapieprogramm zur Krankheitsbewältigung für Menschen mit Psychoseerfahrung. Arbeitsbuch für Gruppenleiter
Bernd Behrendt beschreibt das Konzept der Psychoedukation. Gehirnwäsche wäre ein angemessener Begriff. Den Betroffenen wird das reaktionäre biomedizinische Krankheitskonzept eingetrichtert. Der an sich vernünftige Ansatz, bewusst zu leben, Warnsignale aufziehender Krisen wahrzunehmen und sich entsprechend zu schützen, wird von Behrendt jedoch umgemünzt in das Herstellen von Compliance, d.h. die Unterordnung unter das psychiatrische Behandlungsregime, und das brave, vorbeugende und langfristige Schlucken von Psychopharmaka. Studien (Soteria, Diabasis, Offener Dialog usw. usf.), die belegen, dass die Konfliktverarbeitung ohne Psychopharmaka langfristig zur Stärkung der Betroffenen und zur Senkung der Psychiatrisierungsrate führt, werden schlichtweg ignoriert, das von der Pharmaindustrie und von ihr gesponserten Psychiatern geschaffene heile Weltbild der psychopharmakologischen Psychiatrie soll keine Sprünge bekommen. Deshalb vermeidet es der Autor, die Existenz abweichender Meinungen auch nur zu erwähnen. Das Ergebnis der Psychoedukation zeigt sich dann in der bis zu durchschnittlich drei Jahrzehnte verminderten Lebenserwartung der Behandelten. Für Behrendt natürlich kein Thema, darüber muss man sich an anderer, seriöser Stelle informieren. Wem Gesundheit und Leben lieb sind, sollte auf den Kauf, das Lesen und das Sich-Unterziehen der Gehirnwäsche à la Behrendt besser verzichten. Materialie 50. Kartoniert, 200 Seiten, ISBN 978-3-87159-310-9. Tübingen: DGVT, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage 2009. € 16.80
Peter Lehmann

Miguel Benasayag / Gérard Schmit: Die verweigerte Zukunft – Nicht die Kinder sind krank, sondern die Gesellschaft, die sie in Therapie schickt
Mental erfrischend, fundiert, lebendig und auch leidenschaftlich plädieren hier zwei erfahrene Analytiker von Kindern, Familien und Gesellschaft für einen neuen Blick. Wo Zukunft Angst macht, Wirtschaftlichkeit oberstes Gebot ist, Freiheit aus Macht und Bindungslosigkeit erwächst und Kinder gewappnet werden müssen, ist eine ganze Gesellschaft in der Krise. Psychologen u.ä. müssen sich entscheiden, ob sie diesem System zuarbeiten und junge Menschen symptomfrei funktionieren machen wollen, oder ob sie sich ohne diagnostische Etikettierung einlassen auf ihr eigenes Nichtwissen und eine gemeinsame Suche. »Es gibt Leiden existenzieller Art, die auf die Intoleranz der Gesellschaft zurückzuführen sind. Ist der Therapeut damit konfrontiert, dann ist er auch als Bürger gefragt, und es steht ihm nicht zu, zu 'psychologisieren' und zu 'pathologisieren'.« Weil sie die ihnen Anvertrauten ernst nehmen und nicht allein lassen, geht es ihnen darum, »zu entdecken, dass man das Leben nicht 'heilen', sondern ganz einfach 'leben' muss ...« Ein Buch gegen Enge und Zaudern, das ermutigt und Raum schafft, Spielraum. Gebunden mit Schutzumschlag, 160 Seiten, ISBN 978-3-88897-492-2. München: Verlag Antje Kunstmann 2007. € 16.90
Kerstin Kempker

Otto Benkert / Hanns Hippius (Hg.): Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie
Ziel der Herausgeber ist es laut ihren eigenen Worten, gesichertes Wissen ausgewogen in ihr Kompendium einzubringen. Neue Erkenntnisse würden auf Grundlage einer evidenzbasierten, das heißt auf Grundlage der an den (angeblich) besten zur Verfügung stehenden Wissensquellen und Daten orientierten Medizin gesichtet und kritisch hinterfragt. Allerdings bleiben die Herausgeber und Autoren in ihrem geschlossenen System der biologischen, pharmafirmenorientierten Psychopharmakologie gefangen – einer Blase, die bei einem kritischen und betroffenenorientierten Blick platzt. Übrig bleiben Bruchstücke, aus denen die »Fakten« über Psychopharmaka und Elektroschocks sichtbar werden, an die die Anwender glauben. Hat man mit Letzteren zu tun, kann es hilfreich sein, ihre Denkmuster zu kennen, wie auch die im Buch bei den einzelnen Anwendungsformen aufgelisteten Wirkmechanismen, Indikationen, Kontraindikationen, Interaktionen, Routineuntersuchungen und Dosierungshinweise. Übernimmt man die Denkmuster der Autoren um die Psychiater Benkert und Hippius, dann sitzt man dem Krankheitsmodell der Stoffwechselstörung auf, die die langfristige Verabreichung von Psychopharmaka und Elektroschocks notwendig macht. Natürlich stehen nicht nur ideologisch geprägte Auslegungen im Buch. Beim aufmerksamen Lesen springen einen Erklärungen ins Auge, wonach die neurologischen Ursachen etwa von Depressionen nicht hinreichend geklärt seien und psychiatrische Erklärungsansätze bloße Modelle darstellen, letztlich Glaubensvorstellungen. Doch wenn man diese nicht teilt, möglicherweise die traurige Wirklichkeit schädlicher Wirkungen psychiatrischer Behandlungsmaßnahmen am eigenen Leib erlebt oder im Familien- und Freundeskreis erfahren hat, dann stehen die Anwender von Psychopharmaka und Elektroschocks nackt vor uns: in ihrer ganzen Gefährlichkeit und eiskalten Gleichgültigkeit gegenüber den Schäden, die ihre Behandlungen verursachen. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, XXIX + 995 Seiten, ISBN 978-3-662-50332-4. Berlin / Heidelberg: Springer Verlag, 11. Auflage 2017. € 44.99
Peter Lehmann

Jens Bergmann: Der Tanz ums Ich – Risiken und Nebenwirkungen der Psychologie
Der Autor, ein Journalist mit abgeschlossenem Psychologiestudium, der früher für den Spiegel, Bild der Wissenschaft, Merian und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schrieb, analysiert jetzt den Mythos der Psychologie, ihre intellektuelle Genügsamkeit, Geschäftstüchtigkeit, Kontextblindheit und Übergriffigkeit. Insgesamt fehle ihr das organische Fundament, schreibt er, es handele sich eher um Glaubenslehren und Spekulationen. Dasselbe könnte er über die psychiatrische »Wissenschaft« sagen – sage ich. Aber er hat sich entschieden, sich mit der Psychoanalyse und Sigmund Freud zu beschäftigen, mit der experimentellen Psychologie und William Stern, der humanistischen Psychologie und Carl Rogers und vielen Psychologen mehr. Weitere Themen: Der vorauseilende Gehorsam von Psychologen in Deutschland gegenüber den Nazis und die daraus erfolgende offizielle Anerkennung ihres Berufstandes; Coaching; Selbstverbesserungsindustrie; NLP; Hellinger und seine Familienaufstellungen; Bhagwan; Intelligenztests; Rorschachtest; Burnout; DSM; Online-Partnerwahl; Verneinung des freien Willens (bei dem Gegenüber) u.v.m. Eine Ausnahmestellung nimmt bei Bergmann Klaus Holzkamp ein, der zu einer konstruktiven Grundlegung einer anderen Psychologie beigetragen habe mit seinem Konzept der Handlungsfähigkeit, die auf der Wahrnehmung der objektiven Welt in Form von Bedeutungen, welche wiederum die ökonomischen, kulturellen und sozial geprägten Erscheinungen der Welt seien, die den Menschen umgeben und die er selbst geschaffen habe. Durch die Abspaltung von der Philosophie habe die Psychologie das Wesen des Menschen aus dem Blick verloren, Erkenntnisfortschritte habe es in der Psychologie in den vergangenen Jahrzehnten kaum gegeben, statt dessen viel alter Wein in neuen Schläuchen. Und mit ihrer Hinwendung zur Hirnforschung würden sich Psychologen überflüssig machen und von Neurologen, den besseren Hirnforschern, ersetzt werden. Für alle, die den Überblick über die Psychologie verloren haben, hilft dieses sehr gut verstehbare Buch, einen neuen Überblick zu bekommen und deren Heilsversprechen kritisch zu bewerten. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 240 Seiten, ISBN 978-3-570-55267-4. München: Pantheon Verlag 2015. € 14.99
Peter Lehmann

Heike Bernhardt: Anstaltspsychiatrie und »Euthanasie« in Pommern 1933 bis 1945. Die Krankenmorde an Kindern und Erwachsenen am Beispiel der Landesheilanstalt Ueckermünde
Etwas seelenlose Fleißarbeit und Dissertation einer Kinder- und Jugendpsychiaterin in Berlin-Lichtenberg. Sie behandelt die Massenmorde an Psychiatrisierten, die in Pommern ihren Ausgangspunkt hatten und in diesem abgelegenen Winkel an der Grenze zu Polen von SS-Mördern im Auftrag von Psychiatern besonders brutal durchgeführt wurden. Kritisch anzumerken an dem Buch ist seine unhistorische Herangehensweise: die Entstehung der braunen Pfeiler der todbringenden Sozialpsychiatrie bleibt außen vor. Unkritisch wird von »psychisch Kranken«, »chronischen und abgelaufenen Fällen«, »Schizophrenen« usw. geredet, wobei der soziale und politische Hintergrund dieser diffamierenden Diagnosen ständig im Raum steht. Brav trennt die Autorin zwischen schlechter Spezialbehandlung (Mord) und guter psychiatrischer Behandlung wie z.B. Insulinschock: eine unglaublich brutale Folter, schlimmer als Elektroschock, wie dieser auch im Faschismus entwickelt und heute immer noch praktiziert. So ist es kein Zufall, dass einmal mehr der Elektroschocklehrer Dörner ein Dutzendvorwort schrieb, in dem er sich lautstark von den Morden seiner psychiatrischen Vorgänger distanziert, jedoch – wie auch die Autorin – noch lauter schweigt zu den strukturellen Menschenrechtsverletzungen in der heutigen »sauberen« Psychiatrie. Ein bitterer Geschmack bleibt so zurück. Wie kann eine Autorin ein Buch schreiben gegen Verbrechen der Psychiatrie während der Nazizeit und gleichzeitig einen Mann ein Vorwort schreiben lassen, der in seinen eigenen Büchern nach wie vor für die ›vielen praktischen und theoretischen Erfahrungen vom Menschen‹ in Dankbarkeit schwelgt gegenüber seinem Lehrer: dem früheren SA-Mann Bürger-Prinz, der im Faschismus ein wahres Schreckensregiment gegen alle ›Kriegsneurotiker‹ (mittels Elektro- und Insulinschocks) und Verschärfung der psychiatrischen Foltermaßnahmen praktizierte und Tausenden von Betroffenen ein zur Verzweiflung treibendes unendliches Leid zugefügt hat; einem Psychiater, der von Anfang an in die Psychiatriemorde eingeweiht war, von ihnen zu profitieren suchte und in der Nachkriegszeit einen der Hauptakteure, den in Kiel tätigen Heyde (alias Sawade), wissentlich deckte. So jedenfalls Aussagen von Karl Heinz Roth und Götz Aly – Buchautoren, die auch von Heike Bernhardt zitiert werden, deren Aussagen als bekannt vorauszusetzen sind. Kart., 168 S., viele Tabellen, Frankfurt/Main: Mabuse-Verlag 1994. DM 31.–
Peter Lehmann

Klaus Bernhardt: Depression und Burnout loswerden. Wie seelische Tiefs wirklich entstehen, und was Sie dagegen tun können
Für den ehemaligen Journalisten und jetzigen Heilpraktiker für Psychotherapie sind falsche Ernährung, falsche Medikamente und falsches Denken die Ursachen für die meisten Formen von Depressionen und Burnout. Weshalb er die am meisten depressiv machenden Substanzen, nämlich Neuroleptika, aus seinen Überlegungen ausschließt, geht aus seinem Buch allerdings nicht hervor, dabei ist er Mitglied der Akademie für neurowissenschaftliches Bildungsmanagement. Er gibt Ratschläge, was Betroffene tun können, um sich seiner Meinung nach schnell und dauerhaft von ihren Leiden zu befreien. Kartoniert, 252 Seiten, ISBN 978-3-424-20205-2. München: Ariston Verlag 2019. € 18.–
Peter Lehmann

Roland Bettschart / Gerd Glaeske / Kurt Langbein u.a.: Bittere Naturmedizin. Wirkung und Bewertung der alternativen Behandlungsmethoden, Diagnoseverfahren und Arzneimittel
Zuerst als »Bittere Pillen der Naturmedizin« angekündigt, soll das Buch auf der kommerziellen Erfolgswelle von »Bittere Pillen« schwimmen. Wer die dort durchweg ziemlich kritiklose Betrachtung nahezu aller Neuroleptika als »therapeutisch zweckmäßig« noch im Ohr hat, tut gut daran, die »Bittere Naturmedizin« mit Vorsicht in die Hand zu nehmen. Zudem wird hier den meisten Alternativverfahren lediglich der Stellenwert einer Komplimentärmedizin eingeräumt, also einer Ergänzung der Schulmedizin. Maßstab der Bewertung bleibt deren Ausrichtung an der Symptomunterdrückung. Andererseits gibt es längst eine Vielzahl, für die AnwenderInnen oft äußerst lukrativer und für die BenutzerInnen kaum überschaubarer alternativer medizinischer Verfahren, oft recht zweifelhafter Art, so dass das Handbuch kritisch denkenden LeserInnen einen zusätzlichen Anhaltspunkt liefert, sich eine eigene Meinung zu bilden. Kart., 925 S., Köln: Kiepenheuer & Witsch 1995. DM 49.80
Peter Lehmann

Ulrich Biechele / Philipp Hammelstein / Thomas Heinrich (Hg.): anders ver-rückt?! Lesben und Schwule in der Psychiatrie. Jahrbuch Lesben – Schwule – Psychologie 2006
anders ver-rückt? Diese Dokumentation eines Kongresses vom November 2003 in Mannheim ist das erste Buch zum Thema im deutschsprachigen Raum. Die 12 männlichen und 9 weiblichen Autoren – Psychologen, Therapeuten, Psychiater – widmen sich neben etwas Geschichte (Homosexualität wurde erst 1980 entpathologisiert und 1989 [DDR] bzw. 1994 [BRD] entkriminalisiert) und Theorie den praktischen Besonderheiten von Therapie und Beratung für Lesben und Schwule, speziell auch Jugendliche. Neue Projekte wie RISPE (Rehabilitation und Integration für Schwule mit Psychiatrie-Erfahrung) Rhein-Neckar und psychART (Selbsthilfegruppe für Lesben und Schwule mit psychischer Erkrankung) in Köln werden vorgestellt, und es verwundert schon, wie unkritisch psychiatrische Diagnosen übernommen und Psychopharmaka, wenn überhaupt Thema, empfohlen werden. Wenig Psychiatrie also und hier kaum Kritisches. Wer aber mehr erfahren will über Ignoranz und Diskriminierung, auch in der Szene, über die spezifischen Fehler, die schwule und lesbische Therapeuten und Therapeutinnen machen, wer einen englischen Artikel über Homophobie und eine hübsche Parodie lesen möchte, in der die Problematik der Heterosexualität psychologisch beleuchtet wird, für den lohnt sich das Buch allemal. Kartoniert, 153 Seiten, ISBN 3-89967-305-0. Lengerich: Pabst Science Publishers 2006. € 15.–
Kerstin Kempker

