FAPI-Nachrichten Das Internet-Magazin für antipsychiatrische Rezensionen. G K
Hier gelangen Sie direkt zu den Autorinnen und Autoren bzw. Herausgeberinnen
und Herausgebern, deren Namen mit den Buchstaben A
C | D
F | L
O | P
T | U
Z beginnen. Zurück zu
A Z
Die Preisangaben beziehen sich auf den Tag, an dem die Rezension
verfasst wurde. Sie müssen heute nicht mehr gültig sein.
zuletzt aktualisiert am 28. August 2023
Selajdin Gashi: Schlaflos mit Kleopatra. Mein erster psychotischer
Schub und was danach geschah
Selajdin Gashi kann im Urlaub nicht mehr abschalten, er kommt sich überall
fremd vor, ist mit seinem Leben unzufrieden, seiner Freundin Sybille teilt
er sich nicht mit, seine Sorgen behält er für sich, er grübelt,
dann hat er wieder Sex mit ihr, beginnt aber heimlich immer noch
im Urlaub mit ihr eine Affäre mit einer anderen Frau ("Kleopatra").
"Aber hatte ich eine andere Option?" fragt er sich, als er über sein
Fremdgehen und seine Heimlichtuerei schreibt. Seine Schlafprobleme halten
an, und irgendwann, zurück aus dem Urlaub, klappt er bei einem Freund
zusammen, so dass ihn dieser in die Psychiatrie einweisen lässt.
Für den Autor rückblickend alles eine zwangsläufige, nicht
zu hinterfragende Entwicklung. Fixierung und Psychopharmaka wirken. Selajdin
Gashi entwickelt Krankheitseinsicht, er reflektiert über "die Psychotiker"
(direkt oder indem er seine Gedanken seinen Gegenübern in den Mund
legt), akzeptiert Neuroleptika als Hilfe, ist überzeugt, dass er
sie braucht bis sie wirken, und will sie so lange nehmen, bis er glaubt,
sie nicht mehr zu brauchen. Malen soll er und vor allem alles vergessen,
so der behandelnde Psychiater, und auch er selbst findet es wichtig, die
ganze Geschichte zu vergessen: eine typische Psychiatrie-Erfahrung. Nach
seiner Anstaltsentlassung genießt er die wiedergewonnene Freiheit
und das Erleben des Augenblicks. Das war's. "Bestechend" und "einfühlsam"
sei die Erzählung des Autors, so der Covertext. Und "Was ist eigentlich
normal? frage der Autor nach seinen Erfahrungen in der Psychiatrie. Normal,
so mein Eindruck nach dem Lesen des Buches, ist offenbar, sich mit allem
Möglichen auseinanderzusetzen, auch durchaus eloquent, aber bloß
nicht mit den Ursachen der psychischen Probleme, in diesem Fall mit den
Gründen für die Schlaflosigkeit. Und bloß nicht zu überlegen,
was am eigenen Leben und Verhalten zu ändern ist, damit sie in dieser
Vehemenz und mit diesen Folgen und Risiken nicht wieder auftritt. Aber
vielleicht hat der Autor diese Gedanken und was danach geschah für
sich behalten, wer weiß, und er hatte nie wieder mit Schlaflosigkeit
und der Psychiatrie zu tun; aus dem Buch geht hierzu nichts hervor. Nur
der Buchtitel sagt, dass es bei diesem einen Mal offenbar nicht geblieben
ist. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 173 Seiten, ISBN 978-3-940636-34-8.
Neumünster: Paranus Verlag 2015. € 14.95 Peter Lehmann
Max Gawlich: Eine Maschine, die wirkt. Die Elektrokrampftherapie
und ihr Apparat, 1938-1950
"Folter wirkt", sagte Donald Trump, um zu begründen, weshalb
er Waterboarding wieder zulassen will. "Eine Maschine, die wirkt",
betitelte Max Gawlich, der am Historischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität
Heidelberg tätig ist, seine als Buch erschienene Dissertation zur
Entwicklung von Elektroschockapparaten von 1938 bis 1950. Daran, dass
die Apparate mit ihren Elektroschocks wirken, ist wahrlich nicht zu zweifeln.
Gawlich benennt die Wirkung "Genesung", da die epileptischen
Anfälle nicht nur die Symptome auslöschten, die die Psychiater
zur Verabreichung von Elektroschocks veranlassten, sondern, so seine Worte,
auch soziales Anpassungsvermögen und Funktionalität fördern.
Wenn man die mit zunehmender Anzahl von Elektroschocks einhergehenden
Hirnschäden, die oft nur noch ein Leben auf herabgesetztem Niveau
möglich machen, als vorübergehend, somit letztlich unwesentlich
abtut und die Bewertung der Schäden einzig den Schädigern überlässt,
kann man das durchaus so sehen und Elektroschocks als "wirksam, sicher
und zuverlässig" bewerten, wie der Historiker Gawlich nachbetet.
Drei Fragen beschäftigten dann Gawlich: Wie dokumentierten Psychiater
die Verabreichung ihrer Elektroschocks? Wie waren die Apparate beschaffen?
Wie führte man die Behandlung durch? Was das Dokumentieren betrifft,
orientiert sich der Autor folgerichtig an den Aufzeichnungen von Psychiatern.
Wenn sie den Knopf am Apparat drückten, das Personal die krampfanfallbedingten
Muskel- und Knochenschäden zu verhindern versuchten und die Betroffenen
ihre Anfälle erlitten, waren Letztere nach Vollzug des Elektroschocks
zu nichts mehr in der Lage, die Psychiater konnten in Ruhe dokumentieren.
Im Buch sieht man die Diagramme mit Behandlungsdaten, Skalen, Stromstärken,
Dauer der Krampfanfälle und für die Anwender äußerlich
Sichtbares. Schäden im Gehirn, nicht so leicht sichtbar, bleiben
folgerichtig ohne Berücksichtigung, in den Dokumentationen wie auch
in Gawlichs Buch.
Im zweiten Kapitel befasste sich Gawlich mit den Apparaten. Gawlich fand
heraus, dass es "die Elektrokrampftherapie" nicht gibt und gab,
sondern dass eine Entwicklung der Apparate in verschiedenen Ländern
auf verschiedenen Stufen stattfand. Ähnliches könnte man über
"die Psychopharmakotherapie" sagen, verschiedene Substanzen
wurden in verschiedenen Ländern entwickelt. Überraschend ist
eine solche Einsicht eigentlich eher nicht.
Im dritten Hauptkapitel befasste sich Gawlich mit der Anwendung der Apparate.
Sie sei durch Nichtwissen, aber therapeutischen Vorsatz geprägt gewesen.
Dem kann man zustimmen, wenn man ignoriert, dass Psychiater vorsätzlich
Hirnzellen zerstören wollten, was sie in ihren Fachschriften publizierten,
und wenn man Autopsieberichte jener Jahre sowie die Kenntnisse ignoriert,
die an Versuchen mit Hunden und Affen gemacht wurden und die kritische
Neurologen und Psychiater wie John Friedberg bzw. Peter Breggin (beide
bleiben in Gawlichs Buch unerwähnt) zur Grundlage ihrer Kritik an
der Verabreichung von Elektroschocks machten: über
das gesamte Gehirn verteilte kleine Blutungen und Zellzerstörungen,
da bei den Stromstößen durch das Gehirn die Blut-Hirn-Schranke
zusammenbricht und Blut ins Gehirn übertritt. Aber, wie gesagt,
solche Ausführungen findet man in Gawlichs Buch nicht, es ist eher
für Liebhaber von Elektroschockapparaten und deren Anwendung geschrieben,
die mit dem behaupteten Nichtwissen der Wirkungsweise von Elektroschocks
die Öffentlichkeit, die Patienten und deren Angehörige bis heute
hinters Licht führen wollen. Dieser Strategie ist Gawlich trotz seiner
beachtlichen, aber leider einseitigen Quellenstudien offenbar auf den
Leim gegangen.
Mit den nicht übersetzten englischen und französischen Zitaten
erfährt das Werk eine zusätzliche Einschränkung. Gebunden,
378 Seiten, 7 Tabellen, 41 schwarz-weiße Abbildungen, ISBN 978-3-506-78736-1.
Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh 2018. € 59. Peter Lehmann
Monika Gerlinghoff: Magersucht und Bulimie Innenansichten.
Heilungswege aus der Sicht Betroffener und einer Therapeutin
Betroffene Frauen berichten den Anfang, den Verlauf und die Psychotherapie
ihrer Essstörungen. Neben den beteiligten Eltern erläutert die
Autorin, eine Psychiaterin und Psychotherapeutin des Max-Planck-Instituts
für Psychiatrie in München, ihren psychotherapeutischen Ansatz.
Angesichts der Brisanz von Magersucht und angesichts des nichtbiologischen
Erklärungs- und Therapieansatzes sollte man sich von der psychiatrischen
Ausbildung und Sprache der Autorin nicht zurückschrecken lassen.
Kartoniert, 212 Seiten, ISBN 3-7904-0642-2. München: Pfeiffer Verlag
1996. DM 36. Peter Lehmann
Monika Gerlinghoff / Herbert Backmund: »Is(s) was?!« Ess-Störungen
Wann sollten sich Eltern Sorgen machen? Wie Eltern und Fachleute
helfen können
In einem trendmäßig mit vielen bunten Bildern versehenen Buch
sorgen sich Dr. med. Monika Gerlinghoff und Dr. med. Herbert Backmund
vom Therapie-Centrum für Ess-Störungen in München um die
vielen essgestörten Kinder in Deutschland. Sie erläutern Ess-Störungen
wie Magersucht und Bulimie (Ess-Brechsucht), Übergewicht und Adipositas,
erklären den Body-Maß-Index und die verschiedenen Krankheitssymptome.
Dem Kapitel über Ursachen von Ess-Störungen und medizinischen
Komplikationen folgt die Darstellung von Behandlungsmöglichkeiten:
für die beiden Autoren sind dies psychotherapeutische Herangehensweisen
(Gruppentherapie, Esstraining). Fast die Hälfte des Buches nehmen
Berichte von Betroffenen darüber ein, wie sie Ess-Störungen,
Erziehungsmaßnahmen und therapeutische Bemühungen erlebten.
Eine subjektive Symptomliste gibt einen schnellen Überblick über
auffällige Verhaltensweisen. Zum Schluss kommen Eltern zu Wort, die
mit ihren Berichten aufzeigen sollen, wie sie ihren Kindern in
aller Regel Mädchen helfen können, die Ess-Störungen
zu überwinden. Fazit: Angesichts der möglicherweise lebensbedrohlichen
Ausmaße von Ess-Störungen ein Buch, das dazu beitragen kann,
Leben zu retten. Übersichtlich, leicht verständlich, empfehlenswert
allerdings nur für von Magersucht und Bulimie Betroffene.
Behandlungsmöglichkeiten von Kindern insbesondere Jungen
, die zu viel und zu fett essen und im Wesentlichen deshalb übergewichtig
werden, spielen im weiteren Verlauf des Buches keine Rolle. Kartoniert,
128 Seiten, viele bunte Bilder, ISBN 978-3-407-22511-5. Weinheim: Beltz
Verlag 2011. € 12.95 Peter Lehmann
Ines Giese: Die Steinaxt oder Berta von der Solvang
rettet die Welt
Nach Heide Olbrich-Müller Buch "Ist die Welt denn noch zu retten
Mein Leben mit Psychosen" (2015) will schon wieder eine Autorin,
die in der ehemaligen DDR aufgewachsen ist, die Welt retten. An sich ist
die Weltrettung doch eine Domäne für Männer auf Höhenflug;
ob dies etwas zu tun hat mit dem seinerzeitigen Anspruch auf Gleichberechtigung
von Frauen im postulierten Sozialismus? Sei's drum, Ines Giese gerät
in die Krise, nachdem sie nach Mobbing ihre Stelle im Freizeitbad verliert.
Im Versuch, die Krise schreibend zu bewältigen, gerät sie in
einen Schreibrausch, der sie in die Psychiatrie in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern)
führt. Fixierung, Psychopharmaka, Aussetzung der Zwangsunterbringung
und danach Verweigerung der weiteren Einnahme von Psychopharmaka folgen.
Auf wundersame Weise findet sie einen Verlag, der sich für ihre Geschichte
interessiert und für ihr Buchprojekt begeistert. Dort beschreibt
sie alles, was sie denkt, sieht und tut, haargenau und ausführlich,
sei es ihre Email-Korrespondenz, ihre Facebook-Konversation, ihre Auseinandersetzungen
mit ihrer Tochter, ihre nachträgliche und vergebliche Beschwerde
über Mobbing und Arbeitsplatzverlust, ihren Flohmarktverkauf in Zinnowitz,
ihren Kater, ihren Bekannten den "Dicken", mit dem sie
herumzieht. Am Schluss bescheinigt ihr ihre Psychiaterin die Rückkehr
der Fahrtüchtigkeit, die Tochter redet wieder mit ihr, das Buch ist
fertig. Die Welt ist gerettet. Eine Steinaxt hat sie übrigens mal
auf einem Acker gefunden und dann einem lieben Menschen geschenkt. Und
wer Berta von Solvang ist, müssen die Leser und Leserinnen selbst
herausfinden. Kartoniert, 6 Abbildungen, 4 Faksimiles, 390 Seiten, ISBN
978-3-9817655-2-6. Greifswald: Karl-Lappe-Verlag 2016. € 19.80 Peter Lehmann
Josef Giger-Bütler: »Wir schaffen es«
Leben mit depressiven Menschen Nach »Sie haben es doch gut gemeint Depression
und Familie« (2003), »Endlich frei Schritte
aus der Depression« (2007), »Jetzt geht es um mich.
Die Depression besiegen Anleitung zur Selbsthilfe« (2010)
und »Depression ist keine Krankheit Neue Wege, sich selbst
zu befreien« (2012) legt der in Luzern niedergelassene Psychotherapeut
Josef Giger-Bütler mit »Wir schaffen es Leben mit depressiven
Menschen« ein Buch für Partner und Angehörige depressiver
Menschen nach. Ziel des Buches ist es zu vermitteln, wie Partner und Angehörige
ihre depressiven Nächsten wirksam unterstützen können,
ohne sich dabei selbst zu verausgaben, ohne zu verzweifeln, sich von ihren
depressiven Nächsten abzuwenden und verbittert und grollend das eigene
Leben weiterzuleben. In elf Kapiteln, unterlegt mit Fallbeispielen und
Checklisten, die allerdings eher Listen mit Appellen sind, plädiert
Giger-Bütler unentwegt darauf, Verständnis für die depressiven
Nächsten zu entwickeln, ohne Druck und Schuldgefühle vorzugehen,
das zu tun, was dem depressiven Nächsten Kraft, Zufriedenheit und
Ruhe vermittelt, eigene Überforderung zu vermeiden, ihn zu ermutigen,
auf sich zu hören, ihn zu unterstützen, wo er Schritte unternimmt,
um sich wichtig zu nehmen und für sich zu sorgen. Nur in diesem Rahmen
könne es dem depressiven Nächsten gelingen, sich von seiner
Überforderung zu lösen und sich schrittweise aus der Depression
zu befreien. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden, 239 Seiten, ISBN 978-3-407-85992-1. Weinheim
& Basel: Beltz Verlag 2014. € 19.95 Peter Lehmann
Josef Giger-Bütler: Depression ist keine Krankheit Neue
Wege, sich selbst zu befreien In neun Kapiteln begründet der Autor, ein niedergelassener Psychotherapeut
aus Luzern, seine Sichtweise von Depressionen. Nur weil die Betroffenen
massiv leiden, sei es falsch, Depression als Krankheit anzusehen, für
die dann Ärzte und Psychopharmaka zuständig sein sollen. Depressionen
seien demgegenüber als Ergebnis eines falsch gelernten und damit
falsch gelebtes Lebens zu betrachten, das es zu ändern gelte. Depressionen
seien verstehbar als Ergebnisse eigener Überforderung, und zuständig
zu ihrer Überwindung seien die Betroffenen selbst, und wenn sie es
nicht alleine schaffen, könnte psychotherapeutische Hilfe den Ausstieg
aus Depressionen unterstützen. Zusätzlich zum bloßen Verständnis
von Ursache, Verlauf und Ausstieg von Depressionen seien klare und umsetzbare
Schritte, die nicht überfordern, die nicht als Patentrezept zu verstehen
und die im Bereich des Leistbaren anzusiedeln sind und Zeit brauchen.
Wer noch Zweifel hat, diesen Weg zum Ausstieg aus seiner Depression zu
beschreiten, dem sei dieses Buch mit Nachdruck ans Herz gelegt. Gebunden,
214 Seiten, ISBN 978-3-407-85940-2. Weinheim & Basel: Beltz Verlag
2012. € 19.95 Peter Lehmann
Josef Giger-Bütler: »Sie haben es doch gut gemeint«
Depression und Familie Die Pharmaindustrie, die mit ihr liierte biologische Psychiatrie und
alle, die Normalität für etwas Erstrebenswertes halten, werden
dieses Buch hassen. Depressive Menschen und solche, die ihnen beistehen
wollen, finden dagegen hier erstmals plausible Erklärungen, wie aus
normalen Lebensverhältnissen und all den Zwängen und Rücksichtslosigkeiten,
die mit diesen verbunden ist, depressive Reaktionsmuster entstehen. Ein
außergewöhnliches Buch, da der Autor nicht mit Schuldzuweisungen
an Menschen mit Depressionen oder abnorme Familien arbeitet, sondern die
Entwicklungsmuster für depressive Reaktionsformen, latente sowie
manifeste Depressionen, in der Normalität selbst aufspürt. Wenn
Depressionen schließlich manifest, nicht mehr zu verheimlichen geworden
sind, bieten sie für Giger-Bütler immerhin die Chance, Wege
aus der ständigen Überforderung zu finden, sofern man es nicht
dabei belässt, mit Antidepressiva bloße Symptomunterdrückung
zu betreiben und damit die innere Dynamik der Depression zu verschleiern
oder gar den Boden für paradoxe Reaktionen, zum Beispiel Manien,
zu bereiten. Das unbedingt empfehlenswerte Buch endet mit dem Kapitel
"Wege aus der manifesten Depression" und der Empfehlung an Betroffene,
anzuhalten, innezuhalten, sich zu erholen, evtl. mit therapeutischer Hilfe
zu erkennen, wie und wo und wann man sich überfordert und was man
selbst tun kann und muss, um aus dem Kreislauf von Überforderung
auszubrechen und eine Veränderung zum Besseren zu bewirken. Gebunden
mit Schutzumschlag, 244 Seiten, Weinheim & Basel: Beltz Verlag, 3.
Auflage 2008. € 17.90 Peter Lehmann
Josef Giger-Bütler: »Endlich frei« Schritte
aus der Depression Der Psychotherapeut Giger-Bütler beschreibt, wie der Ausstieg
gelingen kann aus der Depression, die meist mit Erschöpfung einhergeht,
und benennt die Schritte, anhand derer depressive Menschen wieder zu sich
selbst finden und die Depression hinter sich lassen können. Man muss
sich nicht ständig verausgaben bis zur Erschöpfung, es gibt
ein anderes Leben, auch wenn man schon lange keine Hoffnung mehr hat!
Seine zentrale Botschaft wiederholt er immer wieder. Erkennen und Annehmen
der Müdigkeit sind der Anfang der Selbsterkenntnis, des Sichverstehens
und damit der erste Schritt zur Veränderung. Verstanden werden möchte
auch die Brüchigkeit, die sozialisationsbedingt ist und zu wenig
Sicherheit und Geborgenheit vermittelt, was wiederum einen Kreislauf von
Überforderung nach sich zieht und zur Bildung einer depressiven Persönlichkeit
führt, insbesondere in Zeiten von familiären Krisen und steigenden
Anforderungen im Erwachsenenleben. Im zweiten Teil des Buches zeigt der
Autor dann Wege aus der Depression auf; nicht Patentrezepte, sondern entscheidende
Verhaltensmuster, kleine Schritte auf dem Weg zur Veränderung, entscheidende
Aspekte. Welche? Lesen Sie selbst, ich kann dieses Buch ohne jeglichen
Vorbehalt empfehlen! Gebunden mit Schutzumschlag, 330 Seiten, ISBN 978-3-407-85769-9.
Weinheim & Basel: Beltz Verlag, 3. Auflage 2009. € 19.90 Peter Lehmann
Josef Giger-Bütler: »Jetzt geht es um mich«. Die Depression
besiegen Anleitung zur Selbsthilfe
Selbsthilfe-Ratgeber für Leute, die therapeutische Hilfe ablehnen
und nach vielen Rückschlägen doch noch versuchen wollen, alleine
den Ausweg aus Depressionen zu finden: mit kleinen, an den eigenen Interessen
orientierten Schritten das Fundament des neuen Lebens zu schaffen. Hierzu
wiederholt der Autor wieder und wieder Lehrsätze, die sich die Leser
einprägen sollen. Ich will dies, ich will das, ich bin mein eigener
Herr und Meister, ich will gut zu mir sein, fast jeder Satz fängt
mit "ich" an. Diese persönlichen Formulierungen sollen
wie Merksätze zu dem A und O des erfolgreichen Aussitzens aus der
Depression und ihn auf dem Weg der Veränderung begleiten. Er soll
lernen, dass nur er es ist, der die Vorgaben setzt für das, was zu
tun ist. Im Dialog mit sich selbst, so die Anleitung, die Giger-Bütler
gibt, soll sich der Leser immer wieder bewusst werden, dass es um ihn
geht bzw. um sie, die Leserin. "Mache, was du willst und kannst.".
Kleine Schritte, immer wieder, immer wieder, immer wieder. Tausendmal
besser als immer wieder ein Antidepressivum, und noch ein Antidepressivum,
und noch ein Antidepressivum. Eine kleine kritische Randnotiz soll allerdings
nicht fehlen: Der Psychotherapeut Giger-Bütler beschäftigt sich
im Buch nur mit psychosozial bedingten Depressionen, ohne dies jedoch
explizit deutlich zu machen. Es gibt jedoch auch eine Vielzahl körperlich
bedingter Depressionen, bei denen es sinnvoller ist, sich an die Behebung
der physiologischen Ursachen sofern möglich zu machen,
zum Beispiel zerebralvaskuläre Erkrankungen (Tumore, Parkinson),
Infektionen wie AIDS oder Hepatitis, endokrinologische Störungen
wie Morbus Cushing, Dehydration, pharmakologisch induzierte Depressionen
zum Beispiel bei Tuberkulostatika, blutdrucksenkenden Mitteln wie Betablocker,
Chemotherapeutika, speziellen Antibabypillen, Substanzen zur Behandlung
von Nikotinabhängigkeit wie Vareniclin (Markenname Champix), weiterhin
Benzodiazepine, Antiepileptika, Antidepressiva und insbesondere Neuroleptika.
In einer Folgeauflage sollte dieser Tatbestand nicht unerwähnt bleiben.
Gebunden, 249 Seiten, ISBN 978-3-407-85889-4. Weinheim & Basel: Beltz
Verlag, 2. Auflage 2011. € 19.95 Peter Lehmann
David Gilbert: Die Normalen. Roman
Sehr am US-amerikanischen Leben orientierter Roman. Baseball, Fernsehprediger
und alles mögliche zutiefst Amerikanische bilden die Zutaten einer
Geschichte, bei der es um Tests mit antipsychotischen Substanzen gehen
soll. Zwar werden Muskelstörungen, Sabbern usw. als möglicherweise
zu erwartende Symptome angekündigt, doch man wartet vergeblich auf
die Schilderung von (fiktiven) Fakten, wenig verwunderlich bei einer an
Recherchegenauigkeit etwas zu wünschen übrig lassenden Erzählung:
Was bitteschön sollen "atypische Psychopharmaka" sein?
Oder war dem Autor oder Übersetzer die Verwendung des Begriffs Neuroleptika,
um die es wohl gehen soll, zu fachspezifisch? Egal, die ganzen Tests bilden
eh nur die Kulisse für alle möglichen mehr oder für
mich weniger interessanten Umtriebe einiger der Testpersonen. "Was
hinter den geschlossenen Türen dieses Labors stattfindet und was
das über Herz und Verstand von Menschen unserer Zeit aussagt, ist
so unerwartet erschütternd wie tragikomisch, eine perfekte Allegorie
unserer Tage, unser Catch 22 der Jahrtausendwende, eine meisterliche Schilderung
unseres kulturellen Wirrwarrs". Damit ist wohl die öde US-amerikanische
Durchschnittskultur gemeint. Wer sich dafür interessiert, wird in
dem Buch fündig. Aus dem Englischen von Chris Hirte. Gebunden, 400
Seiten, ISBN 3-8218-5735-8. Frankfurt/Main: Eichborn Verlag 2005. €
22.90 Peter Lehmann
Pascal Gmür / Helga Kessler: Wege aus der Depression. Ratgeber
für Betroffene und Angehörige Alle wesentlichen Depressionsprobleme scheinen nach diesem (Mach-)Werk
daher zu kommen, dass die Betroffenen nicht rechtzeitig Antidepressiva
oder Elektroschocks bekommen haben. Kritische Worte über Risiken
dieser Behandlungsmethoden fehlen, dafür wimmelt es im Buch derart
von psychiatrischen Banalitäten, dass sich der Verdacht einschleicht,
dass der Text direkt aus der Feder der Werbeabteilung einer Pharmafirma
stammt. O-Ton Eva H., ein Beispiel von vielen: »Der Psychiater konnte
nicht verstehen, warum ich nicht schon früher Psychopharmaka bekommen
hatte. (...) Es würde mich nicht belasten, wenn ich das Psychopharmakon
mein ganzes Leben lang schlucken müsste«. Wohl bekomm's. Buch
mit DVD. Kart., 206 S., ISBN 3-85569-258-0. Zürich: Beobachter Buchverlag
2002. sFr 53.90 Peter Lehmann
Harald Görlich: Was Lebenskünstler
richtig machen von Achtsamkeit bis Zufriedenheit
Aufmerksam auf die Paperback-Ausgabe wurde ich durch den Titel »Was
Lebenskünstler richtig machen«. Verspricht doch der Titel den
Spagat vom historischen bis zum heutigen Begriff des »Lebenskünstlers«.
Der Autor ist Professor Dr. phil. Harald Görlich, Direktor eines
Lehrerseminars für Gymnasien und berufliche Schulen, Lehrbeauftragter
an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen, Systemischer Coach mit
Schwerpunkt Gesundheitscoaching, Trainer für Autogenes Training und
Progressive Muskelrelaxation sowie Mediator. Laut Wikipedia wurde bereits
in der Antike der Begriff Ars vivendi (die Kunst zu leben
bzw. frei übersetzt die Kunst des Lebens) gebraucht.
Zentrale Begriffe waren Glück (eudaimonia) Selbstsorge, Tugend und
Askese. Schon damals gab es eine Spaltung zwischen philosophischer (theoretischer)
und praktischer Lebensführung. In neuerer Zeit stehen Vorstellungen
von Lebenskunst oft in engem Zusammenhang mit Humanismus und Aufklärung.
Gerd B. Achenbach setzt dem Begriff der »Lebenskönnerschaft«
entgegen und versteht darunter eine lebenskluge Form der Lebensführung,
die nicht nur die leichte Oberflächigkeit des schönen Scheins
sucht, sondern sich auch in den schweren Stunden der Existenz bewährt
und dem Leben zudem Tiefe und Gewicht verleiht. Laut Francoise Gilot,
einer der vielen Lebensgefährtinnen von Pablo Picasso, soll Picasso
des Status des Künstlers durch das Überwinden der größtmöglichen
Barrieren definiert haben. Das Buch hat 313 Seiten, ein Geleitwort von
Prof. Dr. Jörg Fengler, em. Professor der Psychologie der Universität
zu Köln, hat 27 Kapitel und ein Schlusswort des Autors. Görlich
hat die 27 Kapitel durch die Abschnitte »Die Geschichte«, »Tatsachen,
Reflexionen, Anregungen« und »Zum Schluss ein Witzchen, ein
Aphorismus oder sonst ein kluger Spruch« unterteilt. Diese einfache
Matrix macht das Buch auch für Nichtakademiker lesbar. Innerhalb
von 8 Tagen habe ich es Seite um Seite gelesen, ohne es wie der Autor
es empfiehlt, als Ratgeber zu benutzen. Laut Verlag fordert er vom Leser
Geduld, Ausdauer, Selbstdisziplin und ein Arbeiten an eigenen Entwicklungsmöglichkeiten.
Es soll anregen, eigene Glücksquellen zu finden und zu nutzen, und
das in einem ganz besonderen ABC (26 Kapitel) der wichtigsten Begriffe
der Lebenskunst. Es soll Anstöße der Selbstreflexion geben
und dieses auf der Basis der langjährigen Erfahrungen aus Beratungs-
und Seminarpraxis des Autors. Mein Fazit: Das Buch ist leicht verstehbar,
einfach gegliedert, hat eine leichte Sprache und ist geeignet für
Menschen, die mit der Sinnfrage des Lebens kämpfen. Für Menschen
jedoch, die nach Abraham Maslow, einem dem Gründungsväter der
humanistischen Psychologe, auf der untersten Stufe der Bedürfnispyramide
stehen, ist es Buch nicht geeignet. Es hat weder theoretisch noch praktisch
etwas zu tun mit Lebenskünstlern, auch nichts mit Selbstverwirklichung,
könnte aber gerade vor dem Hintergrund einfacher Lebenskonzeptionen
als Anregung für Gespräche und Diskussionen mit diesen
Menschen herhalten. Kartoniert, 313 Seiten, ISBN 978-3-7945-3213-1. Stuttgart:
Schattauer Verlag 2017, € 19.99 Franz-Josef Wagner
Heinz-Wilhelm Gößling: Besser schlafen
mit Selbsthypnose Das Fünf-Wochen-Programm für Aufgeweckte
Das Buch des Psychiaters Heinz-Wilhelm Gößling aus Hannover
will dazu beitragen, dass aus Schlafproblemen, unter denen viele Menschen
leiden, keine Schlafstörungen werden. Gößling nennt eine
ganze Reihe von Ursachen von Schlafproblemen; Psychopharmaka und Entzugserscheinungen
sind allerdings nicht darunter. Nichtsdestotrotz können die von ihm
genannten Übungen gemäß seiner Empfehlung in Absprache
mit dem behandelnden Arzt als unterstützende Maßhinzugezogen
werden, man kann sie aber auch selbstständig praktizieren. Schlafprobleme
soll man mit einer Reihe von Maßnahmen angehen, natürlich vernünftiger
Ernährung, Verzicht auf aufputschende Getränke, mit diversen
Verhaltensänderungen und Maßnahmen zum Stressabbau, auch durch
Selbsthypnose. Diese beginnt damit, meditativ die Aufmerksamkeit auf eine
bestimmte innere Vorstellung oder auf eine bestimmte Bewegung lenken,
dadurch gehe das Gehirn in einen besonders lernfähigen Zustand über.
Das mit neurophysiologischen Ausführungen untermauerte Programm gliedert
sich in fünf wöchentliche Schritte (Kreisende Gedanken abschalten
/ Biorhythmus nutzen / Inneres Konto ins Plus bringen / Mit Selbsthypnose
mehr Tiefschlaf finden / Mit Aktiv-Wach-Selbsthypnose am Tag den nächtlichen
Traumschlaf verbessern). Interessenten, die Internetzugang haben, können
sich über die Internetseite www.besserschlafenmitselbsthypnose.de
von Heinz-Wilhelm Gößling teils gratis ("Liegestuhl am Strand"),
teils gegen gute Bezahlung ("Bedingungslose Selbstakzeptanz" u.v.m.) als
MP3-Dateien herunterladen. Ich habe allerdings die Art der Artikulation,
bei fast jedem zweiten Wort mit der Stimme hochzugehen, als ausgesprochen
nervig empfunden. Beschränkt man sich auf das Buch, tritt das Problem
natürlich nicht auf. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 143 Seiten, ISBN 978-3-8497-0084-3.
Heidelberg: Carl Auer Verlag 2015. € 17.95 Peter Lehmann
Peter C. Gøtzsche: Gute Medizin, schlechte
Medizin Wie Sie sinnvolle Therapien von unnötigen und schädlichen
unterscheiden lernen Peter Gøtzsche ist ein dänischer Medizinforscher, Autor
von "Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität" (2014)
sowie "Tödliche Psychopharmaka
und organisiertes Leugnen" (2016) und Gründer der nordischen
Cochrane Collaboration, einem internationalen Netz von Wissenschaftlern
und Ärzten, die systematische Übersichtsarbeiten zur Bewertung
von medizinischen Therapien erstellen. Da viele Pharmaunternehmen, insbesondere
Hersteller von Psychopharmaka, eine neutrale Bewertung ihrer Produkte
fürchten, sorgten sie dafür, dass Gøtzsche im Frühherbst
2018 aus der Cochrane Collaboration ausgeschlossen wurde. Ä,rgern
werden sie sich auch über sein neues Buch; damit schuf er eine Grundlage
für Patientinnen und Patienten, damit diese sich ein eigenes Urteil
über die vielen und oft widersprüchlichen Informationen zu Vorsorgeuntersuchungen,
Diagnosen und Therapien im gesamten medizinischen inkl. psychiatrischen
Bereich bilden können. Unvoreingenommen, industrieunabhängig
und streng naturwissenschatlich orientiert untersucht Gøtzsche hier
den therapeutischen Wirkungsgrad von Medikamenten gegen Infektionen, Schmerzzustände,
Herz-Kreislauf-Störungen, Krebserkrankungen und Verdauungsstörungen
sowie psychische Probleme und altersbedingte Abbauprozesse. Er zeigt,
worauf man achten muss, wenn man sich selbst ein Urteil bilden will über
publizierte Studien, wo man brauchbare Informationen findet und welche
Tests nötig, überflüssig oder schädlich sind. Kein
gutes Haar lässt er auch an Neuroleptika, Antidepressiva, Lithium,
sogenannten Stimmungsstabilisatoren und Substanzen gegen "ADHS". Und besonders
kritisch steht er der Alternativmedizin (Reflexzonentherapie, Akupunktur,
Kraniosakraltherapie, Homöopathie usw.) gegenüber, da diese
sich in Wirksamkeitsstudien als komplett unwirksam erwiesen hätten.
Das Buch ist hoch informativ, ausgesprochen gut zu verstehen und außerdem
unterhaltsam, da die Aussagen mit vielen Anektoden veranschaulicht sind.
Es ersetzt keine eigene Entscheidung, ob und wie man sich behandeln lassen
will, liefert aber vernunftbasierte Informationen, so dass man sie um
einiges leichter und verantwortungsvoller treffen kann. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden, 352 Seiten, ISBN 978-3-7423-0440-7. München:
Riva Verlag 2018. € 24.99 Peter Lehmann
Peter C. Gøtzsche: Tödliche Psychopharmaka
und organisiertes Leugnen Wie Ärzte und Pharmaindustrie die
Gesundheit der Patienten vorsätzlich aufs Spiel setzen Der dänische Internist Peter Gøtzsche hat nach "Tödliche
Medizin und organisierte Kriminalität" ein neues Buch geschrieben.
2015 erschien es original in englischer Sprache, jetzt in deutscher Übersetzung.
Es befasst sich mit den Folgen der Anwendung schädlicher Psychopharmaka
und ihrem fragwürdigen Nutzen: Jährlich würden in den USA
und in Europa über eine halbe Million Menschen im Alter von 65 und
darüber an ihren Folgen sterben, insgesamt stellten die Psychopharmaka
die dritthäufigste Todesursache dar nach Herzkrankheiten und Krebs,
in 98% aller Fälle solle man besser auf sie verzichten. In seinem
mit 18 Kapiteln übersichtlich strukturierten Buch greift Gøtzsche
die Mainstreampsychiatrie massiv an: Deren Anführer seien oft von
der Pharmaindustrie gekauft. Diagnosen dienten zur Absatzsteigerung von
Psychopharmaka. Neuere Antidepressiva vom Typ der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
wären toxisch, wirkten nicht besser als Placebos, oft suizidal und
homizidal (das heißsie fördern auch die Tötung anderer
Menschen), Wirksamkeitsstudien seien in betrügerischer Art manipuliert
und gefälscht. ADHS sei keine Krankheit, sondern lediglich die Medizinalisierung
sich störend verhaltender Kinder; ADHS-Medikamente seien gefährlich
und sollten vom Markt genommen werden. Neuere Neuroleptika wären
nicht minder schlecht als ältere, manchmal noch schlimmer und mitursächlich
für die hohen Todeszahlen; die Chance zu genesen sei ohne Psychopharmaka
besser als mit. Die Absatzzahlen von Psychopharmaka bei der Diagnose "bipolar"
explodierten in manchen Staaten. Anti-Demenz-Medikamente seien nutzlos,
dafür gesundheitsschädlich. Elektroschocks seien primitiv, unspezifisch,
schädlich für das Gehirn. Bei psychischen Problemen sei Zuwendung
hilfreich, Psychotherapie, Bewegung usw. Psychopharmaka würden nur
zu körperlichen Störungen führen und abhängig machen,
insbesondere Benzodiazepine und Antidepressiva. Bestechung und illegale
Vermarktung seien mitverantwortlich für die Arzneimittelepidemie.
Zwangsbehandlung müsse verboten werden, wie sich dies auch aus der
UN-Konvention über die Rechte der Menschen von Behinderungen ergebe.
Den Schluss des Buches bilden Ratschläge für Patienten und Ärzte,
wie sie zu einer besseren und menschlicheren Psychiatrie beitragen könnten.
Eingangs wies ich darauf hin, dass es sich um eine Übersetzung ins
Deutsche handelt. Also beziehen sich die meisten Aussagen auf Vorgänge
im englischen Sprachraum; an sich kein Problem, Zyprexa wirkt dort nicht
minder schädlich wie hierzulande. Unangenehm fällt lediglich
auf, dass als Informationsquellen am Ende des Buches bis auf eine Ausnahme
lediglich englischsprachige Webseiten genannt werden. Hier wäre etwas
Sorgfalt von Seiten des Verlags angebracht gewesen. Spätestens in
einer zweiten Auflage sollte dieser Mangel beseitigt werden. Fazit: Ein
ausgesprochen empfehlenswertes Buch. Gøtzsche nennt die Psychopharmaka,
Psychiater und Pharmafirmen beim Namen, all seine Aussagen belegt er sorgfältig.
Wer kritische und fundierte Informationen sucht zu Psychopharmaka, wird
in diesem Buch fündig. Als Ergebnis der Lektüre habe ich Peter
Gøtzsche eingeladen, an einem Symposium über Maßnahmen
gegen die katastrophale Frühsterblichkeit psychiatrischer Patienten
teilzunehmen, das ich gemeinsam mit Salam Gómez, dem Co-Vorsitzenden
des Weltnetzwerks von Psychiatriebetroffenen, bei der Konferenz des psychiatrischen
Weltverbands im November 2017 in Berlin anbieten will. Ich freue mich,
dass Peter Gøtzsche seine Teilnahme spontan zugesagt hat, und hoffe,
dass es der Pharmamafia und ihren Mitläufern nicht gelingt, unser
Symposium zu verhindern. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 431 Seiten plus 8 Seiten mit farbigen
Hochglanzfotos, ISBN 978-3-86883-756-8. München: Riva Verlag 2016.
€ 24.99 Peter Lehmann
Peter C. Gøtzsche: Tödliche Medizin
und organisierte Kriminalität Wie die Pharmaindustrie das
Gesundheitswesen korrumpiert Gøtzsche ist Facharzt für innere Medizin, war 1993 Mitbegründer
der Cochrane Collaboration, einem an den Grundsätzen der sogenannten
evidenzbasierten (empirisch in ihrer Wirksamkeit nachgewiesenen) Medizin
orientierten internationalen Netzwerk von Wissenschaftlern und Ärzten.
Er hat viele Jahre für Pharmaunternehmen klinische Studien durchgeführt
und wurde 2010 an der Universität Kopenhagen zum Professor für
klinisches Forschungsdesign und Analyse ernannt. 2014 wurde sein Buch
"Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität" in deutscher
Übersetzung publiziert, original erschien es 2013 in englischer Sprache.
Es ist unbedingt lesenswert. In 22 Kapiteln weist der Autor die Ähnlichkeit
zwischen der Pharmaindustrie und dem organisierten Verbrechen nach: Beide
verdienen unwahrscheinlich viel Geld (auch es im Fall der Pharmaindustrie
gelegentlich zu Milliardenstrafen kommt), gehen über Leichen (unerwünschte
Pharmawirkungen sind nach Krebs und Herzerkrankungen die dritthäufigste
Todesursache) und bestechen einflussreiche Politiker und andere Meinungsführer.