Stefan Bienenstein / Mathias Rother: Fehler in der Psychotherapie – Theorie, Beispiele und Lösungsansätze für die Praxis
Ziel des von Psychotherapeuten für Psychotherapeuten verfassten Buches ist es, dass Fehlergeschehen reflektierend in die Therapie integriert und dadurch zu nutzbringenden Faktoren werden. Es geht allerdings nicht um sexuellen Missbrauch, der ein Fall für die Justiz ist, sondern um Alltagsfehler: Elemente der therapeutischen Arbeit, die in der ersten Reaktion des Therapeuten von diesem als unerwünscht wahrgenommen werden. Die erste Hälfte des Buches besteht aus einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff des Fehlers in der Naturwissenschaft, der Pädagogik und der Betriebswirtschaft, Strategien im Umgang mit Fehlern und deren Entstehung. Im zweiten Teil folgen Fehler in der praktischen Arbeit, dargestellt an inhaltlich geordneten Fallbeispielen, die sich aus Interviews mit Kollegen aus den unterschiedlichsten therapeutischen Richtungen ergaben, deren Interpretation und die Klärung der Frage, wie die Fehler jeweils den weiteren Therapieverlauf beeinflusste. Resümee der Autoren: Es ist sinnvoll, gegenüber den Klienten Fehler zuzugeben; dies fördere gleichzeitig die Offenheit auf Seiten der Klienten und trage zur Entmystifizierung der Therapeutenschaft bei. Dem kann man nur zustimmen. Gebunden, XVIII + 197 Seiten, 1 Abbildung, 22 Tabellen, ISBN 978-3-211-75602-7. Wien: Springer Verlag 2009. € 34.95
Peter Lehmann

Bettina Blass: Richtig vorsorgen! Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung rechtssicher verfassen
Der Bundesanzeiger Verlag, in dem diese Vorsorgemappe erschienen ist, informiert: "Plötzliche Krankheit, Schlaganfall, Unfall das sind die Anlässe, in denen eine richtige Vorsorge dem Betroffenen hilft, ein Höchstmaß an Selbstbestimmung zu erhalten. Denn nur, wer rechtzeitig vorsorgt, kann sicher sein, dass im Ernstfall seine ganz persönlichen Wünsche, Vorstellungen und Planungen Beachtung finden. Mit dieser Mappe erhalten Sie rechtssichere Vorlagen und Muster für alle wichtigen Vorsorgedokumente Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung – in doppelter Ausführung. So können Sie sicher sein, dass Sie für sich und Ihre Angehörigen alles geregelt und nichts vergessen haben." Allerdings ist die Vorsorge, die mit dieser Mappe geregelt werden soll, beschränkt auf unheilbare Krankheiten. Bestimmungen, wie für den Fall der Psychiatrisierung oder altersbedingte Abbauprozesse medizinisch behandelt oder nicht behandelt werden soll, sind leider ausgespart. Im Europäischen Notfallausweis im Brieftaschenformat, der im In- und Ausland lebensrettend sein könne, soll man Psychopharmaka reinschreiben, die der Arzt verordnet hat; Platz für Bemerkungen, welche Verabreichungen man gegebenenfalls ablehnt und wieso, ist allerdings nicht vorhanden. Für Psychiatriebetroffene, die in Krisenzeiten Wert darauf legen, dass ihr Selbstbestimmungsrecht gewahrt bleibt, ist diese Vorsorgemappe deshalb nicht empfehlenswert. Formularmappe mit 6-seitiger Infoschrift, 2 Vorsorgevollmachten, 2 Patientenverfügungen (für den sich ankündigenden Sterbefall), 2 Betreuungsverfügungen für alle Angelegenheiten und 3 Betreuungsverfügungen für einzelne Aufgabenbereiche. 72 DIN-A-4-Seiten, ISBN 978-3-8462-0293-7. Köln, Bundesanzeiger Verlag 2014. € 9.90
Peter Lehmann

Bettina Blaß / Hans Schilder: Das große Vorsorge-Handbuch. Vorsorgen mit System. Informationen – Praktische Tipps – Formulare für alle persönlichen Daten – Checklisten
Dieses in neun Kapitel untergliederte Vorsorge-Handbuch hilft, sein Leben umfassend zu ordnen jedenfalls fast. In "Familie" werden Besitzverhältnisse und Erbangelegenheiten in Ehe, Lebenspartnerschaft und nicht-ehelichen Partnerschaften geregelt. In welchen Vereinen und Verbänden bin ich Mitglied, wann kann ich kündigen? Wer sorgt im Notfall für mein Haustier? In "Zuhause" geht es um meine Wohnung, Miet- und Pachtverträge, Schlüssel, Internetkonten, Versicherungen. "Wichtige Personen" sollen benannt werden, die gegebenenfalls zu benachrichtigen sind. In "Arbeits- und Berufsleben" dokumentiere ich alle wichtigen Informationen über Arbeitsverhältnisse, eigene Firmen, Versicherungen und Ehrenämter. Unter "Finanzen" fallen die Vermögensübersicht, Schulden, Kredite, Abos, Geldanlagen, Bankkonten, Daueraufträge und Einzugsermächtigungen. "Sicher ins Alter" betrifft Rente, eventuell nötiger Hausumbau und eine Checkliste für ein mögliches Seniorenheim. In "Gesundheit" geht es um Versicherungen, Krankenkasse, Krankheiten, Allergien, Blutgruppe, Impfungen, Organspende, Vorsorgevollmacht, Betreuungs- und Patientenverfügung. "Fahrzeug und Reisen" fragt nach der ADAC-Mitgliedschaft, Versicherungen und bietet einen ADAC-Kurzcheck für Gebrauchtwagen (Werden die Bodenteppiche im PKW feucht?) In "Letzter Wille" regele ich Testament, Erbvertrag, Bestattung, Grabschmuck, Trauerfeier samt Einladungsliste und Text für die Traueranzeige. Ergänzt wird das Vorsorgehandbuch durch Musterformulare. Wie die im gleichen Verlag erschienene Vorsorgemappe [Bettina Blass: Richtig vorsorgen! Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung rechtssicher verfassen] ist die Vorsorge, die mit diesem Ordner geregelt werden soll, allerdings beschränkt auf unheilbare Krankheiten. Bestimmungen, wie für den Fall der Psychiatrisierung oder im Alten- und Pflegeheim medizinisch behandelt oder nicht behandelt werden soll, sind leider komplett ausgespart. Jede Kleinigkeit wird geregelt, selbst der Grabschmuck, aber sämtliche inhaltlichen Fragen der Gesundheitsfürsorge sind auf diesen Satz reduziert: "Wie soll die Gesundheitsfürsorge aussehen? " Umfangreiche Vorgaben gibt es für Demenzprozesse, irreversible Hirnschädigungen und den Sterbeprozess. Mehrere Jahre nach der Betreuungsrechtsänderung von 2009 ist diese komplette Ausblendung medizinischer Behandlung im Krisenfall, der nichts mit Sterben zu tun hat, völlig unverständlich. Für Psychiatriebetroffene, die in Krisenzeiten Wert darauf legen, dass ihr Selbstbestimmungsrecht geachtet wird, oder für Menschen, die damit rechnen, alt zu werden und möglicherweise im Altenheim unerwünschte Psychopharmaka verabreicht zu bekommen, ist diese Vorsorgemappe deshalb nicht empfehlenswert. Diese Kritik betrifft auch den beiliegenden Europäischen Notfallausweis im Brieftaschenformat, der im In- und Ausland lebensrettend sein könne, so der Verlag. Hier soll man Psychopharmaka reinschreiben, die der Arzt verordnet hat; Platz für Bemerkungen, welche Verabreichungen man gegebenenfalls ablehnt und wieso, ist allerdings nicht vorhanden. Rezension im BPE-Rundbrief. Ordner mit Ringbindung, 338 Seiten, plus CD mit Musterformularen, plus Europäischer Notfallausweis, ISBN 978-3-89817-951-5. Köln, Bundesanzeiger Verlag 2013. € 39.80
Peter Lehmann

Jörg Blech: Die Psychofalle – Wie die Seelenindustrie uns zu Patienten macht
Jörg Blech, Redakteur im Wissenschaftsressort des Spiegel, schreibt über die ständig fortschreitende Psychiatrisierung des Alltags, die Verflechtung vieler Psychiater, Psychologen und Neurologen mit der Pharmaindustrie, die zunehmende Psychiatrisierung von Kindern und Alten, die Erfindung immer neuer Diagnosen, die Medizinalisierung sozialer Probleme und über Auswege aus der Psychofalle. Das Buch ist feuilletonistisch geschrieben, ähnlich wie eine Zusammenstellung diverser Spiegel-Artikel, wobei sich der Autor auf teils umstrittene Leute wie Klaus Dörner, Thomas Bock oder gar den Elektroschockbefürworter Manfred Lütz als Kronzeugen seiner Einschätzungen bezieht. Thema des gut lesbaren und unterschiedlichste Themenbereiche umfassenden Buches sind unter anderem Gustl Mollath; satirisch wie auch ernsthaft gemeinte Diagnosen (zum Beispiel Prämenstruelle dysphorische Störung, Posttraumatische Verbitterungsstörung, Sissi-Syndrom, Testosteronmangelsyndrom [bei älter werdenden Männern], Leichte neurokognitive Störung [bei normaler Altersvergesslichkeit], Demenz vom Typ präklinische Alzheimer-Erkrankung; das abgeschwächte Psychosesyndrom als Vorstufe richtiger Psychosen); der Boom leichter Befindlichkeitsstörungen; Psychiater wie Peter Falkai, die Gelder von der Pharmaindustrie nehmen; von pharmagesponserten Psychiatern entwickelte Behandlungsleitlinien; Ausbreitung von ADHS und Risikofaktoren für die Ritalin-Verschreibung (Geburtsmonat, Geschlecht, Entfernung zur nächsten Kinderpsychiatrie); Hirnschwund bei Menschen und Affen nach Neuroleptika-Konsum; die zunehmende Diagnostik bipolarer Störungen schon bei Kleinkindern; die Medikalisierung sozialer Ängste und Schüchternheit; die Utopie der Selbstoptimierung mit Pillen; u.v.m. Unter Verzicht auf eine Fundamentalkritik an der biologischen Psychiatrie plädiert Blech für saubere psychiatrische Diagnosen, ohne allerdings zu erklären, wie psychische Probleme maßgeblich sozialer Natur mit einer medizinisch-naturwissenschaftlichen Herangehensweise »sauber« diagnostiziert werden sollen. Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden, 288 Seiten, ISBN 978-3-10-004419-8. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2014. € 19.99
Peter Lehmann

Erika Blitz: Wenn die Seele aus dem Takt gerät. Depressionen im höheren Lebensalter bewältigen
Hände weg von diesem Buch! Es empfiehlt neben verschiedenen psycho- und anderen therapeutischen Maßnahmen Antidepressiva, Neuroleptika und Elektroschocks, und das ohne ernstzunehmende Warnung vor unerwünschten Wirkungen dieser Behandlungsmaßnahmen. Insbesondere die abhängig machende sowie depressionsverstärkende Eigenwirkung von Neuroleptika wird den Behandlungskandidaten und ihren Angehörigen verschwiegen. Gebunden, 132 S., zahlr. farb. Abb., ISBN 978-3-87159-502-8. Tübingen: dgvt-Verlag – Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie 2008. € 24.80
Peter Lehmann

Ursina Blum: Patientin durchleuchtet psychiatrische Behandlungen. Patientenerfahrungen vorwiegend aus den Jahren 2007 bis 2012
Ursina Blum ist eine Schweizer Psychiatriebetroffene aus dem Umfeld von Psychoseseminaren und der psychiatrienahen Stiftung Pro mente sana. Sie war fast ein Dutzend Mal in der Psychiatrie und beklagt sich, dass Psychopharmaka die Menschen emotional taub, kraftlos und handlungsunfähig machen und ihre Lebensqualität stehlen. Um die Situation von Psychiatriebetroffenen zu verbessern, hat sie einen Bericht geschrieben, der zwischen Anprangerung patientenfeindlicher Zustände in der Psychiatrie und der Übernahme psychiatrischer Ideologie hin und her schwankt. Vereinnahmend will die Autorin »die Seite der Patienten« aufzeigen, denen es allen gleich gehe, dabei schreibt sie im Satz zuvor, dass jeder Patient angetanes Leid als einzigartig erlebe. Psychopharmaka seien ein Geschenk der Forschung, die viel Leid verkürzten und wieder zur Gesundheit führten, und Schäden entstünden durch »Über«-Dosierung, fährt sie fort, völlig im Widerspruch zu ihrer eingangs erwähnten eigenen Erfahrung und der bekannten Tatsache, dass alle Schäden von Psychopharmaka auch unter sogenannten therapeutischen Dosierungen entstehen. Dass das Charakteristikum von Psychopharmaka, insbesondere Neuroleptika, nicht unbedingt die Verkürzung des Leids von Patienten, sondern ihrer Lebenserwartung ist, ist für sie kein Thema – angesichts des propsychiatrischen Umfelds, in dem sie sich bewegt, wenig überraschend. »Nach meinen Erfahrungen ist das Wesen eines Psychiaters stabil, robust, interessiert an Menschen. ... Überlastete Psychiater brauchen mehr Anerkennung. ... Es gibt Krankheitsbilder, da macht es absolut Sinn, gegen Willen des Patienten vorzugehen«, schreibt sie weiter, ohne sich auch nur ansatzweise bewusst zu sein, wie bedenkenlos sie die übliche psychiatrische Verletzung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit und auf Schutz der Menschenwürde unterstützt. Wer bereit ist, solche Lobhudelei von Psychiatern und Zwangsbehandlung zu ertragen, kann in Ursina Blums auch andere Aussagen finden: Beschreibung des Beduseltseins und Vergiftung des Körpers durch Psychopharmaka, Geschäftemacherei der Pharmaindustrie und der Psychiater durch Dauerverschreibung von Psychopharmaka, Nötigung zur Einwilligung in die Behandlung, Missstände in der Jugendpsychiatrie, Benutzung von Patienten zur Bedürfnisbefriedigung von Psychiatern, Wertschätzung alternativer Behandlungsformen, usw. usf. Als Leser des Berichts habe ich den Eindruck, als ob die Autorin ständig zwischen dem, was sie erlebt hat, und dem, was Psychiater und Psychologen interpretieren, hin und her gerissen ist, ohne sich darüber klar zu sein. Es wäre interessant zu wissen, wie ihr Bericht klänge, würde er in einem psychiatriekritischen Umfeld wie PSYCHEX oder dem Schweizer Netzwerk der Benutzer und Überlebenden der Psychiatrie (NUSP) geschrieben. Leider sind solche betroffenenorientierten Gruppen in Ursina Blums Umfeld tabu. Broschüre, 28 A4-Seiten, ringgebunden. sFr 10.– / € 11.– (inkl. Versandkosten). Bestelladresse: Ursina Blum, Postf. 3042, 6002 Luzern, Schweiz, blum.berichte@gmx.ch. Bezahlung für Bestellungen aus Deutschland kann auf ein deutsches Bankkonto erfolgen.
Peter Lehmann