Konkret befasst Gözsche sich mit dem Zwielicht von Marketing und
Forschung in der Medizin (Psychiatrie inklusive), Interessenskonflikten
medizinischer Fachzeitschriften, gekauften Meinungsmachern, Ghostwritern,
unzureichender Arzneimittelüberwachung, Einschüchterung, Manipulation
von Patienten- und Familienorganisationen, Manipulation von Journalisten
etc. Zwei Kapitel betreffen die Psychiatrie, das "Paradies der Pharmaindustrie",
mit ihrem Schwindel vom chemischen Ungleichgewicht, mit dem Vertuschen
unerwünschter Wirkungen wie beispielsweise suizidalen Psychopharmaka-Wirkungen
u.v.m. Die Beispiele und Zahlen, die Gøtzsche nennt, sind drastisch,
nachgewiesen, aussagekräftig. Beispiel Zyprexa. Er schätzt,
"... dass 200.000 der 20 Millionen mit Zyprexa behandelten Patienten an
den unerwünschten Wirkungen des Medikaments gestorben sind. Besonders
traurig daran ist, dass viele dieser Patienten nie mit Zyprexa hätten
behandelt werden müssen. Da Zyprexa nicht das einzige Medikament
ist, muss die Zahl der Opfer noch höher sein." Das Buch ist hochinteressant
für alle, die noch von einer ständigen Verbesserung der medizinischen
(inklusive psychosozialen) Versorgung ausgehen und an verantwortungsbewusstes
Handeln medizinischer (inklusive psychiatrischer) Standesorganisationen,
Gesundheitsverwaltungen und politischer Entscheidungsträger glauben,
jedoch mutig genug sind, den von Gøtzsche dargelegten Fakten ins
Auge zu blicken. Das Buch schließt mit Vorschlägen, wie das
Gesundheitssystem revolutioniert werden könnte im Sinne der Patientensicherheit
und finanziellen Vernunft. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden, 512 Seiten, ISBN 978-3-86883-438-3. München:
Riva Verlag, 3. Auflage 2016. € 24.99 Peter Lehmann
Colin Goldner: Psycho. Therapie zwischen Seriosität
und Scharlatanerie
Kritische und bissige Auseinandersetzung mit den geläufigsten Verfahren
esoterisch-spiritueller Lebenshilfe. Goldner zeigt anschaulich die teilweise
haarsträubenden und erzreaktionären theoretischen Hintergründe
der einzelnen Therapiemethoden auf. Die Kritik mancher Methoden, z.B.
der Homöopathie, als unwissenschaftlich, da nicht naturwissenschaftlich
beweisbar, lässt einen Beigeschmack zurück: Ist wirklich nur
das wirklich, was messbar ist? Insgesamt jedoch ein hochunterhaltsames
Buch, angesichts der Materialfülle auch extrem preiswert. Kart.,
424 S., Augsburg: Pattloch Verlag 1997. DM 29.80 Peter Lehmann
Colin Goldner (Hg.): Der Wille zum Schicksal. Die Heilslehre des Bert
Hellinger Ein längst überfälliges Buch zu dem therapeutischen
Treiben des Bert Hellinger, mit seiner Methode des »Familienstellens«
wie lange noch? der Star unter den Psychotherapeuten. Kritisch
hinterfragt werden das Verfahren selbst, seine Versprechungen, die Risiken,
die Anbieter, die Konsumenten, das dahinterstehende Weltbild und die zentrale
Figur der Szene: Ex-Ordenspriester Bert Hellinger. Mit Beiträgen
von Ingo Heinemann, Micha Hilgers, Heiner Keupp, Claudia Kierspe-Goldner,
Beate Lakotta, Ursula Nuber, Jörg Schlee, Fritz B. Simon, Hugo Stamm,
Michael Utsch, Sigrid Vowinckel, Klaus Weber u.v.m. Auch wenn einzelne
der AutorInnen in ihren eigenen Arbeitszusammenhängen nicht den allerbesten
Ruf besitzen: dem Herausgeber Colin Goldner, klinischer Psychologe und
Wissenschaftsautor, lange Jahre in den USA tätig und heute Leiter
des »Forum Kritische Psychologie« (Informations- und Beratungsstelle
für Therapie- und Psychokultgeschädigte) in München, ist
es zu verdanken, dass ein stimmiges Buch zustande kam. Gebunden, 304 Seiten,
ISBN 3-8000-3920-6. Wien: Carl Ueberreuter Verlag 2003. € 22.95 Peter Lehmann
Nils Greve / Margret Osterfeld / Barbara Diekmann:
Umgang mit Psychopharmaka
Jeder Mensch werde zur Einnahme eines Medikaments nur dann bereit sein,
wenn seine Vorteile klar ersichtlich sind, heißt es im Klappentext
des Buches. Ziel der Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient sei es,
die Vorteile für beide Seiten erfahrbar zu machen. Leider fehlen
Worte darüber, dass es auch von existenzieller Bedeutung sein kann,
die Nachteile einer psychiatrischen Behandlung zu kennen, ebenso Alternativen.
Wobei als Alternativen mehr zu benennen wäre aus nur der Wechsel
von einem Psychopharmakon zum andern, wenn man mit der Wirkung unzufrieden
ist, sondern in Kenntnis der abhängigkeitsbedingten Entzugssymptome
Wege zum selbstbestimmten Absetzen und zu nichtpsychopharmakologischen
Alternativen. Leider finden sich zur Abhängigkeitsproblematik von
Antidepressiva und Neuroleptika keinerlei Aussagen im Buch, immer geht
es um Absetzsymptome, die genau das Gegenteil von Entzugssymptome sind,
denn von Absetzsymptomen spricht man bei vielen Medikamenten (zum Beispiel
Medikamenten gegen erhöhten Magensäuregehalt), die zwar vegetative
Gegenreaktionen beim Absetzen auslösen, bei denen aber gerade keine
Abhängigkeit vorliegt. Absetzsymptome bei Antidepressiva würden
meistens nach kurzer Zeit von selbst verschwinden, in der Regel gar nicht
auftreten. Berichte von Betroffenen, an die das Buch gerichtet ist, sagen
allerdings oft das Gegenteil. Und selbst Hersteller informieren inzwischen
über das Risiko der Medikamentenabhängigkeit und lang anhaltender
Entzugsprobleme. Positiv zum Buch ist zu sagen, dass es übersichtliche
und kurze Artikel zu speziellen Psychopharmaka aufweist. Am Beispiel Aripiprazol,
siehe unten, wird allerdings deutlich, welche Folgen eine verkürzte
Darstellung haben kann. Dafür wird im Buch das Ideal der gemeinsamen
Entscheidungsfindung propagiert. Dass es entsprechend der Gesetzeslage
der Patient ist, der nach Vorschlägen und Informationen des Arztes
in Ausübung seines Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit
die Entscheidung trifft, wird leider nicht gesagt. Dass das Grundrecht
auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung keine Verhandlungsmasse
ist, scheint beim Psychiatrieverlag noch nicht angekommen zu sein. Ein
Kapitel, das richtig weh tut, handelt von Elektroschocks. In vielen Fällen
seien bis zu 12 Schocks erforderlich. Hinsichtlich der Ansprechrate seien
Elektroschocks Antidepressiva überlegen kein Wunder, wird
per Knopfdruck der beabsichtigte epileptische Anfall ausgelöst, und
dieser, insbesondere wenn er reihenweise ausgelöst wird, überdeckt
mit seinen Folgen, nämlich Hirn- und Gedächtnisschäden,
das psychische Leid rasch. Nebenbei, auch Schläge mit einem Knüppel
auf den Schädel würde eine hohe Ansprechrate aufweisen. Immerhin,
das muss man den Autoren zugutehalten, verweisen sie auf die Website des
Rezensenten, wo man kritische Informationen zu Elektroschocks findet.
Weshalb diese nicht ins Buch eingeflossen sind, dürfe dem Grundtenor
des Buches geschuldet sein. Ziel ist es, die psychiatrischen Behandlungsmaßnahmen
an den Mann oder die Frau zu bringen. Zwar werden im Gegensatz zum »Kompendium
der Psychiatrischen Pharmakotherapie« von Benkert und Hippius
gelegentlich Ratschläge erteilt, sich an Selbsthilfegruppen zu wenden,
alternative Krisenbewältigungsstrategien zu entwickeln, doch wünschenswert
wäre eine entscheidungsoffene Haltung der Autoren als Grundsatz.
Eine Haltung, die den Leser ernstnimmt, ihn rückhaltlos informiert
und ihm das Wissen vermittelt, eine eigene, fundierte Entscheidung zu
treffen, sich Psychopharmaka oder Elektroschocks verabreichen zu lassen
oder eher nicht. Das Beispiel Aripiprazol (Abilify) möge den Mangel
des Buches veranschaulichen. Während die Autoren schreiben: »Die
Substanz hat im Vergleich zu den übrigen Neuroleptika ein anderes
Wirkprofil, wodurch eine geringere Sedierung auftritt. Patienten berichten
allerdings über vermehrte Unruhe«, geben Hersteller von Aripiprazol
an Ärzte diese Informationen zu unerwünschten Wirkungen, die
Greve und Kolleginnen den Betroffenen leider vorenthalten: sehr häufig
Müdigkeit bei Jugendlichen, Einschlaf- und Durchschlafstörungen,
Kopfschmerzen; häufig Ruhigstellung, Schläfrigkeit, Ruhelosigkeit,
Agitiertheit, Angstzustände, Aufmerksamkeitsstörungen, Schlaflosigkeit,
Schwindelgefühle, verschwommenes Sehen, gestörte oder fehlende
Erektion des Penis bei sexueller Erregung, erhöhte Kreatin-Phosphokinase
(für den Energiestoffwechsel der Muskelzellen notwendiges Enzym),
Gewichtszu- oder -abnahme, Zuckerkrankheit, Mundtrockenheit oder übermäßige
Speichelabsonderung, Verdauungsstörung, Übelkeit, Erbrechen,
Verstopfung, Muskelzittern, Akathisie (als quälend empfundene, neurologisch
bedingte Ruhelosigkeit oder zwanghafter Bewegungsdrang). Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 284 Seiten, ISBN 9-783-86739-169-6.
Köln: BALANCE Buch + Medien Verlag, 5., vollständig überarbeitete
Auflage 2017. € 20. Peter Lehmann
Nils Greve / Margret Osterfeld / Barbara Diekmann: Umgang mit Psychopharmaka
Ein Patienten-Ratgeber
Ein Ratgeber, der die Betroffenen in die Lage versetzen soll, mit Psychiatern
zu verhandeln, "welches Medikament der beste Weg ist". Die Verabreichung
von Psychopharmaka wird von den AutorInnen als in vielen Fällen unverzichtbar
vorausgesetzt. Haldol oder Zyprexa, das ist dann noch die freie Wahl.
Auch Elektroschocks werden angeraten, der Stromstoß solle gerade
ausreichen, "um einen epileptischen Anfall hervorzurufen". Prima, in der
Medizin wird eigentlich versucht, epileptische Anfälle wegen der
Gefahr der damit verbundenen Hirnzellschädigung zu vermeiden. Elektroschocks
gelten den AutorInnen hinsichtlich der Ansprechrate als den Antidepressiva
überlegen. Da die therapeutische Wirkung des E-Schocks nicht lange
anhalte, würde der meist mit Antidepressiva kombiniert, und
offenbar zustimmend "manche Kliniken empfehlen sogar eine 'Erhaltungs-EKT'
einmal pro Woche über längere Zeit." EKT sei als Behandlung
der Wahl allgemein akzeptiert offenbar glauben die AutorInnen,
ihre psychiatrische Haltung distanzlos verallgemeinern zu können.
Einzelne Kapitel betreffen die unterschiedlichen Psychopharmakagruppen,
wesentliche Risiken werden knapp aufgelistet, andere fallen unter den
Tisch. Mit der durchsichtigen Begründung, Neuroleptika würden
nicht süchtig machen (wer lechzt schon nach Haldol?), wird das Thema
körperliche und psychische Abhängigkeit vom Tisch gewischt.
Ein Ausfallen der Regelblutung unter Neuroleptika sei medizinisch harmlos,
lese ich und erinnere mich an Forschungsergebnisse amerikanischer Gynäkologen,
die von der Erhöhung des Hormons Prolaktin berichten, welche Menstruationsstörungen
ebenso bewirken kann wie die Bildung von Geschwulsten in den Brustdrüsen;
so bestehe der Verdacht, das zehnfach erhöhte Brustkrebsrisiko bei
Psychiatriepatientinnen habe mit der Wirkung der Psychopharmaka zu tun.
Amerikanische Herstellerfirma warnen seit 20 Jahren vor der Gefahr der
Geschwulstbildung. Medizinisch harmlose Menstruationsstörungen? Die
kritischen Anmerkungen zu Psychopharmaka in diesem Buch lesen sich so:
"Hochpotente Neuroleptika sind nicht in allen Fällen unbedingt erforderlich.
Vielfach würden selbst zur Behandlung akuter Krisen mittelpotente
(typische oder atypische) Neuroleptika ausreichen." Und ganz zum Schluss
wird sogar die Gewichtszunahme unter Zyprexa diskutiert mitsamt ihrer
Risiken einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, von Krebs, Diabetes, vermindertem
Selbstwertgefühl, größerem psychosozialen Stress und sogar
Höhepunkt dieser Abfolge "das Risiko einer unkontrollierten
Medikamentenabsetzung". Als Ratgeber kann ich das Buch aufgrund seiner
ideologisch geprägten psychiatrischen Ausrichtung nicht empfehlen;
das Thema Entzugsprobleme und unterlassene Hilfeleistung beim Absetzen
wird ebenso ausgespart wie die potentiell suizidale Wirkung von Neuroleptika.
Die Mitwirkung der Psychiatriebetroffenen Margret Osterfeld mag ihre Spuren
hinterlassen haben, doch bei der abschließenden Bewertung der kritischen
Punkte zählt in diesem Buch einzig die gewöhnliche psychiatrische
Sicht. Ein einseitiges Buch; Patienten-Psychoedukation wäre ein korrekter
Untertitel. Kartoniert, 190 Seiten, ISBN 3-88414-405-7. Psychiatrie-Verlag
2006; Neuausgabe BALANCE Buch + Medien Verlag, ISBN 978-3-86739-002-6.
€ 14.90 Peter Lehmann
Johannes Michael Grill: ZANUSSI oder der Wunsch
nach einem selbstbestimmten Leben. Erzählung, Verse und Fragmente
Johannes Michael Grill war ein 1955 in München geborener Psychiatriebetroffener,
der 1998 erstmals psychiatrisiert wurde, eine typische Patienten-"Karriere"
mit insgesamt zehn Einweisungen in das BKW.Haar/Isar-Amper-Klinikum und
entsprechender Neuroleptikaverabreichung über sich ergehen lassen
musste und 2017 tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde, Todesursache
offenbar "unbekannt".Zwischendurch verfasste er unter
unterschiedlichen Namen diverse Texte, auch lyrische. Einer Initiative
von Gerd Westermayer und seinen Freunden ist es zu verdanken, dass seine
Texte nun in der Edition Humanistische Psychologie gleichsam als
Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht als Buch veröffentlicht
wurden, und zwar in einem bemerkenswert schön aufgemachten Band
eingeleitet und mit einem editorischen Nachwort versehen von Hans-Jürgen
Heinrichs. Die erste Hälfte des Buches besteht aus lyrischen Versen
und Fragmenten. Die zweite aus "Brennende Bilder", einer Ich-Erzählung,
in der die Hauptperson "Hannes Zanussi" in drastisch-drallen
Worten beschreibt, in welch bigotter Familie er aufwächst, wie er
als widerspenstiger junger Mann in Konflikt mit der Polizei kommt und
von dieser jeweils aus nichtigem Anlass, unter entwürdigenden Umständen
und mit brutalen Methoden in die Psychiatrie verbracht wird, wie gleichgültig
und desinteressiert Unterbringungsrichter und Betreuer Entscheidungen
der Psychiater abnicken und wie sein Bruder die Psychiatrisierung nutzt,
um ihn als angeblichen Nichtsnutz ums Erbe zu bringen. Weshalb die näheren
Umstände des Todes von Johannes Michael Grill weder im Vorwort noch
im Nachwort thematisiert werden, bleibt das Geheimnis des Herausgebers
Hans-Jürgen Heinrichs. Er ist Ethnologe, der Sozialpsychiatrie zugeneigt
und hat vermutlich keine Kenntnisse von der potentiell lebensverkürzenden
Wirkung moderner Psychopharmaka. Insofern fehlen Angaben zu den Substanzen,
die Johannes Michael Grill vor seinem Tod eingenommen hat. Man fand diesen
zuhause in seinem Lieblingssessel mit nicht abgebrannter Zigarette. Dies
weist auf einen plötzlichen Herztod hin eine bekannte "Nebenwirkung"
von Antidepressiva und Neuroleptika. Gebunden, 112 Seiten, ISBN 978-3-89797-124-0.
Grevelsberg: EHP (Edition Humanistische Psychologie) Verlag Andreas
Kohlhage 2020. € 27.99 Peter Lehmann
Christina Grof / Stanislav Grof: Die stürmische Suche nach dem
Selbst. Praktische Hilfe für spirituelle Krisen
Über das Buch wird sich die esoterisch eingestellte Leserschaft freuen.
Wenn sie sich wie die Grofs mit Karma, Wiedergeburt und
Tod beschäftigt, wird sie ihre Probleme und Interessen im Buch zweifellos
wiederfinden. Herr Grof, Psychiater aus der früheren CSSR und inzwischen
in den USA tätig, bringt allerdings sein gewöhnliches Psychiaterwissen
ein. Er unterscheidet zwischen spirituellen und psychiatrischen Krisen.
Letztere lägen vor, wenn z.B. der Inhalt einer »Psychose«
unerfreulich ist für ihn , wenn die Leute misstrauisch
sind, wenn eine »Vorgeschichte von psychiatrischen Problemen«
da ist, wenn die »Kooperation« mit ihm fehlt usw. usf. Ich,
der Rezensent, bin allerdings schon einmal Psychiatern in die Hände
gefallen, als ich mich vom Gros der Menschheit verfolgt fühlte, und
sicher bin ich mir auch nicht, ob Grof die Form meiner Verrücktheit
gefallen hätte. Die Grofsche Unterscheidung durchzieht das ganze
Buch und rechtfertigt die übl(ich)e psychiatrische Diagnostik und
Behandlung bei denjenigen Menschen, in denen sich die Grofs nicht wiederzufinden
vermögen. Diese Ausgrenzung finde ich primitiv, deshalb landet mein
Rezensionsexemplar in der Ramschkiste. Gebunden, 382 Seiten, München:
Kösel Verlag 1991. DM 39.80 Peter Lehmann
Renate Grohmann / Eckart Rüther / Lutz G. Schmidt (Hg.): Unerwünschte
Wirkungen von Psychopharmaka. Ergebnisse der AMÜP-Studie
AMÜP heißt Arzneimittelüberwachung in der Psychiatrie.
Die Studie befasst sich im wesentlichen mit dem minimalen Teil akut auftretender
Schäden, die Psychiater veranlassen, ihre Medikamente abzusetzen,
die Dosis zu senken oder einen Austausch gegen andere Substanzen vorzunehmen.
Mittel- und langfristige Schäden sind ebensowenig erwähnt wie
all die quälenden Auswirkungen, die die Behandler zustimmend oder
mit einem Achselzucken zur Kenntnis nehmen. »Unerwünscht«
ist immer aus dem Blickwinkel des Psychiaters, Behandelte als Individuen
mit eigenen Wünschen, Gefühlen, Interessen tauchen in dem Buch
nicht auf. Werden dann einzelne Schäden, die zum Teil den Tod mit
sich brachten, kurz dargestellt, geht es in aller Regel darum, die Verantwortung
dem schwachen Allgemeinzustand der Behandelten, einer gleichzeitig als
Kombination verabreichten anderen Substanz oder sonst einem Umstand in
die Schuhe zu schieben. Deutlich wird bei der Lektüre, dass man bei
besonders stabiler Gesundheit sein muss, um die Verabreichung psychiatrischer
Psychopharmaka zu überstehen. Die Autoren jedoch nehmen Todesfälle
und Organschädigungen gelassen hin, die darauf zurückzuführen
sind, dass die Behandelten bereits vor Beginn der Verabreichung kaum belastbar
waren. Ein Buch, dessen hervorstechendstes Merkmal der Mangel an jeglichem
Mitgefühl mit den BesitzerInnen der geschädigten Organe und
Körper ist. Kart., 335 S., 162 Tab., Heidelberg usw.: Springer Verlag
1994. DM 110. Peter Lehmann
Daniel Grohn: Kind oder Zwerg
Was auf den ersten Blick so aussieht, als würde sich der Journalist
Poninger als vermeintlicher Patient in eine psychiatrische Anstalt aufnehmen,
um eine Reportage über dort vermutete Missstände zu schreiben,
entpuppt sich im Roman als pure Einbildung eines Psychiatriepatienten.
Der Autor hat sich als Poningers Gegenspielerin eine junge Ärztin
ausgedacht, die der Ursache seiner "Erkrankung" durch eine Gesprächstherapie
auf die Spur kommen will. Eine anfänglich interessant zu lesende,
dann je mehr der psychologistische Hintergrund erkennbar wird
stark nachlassende Geschichte des Autors, eines Arztes, der sich vorzustellen
versucht, was Verrücktheit ist, und ein Szenario aufbaut, das Anklänge
an die Realität hat, sich vom Cybercafé bis zum Gehirn der
Ulrike Meinhof aller möglichen mehr oder weniger aktuellen Versatzstücke
bedingt, das Spektrum der üblichen Behandlung jedoch ausblendet
mit Ausnahme des (angesichts der "Wahnsymptomatik" der Hauptfigur)
völlig unmotiviert angepriesenen Antidepressivums Citalopram. Dies
kann Grohn als Autor, er ist der Erfinder seiner Geschichte, Gedanken
sind frei (wer weiß, vielleicht steckt ja auch so etwas wie Produktplacement
dahinter, weshalb soll es das nur im Fernsehen geben). Gebunden mit Schutzeinschlag,
319 Seiten, ISBN 978-3-421-05785-3. München: DVA 2006. € 17.90 Peter Lehmann
Franjo Grotenhermen / Markus Berger / Kathrin Gebhardt: Cannabidiol
(CBD). Ein cannabishaltiges Compendium Das im Schweizer Nachtschatten-Verlag erschiene Buch befasst sich
mit der Anwendung, Wirkung, den Wechselwirkungen und Rezepturen von Cannabidiol
(CBD), zudem mit der Verwendung von Cannabis in der Küche. Das Buch
beginnt mit knappen Informationen zur Dosierung, fährt fort mit den
CBD-Inhaltsstoffen, der Verwendung bei Krankheiten und psychischen Problemen.
Bei letzteren wird häufig wie auch in der biologischen Psychiatrie
üblich die Wirkung auf "Schizophrenie" oder Depressionen bei
Ratten, Mäusen und Fischen getestet und dann recht unreflektiert
auf den Menschen übertragen, was für die Autoren allerdings
kein Problem darstellt. Über den industriellen Herstellungsprozess
geht es weiter zur Rezepten aus der Feld- und Versuchsküche rund
ums Backen und Kochen mit Hanf für Mensch und Tier. Wer Hanf-Margarine,
vegane Brownies, Hanf-Hundekekse, Hanf-Smoothies oder Schokomus mit Haschisch-Gruß
bis hin zu Cannabis-Zäpfchen zubereiten will, kommt in dem Buch auf
seine Kosten. Das 2015 in Erstauflage erschienene Buch endet mit CBD-Bezugsquellen
und Werbeanzeigen von CBD-Verkäufern und -Zeitschriften sowie Cannabis-Verbänden.
Originalausgabe 2015. Gebunden, 163 Seiten, viele farbige Abbildungen,
ISBN 978-3-03788-369-3. Solothurn: Nachtschatten Verlag, überarbeitete
und ergänzte Neuauflage 2018. € 24.80 Peter Lehmann
Gerhard Gründer: Psychopharmaka absetzen?
Warum, wann und wie?
Gerhard Gründer, einer der psychiatrischen Meinungsführer, hat
für seine KollegInnen ein Buch zum Absetzen von Psychopharmaka geschrieben.
Das lässt aufhorchen. In seinem Buch referiert er die medizinische
Literatur zu Absetz- und Entzugssyndromen hauptsächlich bei Antidepressiva
und Neuroleptika zu Toleranzbildung, Wirkungsverlust, Behandlungsresistenz
und Supersensivitätsstörungen. Er benennt das heikle Thema anhaltender
Störungen, zum Beispiel Sexualstörungen, nach dem Absetzen von
Antidepressiva. Absetz- und Entzugssyndrome würden in hoher Prozentzahl
und zudem noch Wochen nach dem Absetzen auftreten und könnten jahrelang
anhalten. Er anerkennt die Lebensgefahr mancher Entzugssyndrome und die
Repräsentativität von Berichten über Absetz- und Entzugssyndrome
in Online-Foren und moniert die regelhaft unterbleibende Aufklärung
über die Risiken der Psychopharmaka und speziell die Absetz- und
Entzugssyndrome. Auch beim Umstellen von Neuroleptika seien diese außerordentlich
häufig, was in der klinischen Praxis allerdings kaum bekannt sei.
Gründer plädiert für ein stufenweises Absetzen, was inzwischen
allgemein bekannt sein dürfte, und bei Antidepressiva und Neuroleptika
für ein hyperbolisches Absetzen, das er um in seiner medizinischen
Sprache zu bleiben mit der speziellen Serotonintransporterbesetzung
bei Antidepressiva bzw. D2-Rezeptorenbesetzung
bei Neuroleptika begründet. Der Mehrzahl der Verschreibenden ist
dieser Zusammenhang sicher noch unbekannt. Um das gegen Ende immer langsamere
Ausschleichen zu ermöglichen, sollten in Apotheken entsprechende
Zubereitungen erhältlich sein. Dass Martin Zinkler und Jann Schlimme
in ihren Vorträgen und Büchern längst individuelle Rezeptierungen
empfehlen und Rezeptmuster publizieren, hat er offenbar ebenso wenig mitbekommen
wie die aus den Niederlanden beziehbaren Absetzstreifen (www.taperingstrip.de).
Entzugsprobleme wie auch Handlungsempfehlungen beim Absetzen sind seit
Jahrzehnten bekannt. Tausende Patienten würden alleine deshalb Antidepressiva
weiter einnehmen, weil deren Absetzen unerträglich sei. Viele Literaturangaben
und sogar Zitate Gründers finden sich längst in anderen Büchern
zum Thema »Psychopharmaka absetzen«. Aber wenn ein Vertreter
der Schulpsychiatrie sie mit aktuellen Daten bekräftigt, ist dies
hilfreich.
Leider haben die Erkenntnisse über risikovermindernde Maßnahmen
beim Absetzen kaum Eingang in Gründers Buch gefunden. Das Thema,
wie die allgegenwärtigen Kombinationen von Psychopharmaka abzusetzen
sind, blendet er komplett aus. Seine Ratschläge zum Absetzen bleiben
so rudimentär. Differenzierte Informationen zum risikomindernden
Absetzen findet man in anderen Büchern.
Gründers Fazit: Alle Themen des Buches sollten Teil eines psychiatrischen
Fortbildungscurriculums sein, auch für Hausärzte. Wichtig sei
der Einbezug von Patientenstimmen in Versorgung, Forschung und Nutzenbewertung.
Leider hat er es versäumt, in seinem Buch mit gutem Beispiel voranzugehen,
was die Einbeziehung von Büchern und anderen Publikationen von Absetzerfahrenen
betrifft.
Nichtsdestotrotz, Gründer hat ein mutiges Buch geschrieben. Oft habe
er die Argumentation seiner Kollegenschaft gehört, ihre Patienten
würden die Psychopharmaka nicht nehmen, wenn sie über alle möglichen
unerwünschten Wirkungen, Komplikationen und Spätfolgen aufgeklärt
würden. Deshalb würde er mit seinen Aussagen Kritik ernten.
Schon vor Beginn der Behandlung solle aber zumindest über das Absetzen
nachgedacht werden.
Nachdenken bei ÄrztInnen, das wäre ein erster Schritt. Der zweite
wäre, BehandlungskandidatInnen entscheidungsoffen aufzuklären.
Der dritte wäre, die überkommene Vorstellung der geteilten Entscheidung
in der Mülltonne der Psychiatriegeschichte zu versenken und Betroffene
mit Rat und Tat zu unterstützen, wenn diese sich zum Absetzen entschlossen
haben. Rezension
in Soziale Psychiatrie. Rezension
im Newsletter Seelische Gesundheit. Rezension
in SeelenLaute. Rezension
von Peter Ansari. Kartoniert, 113 Seiten, 25 Tabellen, 17 Abbildungen,
ISBN 978-3-437-23585-6. München: Verlag Urban & Fischer in Elsevier
2021. € 29. Peter Lehmann
Swapnil Gupta / John Cahill / Rebecca Miller: Deprescribing
in Psychiatry
In their preface, the authors three Assistant Professors from the
Department of Psychiatry, Yale University School of Medicine describe
their approach to deprescribing psychiatric drugs. They want to offer
a pragmatic starting point to stimulate and open a conversation between
patient, prescriber, clinical team, friends and family. With this approach,
they ignore the starting points for such a conversation published in the
last quarter of a century about reducing and coming off psychiatric drugs.
The authors see deprescribing as a process of shared decision-making
in other words, they overlook the fact that the main person who should
decide about reducing and coming off psychiatric drugs is the patient
whose human right of bodily integrity, under which the intake of psychiatric
drugs falls, is indivisible. The UN convention on human rights supports
this position. Further on, the authors accept the common biopsychosocial
approach of drug treatment as a rational entity, which means they accept
the mainstream-understanding of emotional distress in humans as a basic
biological problem. The primary target of the authors is "overmedicalization",
not unwanted medicalization. It is not to show how to support patients
who want help with full withdrawal of psychiatric drugs, but to ensure
minimum-effective dosing of psychiatric drugs combined with therapeutic
measures. I note these restrictions to protect the readers critical of
psychiatry from disappointment.
To understand and appreciate the position of the authors and their approach,
it is important to know their background. They reach their conclusions
from geriatric practice, where it is known that, over the years, elderly
people are prescribed and administered masses of drugs without considering
which substances are better to discontinue after surviving problems and
crises. One author, Swapnil Gupta, was educated in India a country
where psychiatric drug combinations are administered unrestrainedly, for
example absurd combinations such as Dep 37 or Depof 37, which contain
the neuroleptic trifluoperazine, the antidepressant imipramine, the benzodiazepine-tranquilizer
chlordiazepoxide and the antiparkinsonian trihexyphenidyl. India is no
exception; mainstream psychiatrists worldwide are administering massive
combinations of psychiatric substances. In this respect despite
the criticism mentioned above Deprescribing in Psychiatry is of
great importance to mainstream psychiatrists worldwide. Here, representatives
of mainstream psychiatry argue that their colleagues should reduce prescriptions,
they name anxieties of patients that oppose a reduction, they name withdrawal
and discontinuation symptoms that make a reduction difficult, they name
wellness supports that may be suggested by the prescriber but are essentially
put in place by the patient to support a deprescribing process that improves
the chances of success for the reduction.
In the practical part "The Intervention of Deprescribing" the
authors recommend alternative strategies which might prevent or best manage
an eventual increase in distress. They refer to the Wellness Recovery
Action Plan with the person's own identified toolbox of self-management
and nonpharmaceutical self-care strategies. They also recommend advance
directives (although strangely, as an example, they mention psychiatric
drugs and even electroshock as preferences in crises, but not their denial
of human rights and prevention of additional burdens). Exercise, family
support, various forms of psychotherapy, treatment of insomnia, peer support
and online resources are other potential aspects of wellness strategies.
Also, acceptance and commitment therapy is mentioned in this frame, but
without considering the important risk factors for bodily dependence from
psychiatric drugs when accepted by the patient for a longer period and
for chronic diseases due to the drugs' effects.
The section "The Process of Deprescribing" mainly deals with
a seven-step structured intervention for optimizing the collaborative
reduction of psychiatric drugs. Step 1 is Assess the Timing and Context,
step 2 Medication Reconciliation, step 3 Exploration of the
Patient's Experience, Attitudes, and Meaning About Medication, step
4 Frame Setting for the Deprescribing Intervention, step 5 Decision
Which Medication to Deprescribe, step 6 Development of the Specific
Deprescribing Plan, and step 7 Implementation, Monitoring and Adjustment
of the Plan. In their last chapters, the authors consider special
aspects in relation to antidepressants, neuroleptics, mood stabilizers,
benzodiazepine-tranquilizers and Z-drugs, and psychostimulants. Using
examples, the authors show procedures when patients want to reduce or
discontinue psychiatric drugs: switching to other psychiatric drugs, psychoeducation
(convincing patients that a relapse is imminent when they stop taking
psychiatric drugs), discussion of the desire to stop, further discussion
to reach a decision that both doctor and patient can agree on. Being under
the influence of personality-altering and attenuating substances while
having to convince their doctors is certainly not an optimal starting
point for meeting a person's wishes for a reduction in psychiatric drugs.
However, this is the sad reality, unless the patients take the initiative
and go ahead on their own.
Despite or rather because of the disastrous prescription practice in mainstream
psychiatry and even more so because of its reserved, moderate style of
argumentation, and with the above concerns, I can recommend the book as
a step in the right direction for psychiatrists. Especially for prescribers
of psychiatric drugs. Review
in the Journal of Critical Psychology, Counselling and Psychotherapy,
Vol. 20 (2020), No. 4, pp. 112-114. Soft cover, XII + 247 pages, 12
figures, 11 tables, ISBN 978-0-19-065481-8. Oxford: Oxford University
Press 2019. RRP £ 32.99 Peter Lehmann
Nora Haberthür: Wege der Heilung
Wege der Hoffnung. Erfahrungen und Hintergründe von Heilung
Bei dem Buch handelt es sich um eine vielstimmige Sammlung mit Kranken-
und Heilungsberichten aus dem somatischen und psychiatrischen Bereich:
ermutigende Zeugnisse von Zuversicht, unerklärlichen Wendungen, Sinnfindung,
Erfahrung von Heilung (mit oder ohne therapeutische Hilfe), fernab von
Konzepten und Theorien. Was gibt Menschen Kraft angesichts von Schmerzen
und Schicksalsschlägen? Wo liegen innere und äußere Kraftquellen?
Welche körperlichen und geistig-seelischen Entwicklungen begründen
letztlich ein Heilwerden? Diese Fragen stellt sich Nora Haberthür,
die Erfahrungsberichte gesammelt hat von Menschen mit Tinnitus, Gehirnentzündung,
chronischen Schmerzen, Borderline, Traumatisierungen, Nierenversagen,
Psychosen, Angstzuständen, Anorexie, Brustkrebs etc. Das Buch besteht
aus 7 Hauptkapiteln: Heilung wie ein Wunder, Heilung durch Sinnfindung,
Heilung durch Liebe und existenzielles Mittragen, Heilung durch Stärken
der eigenen Ressourcen, Heilung durch Akzeptanz und Achtsamkeit, Heilung
durch spirituelle Verbundenheit. Im abschließenden Kapitel »Heilung
als Weg und Wandlung« interpretiert die Autorin die Berichte der
Betroffenen, ihrer Angehörigen und Therapeuten und kommt auf den
gemeinsamen Nenner: Die Heilung geschah durch die Erfahrung einer tragenden
Lebenskraft, einer wandelnden, schöpferischen Energie. Die schweizerische
Autorin, die Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaften studiert
hat, wird mit dieser Aussage sicher keine Mainstream-Mediziner erreichen,
schließlich lässt sich Lebenskraft nicht im Reagenzglas und
schöpferische Energie nicht als Gen-Expression nachweisen. Für
Betroffene, Angehörige und humanistisch orientierte Therapeuten dürfte
das Buch mit seiner Vermittlung von Hoffnung jedoch höchst inspirierend
sein. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden, 286 Seiten, einige schwarz-weiße
Abbildungen, ISBN 978-3-7228-0841-3. Fribourg (Schweiz): Paulusverlag
2013. Peter Lehmann
Martin Härter / Harald Baumeister / Jürgen Bengel (Hg.):
Psychische Störungen bei körperlichen Erkrankungen Ein anspruchsvolles, Theorie- und Statistik-lastiges Fachbuch, das
sich nicht an die Betroffenen wendet, sondern an in der somatischen Medizin
Tätige. Wer in der Wissenschafts- und Medizinersprache nicht zu Hause
ist, wird sich schwertun beim Lesen. Untersucht werden Häufigkeit,
Diagnostik und Behandlung von psychischen Belastungen und Störungen,
die speziell im Zuge chronischer Krankheiten wie Diabetes, Herz- und Krebserkrankungen
entstehen. Die Herausgeber arbeiten in der Klinischen Epidemiologie und
der Rehabilitationspsychologie an der Universität Freiburg. Ihr Anliegen
ist es, der Abschottung der Zuständigkeiten für Körper
und Psyche entgegenzuwirken. Es geht nicht um die oft übersehenen
somatischen Erkrankungen bei sog. psychisch Kranken und nur sehr oberflächlich
um pharmakologische Wechselwirkungen und Kontraindikationen. Umfangreiche
Literaturhinweise. Kartoniert, XII + 166 Seiten, 15 schwarz-weiße
Abbildungen, 17 Tabellen, ISBN 978-3-540-25455-3. Berlin: Springer Verlag
2007. € 34.95 Kerstin Kempker
Hans Halter: Ihr Recht als Patient. Grundsatzurteile, Fallbeispiele,
Rechtswege, Selbsthilfegruppen
Besonders im Bereich Psychiatrie ist das Buch ausgesprochen schwach. Ansonsten,
was den medizinischen Bereich betrifft, liefert der Autor, Arzt von Beruf,
gelegentlich durchaus zutreffende und auch interessante Informationen,
aber im Kern, wenn es darauf ankommt, stellt er die Patientenrechte verkürzt
und so letztlich unkorrekt dar. Fazit: Nicht empfehlenswert. 198 S., 2.,
akt. u. erw. Aufl., Düsseldorf: Econ Taschenbuch Verlag 1993. DM
12.80 Peter Lehmann
Dietmar Hansch: Erste Hilfe für die Psyche Selbsthilfe
und Psychotherapie. Die wichtigsten Therapieformen, Fallbeispiele und
Lösungsansätze
Der Arzt und Psychotherapeut beschäftigt sich übersichtlich
und leicht verständlich mit allerlei psychischen Problemen, Stressreaktionen,
Angststörungen, Depressionen, funktionellen Störungen u.v.m.,
wie sie zustande kommen, wie man sie überwinden kann, welche psychotherapeutischen
Verfahren es gibt und wie wichtig es ist, sich nicht nur auf Hilfe von
außen zu verlassen, sondern selbst aktiv zu werden. Am Schluss seiner
Einleitung bittet der Autor, man möge ihm per E-Mail einen Kommentar
zu seinem Buch zukommen lassen. Leider vergisst er, eine Mailadresse zu
nennen. Deshalb die Botschaft auf diesem Weg: "Lieber Herr Hansch,
Sie haben ein an sich lobenswertes Buch geschrieben, wären da nicht
die üblichen, die Interessen der Pharmaindustrie befriedigenden Aussagen
hinsichtlich der von Ihnen bedingt empfohlenen Psychopharmaka, sie seien
gut erprobt, die von Ihnen als Nebenwirkungen abgetanen unerwünschten
Wirkungen seien (allgemein) bekannt und bei endogenen Psychosen müsse
oft eine lebenslange medikamentöse Therapie bzw. Prophylaxe erfolgen.
Ich vermisse auch nur ein Wort zur Gefahr körperlicher Abhängigkeit
bei Antidepressiva und Neuroleptika, von Rezeptorenveränderungen,
die diese Abhängigkeit bewirken und Depressionen bzw. psychotische
Probleme chronifizieren können, auch nur ein Wort zur durchschnittlich
zwei bis drei Jahrzehnte reduzierten Lebenserwartung psychiatrischer Patienten,
denen neben der aufgrund ihrer Diskriminierung oft prekären
Lebenssituation vor allem die toxischen Wirkungen der "erprobten"
Psychopharmaka zum Verhängnis werden; auch nur ein Wort zu Psychiatriebetroffenen,
die gerade solchen Empfehlungen und der Psychiatrie den Rücken gekehrt
haben und nun ein psychopharmakafreies und erfülltes Leben führen."
Original erschienen 2003 im Springer Verlag. Taschenbuch, 282 Seiten,
ISBN 978-3-86647-729-2. Köln: Anaconda Verlag 2012. € 7.95
Peter Lehmann
Hartwig Hansen (Hg.): Höllenqual oder Himmelsgabe?
Erfahrungen von Stimmen hörenden Menschen Wie kamen die Stimmen in mein Leben? Was bedeuten sie mir heute? Wie
hat sich mein Leben durch die Stimmen verändert? Wer oder was hat
mir auf meinen Weg geholfen? Wie geht es mir heute mit allem? Antworten
auf diese und noch viele weitere wichtige Fragen geben Frank Dahmen, Christian
Derflinger, Rolf Fahrenkrog-Petersen, Andreas Gehrke, Wolfgang Harder,
Cornelia Hermann, Regina Hildegard, Ingrid Krumik, Monika Mikus, Tim Panzer,
Barbara Schnegula, Tom Seidel, Barbara Urban, Laura Vogt und viele mehr.
Wie schon aus dem Titel "Meine Stimmen Quälgeister und Schutzengel"
(2006) des Buches mit den Texten von Hannelore Klafki, der Gründerin
des deutschen Netzwerks Stimmenhören, hervorging, können Stimmen
von den Betroffenen als positiv interpretiert werden wie auch als quälend.
Vieles hängt von einem konstruktiven Umgang und der Möglichkeit
ab, sie in das eigene Leben zu integrieren. Andreas Gehrke, von dem im
Paranus-Verlag 2003 das Buch "Ausbruch aus dem Angstkäfig
Ein Stimmenhörer berichtet" erschienen ist und der den Anstoß
zum neuen Buch gab, plädiert in seinem Beitrag dafür, "... dass
Stimmen in jedem Falle zu realen Freunden gemacht werden sollten. Das
kompromisslose Beseitigen von Stimmen, etwa durch Psychopharmaka, ist,
wie die gängige Praxis in den Psychiatrien beweist, sicher auf Dauer
nicht der 'Königsweg'. Erst die Freundschaft zu den Stimmen stärkt
und unterstützt die eigene Freiheit." Ob die anderen Autorinnen und
Autoren ihre Freiheit mithilfe der Stimmen erreicht haben, mit welchen
Problemen (die sie gelegentlich auch in die Psychiatrie führen) sie
zu kämpfen haben, wie sie ihre Stimmen interpretieren und mit ihnen
auch unter Einfluss von Psychopharmaka umgehen, wie sie
unter ihren Stimmen leiden, sie gelegentlich vermissen, wenn sie vertrieben
worden sind, wie sie sich mit ihnen arrangiert oder gar angefreundet haben.....
das alles lesen Sie in diesem vielstimmigen Buch am besten selbst. Das
Buch mit seinen 18 Berichten endet mit einem Nachwort des Herausgebers
angenehmerweise wieder frei von jeglicher besserwisserischen Interpretation
der Beiträge. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 206 Seiten, ISBN 978-3-940636-33-1.