Nellie Bly: Zehn Tage im Irrenhaus. Undercover in der Psychiatrie
Die junge Reporterin Elizabeth Jane Cochran lässt sich im Jahre 1887 (kein Tippfehler) in New York City zwangseinweisen, und zwar undercover, das heißt zu Ermittlungszwecken und mit gefälschter Identität unter dem Namen Nellie Bly. Sie soll eine Reportage über die Zustände in der Frauenpsychiatrie auf Blackwell's Island schreiben, einer Anstalt mit zweifelhaftem Ruf. Die Insel – heute heißt sie Roosevelt Island ist im East River zwischen den Stadtteilen Manhattan und Queens. Wer in jener Zeit in die dortige Anstalt verbracht wird, hat kaum mehr eine Chance, je wieder in Freiheit zu gelangen. Für Nellie Bly überraschend einfach wird sie von den untersuchenden Psychiatern, denen sie stereotype Sätze vorsagt unter anderem, sie habe Angst und suche ihre Koffer und auf deren Fragen sie nicht eingeht, als eindeutig Geisteskranke diagnostiziert und zwangsuntergebracht. Nach ihrer Entlassung, die von einem Anwalt bewirkt wird, der von ihren sich sorgenden Freunden eingeschaltet wurde, ist sie wieder in Freiheit und kann in der aufstrebenden Tageszeitung Joseph Pulitzers, der New York World, in zwei Teilen am 9. und 16. Oktober 1887 von den zeitgemäßen Formen psychiatrischer Demütigungen und Gewaltausübungen berichten, inklusive der zwangsweisen Verabreichung des damals gebräuchlichen und als modern geltenden Chloralhydrat. Sie kann es nach der Verabreichung wieder herauswürgen. Dieses Schlafmittel war 1832 entwickelt worden, es war das erste synthetisch hergestellte Schlafmittel. Außerdem berichtet Nellie Bly von den verrückt machenden Zuständen in der Psychiatrie, von Schlägen und anderen Misshandlungen, von der Faulheit, Brutalität und Gleichgültigkeit der meisten, wenn auch nicht allen Pflegerinnen, von der medizinische Inkompetenz der meisten Psychiater, von den sich einstellenden Krankheiten der untergebrachten Frauen und der Verschlechterung ihres geistigen und psychischen Zustands, auch bedingt durch die katastrophalen äußeren Bedingungen in der Einrichtung, von den auftretenden, auch damals konsequenzlosen Todesfällen, von sinnlosen Beschäftigungen oder beschäftigungslosem Dahinvegetieren u.v.m.
Nellie Blys Reportage gilt als Meilenstein des investigativen Journalismus und wichtiges Dokument der Psychiatriegeschichte. Es zeigt, was sich verändert hat und was über die Jahrhunderte hinweg gleich geblieben ist. Ergänzt wird die Reportage durch ein informatives Nachwort des Germanisten Martin Wagner. Es wird nur leicht getrübt durch seine pauschale Kritik "der Antipsychiatrie-Bewegung", mit der er die akademische Antipsychiatrie der 1960er-Jahre (Cooper, Foucault, Laing, Szasz) meint; sie habe die Fortschritte und Erfolge der psychiatrischen Forschung aus dem Blick verloren. Ob Wagner mit den "Fortschritten" kleinere und moderne psychiatrische Stationen meint sowie die neuen synthetischen Neuroleptika und Antidepressiva sowie Lobotomie und Elektroschocks, was von der Mainstream-Psychiatrie, deren Vertreter er als Quelle für seine Behauptung nennt, als historischer Fortschritt betrachtet wird? Abgesehen von diesem offenbar ideologisch begründeten oder aus Ahnungslosigkeit erfolgten Tritt ins Fettnäpfchen, der zum Glück nur eine halbe Buchseite einnimmt, ist das Buch ausgesprochen lesenswert.
Dem AvivA Verlag gebührt Respekt, dass er dieses Buch 127 Jahre nach der US-amerikanischen Originalveröffentlichung in deutscher Erstausgabe 2014 publiziert hat. Angesichts moderner toxischer Psychopharmaka und hirnschädigender Elektroschocks wird heutzutage vermutlich kein Journalist mehr ein ähnliches Experiment wagen, kein Zeitungsverleger mehr ein vergleichbares Projekt zur Aufdeckung psychiatrischer Menschenrechtsverletzungen ins Auge fassen. Während Nellie Bly zu ihrer Zeit noch ihren Finger in den Hals stecken und das Chloralhydrat erbrechen konnte, werden in modernen Zeiten bei Widerstand lähmende Substanzen von gewaltbereiten psychiatrisch Tätigen zwangsweise per Spritze verabreicht. Eine neue Undercover-Publikation im Stile der mutigen Nellie Bly ist also in absehbarer Zeit nicht mehr zu erwarten.
Taschenbuch, 191 Seiten, ISBN 978-3-932338-62-5. Berlin: AvivA Verlag, 3. Auflage 2018. € 16.–
Peter Lehmann

Thomas Bock: Lichtjahre – Psychosen ohne Psychiatrie. Krankheitsverständnis und Lebensentwürfe von Menschen mit unbehandelten Psychosen
Informatives Buch über die Vielfalt psychologischer Psychosetheorien. Auch Betroffene kommen zu Wort, als Lieferanten von O-Tönen zur Illustration der unterschiedlichen Krankheitskonzepte. Selbst wenn sie sich massiv gegen psychiatrische Deutungen ihrer Lebensgeschichte wehren, wie der Autor freimütig bekennt, sind sie seinem Interpretationsdrang schutzlos ausgeliefert. Es wird Zeit, dass Psychiatriebetroffene eine Ethik entwerfen, die Anforderungen an ihre nichtverletzende und nichtausbeutende Einbeziehung in Publikationen formuliert. Kart., 375 S., Bonn: Psychiatrie-Verlag 1997. DM 39.80
Peter Lehmann

Thomas Bock / J. E. Deranders / I. Esterer: Stimmenreich. Mitteilungen über den Wahnsinn
Ergebnis eines sogenannten Psychose-Seminars der Hamburger Uni-Anstalt 1989 mit Betroffenen (Diagnose musste nicht nachgewiesen werden!), sprich »Psychose-Erfahrenen«, Angehörigen und Tätigen. Der Psychiatrie-Verlag wirbt auf der Klappe: »Die drei beteiligten Gruppen suchen nach einer gemeinsamen Sprache.« Das liest sich dann in der Einleitung der Herausgeber so: »Als sichere Erkenntnis kann gelten, dass Psychosen nicht unmittelbar vererbt werden, dass sie sich nicht zwangsläufig verschlechtern und dass es von den Umständen des Lebens und der Versorgung abhängt, ob auch bei langfristigem Verlauf ein eigenständiges Leben möglich ist.« In dem Kapitelchen »Erleben und Verarbeiten« dürfen die Betroffenen von ihren »Psychose-Erfahrungen« sprechen, um dann im Kapitel »Wissen und Erklären« auf haarsträubende Weise interpretiert zu werden: »Mit einer gewissen Berechtigung empfinden sie die psychotischen Symptome als Teil ihrer selbst«, na immerhin! Ergebnis des Seminars? Ein »Mensch in einer Psychose« will: »Hilfe ohne Abstempelung: Wenn schon Diagnosen, dann mit Erklärung. Nicht sofort eingeordnet werden. ... Nicht nur unter dem Vorzeichen ›krank‹ gesehen werden. Nicht nur zur Ware ›Patient‹ werden.« Zum Schluss wird die Gründung des Bundesverbands der Psychiatrie-Erfahrenen vorweggenommen von Dorothea Buck, die für den zweiten Gründungstag vorsieht, dass »den Teilnehmern der Tagung die vorher zugeschickte Satzung erläutert, (dass sie, Kerstin Kempker) abgestimmt und beschlossen « wird. (Etwas anders kam's dann doch, es wurde auch diskutiert und verändert.) Sind wir am Ziel, »wenn auch die Öffentlichkeit erkannt hat, dass wir – entgegen der Prognose – gar nicht so unfähig zur Kommunikation und Solidarität sind, wie schizophrene Menschen von Psychiatern gerne dargestellt werden.«? Ich finde dies Buch, das so offen und selbstkritisch, hübsch, lesbar und preiswert daherkommt, besonders gefährlich, weil es einzelne Erfahrungen und Erwartungen absolut setzt und damit mich als auch Psychiatrie-Betroffene gleichzeitig einverleibt und abwertet. Kartoniert, 231 Seiten, Bonn: Psychiatrie-Verlag 1992. DM 19.80
Kerstin Kempker

Thomas Bock / Andreas Heinz: Psychosen – Ringen um Selbstverständlichkeit
Gefreut habe ich mich über den Titel des Buches "Ringen um Selbstverständlichkeit", da er mehr versprach, als normalerweise Psychiatrie-Bücher zu beinhalten versprechen. Beim Aufschlagen wunderte ich mich über sieben Seiten Inhaltsangabe. Teils sind Kapitel auf einer ganzen oder einer knappen Seite abgehandelt, nur wenige Kapitel haben mehrere Seiten. Nach jeder größeren Überschrift folgt am Ende jedes Kapitels ein Fazit. Gut und schön ist auch das rote Bändchen als Lesezeichen – denn die 336 Seiten sind inhaltlich nicht ohne Pause lesbar. Ich gehöre zu den behäbigeren Lesern und brauchte zwei Monate, in denen ich mich immer wieder auf Reisen und Denkpausen führen ließ. Mit Lust las ich die Aussagen der Ordinarien und die fast 30 Seiten Literaturquellen, die übrigens bis ins 19. Jahrhundert zurück gehen. Dieses Buch ist erfreulicherweise kein Schnellschuss der Autoren. Es ist gut recherchiert, jedoch fehlen leider die Literaturangaben von Psychiatrie-Erfahrenen, die in den letzten 20 Jahren von subjektiven Empfindungen des Sozialraums berichteten, die objektiv später bestätigt wurden. Lediglich zwei Psychiatrie-Erfahrene (Gwen Schulz und Dorothea Buck) sind zu Wort gekommen. (Gwen Schulz hat – ohne Verweis auf Literaturangaben – die beeindruckenden Texte "Auf der Suche nach dem Sinn meiner Psychose" und "Zur Bedeutung der Peerarbeit" geschrieben. Dorothea Buck glänzt mit zehn Thesen "Zum subjektiven Verständnis von Psychosen". Beide Frauen lassen das Herz des Psychiatrie-Erfahrenen intensiver schlagen und jubeln.) Der Sinn der menschlichen Psychiatrie ist in den Schlussbemerkungen mit 19 Leitsätzen zusammengefasst. Diese Leitsätze gehen von "Den ganzen Menschen sehen" über "Toleranz und Abbau von Vorurteilen" bis hin zu "Ringen um Selbstverständlichkeit". Freuen können wir Psychiatrie-Erfahrene uns über die geringe Bedeutung, die in dem Buch den Psychopharmaka beigemessen wird, und die im Gegensatz hierzu stärkere Beachtung des Sozialraums und sich daraus ergebende Behandlungskonsequenzen. Im Literaturverzeichnis wird dann unter anderem die Literatur von Luc Ciompi (Soteria Bern) und Volkmar Aderhold gelistet, darunter auch dessen Dissertation "Die akute Schizophrenie als Prozess der Selbstgestaltung". Home-Treatment, Soteria, Milieutherapie, regionales Budget, gemeindenahe Versorgung, integrierte Versorgung usw. werden ausführlich als "nötige Strukturveränderung im psychiatrischen System" gesehen. Fazit: Die kleinschrittige Hinführung auf den Ausblick "Dilemmata der Psychosenbehandlung und ihre Potenziale" ist sehr positiv für das Buch. Der Preis von 49.95 € und die vielen nicht üblichen Fachbegriffe schrecken viele Psychiatrie-Erfahrene ab – trotzdem kann ich das Buch ALLEN Psychiatrie-Erfahrenen, Angehörigen und Professionellen des psychiatrischen Systems nur empfehlen! Gebunden, 335 Seiten, ISBN 978-3-88414-602-6. Köln: Psychiatrie Verlag GmbH 2016. € 49.95
Franz-Josef Wagner

Thomas Bock / Kristin Klapheck / Friederike Ruppelt: Sinnsuche und Genesung – Erfahrungen und Forschungen zum subjektiven Sinn von Psychosen
Jahrzehnte nachdem unabhängige Psychiatriebetroffene sich mit dem Sinn von Psychosen auseinanderzusetzen begonnen haben, haben nun psychosozial Professionelle das Thema entdeckt. Das ist schön. Schöner wäre natürlich, wenn diese nicht so täten, als hätten sie es erfunden, sondern sich mit der vorliegenden Literatur auseinandersetzen. Mit »Suche nach dem Sinn des Wahnsinns, Selbstfindung und Selbstbefreiung« war beispielsweise schon 1983 ein Kapitel in Tina Stöckles Buch »Die Irren-Offensive – Erfahrungen einer Selbsthilfe-Organisation von Psychiatrie-Überlebenden« überschrieben. »Der Sinn meiner Psychose – Zwanzig Frauen und Männer berichten« lautet ein von Hartwig Hansen 30 Jahre später herausgegebenes Buch. In diesen beiden Büchern interpretieren die Betroffenen ihre Psychosen und sonstigen Verrücktheitszustände selbst.
Das vorliegende Buch, herausgegeben von Thomas Bock und zwei jungen Psychologinnen, handelt vom sogenannten SuSi-Projekt. Dieses Hamburger Projekt zum subjektiven Sinn von Psychosen habe »... sich zur Aufgabe gemacht, Subjektivität empirisch erfahrbar zu machen und die im Trialog erlebbare Bedeutung der subjektiven Sinngebung bei psychischen Krisen auch in anderen Kontexten wissenschaftlich zu untersuchen.« Hier werden Betroffene mit ihrer Subjektivität der Interpretation unterzogen, sie werden zu Objekten degradiert. Schade, dass so von den HerausgeberInnen Lustlosigkeit produziert wird, sich das Buch genauer anzuschauen. Am liebsten möchte man es hinten ins Regal stellen und auf eine revidierte Neuauflage warten, in der unabhängige Psychiatriebetroffene einbezogen sind in den Entwurf, die Durchführung und die Auswertung der Studie.
Dadurch, dass Psychiatriebetroffene wieder nur beforscht werden, sie Objekt der Studie bleiben, wird jedoch das Subjekt-Objekt-Verhältnis zwischen ForscherInnen und Beforschten festgeschrieben, der Expertenmonolog fortgesetzt. Wenn sich die Auswahl der Beforschten willkürlich auf eine kleine Gruppe trialogbefürwortender Betroffener beschränkt und wenn deren Aussagen von Expertenseite interpretiert und damit notwendigerweise auch fehlinterpretiert werden, so steht die Gültigkeit der Aussagen des Buches von Anfang an im Zwielicht. Nicht unbegründet sah der Geschichtswissenschaftler Lutz Niethammer in seinen Reflexionen zu Zeitzeugenberichten (1980) die Gefahr, dass diejenigen, die von früheren gesellschaftlichen Machtverhältnissen als Objekte definiert wurden, durch solche Praktiken in ihrem Objektstatus belassen werden, anstatt dass es zur Rekonstruktion ihrer Subjektivität kommt. Die Geschichte der Herrschenden werde verlängert und Blindstellen der Subjektivität würden mit geschichtsphilosophischen Konstruktionen aufgefüllt, was die Erkenntnis der Wirklichkeit vorschnell verstelle; den Subjekten werde auf benevolente, das heißt wohlwollende Weise erneut Gewalt angetan.
Wohlwollend sind in der Tat die meisten Artikel, sehen wir ab von einer psychopharmakabefürwortenden Angehörigen, die die »Perspektive einer Mutter« wie eine Fackel hoch hält, als wolle sie für alle Mütter der Welt sprechen (dass andere Mütter eine andere Perspektive und Meinung als sie haben könnten, ist für sie kein Thema), und sich als allererstes daran macht, nach der Bedeutung der Suche nach dem Sinn einer Psychose zu fragen. »Ich glaube nicht, dass ein Sinn (kursiv im Original, P.L.) in dem Ausbruch der Krankheit meiner Tochter lag« schreibt sie. Der Wunsch, eine Erklärung für schlimme Dinge zu finden, die einem widerfahren, sei menschlich – in anderen Worten: psychologisch zu verstehen, aber nicht ernst zu nehmen. Man fragt sich, was solch ein Beitrag in dem Buch zu suchen hat.
Die SuSi-ProjektmitarbeiterInnen kommen zum Schluss, dass die TeilnehmerInnen ihrer Studie Psychosen in einem biografisch-sinnstiftenden Zusammenhang und teilweise als bereichernde Erfahrung sehen, wenn auch verbunden mit der Angst vor sozialem Abstieg. Dem subjektiven Sinnerleben der Betroffenen – man könnte besser sagen: ihren teilweise traumatischen Erfahrungen und Erlebnissen – Beachtung zu schenken und sich in der Therapie auf die wirklichen Probleme des einzelnen Menschen einzulassen..... Wenn das SuSi-Projekt hilft, dieser humanistischen Grundforderung näherzukommen, dann kann ich in der Hoffnung, dass zukünftig Betroffene wirksam beteiligt werden an Studien über sie selbst, erst mal mit dem Buch leben. (Die Hoffnung stirbt zuletzt.)
Kognitive Verhaltenstherapie erhalte geradezu den Auftrag, die Sinnsuche des Patienten zu unterstützen, schreiben die Psychologinnen Evelyn Gottwalz-Itten und Maike Hartmann in ihrem lobenswerten Beitrag, und diese Forderung kann man getrost auf die gesamte Psychotherapie ausweiten. Die nach Ende einer akuten Phase – ob Verrücktheit oder Depression – aufgenommene Suche nach dem Sinn des Wahnsinns hat vorbeugenden Charakter, stellte Regina Bellion schon 1998 in ihrem Beitrag in dem Buch »Psychopharmaka absetzen« fest: »Wer sich danach mit seinen psychotischen Erlebnissen auseinandersetzt, läuft anscheinend nicht so bald in die nächste psychotische Phase.« Schön, wenn diese Botschaft irgendwann einmal bei den Profis ankommt. Gebunden, 320 Seiten, ISBN 978-3-88414-577-7. Bonn: Psychiatrieverlag 2014 . € 29.95
Peter Lehmann