Neumünster: Paranus Verlag 2015. € 19.95 Peter Lehmann
Hartwig Hansen (Hg.): Der Sinn meiner Psychose Zwanzig Frauen
und Männer berichten
"Lange galt die Schizophrenie als in sich sinnlose, unheilbare Gehirnkrankheit,
der ausschließlich mit Medikamenten begegnen werden kann", schreibt
der Herausgeber Hartwig Hansen auf der hinteren Umschlagseite des von
Dorothea Buck inspirierten und von ihm im sozialpsychiatrisch orientierten
Paranus Verlag herausgegebenen Buchs. Als Autorinnen und Autoren lud Hansen
Menschen ein, die in der Vergangenheit im ebenfalls im Paranus
Verlag erscheinenden Brückenschlag Beiträge veröffentlicht
hatten, womit die Weite des Denkhorizonts vorgegeben war: schließlich
galten diesen Beitragschreibern Psychosen schon lange nicht mehr als sinnlose
Symptome von Hirnstörungen. 1983 hatte Tina Stöckle in ihrem
antipsychiatrischen Buch "Die
Irren-Offensive Erfahrungen einer Selbsthilfe-Organisation von
Psychiatrieopfern" Mitglieder der damaligen Irren-Offensive Berlin
zu Wort kommen lassen und aus den Interviews Kriterien einer Alternative
zur Psychiatrie entwickelt, wozu sie explizit die Suche nach dem Sinn
des Wahnsinns, einem Ernstnehmen des Verrücktseins und die Auseinandersetzung
damit zählte. Sieben Jahre später gab Dorothea Buck ihrem Buch
"Auf der Spur des Morgensterns" den programmatischen Zusatztitel "Psychose
als Selbstfindung". Während es Tina Stöckle um die radikale
Befreiung vom psychiatrischen Einfluss ging und um den Kampf gegen psychiatrische
Menschenrechtsverletzungen, fordert Hartwig Hansen 30 Jahre danach ausschließlich
eine Weiterentwicklung der Psychiatrie, die dem Sinn von Psychosen mehr
Bedeutung einräumt und mehr Beachtung schenkt. Scheinbar liegen diese
beiden Positionen weit auseinander. Doch auch eine Haltung, die sich primär
der Suche nach dem Sinn des Wahnsinns verpflichtet fühlt, ist Sand
im Getriebe des psychiatrisch-industriellen Komplexes im Zeitalter der
boomenden Neurobiologie, die den Menschen mit seiner Gefühlswelt
(psychische Probleme eingeschlossen) auf biochemische Vorgänge reduziert.
Angesichts der gigantischen Kapitalinteressen im psychosozialen Bereich
ist nun nicht damit zu rechnen, dass "Der Sinn meiner Psychose" den großen
Umbruch in der Psychiatrie bewirkt. Aber Psychiatriebetroffenen, die noch
an die biologische Verursachtheit aller Psychosen glauben, kann das Buch
die Augen öffnen und sie dahin bringen, sich selbstkritisch alleine,
in der Selbsthilfegruppe oder in der Psychotherapie damit auseinanderzusetzen,
weshalb und wann sie ausrasten und was die Symptome zu bedeuten haben,
gilt es doch, wieder Herr oder Frau über das eigene Leben zu werden.
Katharina Coblenz-Arfken, Karla Kundisch, Peter Mannsdorff, Jan Michaelis,
Sibylle Prins, Gaby Rudolf, Reinhard Wojke und 13 weitere Psychiatriebetroffene
beschreiben in persönlichen Beiträgen, wie sie dem Sinn ihrer
Psychose auf die Spur gekommen sind und warum sie ihre besonderen Erfahrungen
als Bereicherung erleben. Das Buch enthält insgesamt 20 unterschiedliche
Erfahrungsberichte und Reflexionen von Betroffenen über den Sinn
und die Inhalte ihrer Psychosen, ihr Zustandekommen, ihre Auslöser,
ihre Verarbeitung und ihre Konsequenzen dankenswerterweise ohne
jegliche Interpretation des Herausgebers. So bleibt den Leserinnen und
Lesern die Möglichkeit, sich bei der Lektüre dieses vielstimmigen
Buches ein eigenes Urteil zu bilden. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 194 Seiten, ISBN 978-3-940636-24-9.
Neumünster: Paranus Verlag 2013. € 19.95 Peter Lehmann
Günter Harnisch: Alternative Heilmittel
für die Seele Selbsthilfe bei depressiven Verstimmungen, Schlafstörungen
und nervöser Erschöpfung
Der Autor zeigt auf, auf welch vielfältige Weise Depressionen, Schlafstörungen
und Erschöpfungszustände entstehen können und wie man mit
rezeptfrei erhältlichen Naturheilmitteln, Botenstoffen für das
Gehirn, Vitaminen, Vitalstoffen, geeigneter Ernährung und Nahrungsergänzungsmitteln
depressive Verstimmungen und anderes Unbill bekämpfen kann (unter
anderem Johanniskraut, Bachblüten, Baldrian, SAM, Schüßler-Salze,
Omega-3-Säuren, Ginseng, Aminas und Inkakost). Dazu nennt er übersichtlich
und verständlich jeweils Inhaltsstoffe und Wirkungsweise, Anwendungsgebiete,
Forschungsergebnisse, Dosierungen, mögliche unerwünschte Wirkungen,
Bezugsquellen und Kosten. Kartoniert, 110 Seiten, 51 Farbfotos, ISBN 978-3-89993-576-9.
Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft 2009. € 12.90 Peter Lehmann
Renate Hartwig: Die Schattenspieler
Mutiges Buch der profilierten Scientology-Kritikerin Renate Hartwig über
die Umtriebe sogenannter Sektenbeauftragter der großen Kirchen (»Pfarrer
Gandow« usw.) und deren Helfer, deren Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz,
die rechtsstaatswidrige Diffamierung missliebiger Personen als »scientologynah«,
die primäre Ausrichtung ihrer Tätigkeit auf die Rechtfertigung
der eigenen, mit öffentlichen Mitteln gut bezahlten Arbeitsplätze
und das verräterische Ausbleiben jedweder Konsequenz ihres Wirkens
in Richtung rechtsstaatlicher Klärung des Status von Scientology.
Gut, dass Renate Hartwig sich nach ihren ersten Büchern "Scientology
Ich klage an" (1994) und "Abenteuer Zivilcourage
Scientology contra Demokratie" (1997) jetzt die obskuren Sektenjäger
vornimmt, die an einer rechtsstaatlichen Klärung der Angelegenheit
Scientology offenbar nicht interessiert sind. Die Autorin hat an die Rechtschaffenheit
der Sektenjäger über viele Jahre geglaubt, ihnen Material
geliefert. Jetzt fragt sie zurecht empört nach dem Sinn ihres Tuns,
wenn die Sektenjäger außer Diffamierungen, Schlammschlachten
und Vernebelung einer klaren Informationslage nichts zustande bringen.
Dass der Dachverband der sogenannten Anti-Sekten-Initiativen, die "Aktion
für Geistige und Psychische Freiheit" (AGPF), als dessen Geschäftsführer
der hoch bezahlte Ingo Heinemann firmiert, 2002 auch noch versucht hat,
das Bundesjustizministerium 2002 zu veranlassen, aus dem von der EU geforderten
Antidiskriminierungsgesetz ausgerechnet die Diskriminierungsgründe
Weltanschauung und Religion herauszunehmen (im Wortlaut nachzulesen auf
S. 386ff.), schlägt dem Fass den Boden aus. Demokratische Organisationen
und Behindertenverbände aller Coleur kämpfen um dieses Antidiskriminierungsgesetz,
und die AGPF, die sich besser Aktion gegen Geistige und Psychische
Freiheit nennen sollte, hält ein solches Gesetz für gefährlich.
Das sind die Vereine, die die AGPF bilden: S.I.E. SEKTEN-INFO ESSEN
e.V., ARBEITSKREIS SEKTEN e.V., Artikel 4 Initiative für Glaubensfreiheit
e.V., BBS Bürger Beobachten Sekten e.V., DELPHIN e.V., EBIS
Baden-Württembergische Eltern- und Betroffeneninitiative e.V.,
EL-Elterninitiative zur Wahrung der geistigen Freiheit e.V., Flügelschlag
e.V., FKP Forum kritische Psychologie e.V., KIDS Kinder in destruktiven
Sekten e.V., Kontakthilfe bei Sektenproblemen e.V., Niedersächsische
Elterninitiative gegen den Missbrauch der Religion e.V., Odenwälder
Wohnhof e.V., SEKTENBERATUNG BREMEN e.V., SEKTEN-INFO BOCHUM, SINUS Sekten
Information und Selbsthilfe e.V., VITEM Verein für die Interessen
terrorisierter Mitmenschen e.V., GSK Gesellschaft gegen Sekten-
und Kultgefahren, SADK Schweizerische Arbeitsgemeinschaft gegen
Destruktive Kulte. Vorsicht vor diesen Gruppen, die sich nach außen
hin so altruistisch geben! Und Vorsicht, wer Kritik äußert
und missliebige Fragen stellt, wird sofort in die Scientology-Ecke gesteckt.
Das von der Autorin angeprangerte Schema erinnert fatal an die Praxis
im Stalinismus, jede freie Meinungsäußerung sofort als Aggression
des Klassenfeindes und Imperialismus zu brandmarken. Renate Hartwig gilt
Ingo Heinemann logischerweise als Top-Täterin: "Renate Hartwig
umgefallen: Renate Hartwig war Deutschlands rüdeste Scientology-Kritikerin.
Renate Hartwig verteidigt heute Scientology" kann man auf Heinemanns
Website lesen (www.ingo-heinemann.de/Hartwig.htm 6.9.2005). Ich
habe kein Wort von Scientology-Verteidigung in dem Buch gelesen, peinlich
für Ingo Heinemann und seine Gefolgsleute, Mitläufer und Vorbeter
der sogenannten Anti-Sekten-Gruppen. Substanz und Redlichkeit scheinen
nicht gerade deren Stärke zu sein. Kartoniert, 389 Seiten, mit Abbildungen
und Faksimiles, ISBN 3-935246-02-1. Nersingen: Direct Verlag 2002. €
18. Peter Lehmann
Felix Hasler: Neuromythologie Eine Streitschrift
gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung
2007 schrieb der Züricher Arzt und Psychotherapeut Marc Rufer in
seinem Artikel "Psychiatrie Ihre Diagnostik, ihre Therapien"
in "Statt Psychiatrie
2": "In den Medien werden die Befunde der Hirnforschung
zu Riesenerfolgen aufgebauscht. Die Hirnforschung, die 'Jahrhundertwissenschaft',
ist dabei, sich zur neuen Gesellschaftslehre aufzuschwingen. Eine neue
Mythologie ist entstanden die Neuromythologie." Jetzt erschien
2012 in erster Auflage ein ganzes Buch unter dem Titel "Neuromythologie":
ein brilliantes, längst überfälliges und zudem leichtverständliches
Buch über die Diskrepanz zwischen dem gegenwärtigen Welterklärungsanspruch
der Neurowissenschaften und den real vorliegenden empirischen Daten, über
die Arroganz von Neurowissenschaftlern und über aggressive Verkaufsstrategien
von Psychopharmaka-Herstellerfimen. Der Autor, Forschungsassistent an
der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, Gastwissenschaftler
am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsjournalist,
wehrt sich gegen den Hype, die Hirnforschung wisse genau Bescheid über
die biologischen Vorgänge, die dem Erleben, Denken und Handeln des
Menschen zugrunde liege und könne deshalb zielgenau und evidenzbasiert
ins Gehirn eingreifen, wenn etwas "schief läuft". Zentral
im Buch ist das Kapitel "Neuro-Reduktionsmus, Neuro-Manipulation
und das Verkaufen von Krankheit", das die Entwicklung der biologischen
psychiatrischen Methoden (Insulin- und Elektroschocks, Lobotomie und Psychopharmaka)
nachvollzieht, unter Bezug auf vorwiegend angloamerikanische Psychiatriekritiker
wie Breggin, Angell, Healy, Whitaker, Mosher etc. die skandalösen
Verkaufspraktiken von Pharmafirmen anprangert und den Mythos dekonstruiert,
die herrschende biologische Psychiatrie sei eine Erfolgsgeschichte wissenschaftlicher
Vernunft und ein Segen für die Patienten. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 250 Seiten, ISBN 978-3-8376-1580-7.
Bielefeld: transcript Verlag, 3. Auflage 2013. € 22.80 Peter Lehmann
Alfred Hausotter: Erntedankfest Vorgeschichte,
Verlauf und Ausheilung einer Psychose
Der Autor, geboren 1954, verheiratet, zwei Kinder, Mag. Dr. phil., klinischer
Psychologe und Gesundheitspsychologe in Österreich und seit 1997
in der Wohnbetreuung tätig, erlebte von 1974 bis 1983 vier psychotische
Episoden. Diese beschreibt er offen, detailliert und ohne jede Wertung.
Im zweiten Teil finden sich seine in den Krisenphasen entstandenen Texte
und Bilder. Sie geben einen exemplarischen Einblick in Form und Inhalt
psychotischen Bewusstseins und dessen Klärungsversuche. Eingebettet
in den ganz normalen Wahnsinn von Familie, Schule, Bundesheer und Psychiatrie
werden die Innenansichten seines Wahns beklemmend folgerichtig. Das Buch
handelt von Mut und Eigensinn und davon, wie Psychiatrie und Psychopharmaka
dem im Wege stehen. 2006 war es unter dem Titel "Der GottTeufel.
Innenansicht einer Psychose" original bei der sozialpsychiatrisch
orientierten Edition pro mente im oberösterreichischen Linz erschienen.
Bald war es vergriffen. Für die überarbeitete Auflage wählte
der Autor den Titel "Erntedankfest Vorgeschichte, Verlauf
und Ausheilung einer Psychose". Kurz vor der Fertigstellung wollte
die Edition pro mente den Begriff "Ausheilung" (einer Psychose)
durch "Überwindung" im Untertitel ersetzen. Der Autor lehnte
ab: Seiner Erfahrung nach sind Psychosen keine zu bekämpfenden Krankheitssymptome,
sondern im Gegenteil unterstützungswürdige Selbstheilungsversuche
der Psyche im Sinne des Soteria-Ansatzes. Mit der Bibliothek der Provinz
fand er glücklicherweise einen Verlag ohne ideologische Scheuklappen.
Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 373 Seiten, 6 zweiseitige farbige und
2 einseitige einfarbige Abbildungen, 2 Faksimiles, ISBN 978-3-99028-216-8.
Linz: Verlag Bibliothek der Provinz 2015. € 28. Peter Lehmann
Markus Hedrich: Medizinische Gewalt
Elektrotherapie, elektrischer Stuhl und psychiatrische »Elektroschocktherapie«
in den USA, 1890-1950 Bei diesem Buch handelt es sich um eine aktualisierte faktenreiche
geschichtswissenschaftliche Dissertation an der Philosophischen Fakultät
der Universität Bonn von 2013 darüber, wie sich in den USA der
elektrische Stuhl 1888/89 aus der psychiatrischen Anstalts-Elektrotherapie
entwickelte und dieser ab 1940 wiederum die Übernahme und Weiterentwicklung
der sogenannten Elektroschocktherapie beförderte - beides vor dem
Hintergrund rassistisch-eugenischen Gedankenguts in der Kriminologie und
Psychiatrie. Dem Autor gelang es in seiner Forschungstätigkeit, in
den USA extrem schwer zugängliche Akten in Gefängnissen und
psychiatrischen Anstalten einzusehen. Daraus zitiert er dann reichlich
leider in nicht übersetzter englischer Sprache. Da sich deren
Sinn meist aus dem Zusammenhang ergibt, leidet die Lektüre dadurch
aber nicht allzu sehr. Auf der anderen Seite handelt es sich um eine wissenschaftliche
Arbeit mit vielen nicht erklärten Fremdworten und in der Tradition
Michel Foucaults, in anderen Worten: keine leichte Lektüre.
Nichtsdestotrotz gelingt es Hedrich mit seiner historisch-materialistischen
Herangehensweise, die Logik des Elektroschocks und seiner begeisterten
Aufnahme von Psychiatern vor dem Hintergrund sozialer und ökonomischer
Entwicklungen mit vielen Belegen zu erklären, ebenso dessen Einsatz
als brutales Mittel zur Bestrafung und Disziplinierung abweichenden Verhaltens,
speziell bei Frauen, als »annihilierendes Kontrollinstrument, das
die höheren Geistesfunktionen der PatientInnen durch die Induzierung
kognitiver Dauerdefekte paralysiert«, das heißt die Erkenntnis-
und Informationsverarbeitung betreffenden Fähigkeiten der Betroffenen
auf Dauer ausschaltet. Der Autor zeigt zudem anhand von Belegen die umfangreichen
Hirn- und Gedächtnisschäden; unter anderem, dass die Zellveränderungen
nach Elektroschocks denen entsprechen, die nach Tötungen durch den
elektrischen Stuhl gefunden wurden. Und anhand von Fallbeispielen weist
er im Einzelnen nach, wie der Elektroschock eingesetzt wurde, um den Widerstand
der Betroffenen zu brechen, bis sie sich schließlich voller Verzweiflung
der psychiatrischen Macht unterwerfen und Krankheitseinsicht und therapeutische
Wirksamkeit geloben, um fortgesetzten Elektroschockverabreichungen zu
entgehen, wie sie früher üblich waren und heute auch
in deutschsprachigen Ländern wieder üblich sind.
Außer auf amerikanische Quellen stützt sich Hedrich auch auf
deutschsprachige. So zitiert er beispielsweise den NS-Psychiater Anton
von Braunmühl, Oberarzt der bayrischen T4-Zwischenanstalt Eglfing-Haar,
der 1947 darauf pochte, nicht vom »Schock« oder »Krampfschock«
zu sprechen, sondern vom »Heilkrampf«. Am heute hierzulande
noch gebräuchlichen Begriff der »Heilkrampftherapie« zeigt
sich, wie psychiatrische Sprachmanipulation zur Verschleierung der Wirklichkeit,
sogenanntes Neusprech, in psychiatrischen Kreisen und sogar noch
hier und da im Selbsthilfebereich verankert ist. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 343 Seiten, 23 schwarz-weiße Abbildungen,
6 Tabellen, ISBN 978-3-8376-2802-9. Bielefeld: transcript Verlag 2014.
€ 34.99 Peter Lehmann
Sibylle Heeg / Katharina Bäuerle: Freiräume Gärten
für Menschen mit Demenz
Ausgesprochen schön gestaltetes Buch für alle (Bauherren, Träger
von Pflegeheimen, Leitungskräfte, Betreuer und Pfleger, Garten- und
Landschaftsplaner, Architekten, Vertreter von Ämtern und Behörden),
die Einfluss haben auf die Gestaltung von Freibereichen für Menschen
mit Demenz, geprägt von Kompetenz, Verantwortungsbewusstsein sowie
Respekt für die Betroffenen. Mit einem Kapitel zur Bedeutung von
Freibereichen im Rahmen eines milieutherapeutischen Ansatzes sowie Gründen
für eine geringe Nutzung bestehender Gärten, einem Kapitel zur
Abstimmung des Gartens auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen
mit Demenz, einem Kapitel zu Leitkonzepten therapeutischer Gärten,
einem Kapitel mit Planungshilfen und praktischen Hinweisen zur Gestaltung
von Freibereichen und einem Kapitel zum Planungs- und Realisierungsprozess
eines Gartens in zehn Schritten alles versehen mit aussagekräftigen
Farbfotos und Zeichnungen von Beispielen. Kartoniert, 90 Seiten, viele
farbige und schwarz-weiße Abbildungen, ISBN 978-3-938304-85-3. Frankfurt
am Main: Mabuse-Verlag, 2. Aufl. 2007. € 17.90
Peter Lehmann
Sibylle Heeg / Katharina Bäuerle: Heimat für
Menschen mit Demenz Aktuelle Entwicklungen im Pflegeheimbau
Großformatiges und übersichtlich gestaltetes Buch mit vielen
Beispielen ausgewählter Pflegeeinrichtungen in Deutschland, der Schweiz,
Dänemark und Finnland zur baulichen Umsetzung neuer Wohn- und Betreuungskonzepte
für Menschen mit Demenz. Die einzelnen Kapitel: Paradigmenwechsel
im Pflegeheimbau, Interventionskonzepte und ihre baulichen Erfordernisse,
Settings für Wohnen und Betreuung, integrierte Bau- und Betriebsplanung,
Bauliche Anforderungen umweltpsychologisch begründet. Hinzu
kommen 174 Seiten mit bebilderten Beispielen und Nutzungserfahrungen hinsichtlich
Grundrisstypologien, Fluren und Erschließungszonen, Aufenthaltsbereichen,
Essbereichen und Wohnküchen, Bewohnerzimmer, Individual- und Pflegebädern,
Pflegestützpunkten und Funktionsräumen, Freibereichen, Fenstern,
Ausgängen, Bodenbelägen, Akustik, Heizung, Lichtgestaltung,
Möbilierung und Bedienungselementen. Aufgrund der sorgfältigen
Darstellung von Problemen und Lösungsmöglichkeiten liefert das
Buch eine solide Grundlage für einen Dialog zwischen Trägern
von Altenhilfeeinrichtungen und deren Nutzer, was Planung und Mängelbeseitigung
betrifft. Kartoniert, 281 Seiten, zahlreiche farbige Fotos und Zeichnungen,
ISBN 978-3-938304-93-8. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag 2008. €
36.- Peter Lehmann
Nina Heinrichs: Ratgeber Panikstörung und Agoraphobie Wer sich rein symptomorientiert, systematisch, schrittweise, mit Hilfe
von Arbeitsblättern und den Direktiven der Autorin seiner Panik oder
Phobie (generell ist von Agoraphobie die Rede) stellen will, bekommt in
diesem Ratgeber knappe konkrete Hinweise, speziell aus der Verhaltenstherapie,
entlang den Fragen: Was ist das? Wie entsteht es? Was kann man tun? Knapp
und mit Beispielen versehen wird sortiert, geplant, entspannt, sich gestellt
die Phobie handhabbar gemacht. Kartoniert, 108 Seiten, ISBN 978-3-8017-1986-9.
Göttingen: Hogrefe Verlag 2007. € 12.95 Kerstin Kempker
Rudolf Heinz / Dietmar Kamper / Ulrich Sonnemann: Wahnwelten im Zusammenstoß.
Die Psychose als Spiegel der Zeit
Sammlung von Vorträgen, die 1991 im Literarischen Colloquium 1991
gehalten wurden. Minimalthese der AutorInnen: »Es gibt nicht nur,
wie man meinen möchte, eine einzige Wahnwelt, die der Psychose im
klinisch-psychiatrischen Sinne der Bezeichnung, sondern mehrere, und innerhalb
dieser Skala diejenige extreme, die man Normalität nennt, und die
es sich anmaßt, das andere Extrem als Dissidenz und Pathologie zu
bestimmen und zu verfolgen.« Hier einige der Artikel: »Leidensverwaltung
als gelingende Einheit institutionalistischen Stumpfsinns, therapeutischen
Widersinns und moralischen Schwachsinns« (Ulrich Sonnemann), »Die
Schizo-Chaosmose« (Felix Guattari), »Eigensinn« (Elisabeth
Weber), »Prismatische Stimmungsprozesse in der Psychotherapie«
(Alfred Drees), »Orakel Echo Rätselgesang. Sprachtumult
und Psychose« (Heide & Melanie Heinz). Am besten gefallen hat
mir Martin Stingelins Beitrag »Matto regiert Psychiatrie
und Psychoanalyse in Leben und Werk von Friedrich Glauser (1896
1938), weil Glauser einer meiner bevorzugten Autoren ist, weil der Artikel
einer der weniger hochintellektuellen ist, und weil ich viel Handfestes
über Glauser und den Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit Psychoanalyse
und zeitgemäßer Psychiatrie erfahren habe. Geb., 269 S., 14
Abb., Berlin: Akademie Verlag 1993. DM 48. Peter Lehmann
Martin Heinze / Dirk Quadflieg / Martin Bührig
(Hg.): Utopie Heimat. Psychiatrische und kulturphilosophische Zugänge
Der Sammelband geht zurück auf eine Tagung der Gesellschaft für
Philosophie und Wissenschaften der Psyche im Mai 2005 in Bremen. Martin
Heinze, einer der Herausgeber, plädiert für einen positiven,
zukunftsbezogenen Heimatbegriff innerhalb der seinem Verständnis
nach kritischen Sozialpsychiatrie, wobei einerseits die psychiatrisch
betreuten Menschen sich heimisch fühlen können sollen, andererseits
der Heimatbegriff ein Potential zur fortwährenden Selbstkritik an
den eigenen Institutionen und Haltungen führen soll. Psychiater interpretieren
literarische Texte interpretieren und psychiatrische Themen aus philosophischer
Sicht und wollen dadurch, so ihre eigenen Worte, über die jeweiligen
Fachgrenzen hinaus denken. Allerdings sind Psychiatriebetroffene unter
den Autoren nicht zu finden sind, lediglich beispielsweise Friedrich
Hölderlin und Robert Walser wie gehabt unter den Objekten
der Betrachtung. Kartoniert, 248 Seiten, ISBN 3-938880-02-3. Berlin: Parodos
Verlag 2006. € 19. Peter Lehmann
Hansjörg Hemminger / Joachim Keden: Seele aus zweiter Hand
Psychotechniken und Psychokonzerne
Über die vielfältigen psychologischen und pseudopsychologischen
Angebote, mit einer Bewertung aus evangelischer Sicht. Kart., 194 S.,
Stuttgart: Quell Verlag 1997. DM 29.80 Peter Lehmann
Walter Hempfing: Aufklärungspflicht und Arzthaftung
Über Kunstfehler, Aufklärungsrecht, Dokumentations-, Aufklärungs-
und Schweigepflicht, Schmerzensgeldbeträge auf den verschiedenen
Fachgebieten, Verhaltensvorschläge im Falle des Vorwurfs eines Arztfehlers,
Einsicht in die Behandlungsakten, Umfang von zu überlassenden Behandlungsunterlagen,
wirtschaflliche Aufklärungspflicht usw.. Geschrieben von einem Rechtsanwalt
in Westerheim bei Stuttgart, der sowohl medizinisch als auch juristisch
ausgebildet ist. Das Buch ist verfasst für Ärzte, denen der
Autor ihre Pflichten und Rechte erklärt, damit sie drohenden Haftungsklagen
(noch) beruhigter entgegensehen können. Vorschlag Hempfings an Ärzte:
»Wird Ihnen ein Vorwurf gemacht, müssen Sie ganz generell mit
Äußerungen und Stellungnahmen zu dem in Frage stehenden Fall
außerordentlich zurückhaltend sein. Auch im engeren Kreis,
bei dem kein absolutes Vertrauensverhältnis herrscht..., sollte der
Fall nicht mehr diskutiert werden. Sie müssen spätestens
ab dem Zeitpunkt eines Vorwurfs daran danken, dass Offenheit, Meinungsvielfalt
oder Abwägen Ihrer Position schadet. Und nur die ist dann wichtig.
Gerade das sind Sie der Offenheit und der Abgewogenheit Ihres Standpunktes
schuldig.« Also mauern, mauern, mauern als ärztliches Prinzip,
wichtig sind nicht die Interessen der möglicherweise Geschädigten,
sondern nur die wirtschaftlichen Interessen des Arztes. Orientiert
am BRD-Recht. Kartoniert, 309 S., Landsberg: Ecomed Verlagsgesellschaft
1995. DM 68. Peter Lehmann
Traute Hensch / Gabriele Teckentrup (Hg.): Schreie lautlos. Missbraucht
in Therapien
Authentischer Bericht über den sadomasochistischen Missbrauch zweier
Frauen durch ihren Therapeuten, einen Hamburger Psychosomatiker,
der das Abhängigkeitsverhältnis, in dem sich seine Klientinnen
während des Therapieverlaufs befinden, zum Ausleben seiner sadistischen
Begierden nutzt. Mit Auszügen aus den polizeilichen Vernehmungsprotokollen
und einer Nachzeichnung des Prozessverlaufs. Kart., 240 S., Freiburg:
Kore Verlag 1993. DM 35. Peter Lehmann
Gunter Herzog / Gabriele Tergeist: Störfall Sexualität.
Intimitäten in der Psychiatrie
Über Sexualität in psychiatrischen Einrichtungen, Diskurse über
Geschlechtlichkeit, Diagnoseschlüssel, Nebenwirkungen
von Psychopharmaka, erzwungene Sexualität, Sexualität in psychiatrischen
Behandlungsverhältnissen und in Therapie usw. Kart., 268 S., Bonn:
Psychiatrie-Verlag 1996. DM 34. Peter Lehmann
Birgit Heuer / Renate Schön: Lebensqualität und Krankheitsverständnis.
Die Auswirkung des medizinischen Krankheitsmodells auf die Lebensqualität
von chronisch psychisch Kranken
Lebensqualität statt Krankheitsbegriff. Die Autorinnen befragen die
psychiatrische Praxis aus einer ebenso frappierenden wie naheliegenden
Perspektive. Sie zerbrechen sich nicht die Köpfe darüber, ob
die heute in psychiatrischen Institutionen übliche Behandlung sich
durch dahinterstehende Krankheitsbegriffe rechtfertigen ließe oder
irgendwelche naturwissenschaftlichen Beweismittel für die Angemessenheit
der üblichen Krankheitskonstrukte auszumachen wären. Sie fragen
schlicht aber ergreifend, wie es sich mit der Lebensqualität der
Personen verhält, die eine psychiatrischen Behandlung ausgesetzt
sind oder waren. Schließlich wird man doch als Ziel einer jeden
ärztlichen Kur unterstellen dürfen, dass sie das Wohlbefinden
des "Patienten" im Effekt steigert. Nun handelt es sich bei der Lebensqualität
sicherlich um einen wissenschaftlich schwer zu fassenden Terminus, aber
immerhin hindert nichts daran, die Menschen nach der ihren zu befragen.
Kartoniert, IV + 434 Seiten,
ISBN 978-3-925931-30-7. Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag, korrigierte
Neuausgabe 2004. € 38.90 Lucinda Bee
Mario Hieke: Die Informationsrechte geschädigter
Arzneimittelverbraucher
Die Dissertation (Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität
Marburg, 2003) über das rechtliche Instrumentarium, das Arzneimittelgeschädigten
zu Verfügung steht, um den Schadensverursacher bei Vorliegen entsprechender
Voraussetzungen haftungsrechtlich zu belangen, besticht durch Materialfülle
und Übersichtlichkeit. Die Arbeit knüpft an den durch das II.
Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften eingeführten
materiell-rechtlichen Auskunftsanspruchs des Arzneimittelgeschädigten
gegenüber dem Arzneimittelhersteller an und beleuchtet die aus dem
reformierten Informationsanspruch resultierenden Möglichkeiten und
Grenzen der Darlegungs- und Beweismöglichkeiten. Kartoniert, XV +
506 Seiten, ISBN 13: 978-3-89786-054-4, ISBN 10: 3-89786-054-6. Frankfurt
am Main: pmi Verlag 2003. € 68.50 Peter Lehmann
James Hillman / Michael Ventura: 100 Jahre Psychotherapie und
der Welt geht's immer schlechter
Feuilletonistische, sehr gut lesbare Kritik am individualisierenden Starren
der Therapie auf Kindheitstraumata, welches Umweltbelastungen und andere
gesellschaftliche Stressdimensionen aus dem Blickfeld gelangen lässt.
Geb., 275 S., Düsseldorf: Walter Verlag 1993. DM 48. Peter Lehmann
Paul Hoff: Psychiatrie: Ein Blick von innen. Geschichte
Theorien Fälle Der Autor Paul Hoff, Psychiater und Philosoph, will das Fach Psychiatrie
und Psychotherapie in seiner ganzen spannungsreichen Vielfalt darstellen
und anhand von Fallbeispielen die zentralen und kontroversen Themenbereiche
veranschaulichen: Natur der (sog.) psychischen Krankheit, Behandlung,
Krankheitseinsicht, Deutungshoheit, Zwang und Missbrauch, Remission, Recovery
u.v.m. Ideologisch festgelegt, jedoch ohne Einsicht in seine Festlegung,
arbeitet er die Themenbereiche mit einer "Ja, aber"-Strategie
ab, benennt Widersprüche, um dann aber einzig solche Argumente anzuführen,
die vordergründig seine Position rechtfertigen; Sichtweisen der Gegenposition(en)
werden, wenn überhaupt, jeweils nur verkürzt dargestellt, deren
Protagonisten kommen nicht zu Wort, auch wenn der Autor gelegentlich dafür
plädiert, angesichts der zunehmenden Autonomiebestrebungen von Psychiatriebetroffenen
mit dieser Personengruppe ins Gespräch zu kommen. So beschränkt
sich deren Rolle mal wieder darauf, als bloße Objekte von Fallbeispielen
zu dienen. Kartoniert, 223 Seiten, ISBN 978-3-7296-0834-4. Oberhofen am
Thunersee: Zytglogge Verlag 2011. € 30. Peter Lehmann
Nicolas Hoffmann / Birgit Hofmann: Depression. Informationsmaterial
für Betroffene und Patienten
Die Leserschaft bevormundendes, einseitiges und nahezu ausschließliches
Plädoyer für Verhaltenstherapie, basierend auf einem Verständnis
von Depression als teilweise erblich bedingter Krankheit mit sinnloser
Symptomatik, begleitet von pauschaler Abkanzelung der Selbsthilfe-Literatur
insgesamt auf der einen und ausnahmsloser Empfehlung selbstverfasster
Literatur auf der anderen Seite. Im Rahmen dieser Vorgaben finden sich
für Therapeuten und Klienten nachvollziehbare und die Therapie unterstützende
Anleitungen zur Reflexion und weiteren Planung der einzelnen Therapieschritte.
Kartoniert, 192 Seiten, ISBN 3-936142-81-5. Lengerich: Pabst Science Publishers
2002. € 20. Peter Lehmann
Nicolas Hoffmann / Henning Schauenburg (Hg.): Psychotherapie der
Depression. Krankheitsmodelle und Therapiepraxis störungsspezifisch
und schulenübergreifend
Buch zu den Theorien und Vorstellungen von Therapeuten aller Art über
die Genese und Behandlung von Depressionen. Wenn eingangs völlig
unkritisch die doppelte Häufigkeit der Diagnose "Depression"
bei Frauen erwähnt und bei Ursachen von Depressionen pharmakogenes
Auslösen vergessen wird, so ist dies leider ein deutliches Signal
für die doch begrenzte wissenschafltliche Qualität des Buches
und der auf den enthaltenen Vorstellungen aufbauenden psychotherapeutischen
Bemühungen. Kartoniert, 210 Seiten, ISBN 3-13-126061-0. Stuttgart:
Thieme Verlag 2000. DM 59. Peter Lehmann
Patrick Holford: Optimale Ernährung für die Psyche
Wenn man großzügig über die reißerische Aufmachung,
den unschönen Satzspiegel, die vielen Druck- und Übersetzungsfehler
und manche allzu simple Diagnosen und Heilsversprechen z.B. sind
über 50% aller psychischen Probleme ursächlich Blutzuckerprobleme
und Zucker macht dumm , das reaktionäre Verständnis von
"Schizophrenie" als degenerative Erkrankung und das Ausblenden
eines jeglichen Ansatzes organisierter Selbsthilfe hinweg sieht und sich
von der Fülle der biochemischen Erläuterungen und warnenden
Fragebögen nicht erschlagen lässt, dann liefert das Buch umfangreiche
und teilweise praktikable Hinweise zu all den Stoffen, die einer gesunden
Ernährung dienlich sind und damit auch der Psyche. Aber bitte nicht
alles so ernst nehmen! Z. B. die "Aufputschmittelbestandsaufnahme", die
schon bei täglich zwei Tassen Tee und zwei Teelöffeln Zucker
(aber: kein Kaffee, kein Alkohol, keine Schokolade, Cola oder Zigarette)
eine psychische Gefährdung nahelegt und den Autor zu strengsten Empfehlungen
zwingt. Und steht hinter Verbrechen wirklich die "Zuckertraurigkeit"?
Ich gebe es zu, die letzten 150 Seiten dann nur noch überflogen zu
haben. Nach der "Lösung für Depression, manische Depression
und Schizophrenie" wird auf dreieinhalb Seiten schnell der Entzug von
Alkohol, Heroin, Nikotin und Medikamenten abgehandelt, dann die Jugend,
Essstörungen, Epilepsie und das Alter: "Sagen Sie Nein zu Alzheimer".
Ein allwissender Autor (von 20 "beliebten" Büchern, in 17 Sprachen
übersetzt) lässt eine zunehmend unwillige Leserin zurück.
Zuckerunwillen? Kartoniert, XV + 390 Seiten, mit Abbildungen und Tabellen,
ISBN 3-9501946-0-6. Vorchdorf: Veda Nutria Verlag 2003. € 19.90 Kerstin Kempker
Patrick Holford / Deborah Colson: Optimale Gehirnernährung
für Kinder Fit im Kopf, fit in der Schule, fit im Leben
Tipps für eine gesunde Ernährung von Kindern, die ihre Entwicklung
unterstützt und ihre Intelligenz fördert. Für den Fall,
dass Kinder unter Problemen wie Legasthenie, Dyspraxie, Autismus, Aggressivität,
Aufmerksamkeits-, Ess- und Schlafstörungen leiden, empfehlen Holford
und Colson die Umstellung der Ernährung, insbesondere den Verzicht
auf hydrierte Fette und raffinierte Kohlehydrate und dafür die Verwendung
von Vollwertnahrungsmitteln, Vitaminen, Mineralstoffen und essenziellen
Fettsäuren, insbesondere Omega-3-Fettsäuren. Da oft genug der
Einsatz psychiatrischer Psychopharmaka droht, wenn Kinder Probleme bereiten,
ist es ausgesprochen vernünftig zu versuchen, Geist und Körper
auf natürliche Art zu beeinflussen. Das Buch liefert eine hilfreiche
Erklärung in Theorie und Praxis, wie das funktionieren könnte.
Kartoniert, 294 Seiten, 17 schwarz-weiße Grafiken und 4 Fotos, Tabellen,
ISBN 978-3-86731-020-8. Kirchzarten: VAK Verlag 2008. € 18.95 Peter Lehmann
Petra Hollweg / Wolfram Schwarz: Fernöstliche
Heilkunst für die Seele Natürliche Selbsthilfe bei Krisen
und Verstimmungen Das Buch beschreibt die ganzheitliche Behandlung seelischer Verstimmungen
und sogenannter Angsterkrankungen mit traditioneller Chinesische Medizin
(TCM). Es versteht sich zwar als Ergänzung zu westlichen Behandlungsmethoden,
womit symptomunterdrückende medizinische Maßnahmen und Psychotherapieverfahren
gemeint sind. Aber wer schon unerquickliche Bekanntschaft mit psychiatrischen
Psychopharmaka gemacht hat, verzichtet eventuell gerne auf diese "bewährten"
Maßnahmen und sucht nach einem Weg jenseits gesundheitsgefährdender
Psychodrogen. Entsprechend ihrem Ansatz, traditionelle Chinesische Medizin
nur als Ergänzung zu sehen, stellen Hollweg und Schwarz die typischen
westlichen Behandlungsverfahren nicht in Frage, ebensowenig wie das psychiatrische
Krankheitsbild (endogen, Erbfaktor usw.). Dieser Sichtweise muss man jedoch
nicht folgen, und ab Seite 26 spielt sie dann auch keinerlei Rolle mehr
im Buch. Jetzt beginnt unvermittelt der eigentliche Buchinhalt,
nämlich die Erläuterung der Prinzipien der traditionellen Chinesischen
Medizin, Yin und Yang, und der Lebensenergie Qi, vergleichbar etwa der
Lebenskraft, wie sie die Homöopathie kennt. Stress, Angstzustände,
Panikattacken und Depressionen entstehen demzufolge durch Störung
des Lebensenergieflusses. Mit einem Fragebogen kann man ermitteln, welche
Elemente (Holz, Feuer, Erde, Metall oder Wasser) einen besonders beeinflussen.
Hieraus lassen sich dann Handlungsansätze entwickeln. Diese werden
in der zweiten Hälfte des Buches ausführlich, verständlich
und differenziert für die einzelnen Energietypen dargestellt: Akupressur,
Ernährung, Heilkräuter, Bewegung und psychologische Maßnahmen.
Wer lieber einen Bogen um psychiatrische Psychopharmaka machen will und
sich auf den Ansatz der traditionellen Chinesischen Medizin einlässt,
findet hier Anregungen für eigenständig praktizierbare oder
unter Anleitung von HeilpraktikerInnen und anderen Expertinnen durchführbare
Maßnahmen in Hülle und Fülle. Kartoniert, 144 Seiten,
24 Abbildungen, ISBN 978-3-8304-3691-1. Stuttgart: Trias Verlag in MSV
Medizin-Verlage 2010. € 12.95 Peter Lehmann
Schirin Homeier: Sonnige Traurigtage. Ein Kinderfachbuch
für Kinder psychisch kranker Eltern
Das Kind Mona bekommt mit, dass seine allein erziehende Mutter immer mal
wieder depressiv ist und deshalb ihren elterlichen Pflichten nicht nachkommen
kann. Deshalb wird Mona von ihren Freunden und in der Schule diskriminiert.
Und Mona hat Schuldgefühle gegenüber der Mutter. Diese belastende
Situation wird bebildert nachvollziehbar dargestellt. Soweit der positive
Aspekt des Buches. Jetzt aber beginnt der Ratgeberteil. Das Kind lernt,
dass der Psychiater der Facharzt ist, der herausfindet, "... dass
Mama eine psychische Krankheit hat. Das ist also der Grund für die
Traurigtage. Jetzt wissen wir, was los ist!" Und weiter, wörtlich:
Der Psychiater verschreibt Medikamente gegen psychische Krankheiten. Im
Sozialpsychiatrischen Dienst kümmern sich die Fachleute um psychisch
kranke Menschen. Weil Mama jetzt noch mehr Hilfe braucht, geht sie für
einige Zeit in die psychiatrische Klinik. Dort erholt sich Mama. Leute,
die keine Ahnung haben, geben der Psychiatrie gemeine Namen wie "Irrenhaus"
oder "Klapse". Menschen, die eine psychische Krankheit haben,
finden dort viel Zeit und Ruhe. Sie finden Schutz und bekommen oft neue
Medikamente. Und können viel mit den Fachleuten reden, wodurch sie
zu neuen Kräften kommen. In anderen Worten: Psychiatrische Psychopharmaka
(insbesondere die neuen, die man bekommt) sind frei von unerwünschten
Wirkungen und heilen psychische Probleme. Überall sitzen Experten,
bereit, mit den Betroffenen hilfreiche Gespräche zu führen.
Zwang und Gewalt gegen Betroffene gibt es nicht. Nur Ignoranten, die Kritik
an der Psychiatrie üben. Dabei sind Psychiatrien echte Erholungsheime,
geradezu Jungbrunnen...... Fazit: Ein Lehrbuch für die Indoktrination
von Kindern, für die Vermittlung psychiatrischer Glaubenssätze
bar jeden kritischen Gedankens, für die subtile Werbung für
atypische Neuroleptika und SSRI. Es wird Zeit, dass Kindern von
Menschen mit psychosozialen Problemen nicht nur ein Recht auf Schutz im
Allgemeinen zugesprochen wird, nicht nur ein Recht auf Geborgenheit, Fürsorge,
Versorgung, Freundschaften, Hobbys und Freude, sondern auch ein Recht
auf Schutz vor ideologisch geprägten einseitigen und primitiven Gut-Böse-Weltbildern
(beispielsweise à la Scientology oder biologische Psychiatrie).