Christopher Bollas: Wenn die Sonne zerbricht. Das Rätsel Schizophrenie
Das Buch ist ein lobenswertes Plädoyer für ein psychotherapeutisches Eingehen von Psychiatern auf Menschen, die sich in Situationen befinden, die als "Schizophrenie" bezeichnet werden. Christopher Bollas ist Psychoanalytiker, arbeitet jetzt in Kalifornien, entsprechend beruft er sich – abgesehen von Sigmund Freud – hauptsächlich auf englischsprachige Literatur. Im ersten Teil des Buches berichtet er von seinen frühen Erfahrungen der Arbeit mit "schizophrenen" Kindern und Erwachsenen, im zweiten Teil stellt er theoretische Erwägungen an, und zuletzt diskutiert er Grundfragen der Psychotherapie der "Schizophrenie" Etwas unangenehm ist, dass man im Text ständig den Begriff "die Schizophrenen" liest, als gebe es eine solche einheitlich klassifizierbare Gruppe von Menschen. Dabei ist selbst unter Psychiatern völlig umstritten, ob es so etwas wie Schizophrenie überhaupt gibt. Original erschien das Buch 2015 in den USA. Gebunden, 259 Seiten, ISBN 978-3-608-98151-3. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 2019. € 28.–
Peter Lehmann

Ingo Bonde / Moritz Gerhardt / Tina Kaiser / Kerstin Klein / Stephan Kolb / Caroline Wolf (Hg.): Medizin und Gewissen – Im Streit zwischen Markt und Solidarität. Dokumentation des internationalen IPPNW-Kongresses, 20.-22. Oktober 2006 in Nürnberg
Wo steht die Medizin 60 Jahre nach dem Nürnberger Ärzteprozess? Wo müssen sich Ärztinnen und Ärzte wehren gegen die Vereinnahmung durch Politik und gesellschaftlichen »Mainstream«? Im Mittelpunkt des größten medizinethischen und gesundheitspolitischen Kongresses stand die Frage nach der wachsenden Ökonomisierung und Kommerzialisierung des Gesundheitswesens und der Gefahr der moralischen Korrumpierbarkeit der Beschäftigten. In den Hauptkapiteln »60 Jahre nach dem Nürnberger Ärzteprozess«, »Aktuelle Bestimmung zum Gesundheitssystem«, »Ethische Erwägungen zur Ressourcenverteilung«, »Ökonomisierung in Krankenhaus und Arztpraxis«, »Patientenautonomie und Bürgerpartizipation« und »Internationale Erosion öffentlicher Gesundheitsfürsorge« versammelt der Band die wichtigsten Kongressbeiträge u.a. von Hans-Ulrich Deppe, Gerd Glaeske und Thomas Gebauer. Der in meinen Augen beste Artikel steht gleich am Anfang: »Der Mord an psychisch kranken und behinderten Menschen« von Hans-Walther Schmuhl. Der Autor erklärt überzeugend, dass die »Euthanasie«-Morde den Holocaust vermutlich entscheidend bedingten, sozusagen Katalysator-Wirkung hatten. Wie kann die Medizin in der gegenwärtigen Gesellschaft ihre Verantwortung für Gesundheit und Leben gegen korrumpierende Einflüsse beherzigen?, frage Horst-Eberhard Richter in seinem Geleitwort. Die Frage ist angebracht, und angesichts der enormen neuroleptikabedingten Mortalitätsraten in der Psychiatrie, angesichts ihrer fast totalen Abhängigkeit von den Pharmakonzernen, und speziell angesichts der flächendeckenden Ignoranz der daraus folgenden Probleme ist die Bedeutung der Fragen nach dem Gewissen von Medizinern, speziell Psychiatern, höchstaktuell. Ich schreibe diese Zeilen kurz nach dem Kongress des World Psychiatric Association in Prag vom 20. bis 25. September 2008, wo ich einen Büchertisch betrieb und auch das hier besprochene Buch feilbot. Obwohl deutschsprachige Teilnehmer sich zur Genüge am Stand blicken ließen, war dieses Buch das einzige, das nicht von einem einzigen Büchertischbesucher angefasst wurde. Gebunden, 587 Seiten, Geleitworte von Margarete Mitscherlich-Nielsen und Horst-Eberhard Richter, ISBN 978-3-938304-63-1. Frankfurt am Main: Mabuse Verlag 2008. € 48.–
Peter Lehmann

Helmut Bonney: ADHS – na und? Vom heilsamen Umgang mit handlungsbereiten und wahrnehmungsstarken Kindern
Illustriert an vielen Fallbeispielen zeigt der Kinder- und Jugendpsychiater Bonney vielfältige pädagogische und therapeutische Lösungsansätze, wie in Kooperation zwischen Elternhaus, Schule und Therapeuten handlungsbereiten und wahrnehmungsstarken Kindern (Kindern mit sogenannter Aumerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) wirksam geholfen werden kann. Ein übersichtliches und praxisorientiertes Plädoyer, Kindern achtsam zu begegnen, anstelle sie mit schädlichen Psychopharmaka künstlich ruhigzustellen und auf diese Weise an wenig kindgerechte Lebensbedingungen anzupassen. Kartoniert, 140 Seiten, ISBN 978-3-89670-834-2. Heidelberg: Carl Auer Verlag 2012. € 16.95
Peter Lehmann

Helmut Bonney (Hg.): ADHS – Kritische Wissenschaft und therapeutische Kunst
Über die ADHS-Forschung aus medizinisch-pharmakologischer Sicht, aber auch aus der Perspektive von Neurobiologie, Genetik und Epigenetik, Pädagogik und Psychotherapie unter Einschluss neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse, z. B. zur Hirnplastizität und den Konsequenzen für eine wirksame Hilfe. Das Buch liefert eine fundierte Basis, über den Tellerrand der (behaupteten) neurobiologischen Erkenntnisse von einem angeborenen Neurotransmittermangel als Ursache von ADHS hinauszublicken und somit die tatsächlichen Probleme der betroffenen Kinder zu erkennen und hilfreiche therapeutische Ansätze zu entwickeln. Mit Beiträgen von H. Brandau, K. Gebauer, G. Glaeske, T. Grund, H. H. Hopf, Hüther, H. von Lüpke, J. Rosenkranz, H. Rühling, A. Schäfers, G. Teuchert-Noodt, E. Würdemann. Kartoniert, 272 Seiten, 13,5 x 21,5 cm, ISBN 978-3-89670-630-0. Heidelberg: Carl Auer Verlag 2008. € 24.95
Peter Lehmann

Anne Boos: Traumatische Ereignisse bewältigen – Hilfen für Verhaltenstherapeuten und ihre Patienten
Das Buch richtet sich nicht an Personen, die wegen einer psychotischen Erkrankung in psychiatrischer Behandlung waren oder sind – so die Autorin eingangs ihres Buches. Diesem Personenkreis rät sie generell, bei Problemen ihr Buch nicht anzurühren, sondern sich statt dessen in psychiatrische Behandlung oder in Therapie zu begeben und evtl. diverse Antidepressiva zu nehmen, auch wenn diese für die Indikation Posttraumatische Belastungsstörung noch nicht zugelassen sind. Schnelles Fazit somit einer Rezension, die sich maßgeblich an Personen wendet, die schon einmal als psychotisch diagnostiziert wurden: dieses Buch ignorieren. Und ein Rat an die Autorin: sich mit traumatischen Erfahrungen durch psychiatrische Behandlung und suizidalen Wirkungen diverser Psychopharmaka auseinandersetzen, möglichst vor dem Verfassen des nächsten Buches. Kartoniert, 172 Seiten, ISBN 978-3-8017-2066-7. Göttingen: Hogrefe Verlag 2007. € 16.95
Peter Lehmann

Antoinette Borri: Schritte aus der Depression. Anleitung zur Selbsthilfe
Der Verlag kündigt das Buch der Schweizer Psychiaterin Borri mit diesen Worten an: »Ein lebensnahes Lern- und Übungsbuch, das Betroffenen Hoffnung macht und Zutrauen in die eigenen Heilungskräfte schenkt.« Lebensnah fängt die Autorin das Buch auch an, wenn sie gleich im ersten Satz schreibt, was voll aus dem (Gedanken-)Leben eines typischen Psychiaters entnommen sein dürfte: »Der Psychiater hat Antworten auf Ihre Fragen.« An dieser Stelle möchte ich das Buch schon in die Ecke werfen, wieso soll ich mich mit den Ausführungen einer sich allwissend vorkommenden Psychiaterin abgeben, die alle Antworten weiß, bevor man eine Frage gestellt hat? Zum Glück wird Frau Borri dann wieder etwas vernünftiger, beschreibt, woran man Depressionen erkennt, welche Formen sie annehmen können, nennt Mut machende Übungen, zum Beispiel Affirmationen, und empfiehlt, sich vor Überforderung zu bewahren. Man sollte der Autorin sagen, auch sie selbst sollte sich vor Überforderung und vor allem vor Selbstüberschätzung bewahren. Taschenbuch, 156 Seiten, ISBN 978-3-451-05586-7. Freiburg / Basel / Wien: Herder Verlag, 4. Auflage 2009. € 8.95
Peter Lehmann

Karin Bothe / Alexa Köhler-Offierski / Ernst-Ulrich Vorbach (Hg.): Alternative Therapieansätze in der Psychiatrie. Über gewohnte und ungewohnte psychiatrische Behandlungsformen
Psychiater, Therapeuten, Heilpraktiker und andere Profis berichten aus ihrer Sicht – und ohne es nötig zu haben, Betroffene zu Wort kommen zu lassen – über den Einsatz von mehr oder weniger exotischen Therapieformen wie Klangschalenmassage, Lichttherapie, Bach-Blüten, Musiktherapie, Johanniskraut, Kava-Kava, Homöopathie usw. Ein leider wenig interessantes Buch. 194 Seiten, Frankfurt/Main: Mabuse Verlag 2000. DM 34.80
Peter Lehmann

Christoph Braendle / Theodor Cahn / Bruno Gasser: Buntes Haus. Ein Kunstprojekt mit Menschen in der Psychiatrie
Im Kanton Basel-Land steht 2002 in der Psychiatrie ein großes altes Anstaltsgebäude ein Jahr lang leer und wird genutzt für ein Projekt, das offen ist für alle Patienten und alle Ideen. Platz ist reichlich, alles kann bemalt und gestaltet werden, Decken, Türen, Fenster, Schränke, Wannen. Beeindruckende Bilder von Unterwasser- und Blumenwelten, Wald und Traum, Schwarzem und Weißem Raum, Kitsch und Chaos zeigen neben tagebuchartigen Skizzen, was in begrenzter Zeit alles möglich wird, wenn der Raum zum Treiben und Übertreiben nur weit genug ist. (Die begleitenden Texte und Befragungen verblassen daneben.) Gebunden, 228 Seiten, 4 schwarz-weiße und 175 farbige Abbildungen, ISBN 3-7965-2094-4. Basel: Schwabe Verlag 2004. € 24.50
Kerstin Kempker

Peter Bräunig / Stephanie Krüger / Yvette Rosbander: Kinder bipolar erkrankter Eltern – Wie sich die bipolare Erkrankung eines Elternteils auf die Kinder auswirkt
Die Veröffentlichung der Deutschen Gesellschaft für bipolare Störungen e.V. »Kinder bipolar erkrankter Eltern« hat mich sehr bestürzt, denn dieses Buch, das sich an die Eltern und das Helfersystem aus der nicht medizinisch gebildeten Richtung wendet (z.B. SozialpädagogInnen und FamilienhelferInnen, JugendamtsmitarbeiterInnen und Pflegeeltern, evtl. auch an die Großeltern usw.) vermittelt in meinen Augen auch eine sehr gefährliche Botschaft. Dieses zur Zeit seines Erscheinens Ende 2005 massiv beworbene Buch rät dazu, in jeder Unpässlichkeit der betreffenden Kinder ein mögliches Krankheitssymptom der bipolaren Erkrankung zu vermuten, obendrein werden schon Vorschläge für die medikamentöse Behandlung, z.B. mit Lithium, gemacht und der deutschen Ärzteschaft viel Unwissenheit vorgeworfen. Vor dem Hintergrundwissen, dass z.B. in einer öffentlichen Sitzung im Münchner Stadtrat 2006 darüber gestritten wurde, wie mit den vorhandenen Geldern die Kinder von substituierten Müttern davor geschützt werden können, dass sie im schlimmsten Fall von ihren überforderten Müttern mit Substitutionsmitteln ruhig gestellt werden, dass auch immer öfter Doppeldiagnosen vorliegen und psychisch kranke Mütter oft in ähnlichen Schwierigkeiten stecken wie drogenabhängige Mütter, sehe ich die Gefahr einer unkontrollierten Medikamentengabe an die Kinder, die sich dann sogar noch auf diese Publikation stützen könnte. Im nur etwas weniger schlimmen Fall werden KinderärztInnen oder die ÄrztInnen von den Eltern gedrängt oder fühlen sich berufen, zum Rezeptblock zu greifen. Wirklich qualifizierte Kinder- und JugendpsychiaterInnen und TherapeutInnen sind rar, ganze Regionen sind nicht versorgt. Ob der Autor und die Autorinnen in dieser Hinsicht ausreichend qualifiziert und erfahren sind, weiß ich nicht. Kartoniert, 172 Seiten, ISBN 978-3-8334-2584-4. Hamburg: Books on Demand 2005. € 17.50
Elisabeth Haap

Peter R. Breggin: Giftige Psychiatrie. Band 1: Was Sie über Psychopharmaka, Elektroschock, Genetik und Biologie bei »Schizophrenie«, »Depression« und »manisch-depressiver Erkrankung« wissen sollten!
Übersetzung des Buches »Toxic Psychiatry« des Psychiaters Peter Breggin aus dem Amerikanischen. Umfangreiche, an der US-amerikanischen Psychiatrie orientierte, aber dennoch sehr ausführliche und kompetente Darstellung der Wirkungsweise, Risiken und Schäden von Neuroleptika, Antidepressiva, Lithium und Elektroschocks. Ein Rundumschlag gegen die Selbsttäuschungen, Halbwahrheiten und Lügen der Psychiatrie. Kt., 345 S., Heidelberg: C. Auer Verlag 1996. DM 39.80
Peter Lehmann

Peter R. Breggin: Psychiatric Drug Withdrawal. A guidebook for prescribers, therapists, patients, and their families
Review in: Journal of Critical Psychology, Counselling and Psychotherapy (U.K.), Vol. 13 (2013), No. 2, pp. 132-134. Soft cover, 310 pages, ISBN 978-0-8261-0843-2, New York: Springer Publishing Co. 2012. GPD 42.50
Peter Lehmann

Fritz Bremer / Hartwig Hansen / Jürgen Blume: Wie geht's uns denn heute! Sozialpsychiatrie zwischen alten Idealen und neuen Herausforderungen
Der Paranus Verlag hat (mehr oder weniger) engagierte Menschen gebeten, deren Name mit der Idee der Psychiatriereform verbunden ist, ihre Sicht der historischen und aktuellen Entwicklungen aufzuschreiben. Die zumeist sozialpsychiatrischen Autoren berichten aus ihrer sozialpsychiatrischen Sicht – ohne diese kritisch zu reflektieren. Kartoniert, 241 Seiten, Neumünster: Paranus Verlag 2001. DM 36.–
Ulrike Burgstaller

Dunja Breur: Ich lebe, weil du dich erinnerst. Frauen und Kinder in Ravensbrück
Die holländische Künstlerin und Widerstandskämpferin Aat Breur-Hibma dokumentierte ihre Zeit im Frauen-KZ Ravensbrück in zahlreichen einzigartigen Zeichnungen, die sie im Lager heimlich auf der Rückseite von Karteikarten machte und die ihre Tochter Dunja erst Jahre nach der Zerschlagung des Faschismus entdeckte. Heute werden die Originale im Amsterdamer Reichsmuseum aufbewahrt. Die Erlebnisse der Mutter, die wie durch ein Wunder überlebte, sind durch Dunja Breur bekannt geworden, die auf der Suche nach ihrer eigenen Identität das Schicksal ihrer Mutter und das vieler Gefangener dem Vergessen entriss. Emotional bewegende Probleme und Thematiken anzugehen hatte die Autorin beim Clientenbond gelernt, der niederländischen Vereinigung von Psychiatriebetroffenen. Die sorgfältig reproduzierten Kohlezeichnungen, die authentischen Berichte über verrückt gewordene und über ermordete Frauen sowie die späteren Interviews mit Überlebenden sind eindrucksvolle Zeugnisse einer Welt des Terrors und der Gewalt, aber auch über den Widerstand, durch den es einigen mutigen Frauen gelang, andere vor dem Untergang zu retten und ihre Würde zu bewahren. Ein mitreißendes Buch. Geb., 256 S., 51 Abb., 4 Photos, Berlin: Nicolai Verlag 1997. DM 48.–
Kerstin Kempker

Karl-Ernst Brill: Psychisch Kranke im Recht – Ein Wegweiser
Leider ein undifferenziertes und unbrauchbares Buch. Beispiel Thema »Vorausverfügungen« (S. 23): entgegen der Angabe des Autors braucht es im Prinzip keines Prüfvermerks eines Notars oder Anwalts, denn die Erklärung ist grundsätzlich vom Psychiater zu beachten. Beispiel »Behandlungsvereinbarungen« (S. 23): der Hinweis auf die fehlende Rechtsverbindlichkeit fehlt. Beispiel Thema »Weitergabe von Daten« (S. 26): jeder Hinweis auf die grundsätzliche Schweigepflicht fehlt. Thema »Akteneinsicht, Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts«: komplette Fehlanzeige. Ein Wegweiser? Höchstens auf die juristische Schleuderbahn. Kart., 156 S., Bonn: Psychiatrie-Verlag 1998. DM 19.80
Peter Lehmann

Kelly Brogan / Kristin Loberg: Die Wahrheit über weibliche Depression – Warum sie nicht im Kopf entsteht und ohne Medikamente heilbar ist
Für die US-amerikanische Ärztin und Psychiaterin Kelly Brogan (und ihre Co-Autorin Kristin Loberg) haben Depressionen körperliche Ursachen; gesellschaftliche Aspekte blenden sie aus. Angesichts des qualitativ minderwertigen Essens in den USA (selbst Brot ist gezuckert und für unsereins kaum genießbar) und einer Vielzahl synthetischer Stoffe in der Umwelt verständlich, empfiehlt Kelly Brogan eine Entgiftung des Körpers durch eine Veränderung des Lebensstils, gesunde Ernährung und eine Beseitigung von Umweltgiften und Belastungsfaktoren in Wohn- und Arbeitsräumen. Wer wie sie Entzündungen im Darm, erhöhten Blutzucker, hormonell bedingte und sonstige Störungen im Körper für die ausschließlichen Ursachen von Depressionen hält oder Depressionen einzig über Einwirkungen auf den Körper bekämpfen will, findet in dem Buch viele Handlungsansätze. Vor Antidepressiva warnt sie, das sie die Selbstheilungsmechanismen des Körpers schwächen, an den Ursachen von Depressionen vorbeizielen, schädlich für den Körper sind und abhängig machen. Dafür gibt Kelly Brogan eine Vielzahl von Ernährungsempfehlungen, legt Meditation, geregelten Schlaf und körperliche Bewegung nahe sowie die Beseitigung schädlicher Substanzen aus der Wohnung. Auch schädliche Körperpflegemittel listet sie auf, die frau besser nicht anwendet. Stattdessen erläutert sie ausführlich die Möglichkeiten, die Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine, Mineralstoffe, Fettsäuren und andere Substanzen bieten, listet Kochrezepte auf (ihre Mutter ist italienische Köchin) und schlägt ein 30-Tage-Selbsthilfeprogramm vor mit dem Motto: "Heißen Sie Ihr neues, wunderbares Selbst willkommen!" Das Buch ist eine Übersetzung aus dem Amerikanischen, 2016 im Original erschienen, und dementsprechend ist mit US-amerikanischen Besonderheiten zu rechnen: Erkenntnisse und Literatur aus dem nichtenglischen Sprachraum bleiben ausgeblendet, die einzelnen Kapitel sind ständig mit Beispielen und Anmerkungen aus dem Leben der Hauptautorin durchsetzt, all die Daten beziehen sich auf Zustände in den USA. Erfahrungswissen von Psychiatriebetroffenen ist Mangelware, psychotherapeutische Verfahren und organisierte Selbsthilfe kommen aufgrund der biologisch-individualistischen Sichtweise von Kelly Brogan nicht vor. Wen dies alles nicht stört, findet in dem Buch eine Vielzahl lesenswerter Informationen. Diese sind zwar an Frauen adressiert, können jedoch bis auf wenige Ausnahmen auch für depressive Männer interessant sein. Kartoniert, 432 Seiten, ISBN 978-3-407-86412-3. Weinheim & Basel: Beltz Verlag 2016. € 18.95
Peter Lehmann

Thomas Bronisch (Hg.): Psychotherapie der Suizidalität. Krankheitsmodelle und Therapiepraxis – erklärungsspezifisch und schulenübergreifend
Der Herausgeber ist Oberarzt der geschlossenen Station an der Anstalt des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Alle seine AutorInnen sind Kollegen aus psychiatrischen Anstalten, entsprechend bevorzugen alle mehr oder weniger deutlich eine parallele Psychopharmakaverabreichung als »Therapie«. Der Sinn einer Psychotherapie unter persönlichkeitsveränderndem Psychopharmaka-Einfluss wird dabei ebensowenig diskutiert wie die mögliche und häufige suizidale Wirkung sedierender Neuroleptika. Kart., XI + 133 156 S., ISBN 3-13-130021-3. Stuttgart: Thieme 2002. € 39.95
Peter Lehmann

Brückenschlag 25: Wahn – Sinn – Wirklichkeit
Ein neuer Brückenschlag – Zeitschrift für Sozialpsychiatrie ist erschienen. Wie der Zeitschriftentitel sagt: Es ist ein Heft für die Sozialpsychiatrie, insofern sind die meisten Beiträge, insbesondere diejenigen der Profis, ausnahmslos sozialpsychiatrisch geprägt, d.h. sie schließen eine kritische Betrachtungsweise der eigenen Weltsicht von vornherein aus, da sie Sozialpsychiatrie an sich für kritisch genug halten. Dennoch sind in dem Heft einige Beiträge enthalten jenseits dieser ideologischen Grenzen: u.a. Dorothea Bucks Rede bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer der »Euthanasie« und Zwangssterilisation während des Nationalsozialismus vom 8. September 2008 in Berlin; Brigitte Richters »Meine Psychose gehört mir«, in dem sie auf 33 Jahre Erfahrung als Psychiatriebetroffene, dann psychosozial Tätige und Ehrenamtliche zurückblickt und sich vehement gegen die – in dem Band ansonsten gerne verwendete – Schublade »des Psychotikers« wendet; Christine Wiedemanns Bericht von ihrer Ex-In-Ausbildung, die ihr zur Reflexion, Stärkung des Selbstwertgefühls, Stelle auf 400-€-Basis und Lehrauftrag verhilft; Karsten Kirschkes mit sehenswerten Zeichnungen bebilderte kurze und prägnante Beschreibung, wie er mit künstlerischen Zeichnungen seine Paranoia fixiert und gleichfalls entzaubert; Marina Gerdes' »Wirklich wahnsinnig« – ein Artikel, in dem sie auf ihre katastrophale Kindheit mit Missbrauch und religiöser Indoktrination, nachfolgender Psychose und deren Überwindung eingeht, indem sie ....... Aber lesen Sie doch besser selbst. Kartoniert, 238 Seiten, viele farbige Abbildungen, ISBN 978-3-940636-03-4. Neumünster: Paranus Verlag Die Brücke, Band 25/2009. € 15.–
Peter Lehmann

Brückenschlag 21: Stimmen Welten
Schon immer hörten die Weisen und die Heiligen Stimmen. Dann verstummten die Götter, und das Unhörbare verschwand in der Psychiatrie. Fallbeispiele, Erfahrungsberichte, Gedichte, viel Himmel und Hölle, wenig Witz und Selbstironie. Stimmenhörer sind nicht verrückt, »man kann mit ihnen reden«. Aha. Kartoniert, 218 Seiten, 20 farbige und 1 schwarz-weiße Abbildungen, ISBN 3-926200-63-4. Neumünster: Paranus Verlag 2005. € 15.–
Peter Lehmann

Brückenschlag 9: Natur, Zerstörung, Seele – Von Umwelten und Innenwelten
Wie die Herausgeber mitteilen, spielt die innere Haltung zwischen Empfinden, Verdrängen und Hilflosigkeit angesichts der wachsenden globalen Bedrohung eine wichtige Rolle in diesem Brückenschlag. Fragen werden gestellt wie: Ist das Ozonloch das Loch in uns? Wieviel Verdrängung braucht der Mensch, um angesichts der täglich wachsenden Bedrohung morgens noch das Bett verlassen zu können? Wie halten wir das aus? Dazu haben die beiden Herausgeber, Fritz Bremer und Michael Kruhl, Meinungen, Ängste, Vorschläge, Befürchtungen, Hoffnungen, Zweifel und Ideen zusammengetragen, Texte, Prosa wie Lyrik, und Bilder von Psychiatriebetroffenen und anderen Verrückten, von Psychiatern, Literaten und Literatinnen, in der Summe weder pro- noch antipsychiatrisch, ein wildes Gemisch, ich zähle 71 Urheber und Urheberinnen. Ein Pendent zum tendenziell sehr intellektuellen »Wahnwelten im Zusammenstoß – Die Psychose als Spiegel der Zeit«, herausgegeben von Rudolf Heinz, Dietmar Kamper und Ulrich Sonnemann (Berlin 1993). Obwohl sozialpsychiatrische Zeitschrift, haben die Herausgeber doch auf jegliche Kommentierung der Texte verzichtet, dankenswerterweise. So wirken zwei Texte des unsäglichen Psychiaters Navratil, der nichts anderes kann als verrückte und psychiatrisierte Literaten auszuschlachten und zu pathologisieren, als Fremdkörper im Band. Wie gesagt, Ausnahme, und so bietet sich der Brückenschlag für all die noch unbekannten Autorinnen und Autoren, die vergeblich Publikationsmöglichkeiten für kurze Texte suchen, möglicherweise als Veröffentlichungsorgan an, jedenfalls solange, wie es noch keine Zeitschrift für Antipsychiatrie, Literatur und Kunst gibt. Andererseits wird es höchste Zeit, dass solch eine Zeitschrift entsteht, denn all das liebe sozialpsychiatrische Miteinander dient auch dazu, Grenzen zu verwischen, sozialpsychiatrische Gewalttäter und deren Opfer, Menschen mit Neuroleptika-bedingten tardiven Dyskinesien oder Elektrogeschockte, als scheinbar Gleiche in ein Boot zu setzen, und dabei ist von vornherein klar, wer wen bei nächster Gelegenheit über Bord gehen lässt. Kart., 260 S., 28 Abb. Neumünster: Paranus Verlag 1993. DM 19.50
Peter Lehmann

Burkhart Brückner: Geschichte der Psychiatrie
Als erstes fällt mir beim Lesen auf, dass der Autor Versuchung widersteht, der so viele zeitgemäße Autoren erliegen: es allen recht machen zu wollen, auch die Perspektive von Betroffenen einzubeziehen. Sein Buch versteht er als Ressource für die professionelle Identitätsbildung und Selbstreflexion im kollegialen Gespräch, es geht ihm – einzig – um die Perspektive von psychiatrisch Tätigen. Störende und unbequeme Lebens- und Sinnesweisen inkl. Verrücktheit und Krisen mitsamt ihrem Veränderungspotenzial sind für ihn »schweres psychisches Leid«, Psychiatriebetroffene, also auch solche, denen beispielsweise ohne Zustimmung Elektro- und Insulinschocks verabreicht oder die mit neurotoxischen Psychodrogen zwangsgespritzt werden, nennt er »Nutzer psychiatrischer Einrichtungen«. Diese realitätsfremde, unter Psychiatern und ihren Freunden allerdings verbreitete Sichtweise überrascht. Manch kritischer Psychiatriebetroffene wird das Buch deshalb schon bei der Einleitung wieder zurück ins Verkaufsregal stellen. Liest man über die einleitende Vorbemerkung hinaus, findet man komprimierte Erläuterungen zum frühen Umgang mit Verrücktheit im Altertum (Ägypter, Griechen, Römer), im Mittelalter (es geht u.a. um die mystischen Erfahrungen der Margery Kempe und die Kräutermedizin der Hildegard von Bingen), das belgische Geel, das sich verändernde Menschenbild in der Renaissance, barocke Tollhäuser und die aufkommende Hirnforschung, die immer mehr Mediziner störende und unbequeme Lebens- und Sinnesweisen kurzschlüssig als Störungen des Nervensystems verstehen lässt. Hier bietet das Buch intelligente übersichtliche Einheiten. Der Autor kommt dann im 18. Jahrhundert und seinen Zucht-, Arbeits- und Tollhäusern an, in die »psychisch beeinträchtigte Personen« abgeschoben werden, und dann der Anstaltspsychiatrie des beginnenden 19. Jahrhundert sowie Psychiatern, die menschenunwürdige Wegsperren kritisieren, psychologisch aufbauende Behandlungsverfahren einführen, dennoch nicht auf auch brutale Zwangsmaßnahmen verzichten mögen, wenn sie diese für nötig halten. Allerdings, und das liest man gerne, gab es schon ab Mitte des 18. Jahrhunderts Stimmen unter Psychiatern, die nahezu generell Zwangsmaßnahmen ablehnten und Behandlungserfolge mit humanen Methoden nachwiesen, ohne dass dies allerdings ihre Kollegenschaft groß interessiert hätte. Schließlich landen wir bei der biopsychosozialen Psychiatrie des beginnenden 20. Jahrhunderts und Emil Kraepelin, dem der Autor auch seine reaktionäre psychiatriepolitische Haltung vorhält, leider verzichtet er darauf, ihn, Kraepelins verheerende Rolle in der deutschen Psychiatriegeschichte herauszustreichen, ist dieser Psychiater doch immer noch – auch nach den Erfahrungen mit dem Hitlerfaschismus – hochgeschätzt, obwohl er schon Ende des zweiten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts für einen rücksichtslos in die Lebensgewohnheiten der Menschen eingreifenden Herrscher plädierte, um eine Abnahme des »Irreseins« zu erreichen. Über Bleuler, Jaspers und die Psychiatrie der Weimarer Republik stößt der Autor zum Cardiazol- und Elektroschock vor; letzterer werde heute noch durchgeführt, allerdings in modifizierter Weise und strenger Indikation. Die Begründung, weshalb ein mit einem »modifizierten« Stromschlag ausgelöster epileptischer Anfall unter »strenger« Indikation im konkreten Fall weniger Hirnschäden verursachen soll als derselbe epileptische Anfall, der mit einem unmodizifierten Stromschlag und nicht »strenger« Indikation ausgelöst wird, fehlt allerdings. Das folgende Kapitel befasst sich mit den psychiatrischen Massenmorden während der Nazizeit, und zuletzt folgt das Kapitel der psychiatrischen Psychopharmaka und ihren Risiken und Schäden, bei Neuroleptika im »Einzellfall« irreversible chronische Muskelstörungen. Betrachtungen zur Sozial- und Gemeindepsychiatrie schließen das Buch ab, wobei hier Protagonisten aller Couleur – von Basaglia über Dorothea Buch bis hin zu Dörner, Foucault – und selbst Vertreter der humanistischen Antipsychiatrie eingemeindet sind; unterschiedliche Folgen aus deren teilweise entgegengesetzten Denk- und Handlungsstrategien sind nicht mehr zu erkennen. Was hat beispielsweise die Gemeindepsychiatrie (als Weiterentwicklung der Psychiatrie) mit ihrer Überwachung der Langzeitverabreichung psychiatrischer Psychopharmaka und die in deren Folge zu verzeichnende um durchschnittlich zwei bis drei Jahrzehnte reduzierte Lebenserwartung auf Seiten der Behandelten (vom Autor leider nicht erwähnt) in gleichen Kapitel zu suchen wie die Organisierung der Betroffenen, die in der bundesdeutschen (Gemeinde-)Psychiatriereform systematisch ausgeschlossen waren und verzweifelt Alternativen zur Gemeindepsychiatrie fordern? Am Schluss stellt der Autor offene Fragen u.a. zur Versorgung von Wohnungslosen, Alten, Heimbewohnern, zum Einfluss der Pharmaindustrie, zur Zunahme psychiatrischer Diagnosen, zur psychotherapeutischen Unterversorgung und schreibt, das geschichtliche Wissen helfe, für eine sozial gerechte Kultur des psychiatrischen Helfens die Fragen »richtig« zu stellen. An seiner Stelle würde ich mir eine Reflexion der notwendigen Grenzen einer einseitigen Betrachtungsweise (aus der Sicht eines Professionellen wünschen) und die Frage, wie Psychiatriebetroffene bzw. deren Verbände wirksam in Reformstrategien miteinbezogen werden können, wenn es um die Stellung der »richtigen Fragen« zur Psychiatrieentwicklung geht. Ansonsten besteht die Gefahr, dass aus einer wohlmeinenden, auch kritische Momente einschließenden Darstellung der Psychiatriegeschichte von Professionellen für Professionelle doch wieder die ewig gleiche wohlmeinende Bevormundung folgt und das Motto »Nothing about us without us!« (»Nichts über uns ohne uns!«) weiterhin bloße Worte bleiben. Kartoniert, 159 Seiten, 16 schwarz-weiße Abbildungen, ISBN 978-3-88414-494-7. Bonn: Psychiatrie-Verlag 2010. € 16.95
Peter Lehmann