Aus pädagogischer Sicht sind für Kinder die Konsequenzen solcher
Indoktrination doppelt fatal: Indem sie lernen, dass die psychischen Probleme
ihrer Eltern nichts als bloße Krankheitssymptome sind, die
wie etwa Geschwüre behandlungsbedürftig und medizinisch
wegzubehandeln sind, entsteht eine Enfremdung zwischen ihnen und dem betroffenen
Elternteil. Und die Kinder laufen Gefahr, selbst einmal ärztegläubige
Schlucker von Medikamenten und Psychopharmaka zu werden. Als ob es nicht
schon genügend medikamentenabhängige Menschen geben würde.
Gebunden, 125 Seiten, ISBN 978-3-938304-16-7. Frankfurt am Main: Mabuse
Verlag 2006. € 19.80 Peter Lehmann
Alexander Markus Homes: Von der Mutter missbraucht.
Frauen und die sexuelle Lust am Kind
Akribisch recherchiert und fast bis zur Unerträglichkeit gewürzt
mit Erfahrungsberichten zieht der Autor in einem Ton zwischen Rechtfertigung
und Anklage die Schleife von den Täterinnen über Feminismus
und Pädophilie hin zu den Opfern, die selber wieder zu Tätern
und Täterinnen werden. 50 Seiten Literaturverzeichnis. Kartoniert,
459 Seiten, ISBN 3-89967-282-8. Lengerich: Pabst Science Publishers, 2.
Auflage 2005. € 25. Kerstin Kempker
Lara Honos-Webb: ADHS als Geschenk. Wie die Probleme
Ihres Kindes zu Stärken werden können
Die Autorin, Psychologin aus Santa Clara, USA, sieht die Impulsivität
des Kindes positiv als Erkenntnisdrang und außergewöhnliche
Intuitivität. Mit speziellen Übungen, die an den Interessen
der Kinder anknüpfen statt wie bei anderen Büchern vorgegeben
sind soll daraus produktive Stärke gemacht werden. Vom Ansatz
her scheint dies durchaus sinnvoll zu sein, jetzt muss nur noch ausprobiert
werden, ob die Übungen auch von den Kindern so gut gefunden werden
wie von der Autorin. Cheerleader- und Bingospiele sind zwar etwas amerikanisch
angehaucht, dafür bilden Ritterspiele oder Harry Potter ein auch
hierzulande brauchbares Gegengewicht. Kartoniert, 192 Seiten, ISBN 978-3-87387-656-9.
Paderborn: Junfermann Verlag 2007. € 19.50 Peter Lehmann
Renate Hornik: Honigschlecken. Plötzlich Stiefmutter!
Herz ist Trumpf Karrierefrau siegt mit Glanz und Gloria
Von der Autorin als Roman angekündigt, der thematisch zum Antipsychiatrieverlag
und -versand passe. Leider gelang es mir nicht, den Zusammenhang zum Thema
Psychiatrie & Antipsychiatrie zu finden. Dafür schmeckten die
vom Verlag zu Werbezwecken beigelegten Honigbonbons ausgezeichnet. Kartoniert,
214 Seiten, ISBN 3-937568-65-4. Aachen: spirit RAINBOW Verlag 2006. €
15.90 Peter Lehmann
Jürgen Hoyer / Katja Beesdo / Eni S. Becker: Ratgeber Generalisierte
Angststörung. Informationen für Betroffene und Angehörige Wer sich rein symptomorientiert, systematisch, schrittweise, mit Hilfe
von Arbeitsblättern und den Direktiven des Autors seiner Panik oder
Phobie (generell ist von Agoraphobie die Rede) stellen will, bekommt in
diesem Ratgeber knappe konkrete Hinweise, speziell aus der Verhaltenstherapie,
entlang den Fragen: Was ist das? Wie entsteht es? Was kann man tun? Mit
Beispielen versehen wird das übermäßige chronische Sorgen
und Befürchten von drei AutorInnen aus der klinischen Psychologie
betrachtet, vom "normalen" Sorgen abgegrenzt und schrittweise sortieren,
planen, entspannen, sich stellen handhabbar gemacht. Kartoniert,
79 Seiten, ISBN 978-3-8017-2030-8. Göttingen: Hogrefe Verlag 2007.
€ 9.95 Kerstin Kempker
Michael Hüll: Die Anti-Depressions-Strategie
im Alter
Buch eines Psychiaters aus Freiburg, der Depressionen bei alten Menschen
beschreibt, sowohl die biologische wie die psychologische Seite, jedoch
zwanghaft immer von einer gestörten Hirnfunktion ausgeht. Menschen,
die im Alter depressiv werden, sieht Hüll deshalb grundsätzlich
als neurologisch Erkrankte, und entsprechend gestaltet sich sein Angebot
von Behandlungsmöglichkeiten, das u.a. Antidepressiva, die in den
letzten 20 Jahren "deutlich besser verträglich" geworden seien, ebenso
einschließt wie konventionelle, völlig unkritisch empfohlene
Elektroschocks: eine brutale Behandlung, die auf der Auslösung epileptischer
Anfälle basiert - ausgerechnet bei alten, auch körperlich immer
weniger belastbarer Menschen. Finger weg von diesem ideologisch geprägten
und wenig christlichem Buch. Bei der Vorstellung, die eigenen, alt gewordenen
Eltern werden einer Behandlung im Sinne Michael Hülls unterzogen,
kommt einen das kalte Grausen. Kartoniert, 158 Seiten, ISBN 978-3-451-61005-9,
Freiburg: Kreuz Verlag 2011. € 14.95 Peter Lehmann
Gerald Hüther / Helmut Bonney: Neues vom
Zappelphilipp ADS verstehen, vorbeugen und behandeln
Dieses Buch zweier kritischer ADS-Experten liefert Antworten auf Fragen
wie: Was verbirgt sich hinter der Bezeichnung "ADS"? Wie entsteht
dieses Verhaltensmuster? Wie kann man solche Fehlentwicklungen vermeiden?
Sollten sie bereits entstanden sein: Wie kann man den betroffenen Kindern
wirksam helfen? Das Buch ist geschrieben für Eltern, Kinderärzte
und Therapeuten und liefert kompakte Argumente in verständlicher
Sprache. Sehr empfehlenswert! Taschenbuch, 167 Seiten, ISBN 978-3-407-22927-4.
Weinheim & Basel: Beltz Verlag 2012. € 12.95 Peter Lehmann
Stephen S. Ilardi: Depression ist heilbar
Das Sechs-Schritte-Programm ohne Medikamente
Menschen mit Depressionen stehen eine Reihe von Hilfsmitteln zur Verfügung,
gegen ihre Depressionen anzugehen: Naturheilkundliche Mittel, synthetische
Psychopharmaka, Engagement in der Selbsthilfegrupppe, Psychotherapien
diverser Art, Elektroschocks, Alkohol u.v.m. Selbsthilfegruppen, Psychotherapien
oder naturheilkundliche Mittel wie Johanniskraut helfen nicht immer, Elektroschocks
schädigen Gehirn und Körper sofort und nachhaltig, Alkohol auf
die Dauer ebenso, Antidepressiva stehen im Ruf, Depressionen zu chronifizieren,
Neuroleptika mit ihrer suizidalen Eigenwirkung sind auch nicht der Weisheit
letzter Schluss. Was also tun? Stephen Ilardi, Professor für klinische
Psychologie an der Universität von Kansas, publizierte 2009 ein intelligentes
Buch, das kürzlich in deutscher Übersetzung erschienen ist.
Für Ilardi sind Depressionen zwar schwere Krankheiten, da sie mit
enormem Leiden verbunden sein können, deshalb aber längst kein
Ergebnis von Stoffwechselstörungen, sondern primär von Schlaf-
und Bewegungsmangel, von schlechter Ernährung und von Stress. Um
den depressiv machenden Lebensstil zu ändern, empfiehlt er ein Spektrum
diverser, sich ergänzender Schritte, unter anderem Omega-3-Fettsäuren
als Gehirnnahrung, Anti-Grübel-Techniken und spannende Aktivitäten,
körperliche Bewegung, Sonnenlicht, soziale Beziehungen und Schlaf.
Sein 6-Schritte-Programm stellt er anschaulich und leicht verständlich
vor, und abgeschlossen wird das empfehlenswerte Buch mit einer Depressionsskala
als Praxishilfe, mit der man den zu erwartenden Fortschritt beim Nachlassen
der Depressionen wöchentlich messen kann. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzumschlag, 317 Seiten, ISBN 978-3-424-63036-7.
München: Kailash Verlag 2011. € 17.99 Peter Lehmann
Institut für kommunale Psychiatrie (Hg.): Auf die Straße
entlassen. Obdachlos und psychisch krank
Plädoyer für sozialpsychiatrisches »Zugehen« auf Obdachlose,
incl. Case-Management, Medikation usw. usf. Antipsychiatrische
Ansätze wie beispielsweise das Weglaufhaus Berlin kommen nicht vor.
Kart., 215 S., Bonn: Psychiatrie-Verlag 1996. DM 29.80 Peter Lehmann
Irren-Offensive e.V. (Hg.): 30 Jahre Kampf für
die Unteilbarkeit der Menschenrechte
Das Buch besteht aus sieben mehr oder weniger interessanten Teilen zum
Thema Psychiatrie und Menschenrechte. Wolf-Dieter Narr, Prof. für
Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität
Berlin, steuerte beispielsweise eine Stellungnahme bei über die menschenrechtlichen
Konsequenzen der UN-Behindertenrechtskonvention, in der er die Abschaffung
von Zwang fordert, eine Reform der psychiatrischen Praxis, die Schaffung
sozialer Räume, in denen Menschen ohne repressive Behandlung leben
können, und alternative Formen der Konfliktlösung im Rahmen
eines großen demokratisch menschenrechtlichen Reformprojekts. Was
dieser Text allerdings mit dem Thema "30 Jahre Irren-Offensive" zu tun
hat, vergaß der Autor zu sagen. Eine konstruktive Mitarbeit der
Irren-Offensive bei der Entwicklung der UN-Konvention der Rechte von Menschen
mit Behinderung bei den Vereinten Nationen ist schließlich nicht
bekannt. Wesentlich beteiligt an der Konvention waren dagegen MindFreedom
International sowie der Weltverband von Psychiatriebetroffenen (dessen
deutsches Mitglied der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener BPE
e.V. ist). Nichts bekannt ist auch von einer konstruktiven Maßnahme
der Irren-Offensive, die Konvention hierzulande umzusetzen. Dazu wären
allerdings Schritte aus der selbstgewählten Sektiererecke nötig
und die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, um sich vereint gegen
den psychiatrisch-pharma-industriellen Komplex zu stemmen. Von
Rene Talbot stammt das Kapitel zur Geschichte der Irren-Offensive mit
einer bemerkenswerten Notiz am Ende: "Diese wahre Geschichte wird von
Rene Talbot erzählt, einem langjährigen Menschenrechtsaktivisten
in der Irren-Offensive". Da Talbot zehn Jahre, nachdem sich diese Gruppe
gegründet hatte, zu ihr stieß zu einem Zeitpunkt, als
die Gründungsmitglieder dem Verein den Rücken gekehrt hatten
, meint er offenbar, er könne frei über die Gründungsgeschichte
der Irren-Offensive fabulieren und dies per Fußnote zur "wahren
Geschichte" deklarieren. Sich etwa der Publikation "Die
Irren-Offensive Erfahrungen einer Selbsthilfe-Organisation von
Psychiatrieüberlebenden" von Tina Stöckle aus dem Jahre
1983 zu bedienen, in der die Bedingungen und Entwicklungsprozesse der
Gruppe sorgfältig dokumentiert sind, war Talbot offenbar nicht möglich,
stellten diese Fakten doch ein Korrektiv für seine Möchtegern-Geschichte
dar. Vielleicht passt ihm auch der undogmatische Ansatz nicht, den Tina
Stöckle beschreibt. Viel lieber entwirft Talbot beispielsweise
als Gründungsrahmen der Irren-Offensive das Szenarium einer
"spießigen Reaktion", ein politisches Klima, das durch den Eintritt
der Grünen in Regierungsämter und Cerruti-Sakkos des Außenministers
Joschka Fischer gekennzeichnet gewesen sei und gegen das sich der Gründungsgeist
der Irren-Offensive gewandt habe. Dass zwischen Gründung der Irren-Offensive
und Eintritt der Grünen in die Regierung ca. 15 Jahre lagen, spielt
für Talbot keine Rolle. Selbstgefällig beleidigt er Mitglieder
des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener als "auf Krankheitseinsicht
'abgerichtete' Menschen", die ihre Krankheitseinsicht wie eine Monstranz
vor sich her tragen und mit ihrer Opferrolle das psychiatrische Foltersystem
stabilisieren, wodurch die politische Kritik am psychiatrischen System
wirkungslos werde. Auf die Idee, dass seine besserwisserische Beschimpfung
der großen Mehrheit von aktiven Psychiatriebetroffenen, die auf
ihre Weise Proteste und Gremienarbeit für Alternativen,
eine bessere Förderung des Selbsthilfebereichs und die Durchsetzung
von Menschenrechten im psychosozialen Bereich kämpfen, bloß
lächerlich ist und mitsamt den Un- und Halbwahrheiten dazu führt,
dem gesamten Buch den Stempel des Unsinns aufzudrücken, kommt der
Autor nicht. Schade für das Anliegen, schade für die Mitautoren
und schade für den Verlag. (Rezension im BPE-Rundbrief, 2011, Nr. 2). Kartoniert,
156 Seiten, ISBN 978-3-940865-14-4. München: AG SPAK 2010. €
16. Peter Lehmann
Theodor Itten: Jähzorn Psychotherapeutische Antworten
auf ein unkontrollierbares Gefühl
Wer kennt sie nicht, die unangenehme Erfahrung mit eigenem oder fremdem
Jähzorn? Jeder Fünfte war laut Befragungen in der Ostschweiz
als Kind Opfer von jähzornigen Eltern, 24 Prozent der Befragten bezeichneten
sich selbst als jähzornig. "Wenn wir als Kinder mit einem jähzornigen
Elternteil aufwachsen, werden wir durch diese Erfahrung geprägt.
Wir entwickeln eine Jähzornangst", schreibt der Autor, ein in St.
Gallen niedergelassener Psychotherapeut. Er weiß, wovon er spricht.
Mit 14 Jahren zerhaute er die geerbte Geige seines Großvaters aus
Wut darüber, dass er das Instrument in eine Gitarre umschreinern
sollte, da sein engstirniger Vater ihm keine Gitarre kaufen mochte. Mit
seinem Buch macht Itten den Jähzorn erstmals im deutschsprachigen
Raum zum Thema. Wo kommt Jähzorn her? Wie zeigt sich Jähzorn?
Was können Betroffene, Angehörige und Therapeuten tun? Bei der
Beantwortung brennt der Autor ein Feuerwerk an Informationen ab, die man
sich kaum umfassender vorstellen kann: Jähzorn in Religionen, Mythen,
Geschichte, Literatur, Filmen, im Alltag, im Sport. "Im Überblick
des Weges, den wir durch die Geschichten, Mythen und Therapieberichte
dieses Buches gegangen sind, merke ich viel klarer, was sich im und durch
den Jähzorn zeigt. Jähzorn kann verstanden und verändert
werden, sobald die verschiedenen Bereiche des eigenen wahren und wirklichen
Lebens miteinander in Verbindung sind." Gebunden, XI + 193 Seiten, 1 Abbildung,
22 Tabellen, ISBN 978-3-211-48622-1. Wien: Springer Verlag 2007. €
24.95 Peter Lehmann
Theodor Itten / Ron Roberts: Politik der Erfahrung
Kritische Überlegungen zur Entwicklung von Psychologie und
Psychotherapie
Die beiden Psychologen Theodor Itten und Ron Roberts untersuchen den Einfluss
des neoliberalen Kapitalismus auf die Kluft zwischen der akademischen
Psychologie und der psychotherapeutischen Kunst des Heilens und plädieren
für die Rückkehr zu einer authentischen und dynamischen Politik
der Erfahrung. Wie kam es zur heimlichen Politisierung der Erfahrung,
dem Verkauf des Wissens an die Meistbietenden, der Infizierung der therapeutischen
Beziehung und dem Hunger der Psychologen nach Status, Macht und Kontrolle?
Analytisch, historisch, persönlich und empirisch verknüpfen
die beiden Autoren ihre beruflichen und privaten Erfahrungen und finden
so Antworten auf die Frage, was Menschen inner- und außerhalb der
Psychotherapie hilft, sich selbst helfen und zur Sorge für das eigene
Wohlbefinden zu finden. In 12 Kapiteln geht es also um die Beeinflussung
der psychotherapeutischen Haltung durch Lehranalyse, Lehrtherapie und
Selbsterfahrungspraxis, um die Rolle von Intuition und Wissenschaft in
der Psychotherapie und die Einbeziehung von Ronald D. Laings Werk und
seinen Erfahrungen, um Mord, Korruption, Politik und Gedankenkontrolle
in den akademischen Elfenbeintürmen, um heilende und emanzipatorische
Aspekte der Psychotherapie, um die Auseinandersetzung mit den Grenzen
des methodischen Individualismus in der Psychotherapie, um das Verhältnis
der Arbeit von Psychotherapeuten zu den Erfahrungen der Betroffenen u.v.m.
Das Buch richtet sich an Psychologen in therapeutischer Praxis sowie in
Universitäten und ruft sie auf, sich der Rebellionsbewegung gegen
die Enthumanisierung des Menschen in der industriellen Gesellschaft anzuschließen.
Kartoniert, 336 Seiten, ISBN 978-3-8379-2537-1. Gießen: Psychosozial
Verlag 2016. € 36.90 Peter Lehmann
Leslie Iversen: Speed, Ecstasy, Ritalin.
Amphetamine Theorie und Praxis
Das 2006 original in englischer Sprache erschienene und jetzt in deutscher
Übersetzung vorliegende Buch enthält allerlei Wissenswertes
über eine umstrittene Klasse psychiatrischer Psychopharmaka und Drogen.
Allerdings beschränken sich die Quellen auf Veröffentlichungen
aus dem angloamerikanischen Sprachraum. Bücher wie Marc Rufers "Glückspillen.
Ecstasy, Prozac und das Comeback der Psychopharmaka", erschienen
1995, ignorieren sowohl der Autor als auch der Vorwortschreiber Dilling.
Ebenfalls vermisse ich eine ganze Reihe kritischer Literatur zu Ritalin,
von Abrams über Bonney bis hin zu DeGrandpre. Nichtsdestotrotz enthält
das Buch viele wichtige kritische Informationen über Amphetamine
(inkl. Adderall) und das Aufputschmittel Ritalin, das eine den Amphetaminen
vergleichbare Wirkung hat. Die Informationen es sind auch befürwortende
Einschätzungen von Ritalin darunter betreffen sowohl was die
Wirkungsweise bei Mensch und Tier, als auch die gesundheitlichen Risiken
incl. Abhängigkeit und Amphetaminpsychosen bei legalem Einsatz (als
Antidepressiva, Wachmacher, Schnupfenmittel, Appetitzügler, Ruhigstellung
von "Zappelphilippen" usw.) und bei illegalem. Iversen zeigt,
wie Amphetamine einzeln oder in Kombination mit anderen Substanzen mit
großer Begeisterung für diverse Indikationen empfohlen worden
waren. Früher oder später, wenn ausreichende Berichte von Schädigungen
vorlagen, wurden diese "Medikamente" wieder vom Markt genommen.
Und das Buch enthält viele Spekulationen zu möglichen Ursachen
diverser psychischer "Krankheiten" (u.a. die "Dopamin-Hypothese
der Schizophrenie"), rückgeschlossen von der vermuteten Wirkungsweise
der Amphetamine. Kartoniert, 247 Seiten, 20 schwarz-weiße Abbildungen,
6 Tabellen, ISBN 978-3-456-84519-7. Bern: Huber Verlag 2009. € 29.95 Peter Lehmann
Frederike Jacob: Ess-Störungen. Lösungsorientiert überwinden
Eine Therapeutin berichtet aus ihrer Sicht. Ganz am Rande kommen Psychopharmaka
(Antidepressiva) vor. Der Bitte, beim Absetzen behilflich zu sein, weicht
sie aus. Kartoniert, 220 Seiten, ISBN 3-86145-254-5. Dortmund: Borgmann
Verlag modernes leben 2003. € 17.90 Peter Lehmann
Pe Jacobi: Angst erfolgreich überwinden
Ein Praxisbuch für Frauen
Die Autorin Sozialpädagogin und Journalistin schreibt
engagiert, eloquent und praxisnah von weiblicher Angst, Vermeidungsverhalten,
Abhängigkeit, Therapie und Selbsthilfe. Hintergrund sind neben einschlägiger
Literatur eigene Erfahrungen, die Befragung vieler Frauen und besonders
die ausführlichen Berichte von fünf Frauen. Angenehm zu lesen,
informativ und ermutigend. Fraglich allerdings, wie fundiert manche Zahlen
sind, ob wirklich 11% der Bevölkerung an sozialen Phobien erkranken,
wieso Frauen genetisch anfälliger sind für kranke Angst, und
warum die Autorin so sehr darauf beharrt, die Angst zur Krankheit zu machen.