Claudia Brügge: Wohin mit dem Wahnsinn? Ausgewählte Aspekte der Kontroverse um Anstaltspsychiatrie und mögliche Alternativen – Kritischer Überblick über psychiatrische, antipsychiatrische und feministische Positionen – am Beispiel der Konzeptionen von Soteria (Bern), vom Weglaufhausprojekt Berlin und vom Therapieansatz Polina Hilsenbecks (München)
Jenseits von Scheinalternativen und politischer Utopie? »...Niemals hatte ich mit jemandem über das sprechen können, was für mich ein so wesentliches und sinnvolles Erleben war, auch wenn ich es nicht verstehen konnte. Es galt als geisteskrank und wurde nur mit Schocks bekämpft; es zu verstehen oder auch nur danach zu fragen, schien keinem Psychiater der Mühe wert....« Dreißig Jahre nach ihrem Anstaltsaufenthalt hat Dorothea Sophie Buck-Zerchin (Auf der Spur des Morgensterns) mit diesen Worten den bis heute unerhörten Anspruch derjenigen auf den Punkt gebracht, die von der Gesellschaft, ihren Mitmenschen, Freunden und Zufallsbegegnungen, Fremden und Bekannten als verrückt angesehen werden. Während im Zentrum der gesellschaftlichen Reaktion auf verrückte Äußerungen – heute wie gestern – die psychiatrische Anstalt und ihre Zwangsmittel stehen, verklingt der Anspruch einer humanen Umgangsweise, der Anspruch auf Verständnis und gleichberechtigter Verständigung weitgehend ungehört. In »Wohin mit dem Wahnsinn« liefert Claudia Brügge eine dezidiert wissenschaftlich argumentierende Untersuchung des Umgangs der Anstaltspsychiatrie mit »psychotischen« Verhaltensweisen und alternativer Vorgehensweisen jenseits des etablierten psychiatrischen Versorgungssystems. Dabei lässt sie keinen Zweifel daran, was ihre Forschungen motiviert hat, wenn sie betont, dass »ein entscheidender Motor« ihrer Arbeit »Wut und Entsetzen über Gewaltmaßnahmen der Psychiatrie, psychische Folgewirkungen und gesellschaftliche Ausgrenzung von Psychiatriebetroffenen« war. Im Zentrum ihres Interesses steht dabei der Umgang mit dem Wahn, also dem Verhalten, das im psychiatrischen Jargon als »psychotisch« bezeichnet wird. Ihre Untersuchung versteht sich konsequent als Plädoyer, »sich mit dem subjektiven Erleben von 'Wahnsinn' zu beschäftigen, sich verstärkt seinen Inhalten zuzuwenden.« Die Frage, ob es alternative Umgangsweisen mit sogenanntem psychotischem Verhalten gibt, oder die Anstaltspsychiatrie und ihre extremen Zwangsmechanismen weiterhin als ultima ratio angesehen werden müssen, wird von der Autorin keineswegs rein theoretisch oder gar mit philosophischen Mitteln untersucht (dafür wäre die Lektüre von Denkern, wie Robert D. Laing, Foucault oder Deleuze ohnehin besser geeignet). So räumt sie der Darstellung ganz konkreter psychiatriekritischer und antipsychiatrischer Institutionen in ihrer Arbeit viel Platz ein: Können diese Einrichtungen der Subjektivität der Betroffenen wirklich besser gerecht werden; bringen sie es fertig einen qualitativen Unterschied ihrer Strukturen zu etablieren? Wie wirkt sich das andere/neue Verständnis wahnhaften Verhaltens in der Praxis aus? Nicht zuletzt wurde Claudia Brügge dabei von der Frage geleitet, ob sie selbst eine dieser Einrichtungen einem Betroffenen, einem nach landläufigem Verständnis »Behandlungsbedürftigen«, weiterempfehlen würde. Der erste Teil des Buches ist einer allgemeinen Diskussion von psychiatrischen und »antipsychiatrischen« Positionen zur Anstalt und ihren Zwangsmitteln gewidmet, während sich der zweite Teil mit den in der »Soteria Bern«, dem »Frauentherapiezentrum München« und dem »Weglaufhaus Berlin« etablierten Alternativen zu herkömmlichen Institutionen befasst. In einem Anhang gibt es ausführliche Interviews mit Vertretern dieser Einrichtungen. In einem extra Kapitel hat Claudia Brügge (die selbst für Wildwasser Bielefeld – einer Anlauf- und Beratungsstelle für Frauen, die in ihrer Kindheit sexuelle Gewalt erlebt haben – gearbeitet hat) sich mit der feministischen Psychiatriekritik beschäftigt. Ein Blickwinkel, der für die ganze Studie prägend geblieben ist. Um noch einmal die Autorin selbst zur Sprache kommen zu lassen: »Ausgehend von der Tatsache, dass hier und heute keinesfalls strukturelle Umwälzungen dieses Gesellschaftssystems (zum Besseren hin) zu erwarten sind«, bietet Claudia Brügge eine lesenswerte Einführung in aktuelle alternative Konzepte zur etablierten Psychiatrie, die von der Theorie in die Praxis gefunden haben. Allerdings scheint zumindest das Interview mit Vertretern des Berliner Weglaufhauses erneuerungsbedürftig, da es vor dessen Eröffnung geführt worden ist (zur Praxis im Weglaufhaus: Kerstin Kempker (Hg.) – Flucht in die Wirklichkeit). Lesenswert ist dieses Buch für alle, deren Interesse an Alternativen zur Psychiatrie nicht bei der bloßen Theorie halt macht. Für Leute also, die der fundierte wissenschaftliche Hintergrund dieses Buches nicht abschreckt, die aber außerdem wissen wollen, wie die Wirklichkeit hinter den Konzepten aussieht. Kartoniert, 275 Seiten, 6 Abbildungen, ISBN 978-3-925931-29-1. Berlin: Antipsychiatrieverlag, korrigierte Neuausgabe 2004. € 29.90
Lucinda Bee

Rolf Brüggemann: Pharmawerbung. Bilderbuch einer Drogenideologie
Klappentext des Mabuse-Verlags: »Pharmawerbung befasst sich mit der Arzneimittelwerbung speziell in den Printmedien. Eine umfangreiche Dokumentation und kritische Analyse macht die Zusammenhänge zwischen Pharmaindustrie, Marketing und pervertiertem Gesundheitsbetrieb deutlich.« Gut lesbares, mit viel einschlägiger Anzeigenwerbung angereichertes Buch, geeignet zum ersten Einstieg in die Thematik, enthält das Heilmittelwerbegesetz. Da der Autor als Psychologe in der Anstalt arbeitet, beschränkt sich seine Psychiatriekritik auf die Forderung: Personal statt Pharmaka. Kartoniert, 180 Seiten, Frankfurt/M.: Mabuseverlag 1990. DM 29.80
Kerstin Kempker

Rolf Brüggemann / Gisela Schmid-Krebs: Verortungen der Seele – Locating the Soul / Psychiatrie-Museen in Europa – Museums of Psychiatry in Europe
Zweisprachige &Uml;bersicht über 100 europäische Psychiatriemuseen, Ausstellungen, Gedenkstätten und verwandte Einrichtungen, die »das schwierige Thema der Psychiatrie« beleuchten sollen, so die beiden AutorInnen. Sie sprechen von »Zeugnissen einer therapeutischen Kultur«, die die Museen mitsamt der Weiterentwicklung ihrer Intentionen präsentieren will. Dass Fixiergurte, Zwangsjacken und Elektroschockgeräte in – im ersten Kapitel aufgelisteten – Museen gezeigt werden und so der Eindruck entsteht, es handele sich um aus dem Gebrauch gekommene psychiatrischen Mittel zur Freiheitsberaubung und Körperverletzung, stört die Autoren eher nicht, sicher auch nicht die Sponsoren, zu denen u.a. die Pharmamultis Janssen-Cilag, Pfizer Pharma und Wyeth Pharma gehören. Zweites Kapitel im Buch: Gedenkstätten des psychiatrischen Massenmords, von den Autoren etwas irritierend als Euthanasie (aus dem Griechischen, deutsch: »sehr schöner Tod«) bezeichnet; irritierend, da sie durchaus deutlich die Mordtaten während der NS-Zeit benennen, die in den Gedenkstätten dokumentiert sind. Anschließend folgen exemplarische Kunstinitiativen zu »künstlerischen Werken psychisch kranker Menschen«. Eine »Kunst der Psychiatrie« (damit meinen die Autoren Kunst von Menschen mit psychiatrischen Diagnosen) gebe es zwar kaum, wie es – Verweis auf Jean Dubuffet – auch keine Kunst der Kniekranken gebe, nichtsdestotrotz werden sie dargestellt. Zu aller Letzt (»Nach der Pflicht folgt die Kür«) kommen noch eine Handvoll Orte, die auch irgendwie mit der Seele zu tun haben, das Berliner Erotik-Museum des Beate-Uhse-Konzerns beispielsweise oder der katholische Wallfahrtsort Lourdes. Kartoniert, 205 Seiten, viele farbige und schwarz-weiße Illustrationen, ISBN 978-3-938304-48-8. Frankfurt am Main: Mabuse Verlag 2007. € 29.90
Peter Lehmann

Georg Bruns: Ordnungsmacht Psychiatrie? Psychiatrische Zwangseinweisung als soziale Kontrolle
Obwohl auch Psychiater, bringt Bruns, Soziologe, eine Vielzahl präziser Daten zur Psychiatrie-Entwicklung im gesamten Deutschland. Bruns im Vorwort: »In den 1970er- und 1980er-Jahren war ich engagierter Mitarbeiter der Reformpsychiatrie und an der Planung und Verwirklichung mancher sozialpsychiatrischer Konzepte in der als liberal und sozial geltenden Freien Hansestadt Bremen beteiligt. Im Jahre 1984 begann ich erstmals, Zahlen über die Entwicklung der Zwangseinweisungen in Bremen zusammenzustellen, damals in der festen Überzeugung, ihren Rückgang im Gefolge einer Öffnung der Psychiatrie und der Einrichtung sozialpsychiatrischer Dienste in der Stadt belegen zu können. Desto größer war meine Erstaunen, dass die Entwicklung genau gegenläufig war. Dieses Ergebnis verlangte nach Aufklärung. Die systematische empirische Untersuchung von Zwangseinweisungen, z.T. auch in Regionen und Kliniken außerhalb Bremens, zeigte, dass Bremen mit dieser Entwicklung nicht alleine stand.« Ohne Vorwort von Dörner. Kart., 263 S., Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1993. DM 48.–
Peter Lehmann

Tom Bschor: Antidepressiva. Wie man sie richtig anwendet und wer sie nicht nehmen sollte
Tom Bschor, Chefarzt der Psychiatrischen Abteilung der Schlosspark-Klinik in Berlin-Charlottenburg und Mitautor der Behandlungsleitlinie für Depressionen, hat ein interessantes Buch über Antidepressiva geschrieben. Der Autor gesteht ein, dass »die Wissenschaft« bezüglich der Entstehung von Depressionen im Dunkeln tappe, wobei er mit Wissenschaft vermutlich die Neurobiologie meint; sozialwissenschaftliche Erklärungen von Depressionen sind schon etwas weiter. Anschaulich erklärt er die Geschichte der Antidepressiva und Erklärungsversuche deren Wirkungsweise. Dabei verwendet er viele sinnvolle Metapher und eine ausgesprochen gut verständliche Sprache, so dass auch Nichtmediziner seinen Aussagen ohne das Wälzen von Fremdwörterbüchern problemlos folgen können. Anhand von Studien zum Placebo-Effekt erklärt er die nicht vorhandene oder nur eingeschränkte biochemische Wirkungsweise von Antidepressiva, und anders als seine Kollegen verquickt er ihre Wirksamkeit mit den unerwünschten Wirkungen, um dadurch zu alles anderem als einer positiven Einschätzung von Antidepressiva zu kommen. Unstrittig sei, so Bschor, dass der größte Anteil an der Wirkung von Antidepressiva auf den Placebo-Effekt zurückgehe. Insofern sei die Bezeichnung »Antidepressiva« für diese Substanzen irreführend, eher ein Marketing-Zweck. Weitere wichtige Themen sind die gelegentliche suizidale Wirkung von Antidepressiva, vor der er in deutlichen Worten warnt, sowie Entzugssymptome und Reboundphänomene, d.h. die beschleunigte Rückkehr von Depressionen nach möglicherweise zu schnellem Absetzen. Da aber keine Sucht nach Antidepressiva entstehe, könne man von einer Abhängigkeit nicht sprechen, so seine allerdings nur für Mainstream-Psychiater logische Verquickung von Sucht und Abhängigkeit. Nichtsdestrotrotz sei die Befürchtung besorgniserregend, dass Rebounds nach dem Absetzen drohen und die eventuelle Besserung einer aktuellen Depression damit erkauft werde, dass nach dem Absetzen eine womöglich stärkere Depression einsetzt. Hier fehlt mir ein Verweis auf die Studien des Psychiaters Giovanni Fava von der Universität Bologna oder die Informationen des Humanbiologen Peter Ansari (in seinem Buch »Unglück auf Rezept«, gemeinsam mit Sabine Ansari) zu den Themen Toleranzbildung, mit der Zeit nachlassende oder verschwindende pharmakologische Wirkung, Veränderung der Depression in Richtung bipolare, das heißt manisch-depressive Störung, Chronifizierung von Depressionen durch Antidepressiva sowie Bildung von Behandlungsresistenzen und beschleunigten Rückfällen auch unter Antidepressiva. Leider geht Tom Bschor (noch) nicht so weit. Insofern kommt er im zweiten Buchteil zum Ergebnis: auch wenn die Hälfte der Betroffenen nicht auf die Antidepressiva »anspreche«, seien Antidepressiva insgesamt doch wirksamer als Placebos, und bei ernsten Depressionen oder wenn die Betroffenen es wünschen oder wenn kein Psychotherapieplatz verfügbar sei, solle in jedem Fall ein Behandlungsversuch gewagt werden. Zudem böten Antidepressiva einen besseren Rückfallschutz, je länger man sie einnehme; Belege für eine solche umstrittene Aussage nennt er allerdings nicht. Wer sich für Antidepressiva entscheide, solle sich allerdings zuvor damit beschäftigen, was passiere, wenn eines Tages das Antidepressivum wieder abgesetzt werde, weshalb die Entscheidung pro Antidepressiva sehr zurückhaltend ausfallen und auf schwerste Depressionen beschränkt bleiben sollte. Nach diesen Bedenken folgen eine Reihe sinnvoller Alternativen zu Antidepressiva, Regeln für einen guten Schlaf, Selbsthilfe, Bewegung, Therapie etc. Dies liest sich alles prima, bis Tom Bschor – ohne auf die Ursache von Behandlungsresistenzen einzugehen, nämlich den mit der Zeit eintretenden Wirkungsverlust von Antidepressiva – bei »therapieresistenten« Depressionen Elektroschocks anpreist: als gut bewährte, sichere und verträgliche Maßnahmen. Dass er dabei Aussagen zum Beispiel des US-amerikanischen Psychiaterverbands APA komplett ignoriert, wonach Elektroschocks zu langanhaltendem oder dauerhaftem Gedächtnisverlust führen können, wie auch betroffenenorientierte Studien, die eine hohes Ausmaß von Langzeitschäden zutage förderten, hinterlässt einen äußerst bitteren Nachgeschmack. Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzumschlag, 223 Seiten, ISBN 978-3-517-09736-7. München: Südwest Verlag 2018. € 20.–
Peter Lehmann

Dorothea Buck: Mit meinen herzlichen Grüßen! Ihre Dorothea Buck. Der Gartenhaus-Briefwechsel
Das Buch ist eine Dokumentation von Briefwechseln: Briefe an Dorothea Buck, Gründerin und Ehrenvorsitzende des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener e.V., als Reaktion unter anderem auf ihr Buch "Auf der Spur des Morgensterns" sowie auf Fernseh- oder Rundfunkauftritte. Die Herausgeber Hartwig Hansen und Fritz Bremer haben 20 Ordner mit gesammelten Briefen von Betroffenen, Angehörigen und Profis sowie Durchschlägen der Antworten durchforscht und nach Themengebieten geordnet, mit Schwerpunkt auf lebenspraktische Anliegen und eigenem Psychoseverständnis. Mit beeindruckender Klarheit, Ausführlichkeit, Integrität und Geduld geht Dorothea Buck auf eine kaum überschaubare Palette von Themen ein: Deutung von Wahninhalten, familiäre Probleme, Berufs- und Studienwahl, Faschismus, Psychopharmaka, Schlafstörungen, naturheilkundliche Mittel, Fußbäder, Vorausverfügungen, Chaostheorie, Psychoseseminare, Selbstdiskriminierung durch Übernahme psychiatrischer Diagnostik, Vorenthalten von Gesprächen in der Psychiatrie, Soteria, Veränderung der Psychiatrie etc. All ihre Briefe sind getragen von Hoffnung, Zuversicht und Ermutigung zur Selbsthilfe, sie kommentiert, erklärt, macht konkrete Ratschläge. Wenn man sich fragt, wo sie all die Kraft und Zeit hergenommen hat, so ausführlich und individuell auf all die Briefe voller existenzieller Problemen einzugehen, ergibt sich der Großteil der Antwort sicher aus ihrer Einsicht der Gabe und Berufung, andere Psychiatriebetroffene ermutigen zu können, und aus ihrem Gottvertrauen und christlichen Glauben, den sie wohltuend ohne jegliches pastorale Brimborium äußert. Und dann ist da noch die zusätzliche, Kraft gebende Wertschätzung ihrer Einsichten und Äußerungen, die in den Briefen an sie enthalten ist. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 205 Seiten, ISBN 978-3-940636-37-9. Neumünster: Paranus Verlag 2016. € 19.95
Peter Lehmann

Martina E. Büchel: Ich mach auch mein Ding. Wer Träume leben will, muss Ängste bekämpfen
Krankheitseinsichtig und Psychopharmaka im Bedarfsfall durchaus zugetan, will Martina Büchel, von 2008 bis 2010 Psychiatriepatientin, Informationen über die Wurzeln der Depression und ihren Zusammenhang mit der heutigen Arbeitswelt geben, ebenso über herkömmliche und alternative Methoden der Psychiatrie sowie über die Bedeutung von Glauben und Kreativität für die Heilung. Sie will Angehörigen und Betroffenen Mut machen. Das ist löblich. In lose zusammenhängenden Kapiteln listet sie eigene Gedanken auf, Zitate, Gedichte, Berichte ihres Suizidversuchs, spricht Inhalte von Artikel oder Fernsehsendungen an, die sie interessant fand. Ob sich auch andere dafür interessieren, ist eine andere Sache. Hildegard von Bingen, Robert Enke, Prinzhorn-Sammlung, Soteria, Vincent van Gogh, Hermann Hesse, Gustl Mollath, Zwangsbehandlung, DSM-V, ICD-10, Burnout, DGSP, Ex-In, Gärtnern, Theaterspielen, Kunsttherapie, Singen, Schreiben, Beneš-Dekrete, Oma, Sinn von Krisen ... eine wilde Mischung von Themen greift die Autorin auf, oft nur mit einem Satz, und leicht fällt ihr der Übergang von ihren individuellen Erfahrungen zur Verallgemeinerung. »Wie fühlt sich eine Betroffene in der Psychiatrie« hat den Unterton, als würden sich alle Betroffenen ähnlich fühlen. »In Akutphasen ist der Einsatz von Medikamenten notwendig, um die Symptome zu bekämpfen.« Sie setzt ihre persönliche Erfahrung und Haltung absolut, die darin enthaltene Bevormundung anderer Psychiatrie-Betroffener wäre bei einem Lektorat des Buches besser entfernt worden. In einem Kapitel teilt sie mit, was ihr nach der Psychiatrie in einer Tagesstätte gut getan und wie sie dort den Weg zu Stärke und Selbstbewusstsein gefunden hat, um – frei nach Udo Lindenberg – auch ihr Ding zu machen. Und das hat sie gemacht. Sie hat ihr Buch geschrieben, den psychosozialen Bereich verlassen und geht jetzt ihre eigenen Wege. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 173 Seiten, 14 farbige Abbildungen, ISBN 978-3-938266-13-9. Steinfeld: Bernd Reimer Edition 2014. € 15.60
Peter Lehmann

Huub Buijssen: Depression. Helfen und sich nicht verlieren. Ein Ratgeber für Freunde und Familie
Laut Klappentext will der Autor, ein Psychologe aus den Niederlanden, Angehörigen zeigen, wie man depressiven Menschen helfen kann, ohne sich selbst zu verlieren. Neben Pflege der Partnerbeziehung, Psychotherapie, Bewegung u.v.m. empfiehlt Bujssen auch Antidepressiva und Elektroschock, der »kaum Nebenwirkungen« habe und eine Effektivität habe, die »verblüffend hoch« sei. Einleitend will der Autor Haftungsansprüche im Falle von Personen-, Sach- und Vermögensschäden für den Fall ausschließen, dass jemand infolge seiner Ratschläge zu Schaden kommt, da seine Ratschläge »mit größter Sorgfalt« geprüft worden seien. Auch der Verlag könne keine Garantie übernehmen. Eine Garantie zu verlangen für irgendwelche Ratschläge wäre sicher absurd. Aber wer die Risiken von Elektroschocks derart bagatellisiert und all die Publikationen von Experten (John Friedberg, Peter Breggin, Marc Rufer, Leonard Frank u.v.m.) verschweigt und damit Betroffene und ihre Familien möglicherlicherweise dazu verleitet, die Zustimmung zu dieser Methode zu geben, die aus der Auslösung eines epileptischen Anfalls besteht und zu irreversiblen Hirnzellschäden führen kann, sollte früher oder später mit Haftungsansprüchen rechnen. Gebunden, 187 Seiten, ISBN 978-3-407-85919-8. Weinheim und Basel: Beltz Verlag 2011. € 17.95
Peter Lehmann

Antje Bultmann / Friedmann Schmithals (Hg.): Käufliche Wissenschaft. Experten im Dienst von Industrie und Politik
Vorwort von Carl Amery. U.a. über die Rolle von Gutachtern vor Gericht. Und mit einem 34seitigen Beitrag Marc Rufers über einen verhängnisvollen psychiatrischen ›Kunstfehler‹: Dieser hatte Carl W. eine 23 Jahre währende Psychiatrisierung eingebracht und der Psychiatrie schließlich eine Klage auf Schmerzensgeld in Höhe von 130.000 sFr wegen jahrelanger auch formal ungerechtfertigter Unterbringung sowie wegen Behandlungsschäden (tardive Dyskinesie). Am 22.1.1994 gewann Carl W. die Klage in letzter Instanz und erhält nun mit Zins und Zinseszins 190000 sFr. Kart., 413 S., München 1994: Knaur Taschenbuch Nr. 77115. DM 16.90
Peter Lehmann

Carola Burkhardt-Neumann: Wegweiser Psychopharmaka. Wirkstoffe für die Seele
Hat die Psychiaterin Burkhardt-Neumann ihr Buch – siehe die Links auf den empfohlenen Websites – für die pharmafirmengesponserten Psychiatrieverbände, z.B. Lichtblick oder BApK, geschrieben? Insbesondere die neueren Psychopharmaka, speziell die »atypischen« Neuroleptika, behandelt sie nicht gerade kritisch, sondern versteht sie in ihrer speziellen, subjektiv vermeintlich verträglicheren Wirkung als positives Ergebnis antipsychiatrischer Proteste – welch schlimmes Verständnis von Antipsychiatrie. Zu Risperdal schreibt sie beispielsweise, es habe sich bei vielen Patienten bewährt. Heute, am 17.3.2006, wo ich diese Rezension schreibe, las ich in der Mailingliste des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener (BPE) die Botschaft von »Martin«: »Hallo liebe Liste, mein Freund Uwe ist in der Nacht zu gestern verstorben. Er war PE, bekam Risperdal und starb an plötzlichem Herztod. Ich bin sehr traurig.« Vermutlich würden solche Warnungen und Hinweise die Leser irritieren, so unterbleiben sie besser, obwohl fürwahr nicht neu. Wenig überraschend, dass die Autorin auf der von ihr betreuten Internetseite www.wegweiser-psychopharmaka.de, die sie im Buch nennt, den – von einer Reihe von Psychiatriebetroffenen ganz und gar nicht als übermäßig kritisch eingeschätzten, allerdings von Pharmageldern unabhängigen – BPE als »sehr psychiatriekritisch« herausstreicht. Einen entsprechenden Hinweis zu den gleichfalls gelisteten Verbänden, die von Pharmafirmen gesponsert werden (z.B. »sehr psychiatrieunkritisch«) sucht man vergeblich. Konsequenterweise ordnet die Autorin selbst ihr Buch in den Formenkreis der herrschenden biologischen Psychiatrieliteratur ein; ob sie das Allerweltsmotto »So viel wie nötig, so wenig wie möglich« – an sich eine Selbstverständlichkeit in der Medizin – als kritische Losung versteht? Pharmakogene Suizidalität z.B. kommt in ihrem Wegweiser nicht vor, Abhängigkeit wird nur bei Benzodiazepinen eingestanden, Literaturhinweise zum Thema, wie die empfohlenen Psychopharmaka wieder abgesetzt werden können, sind ebenso Mangelware. Wohin der gewiesene Weg führt, kann man sich so an allen 10 Fingern abzählen. Schade, dabei hätte Carola Burkhardt-Neumann, Autorin des Artikels »Neuroleptika absetzen – Eine ›Nebenwirkung‹ klassisch-homöopathischer Behandlung« in dem Buch »Psychopharmaka absetzen«, durchaus auch andere Wege zur Disposition stellen können. Paperback, 269 Seiten, ISBN 3-928316-23-0. München: Zenit Verlag 2005. € 18.–
Peter Lehmann

Jens Burmester (Hg.): Schlucken und ducken. Medikamentenmissbrauch bei Frauen und Kindern
Beiträge von Ingrid Füller, Gerd Glaeske, Reinhard Voss u.a., vor allem über Psychopharmaka und Schmerzmittel. Kurz, übersichtlich, sachlich, mit Tabellen und Zahlen. Kartoniert, 72 Seiten. Geesthacht: Neuland Verlags GmbH 1994. DM 15.80
Peter Lehmann

Bonnie Burstow: Radical Feminist Therapy: Working in the Context of Violence
The first feministic book about psychotherapy with clear antipsychiatric direction. By an antipsychiatric activist, psychotherapist and former Assistance Professor for Social Work. With clear, practical suggestions on what to do and how to do it when working with women on different problems. Paperback, 320 pp., Newbury Park: Sage Publications 1992. $ 17.95
Peter Lehmann

Willi Butollo: Die Angst ist eine Kraft – Über die konstruktive Bewältigung von Alltagsängsten
Die zentrale These von Butollos besagt, dass Angst ein wichtiges, lebenserhaltendes Gefühl sei, das den Menschen zur Bewältigung von realen Bedrohungen antreibe. Deshalb komme es darauf an, die in den Ängsten noch ungerichtete Angst so einzusetzen, dass sie der Bewältigung des Problems diene. Es gelte, zur Auseinandersetzung mit Ängsten Energie zur Persönlichkeitsreifung und zur Reflexion problematischer gesellschaftlicher Verhältnisse freizusetzen. Beispiele von Menschen, die sich in ihrem Leben mit verschiedenen Formen von Ängsten auseinandersetzen mussten, zeigen die Vielfalt an Lösungsmöglichkeiten in diesem aufschlussreichen, wissenschaftlich fundierten und dennoch ausgesprochen verständlichen Buch auf. Kartoniert, 201 Seiten, ISBN 978-3-407-22077-6. Weinheim & Basel: Beltz Verlag 2000. € 11.–
Peter Lehmann

Ursula Caberta: Schwarzbuch Scientology
Informatives Buch über die Gefahren, die von Scientology-Organisationen ausgehen: Über das Ködern und Beeinflussen von Menschen und den Umgang mit Kritikern, mit innerhalb der Organisation verrückt werdenden Menschen, mit Kindern und Frauen. Allerdings will die Autorin die Psychiatriekritik von Scientology mit dem naiven Argument abtun, bei den verabreichten Psychopharmaka handele es sich doch um zugelassene Medikamente, Kritik sei also von vornherein nicht angebracht. Sie ignoriert dabei die allgemein bekannte Verabreichung ohne informierte Zustimmung und teilweise unter körperlichen Zwang. So drängt sich der Eindruck auf, dass solcherart Bücher, die aus der Sicht der Obrigkeit – Frau Caberta ist beim Hamburger Innensenat angesiedelt – geschrieben sind, sich nur sehr eingeschränkt eignen, den Scientologen das Wasser abzugraben. »Wer auf die Gefahren, die von der Scientology-Organisation ausgehen, hinweist oder sich gar von ihr löst, gerät unweigerlich in das Visier dieser Organisation. Kritiker werden diffamiert, öffentlich bloß...«, so der CSU-Mann Günther Beckstein in seinem Vorwort. Dass es Psychiatriekritikern andersrum ebenso geht – ein Blick in die von Caberta als (nicht gerade als seriös zu bezeichnende) genannte Internetquelle des Ingo Heinemann genügt –, lässt einen leicht bitteren Geschmack aufkommen: Mit den Scientologen und ihren Jägern haben sich zwei Instanzen gefunden, die alles Mögliche bieten, nur eines nicht: Hilfe und Orientierung für Menschen, die an der Psychiatrie leiden. Englisch Broschur, 207 Seiten, ISBN 978-3-579-06974-6. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007. € 17.95
Peter Lehmann

Filip Caby / Andrea Caby: Die kleine Psychotherapeutische Schatzkiste – Tipps und Tricks für kleine und große Probleme vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter
Für Professionelle und Betroffene interessante und systemisch orientierte Tipps und Tricks für die Gesprächsführung, spezielle Fragetechniken sowie ungewöhnliche Lösungen für alltägliche und weniger alltägliche psychische Probleme und/oder Verhaltensauffälligkeiten, getragen von Respekt und Wertschätzung für Fähigkeiten und die bisherigen Lösungsversuche der Beteiligten. Spiralbindung, 169 S., ISBN 978-3-938187-47-0. Dortmund: verlag modernes lernen Borgmann 2009. € 19.95
Peter Lehmann

Heide-Marie Cammans: Betroffen durch Sekten? Ein Ratgeber
Allgemeine Aussagen über Techniken der Anwerbung, der Beeinflussung, des Umgangs mit Betroffenen und des Ausstiegs, wenig Informationen über spezielle Sekten (mit Ausnahme von Scientology, auf die die Autorin etwas näher eingeht). Kart., 189 S., Düsseldorf: Patmos Verlag 1997. DM 29.80
Peter Lehmann

Dorrit Cato Christensen: Dear Luise. A story of power and powerlessness in Denmark's psychiatric care system
In Denmark, there is an association called "Død i psykiatrien" (Dead in Psychiatric Care). It consists of bereaved ones and friends of young people who have died while in psychiatric treatment. These families are left alone with their grief, loss and hopelessness. Together, as an association, they created a forum to share their experiences and demand changes to the treatment modalities that led to the death of their loved ones.
Dorrit, the author of Dear Luise, is the Chair of Død i psykiatrien and the mother of Luise. In 2005, Luise died at the age of 32 after a period of 21 years with administration of different psychiatric drugs: first, anti-epileptics, then more and more other drugs to suppress adverse effects, finally neuroleptics only hours after the first injection of a depot neuroleptic. Luise foresaw that the neuroleptics would kill her and presciently told her mother her tombstone should read, The medication killed me.
Different from her daughter, the author calls the cause of death overdoses of medicine. This is correct because the drug doses were too much for Luise. But deaths caused by psychiatric drugs, especially neuroleptics, happen after administration in all doses, low and recommended ones. To speak of overdoses signals, that there are safe doses. In general, psychiatric drugs are "Unsafe at Any Dose", as Bob Johnson, member of the Royal College of Psychiatrists, says in his homonymous book.
Apart from this different assessment, I fully share Dorit's assessment of her and her daughter's struggle in the psychiatric system in Denmark and of the "experts'" unwilling to listen to both parents and child. From the age of 11, Luise displayed signs of adjustment problems and unusual creativity, which would today be called "Asperger's Syndrome". Doctors, psychiatrists included, administered anti-epileptics, and with the years, a cascade of other psychiatric drugs to suppress their adverse effects. A typical deadly spiral.
Dorrit outlines the sequence of events that brought her daughter to death. She does it in short and understated vignettes, interspersed with actual letters she wrote Luise when she was out of reach – as it were in slow motion. How much energy and strongth is needed to describe such a tragedy. How much pain must it be for the mother to witness the loss of the daughter again and again virtually. But it happened, and writing the book surely is a form of coming to terms with the catastrophe. And it is a productive form, not only a touching one, but also an educational one. The foreword to both the Danish and English editions is by Poul Nyrup Rasmussen, former Prime Minister of Denmark and Member of the European Parliament dealing with psychiatric issues.
Although the tragedy happened in Denmark, such incidents are happening everyday in all countries with modern drug-based psychiatry. Therefore the book is not only for the information of psychiatric workers, but also a warning for patients' relatives. Because the reduction of life expectance goes along with the epidemic spread of modern so-called atypical neuroleptics, the book, originally published in Denmark in 2011, becomes more newsworthy each day. Review in: Journal of Critical Psychology, Counselling and Psychotherapy, Vol. 19 (2019), No. 3, p. 205. Soft cover, VI + 210 pp., ISBN 978-0988412200. Portland, Oregon: Jorvik Press $ 15.25
Peter Lehmann

Garuth Chalfont: Naturgestützte Therapie – Tier- und pflanzengestützte Therapien für Menschen mit einer Demenz planen, gestalten und ausführen
Fundiertes Buch eines Pflegeassistenten und Forschers an der Schule für Architektur an der Universität von Sheffield, der von einem Menschenrecht vom Zugang zur Natur ausgeht; die Abkopplung von ihr bedeute auch die Abkopplung vom ursprünglichsten und wesenhaftesten Zug unseres Menschseins. Sein Buch ist geprägt von der Hoffnung, sein Konzept der naturgestützten Therapie möge sich ausgehend von zarten Anfängen nach und nach in Pflegeheimen etablieren und irgendwann einmal völlig normal sein. Das Buch ist übersichtlich gegliedert: Teil 1 enthält die Kapitel »Mit der Natur leben«, »Aktivitäten, die Natur einbeziehen« und »Ethische Probleme der Einbeziehung der Natur im Innenbereich«. Speziell das letztgenannte Kapitel besticht durch seine Praxisorientierung; in Blumenkübel urinierende Menschen mit Demenz werden ebenso angesprochen wie sture Heimordnungen, die nicht die Person in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen, sondern die Pflegeleichtigkeit der Heimroutine. Dabei, das zeigen die immer wieder eingestreuten pflegewissenschaftlichen Ergebnisse, bringt die Einbeziehung »der Natur« (gemeint: ihr wohltuender und anregender Anteil) tendenziell erhebliche Vorteile für die Betroffenen. In Teil 2 geht es um »Die natürliche Umwelt«, »Aktivitäten im Freien« und wieder ein Kapitel, das sich mit offenen ethischen Fragen befasst sowie Vorschlägen, nach welchen Prinzipien diese beantwortet werden können. Die stete Reflexion des Machbaren und Wünschenswerten und der Versuch des Ausgleichs eines Interessenskonflikts aller Beteiligter ergibt sich aus der Tatsache, dass der Autor betroffener Familiengehöriger, professionelle Pflegekraft und humanistisch orientierter Wissenschaftler in einer Person ist. Eine weitere Stärke des eigentlich aus dem angloamerikanischen Sprachraum stammenden Buches ist die ausgezeichnete Übersetzung, die die Erläuterung von Fachbegriffen ebenso einschließt wie die Zurverfügungstellung von Informationen, die sich auf die Übertragung der Vorschläge und Erkenntnisse Chalfonts auf den deutschen Sprachraum beziehen. Kartoniert, 245 Seiten, Abbildungen, Tabellen, ISBN 978-3-456-84748-1. Bern: Hans Huber Verlag 2010. € 29.95
Peter Lehmann

Fritz Christoph / Horst Illiger (Hg.): Notwehr. Gegen die neue Euthanasie
Hochaktuelle Auseinandersetzung mit der modernen sachwertorientierten Ethik in der Medizin. Mit historischen Rückblicken und Einschätzungen der heutigen »Euthanasie«-Bedrohung von AutorInnen (u.a. Fritz Niemand, Klara Nowak, Dorothea Buck), die im Rahmen vorbeugender Sozialpsychiatrie während des Faschismus zwangssterilisiert wurden. Ein Buch, das die Augen öffnet – auch denen, die sich noch nie mit diesen Themen auseinandersetzen mussten. Kart., 301 S., Neumünster: Paranus Verlag 1993. DM 24.50
Peter Lehmann

Burkhard Ciupka: Zwänge –  Hilfe für ein oft verheimlichtes Leiden
In Burkhard Ciupkas Buch fehlen wesentliche Zwangserkrankungen wie z.B. Putzzwang usw. Dieses Buch erweckt den Eindruck, als seien dem Autor Vorgaben für die psychopharmakaorientierte Sichtweise gegeben worden. Für Betroffene, Angehörige, Profis und Laien ist dieses Buch völlig unbrauchbar, weil Ciupka seine persönliche Sicht unreflektiert verallgemeinert. Kartoniert,152 Seiten, Zürich: Walter Verlag 2001. DM 29.80
Ulrike Burgstaller

Anouk Claes: Angst – Beschützer rund um die Uhr. Wie Sie Ihren Ängsten wirkungsvoll begegnen
Die sich als Medium verstehende Belgierin erklärt neu, dass Angst durchaus einen Sinn in unserem Leben haben kann, indem uns Angst vor Gefahren schützt. Man redet mit der Angst, begegnet ihr liebevoll, freundet sich mit ihr an, versteht sie. Und mit den geeigneten übersinnlichen Maßnahmen (Einfluss auf das Energiefeld, Geistiges Reisen) werde man dauerhaft frei von den Folgen unerwünschter Ängste. Ein Buch ausschließlich für Freunde der Esoterik. Kartoniert, 90 Seiten, ISBN 978-3-905836-03-5. St. Gallen: Allinti Verlag 2008. € 11.90
Peter Lehmann

Günther Cloerkes / Jörg Michael Kastl (Hg.): Leben und Arbeiten unter erschwerten Bedingungen – Menschen mit Behinderungen im Netz der Institutionen
Ein Buch, das sich mit einer Vielfalt von Problemen der institutionalisierten Behindertenhilfe auseinandersetzt, sowohl bei Menschen mit körperlichen Behinderungen als bei Menschen, die als psychisch oder geistig behindert gelten. Dabei wird der Spagat zwischen Teilhabe und Selbstbestimmung auf der einen Seite und Handlungszwängen und Etikettierungen auf der anderen reflektiert. Die Hilfen erleichtern und schaffen zugleich »erschwerte Bedingungen« des Lebens und Arbeitens von Menschen mit Behinderungen. Ein Artikel bezieht sich direkt auf sogenannte psychisch Behinderte: »Deinstitutionalisierung durch Persönliche Budgets? Am Beispiel der Situation von Menschen mit psychischen Behinderungen« von Jörg Michael Kastl und Thomas Meyer. Sie referieren Fallbeispiele aus dem 2005 in Baden-Württemberg abgeschlossenen Modellprojekt und erörtern das Problem notwendiger und nicht notwendiger Reinstitutionalisierungen sowie institutioneller Verankerungen dieses eigentlich auf Deinstitutionalisierung angelegten Instruments der Behindertenhilfe. Artikel zur Geschichte der Behindertenhilfe seit dem Mittelalter, zum Leben mit Behinderung in einer alternden Gesellschaft, zu spezifischen Arbeitsproblemen behinderter Frauen sowie zum Recht auf Teilhabe im europarechtlichen Rahmen runden die Textsammlung ab. Originalausgabe. Kartoniert, 250 Seiten, 5 Tabellen, ISBN 978-3-8253-8335-0. Heidelberg: Carl Winter Verlag 2007. € 24.–
Peter Lehmann

Clozaril Patient Monitoring Newsletter, Nr. 5 siehe unter Sammelrezension

Alison Cobb: Older Women & ECT
Eine Studie, die einmal mehr sorgfältig nachweist, dass es Frauen und vor allem Ältere sind, die man elektroschockt, selbstverständlich ohne rechtswirksame Aufklärung. Geheftetes Manuskript, 23 S., London 1995. Ca. GPD 2.– Bestelladresse: MIND Policy Department, 15 – 19 Broadway, London E 15 4BH, England
Peter Lehmann

Katharina Coblenz: Katharina Katharina. Ein Fragment
Unter dem Leitmotiv, der Besteigung des Katharinenbergs im Sinai (wobei sie sich in einen Beduinen verliebt), erinnert sich Katharina Lenz, die Protagonistin des Buches, ihrer eigenen Geschichte, die durch die Überwachung durch die Stasi in der DDR charakterisiert ist. Widerständige Pastorin auf Rügen und im Umfeld Friedrich Schorlemmers, hat sie den Verdacht, dass es nicht Entfremdungsprozesse von ihrem Ehemann waren, die sie in die Psychiatrie brachten, sondern üble Tricks der Stasi. Die dritte Ebene wird durch Reflexionen über die namensgleiche Katharina von Alexandrien gebildet, eine heilig gesprochene Märtyrerin des Mittelalters, die ihre Widerspenstigkeit mit dem Foltertod bezahlte. Drei unterschiedliche Schrifttypen ermöglichen es, die unterschiedlichen Erzählebenen auseinanderzuhalten. Geb., 158 S., Stuttgart: Radius Verlag 1997. DM 36.–
Peter Lehmann

David Cohen (Ed.): Challenging the Therapeutic State. Part 2: Further Dysquisitions on the Mental Health System
With the articles "Environmental failure – oppression is the only cause of psychopathology" by David H. Jacobs, "Limitations of the ciritique of the medical model" by Ken Barney, "Something is happening: the contemporary consumer and psychiatric survivor movement in historical context"; by Barbara Averett, "The myth of the reliability of DSM" by Stuart A. Kirk and Herb Kutchins, "Caseness and narrative: contrasting approaches to people who are psychiatrically labeled" by Michael A. Susko, "Blaming the victims": silencing women sexually exploited by psychotherapists« by Catherine D. Nugent, "Neuroleptic drug treatment of schizophrenia: the state of the confusion" by David Cohen, "Determining the competency of the neediest" by Jonathan Rabinowitz and "ECT: sham statistics, the myth of convulsive therapy, and the case for consumer misinformation" by Douglas G. Cameron. Allone by reading the titles of these articles it is (not) easy to understand, why the journal is not be available by the most university libraries. At the same time it is – together with the English Changes (International Journal of Psychology and Psychotherapy). 198 p., Journal of Mind and Behavior, Vol. 15 (1994), No. 1/2. Order-adress: Journal of Mind and Behavior, P.O.Box 522, Village Station, New York, NY 10014, USA
Peter Lehmann

Clemens Cording / Wolfgang Weig (Hg.): Zwischen Zwang und Fürsorge. Die Psychiatriegesetze der deutschen Länder
Die kompletten Texte der Unterbringungsgesetze aller 16 Bundesländer – das älteste von 1952 (Hessen), das jüngste von 2001 (Bremen) – ihre Charakteristika und angedeutet ihr Konfliktpotential, dargestellt von Psychiatern und einem Anwalt, gefördert von der Firma Astra Zenica (Hersteller z.B. von Seroquel). Aber – besonders zum Aufspüren der Unterschiede zwischen den Ländergesetzen – unentbehrlich für alle, die sich mit dieser Art der 'Gefahrenabwehr' befassen. Kartoniert, 396 Seiten, zahlreiche Abbildungen und Tabellen, ISBN 3-935176-25-2. Baden-Baden: Deutscher Wissenschaftsverlag (DWV) 2003. € 38.90
Kerstin Kempker

Johan Cullberg: Therapie der Psychosen – Ein interdisziplinärer Ansatz
Johan Cullberg, ein Psychiater aus Schweden, im Vorwort zum Buch schreibt, er wolle ein umfassendes Bild psychotischer Menschen als menschliche Wesen aus der Perspektive eines einzigen Klinikers entwerfen, spricht er – vermutlich unbewusst – eine Vielzahl von Problemen an, die ihm und seinem Buch zum Verhängnis wurden. Er entwirft ein Bild, ein Konstrukt – sein Bild, mit dem er die Masse der als psychotisch geltenden Menschen ohne Einschränkung abgebildet und katalogisiert haben möchte. Auf dem Papier kann er diesen Anspruch erheben. Papier ist geduldig, es begehrt nicht auf, wenn er das Erfahrungswissen Psychiatriebetroffener, deren eigenen Deutungen und deren Anspruch, sogenannte Psychosen individuell zu definieren, ignoriert. Es wird auch nicht zu Asche, wenn Menschen mit der psychiatrischen Diagnose »Psychose« erst zu menschlichen Wesen gemacht werden müssen; offenbar sind sie für Cullberg ohne seine definitorischen Fähigkeiten nichtmenschliche Wesen. Das tut weh angesichts der Erwartungen, die mit seinem lobenswerten Ansatz verbunden sind, die Erstvergabe von Neuroleptika bei psychotischen Diagnosen zu reduzieren oder gar vermeiden. Von diesem positiven Ansatz abgesehen ist es schwer herauszufinden, wodurch sich Cullberg von normalen Psychiatern unterscheidet. Menschen mit der Diagnose »Schizophrenie« gelten für ihn als Behinderte mit genetischer Prädisposition, denen oft Neuroleptika zur Rückfallverhütung zu verordnen sei. Er sieht sich einig mit den Forscherinnen und Forschern, »dass viele Gene, etwa 15 bis 20 oder auch mehr, in verschiedenen Kombinationen interagieren und so in komplexer Weise die Anfälligkeit für psychotische Erkrankungen mitbedingen.« (S. 70) Vielleicht dürfen es ja auch ein bisschen mehr sein, 100 oder 1000 oder 5000, die »mitbedingen«? Gene hat ja unzweifelhaft jeder Mensch, auch psychiatrisch Diagnostizierte, wer will also dieser Beliebigkeit etwas entgegensetzen? Von dieser durchsetzt ist das gesamte Buch. Cullberg sammelt alle möglichen theoretischen Behauptungen, lässt sie alle mehr oder weniger oder überhaupt gelten oder auch nicht. Seine Art der Darstellung ist alles andere als klar, und so werden die einen in ihm – ähnlich Klaus Dörner – einen neuen psychiatrischen Messias sehen; die anderen werden sein Buch gelangweilt in die Ecke legen, denn (wie bei Klaus Dörner) ist der Elektroschock akzeptabel, noch nicht einmal kritische Positionen zur Zwangsbehandlung finden sich; wo soll also ein Ansatz begründet sein für eine psychosoziale Versorgung, die die Menschenrechte beachtet und den Betroffenen vor behandlungsbedingten Schäden schützt? »Ist der Patient nicht fähig zu kooperieren und droht eine gefährliche Situation, dann müssen die Medikamente zwangsweise verabreicht werden. Diese sollte 'sanft, aber bestimmt' erfolgen und von einer Erklärung begleitet sein, warum die Zwangsmedikation notwendig ist.« (S. 264) Auch im Buch enthalten sind kleinere Absätze über die »bedürfnisangepasste Behandlung der Psychose«, allerdings in der Interpretation von Cullberg, über Soteria (beides lässt sich anderswo besser nachlesen) oder das schwedische Fallschirmprojekt. Projekte Psychiatriebetroffener lässt Cullberg unter den Tisch fallen, Psychiatriebetroffene gibt es für ihn nur als Fallbeispiele psychischer »Erkrankungen«; deren Erfahrungen, Literatur und Programme ignoriert er mit allergrößter Selbstverständlichkeit. Abgeschlossen wird das Buch mit dem knapp sechsseitigen Kapitel »Chancen für eine integrative Psychosentherapie in Deutschland« von Nils Greve und Volkmar Aderhold, das den Stand der außerordentlich bescheidenen und den grundsätzlichen Bedürfnissen der Betroffenen kaum gerecht werdenden Reformbemühungen hierzulande wiedergibt in Richtung sozialpsychiatrischer bedürfnisangepasster Behandlung und Home-Treatment, Krisendienste, Soteria- und Krisenstationen sowie Rückzugsräume. Gebunden 317 Seiten, 32 schwarz-weiße Abbildungen, 9 Tabellen, ISBN 978-3-88414-435-0. Bonn: Psychiatrieverlag 2008. € 49.95
Peter Lehmann


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