Ist es nicht eine Falle, wenn eine Frau krank sein muss, um ernst genommen
zu werden? Zitat: 'Ich weiß ja, dass sie krank ist und nichts dafür
kann.'" Original 2005 bei Rowohlt unter dem Titel "Ängste
besiegen, Panik überwinden Ein Buch für Frauen".
Gebunden, 222 Seiten, ISBN 978-3-86647-323-2. Köln: Anaconda Verlag
2009. € 7.95 Kerstin Kempker
Bettina Jahnke: Vom Ich-Wissen zum Wir-Wissen
Mit EX-IN zum Genesungsbegleiter
Das Buch besteht aus 14 Interviews mit Ex-In-Absolventinnen und Absolventen
über ihre persönliche, psychische Veränderung und Stabilisierung
(im Buch "Recovery" und "Empowerment" genannt) infolge
der Teilnahme am Programm. Die Interviews führt mit Bettina Jahnke
eine -Journalistin und EX-IN-Absolventin, die zudem als Genesungsbegleiterin
auf einer Sozialarbeiterinnenstelle in Viersen arbeitet. Dies hat den
Vorteil, dass sie als Insiderin Fragen stellt, auf die ein Außenstehender
nie kommen würde, und den Nachteil, dass die Fragen EX-IN-systemimmanent
bleiben und Fragen eher grundsätzlicher Natur nicht gestellt werden,
beispielsweise: Wie ist der Anspruch, antidiskriminierend tätig zu
sein, vereinbar mit der unkritischen Verwendung des Krankheitsbegriffs?
Lässt sich Empowerment, d. h. Selbstermächtigung, so einfach
reduzieren auf einen inneren Emanzipationsprozess unter fast vollständiger
Ausblendung aller Macht- und Gewaltverhältnisse in der Psychiatrie?
Was sagt es aus über die Ersteller des EX-IN-Curriculums, dass in
der Ausbildung die durchschnittlich um zwei bis drei Jahrzehnte reduzierte
Lebenserwartung psychiatrischer Patientinnen und Patienten kein Thema
ist? Wer sich an diesem Manko nicht stört, findet in dem Buch aussagekräftige
Einblicke in das, was die EX-IN-Teilnehmer und -Teilnehmerinnen bewegt
und welche psychischen Erkenntnisprozesse die Ausbildung bei ihnen ausgelöst
hat, welche neuen Prioritäten sie in ihrem Leben gesetzt haben und
wie sie mit ihren als problematisch empfundenen Gefühlen und Konfliktverarbeitungsmechanismen,
die sie zuvor in die Psychiatrie haben kommen lassen, jetzt besser zurecht
kommen: EX-IN-Ausbildung sozusagen als spezielle Form einer Gruppenpsychotherapie.
Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 215 Seiten, ISBN 978-3-940636-22-5. Neumünster: Paranus
Verlag 2012. € 19.95 Peter Lehmann
Kewal K. Jain: Drug-induced neurological disorders
The book delivers a comprehensive and clearly arranged overview of all
kinds of drug-induced neurological disorders. In more than 400 pages you
can read about drug-induced encephalopathies (f.e., by antiepileptics
like valproate and carbamazepine), disorders of consciousness (f.e., benzodiazepines,
antidepressants, valproate), neuropsychiatric disorders (f.e., benzodiazepines,
reserpine, antidepressants, antiparkinsonian drugs, lithium), headaches,
seizures, movement disorders, cervovascular disorders, disorders of the
cranial nerves and the special senses, peripheral neuropathies, neuromuscular
disorders, myopathies, diseases of the spinal cord, cerebellar disorders,
aseptic meningitis, benign intracranial hypertension, disorders of the
autonomic nervous system, sleep disorders, eosinophilia myalgia syndrome,
serotonine syndrome, Guillain-Barre Syndrome, and many more. The book
is primarily written for clinicians involved in the management of neurological
and other disorders which fell in the field of psychiatry, but surely
psychiatric patients who have a medical dictionary can find useful information
when their psychiatrists try again and again to interprete drug-induced
physical and mental disorders as symptom-change of the primarily diagnosed
psychiatric illness. Hardcover, 452 pages, ISBN 978-0-88937-425-6. Cambridge
& Göttingen: Hogrefe Publishing, 3rd, revised and expanded edition
2012. € 91.95 Peter Lehmann
Zdzislaw Jaroszewski (Hg.): Die Ermordung der Geisteskranken in Polen
1939-1945 / Zaglada chorych psychicznie w Polsce 1939-1945
Zdzislaw Jaroszewski, von 1937 bis 1939 Arzt in Owinsk, wo zum ersten
Mal in der Geschichte der Menschheit industriell gemordet wurde, und dann
im Widerstand, hat in dieser einmaligen Dokumentation ein grausiges
Dokument des Massenmords durch Nazis und Psychiater das zusammengetragen,
was heute über die systematische Ermordung der polnischen PsychiatrieinsassInnen
bekannt ist. Zweisprachig (polnisch / deutsch), original 1993 in Polen
erschienen. Kartoniert, 249 Seiten zahlreiche Fotos und Abbildungen, ISBN
978-3-926200-94-5. Edition Jakob van Hoddis 2007 im Paranus Verlag. €
14.80 Peter Lehmann
Eva Jaeggi: Zu heilen die zerstossnen Herzen. Die Hauptrichtungen
der Psychotherapie und ihre Menschenbilder
Interessiert hätten mich ja bei diesem Buch auch die ethischen Fragen
der Therapie, die Macht- und die Geschlechterfrage, der gesellschaftliche
Bezug. Wären das nicht auch »vernünftige Vergleichskriterien«
der therapeutischen Schulen? Eva Jaeggi ist Analytikerin. Sie hat sich
»also vor allem in die Theorieschöpfung Freuds verliebt, und
dies ist dem Buch auch anzumerken«, schreibt sie entwaffnend gleich
zu Beginn. Unter Aspekten wie: Entwicklung, Körper, Unbewusstes,
Beziehung, Ziel und Gesellschaft befragt und vergleicht die Autorin Psychoanalyse,
Verhaltens-, Gesprächs-, Gestalt- und systemische Therapie. Vorangestellt
ist ein Musterfall, Frau B., die mit ihrem Problem Vertreter dieser fünf
Schulen zum Erstgespräch aufsucht. Knapp und eindrücklich werden
in den Gesprächssequenzen typische Unterschiede, aber auch Parallelen
deutlich. Eva Jaeggi will Relativierungen anregen: »Dieses Buch könnte
manchem wieder einmal klarmachen, dass Heilung und Beruhigung im Bereich
des Psychischen auf vielerlei Arten zustande kommen kann, dass keine Therapieform
ein Anrecht hat auf Ausschließlichkeit. Dies muss vor allem an die
Adresse der Psychoanalytiker gerichtet werden. Wir neigen dazu, unsere
Kollegen aus anderen Schulen einfach als therapierende Laien abzutun.«
Ja, dazu neigt sie, und irgendwie erinnert mich um einmal zu assoziieren
dieses kokette ich weiß schon, ich bin schlimm
am Ende des Buches an die Taktik meiner Schwester, mich erst zu hauen,
um mich dann trösten zu können. Das Buch führt ein in die
Grundlagen der Analyse und grenzt diese dann kritisch ab gegen die anderen
Therapieformen. Als Lehrbuch dieser Art ist es verständlich, klug,
gut aufgebaut und nicht ohne Selbstkritik. Eine Gesamtschau von außen
auf das Phänomen Therapie, die Ursachen, Wirkungsweisen und (auch
gesamtgesellschaftlichen) Konsequenzen, ist es nicht. Und ganz fair scheint
mir auch der Umgang mit den anderen Therapierichtungen nicht zu sein.
Produzieren »Therapiesysteme, die sich mit denjenigen Seelenanteilen,
die nicht verfügbar sind, nicht beschäftigen«, wirklich
»ein schales, banales Bild vom Menschen«? Vielleicht verzichten
sie eher auf die Produktion. Entspringt der Unwille zur Diagnose bei Carl
Rogers »therapeutischer Selbstüberschätzung«? Rogers
und die humanistische Gesprächstherapie kommen besonders schlecht
weg bei Jaeggi. Sie sind »gutgläubig« und »naiv«,
der »Geruch des Religiösen« haftet ihnen an. Nirgends im
Buch eine Frage zur Diagnostik, fast nichts zur Therapie sog. Psychosen,
zur Arbeit in der Anstalt. »Um der Homosexualität einer Patientin
auf die Spur zu kommen, fragt man sich« ...... warum, frage ich mich,
warum ihr auf die Spur kommen? Warum Therapie? Ein ordentliches analytisches
Lehrbuch, das mir mehr versprach, als es hält. Französische
Broschur, 320 S., Hamburg: Rowohlt Verlag 1995. DM 34. Kerstin Kempker
Holger Jenrich (Hg.): Altenpflege international
Entwicklungen in der außereuropäischen Altenhilfe
Sammlung von Texten, die im Fachmagazin Altenpflege bereits publiziert
wurden, über Altenpflege in Ägypten, Argentinien, Australien,
Bolivien, Brasilien, Chile, China, Ghana, Indonesien, Israel, Japan, Kambodscha,
Kamerun, Kanada, Malaysia, Namibia, Nepal, Neuseeland, Singapur, Sri Lanka,
Südafrika, Südkorea, Thailand, USA, Vietnam und Zimbabwe. Man
kann sich informieren über die Unterschiede zu hiesigen Systemen:
Es existieren beispielsweise moderne Hightech-Heime in Japan und simple
Nachbarschaftsprojekte in Bolivien, karge Verwahranstalten in Namibia
und mondäne Retirement Villages in Australien. Kartoniert, 180 Seiten,
ISBN 978-3-940529-04-6. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag 2008. €
19.80 Peter Lehmann
Jean C. Jenson: Die Lust am Leben wieder entdecken
Eine Selbsttherapie
1995 in den USA original erschienen, 1997 erstmals in deutscher Übersetzung,
leitet die Autorin aus den USA an zur Selbsttherapie, um Kindheitstraumata
zu überwinden. In Anlehnung an Alice Miller, die ein vierseitiges
Nachwort beigesteuert hat, geht Jean Jenson vor dem Hintergrund vierzigjähriger
Erfahrung als Einzel- und Paartherapeutin davon aus, dass viele Menschen
in der Kindheit von ihren Eltern körperlich misshandelt und sexuell
oder emotionell missbraucht wurden und das sich die Kindheit auch heute
noch auf unsere alltäglichen Interaktionen als Erwachsene auswirkt.
Verdrängung, Vermeidungsverhalten, Überreaktion, zerstörerisches
Verhalten usw. sind die Folge, dargestellt an Beispielen. Im zweiten Teil
geht es um die heilende Aufarbeitung der Kindheit, Gefühle von der
Vergangenheit nochmals zu leben, die Identifikation von Symbolen und Auslösern,
die Kunst der Selbstbeobachtung, den Trauerprozess usw., und im abschließenden
dritten Teil um von der Autorin kommentierte Berichte und Fallstudien
von Menschen, die dank Jean Jenson die Lust am Leben wiedergefunden haben.
Dass Misserfolge in dem Buch nicht vorkommen, wird durch Alice Millers
kritisches Nachwort ausgeglichen. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 224 Seiten, ISBN 978-3-407-22930-4.
Weinheim & Basel: Beltz Verlag, 3. Auflage 2012. € 14.95 Peter Lehmann
Karl-Heinz Joepen: Die Psychofalle. Über die Verdrängung
der Wirklichkeit bei der Suche nach dem wahren Selbst
Wohltuende Fundamentalkritik des modischen Kultes der Gefühligkeit.
Streitschrift gegen die Banalisierung und Vulgarisierung der Psychologie.
Kart., 169 S., Hamburg: Rotbuch Verlag 1997. DM 18.90 Peter Lehmann
Matthew Johnstone: Mein schwarzer Hund Wie
ich meine Depression an die Leine legte
Originell bebildertes Buch für Erwachsene von dem von Depressionen
betroffenen Autor aus Australien, der seine zeichnerischen Fähigkeiten
als Kreativdirektor in Werbeagenturen entwickelte und sie nutzte, seine
Depressionen als schwarzen Hund darzustellen, der ihn begleitet: heimsucht,
den Appetit verdirbt, die Konzentration und das Vergnügen raubt,
ihn böse Dinge sagen lässt, sich im Bett bemerkbar und das Leben
unerträglich macht, bis der Betroffene schließlich therapeutische
Hilfe sucht und lernt, mit dem schwarzen Hund zu leben, ihn auch vor den
Augen anderer herauszulassen, ihn mit Yoga, Bewegung an der frischen Luft
und anderen Mitteln fernzuhalten und ihn schließlich insofern zu
schätzen, als der zu einem reflektierteren Leben zwingt. Ein ausgesprochen
schönes Buch. Leider werden auf der letzten Seite Literaturtipps
und Websites genannt, die den guten Eindruck des Buches stark relativieren.
Die Leser werden vornehmlich an Informationsquellen der herrschenden Psychiatrie
verwiesen, die sich durch Verharmlosung von Risiken psychopharmakologischer
Behandlung und Elektroschocks auszeichnen. Ob wenigstens (von der Pharmaindustrie
unabhängige) Selbsthilfegruppen in der nächsten Auflage genannt
werden? Gebunden, 48 Seiten, ISBN 978-3-88897-537-0. München: Kunstmann
Verlag, 2. Auflage 2009. € 14.90 Peter Lehmann
Matthew Johnstone / Ainsley Johnstone: Mit dem schwarzen Hund leben
Wie Angehörige und Freunde depressiven Menschen helfen können,
ohne sich dabei selbst zu verlieren
Nachfolgetitel zu "Mein schwarzer Hund Wie ich meine Depression
an die Leine legte". Wiederum originell bebildert werden Angehörige
angeleitet, Depressionen zu erkennen und die Betroffenen zu unterstützen,
ohne sich selbst zu verlieren oder Depressionen gar zu verstärken.
Vielen sinnvollen Ratschlägen stehen auch zweifelhafte gegenüber.
Zum Beispiel die Botschaft "Vielleicht stimmt es, dass 'alles nur
im Kopf stattfindet', bloß sagen sollten Sie es nicht." Ob
es wirklich hilfreich ist, die Gefühlslage des depressiven Ehepartners
auf sinnlose Hirnstoffwechselstörungen zu reduzieren und damit den
Zusammenhang mit realen Problemen in Abrede zu stellen, ihm jedoch eine
andere Überzeugung vorzumachen? Selbsthilfegruppen werden
nun auch genannt, denen man sich anschließen soll, allerdings werden
im Anhang vornehmlich Adressen wie den Schweizer "Verein zur Bewältigung
von Depressionen" genannt, die von der Pharmaindustrie (Essex Chemie
AG, Lundbeck AG, AstraZeneca AG, GSK GlaxoSmithKline AG) gesponsert werden
und sich entsprechend unkritisch gegenüber den psychiatrischen Behandlungsmaßnahmen
und ihrem reduktionistischen Weltbild äußern. Gebunden, 80
Seiten, 80 Illustrationen, ISBN 978-3-88897-594-3. München: Kunstmann
Verlag 2009. € 14.90 Peter Lehmann
Steven Jones / Peter Hayward / Dominic Lam: Aus den Fugen. Zwischen
den Extremen Leben mit Bipolarität und manischer Depression
Ratgeber dreier Psychiater zur (ihrer Meinung nach) zugrunde liegenden
Problematik, der Diagnose, Behandlung und Begleitung von Menschen mit
der Diagnose "manisch-depressiv". Zeitgemäßes trialogisches
Plädoyer für Compliance, Therapie, Verhaltensänderungen
und Behandlung mit Psychopharmaka (Neuroleptika, Antidepressiva, Lithium,
Antiepileptika, Tranquilizer), wobei die Risiken von Psychopharmaka heruntergespielt
werden (z.B. finden sich keinerlei Warnhinweise vor der oft suizidalen
Wirkung von Neuroleptika, vor der Gefahr von Rezeptorenveränderungen
bei Neuroleptika und Antidepressiva, vor dem Fehlen insitutioneller Hilfen
beim Absetzen usw.). Gebunden, 212 Seiten, ISBN 3-0350-0026-3. Zürich:
Oesch Verlag 2004. € 14.90 Peter Lehmann
Charlotte Jurk: Der niedergeschlagene Mensch. Depression Geschichte
und gesellschaftliche Bedeutung einer Diagnose Die Autorin behandelt die "Karriere" der Diagnose Depression. Während
sie zu Beginn des letzten Jahrhunderts noch "Melancholie" genannt und
als normaler Seinszustand angesehen wurde, gilt sie hierzulande mittlerweile
als Volkskrankheit, die auf eine Störung des Stoffwechsels zurückzuführen
sei und der man massiv mit Psychopharmaka auf den Leib rücken soll.
Unter Verwendung vieler sorgfältig dokumentierter wissenschaftlichen
Quellen beschäftigt sich die Sozialwissenschaftlerin Charlotte Jurk
damit, wie sich diese primitive und unbewiesene Sichtweise durchgesetzt
hat, das das psychische Leiden an den sozialen Verwerfungen der Moderne
zum Versagen des Individuums und seines Stoffwechsels uminterpretiert.
Kartoniert, 215 Seiten, ISBN 978-3-89691-751-5. Münster: Verlag Westfälisches
Dampfboot 2008. € 24.90 Peter Lehmann
Lydia Kang / Nate Pedersen: Abgründe der Medizin
Die bizarrsten Arzneimittel und kuriosesten Heilmethoden der Geschichte
Lydia Kang, eine Ärztin für Innere Medizin, und der Journalist
Nate Petersen haben ein informatives Buch über aus der heutigen Sicht
abstruse, zu ihrer Zeit anerkannte medizinische Behandlungsmethoden geschrieben,
beispielsweise Wieselhoden als Verhütungsmittel, Aderlass gegen Blutverlust
oder glühende Eisen bei Liebeskummer. Leider ist der Bereich der
Psychiatrie massiv unterrepräsentiert, nur die Lobotomie war es dem
Autorenpaar wert, erwähnt zu werden. Rotationsapparate, Salzeinspritzungen,
Eismützen, elektrische Reizung der Geschlechtsteile, Rizinusöl,
Stockschläge, Klitorisentfernung, Dauerbetropfung..... das Buch hätte
den dreifachen Umfang, wenn psychiatrische Behandlungsmethoden, mit denen
so viele wehrlose Menschen gequält wurden, angemessen dargestellt
würden. Interessant wäre auch die Frage, wie man erkennen könnte,
welche der derzeit von der Schulmedizin anerkannten Methoden sich wohl
in einer zukünftigen Ausgabe von "Abgründen der Medizin" wiederfinden,
beispielsweise Neuroleptika (mit ihrer gezielten Auslösung einer
Parkinson-Symptomatik) oder Elektroschocks (mit der Auslösung von
epileptische Anfällen durch Stromstöße durch das Gehirn).
Schade, dass sich über die Jetztzeit hinausreichende Gedanken nicht
im Buch finden lassen. Denn wieso sollten ausgerechnet heutzutage praktizierte
Methoden von späteren Generationen nicht als ebenso abartig wahrgenommen
werden wie die im Buch dargestellten Methoden aus vergangenen Zeiten?
Das Buch erschien 2017 original in den USA. Gebunden, 352 Seiten, ISBN
978-3-7423-0716-3. München: mvg Verlag 2019. € 19.99 Peter Lehmann
Sudhir Kakar: Der Mystiker oder die Kunst der Ekstase Geschichte eines jungen Inders, der die Grenzen seines Bewußtseins
hinter sich läßt und Erfahrungen spiritueller Ekstase durchleben,
der fast wider Willen zum Mystiker wird und die innere Wahrheit seiner
Visionen gegen den aufgeklärten Verdacht, Halluzinationen aufzusitzen,
verteidigen muß. Gebunden, 268 Seiten, ISBN 3-406-48035-7. München:
C.H. Beck Verlag 2001. € 19.50 Peter Lehmann
Angelika Kallwass: Stark gegen die Angst. Wir finden einen Weg
Die Psychologin, Talkmeisterin und Geschäftsführerin eines Textilunternehmens
Kallwass schildert 15 typische Angstsituation und empfiehlt angemessene
Lösungswege. Alle Probleme lassen sich dann ihrer Meinung nach ganz
einfach lösen wie im Fernsehen. Kartoniert, 157 Seiten, ISBN
3-7831-2450-6. Stuttgart: Kreuz Verlag 2004. € 14.90 Peter Lehmann
Heinz Kampmann / Jeanette Wenzel Psychiatrische und antipsychiatrische
Vorstellungen von Hilfe im Wandel der Zeit
Aus der Vergangenheit in die Zukunft. Zu den großen Verdiensten
der Autoren gehört es, den radikal gesellschaftskritischen Ansatz
der kritischen Psychologie (nach Holzkamp) an der Geschichte moderner
psychologischer und psychiatrischer Hilfskonzepte zu erproben. Nicht die
vermeintlich kritische Überwindung des Subjekts, wie poststrukturalistische
Strömungen sie vertreten, steht hier auf dem Programm, sondern der
politische Kampf für die Freiheit gesellschaftlicher Subjekte. Im
Fokus der vorgelegten Untersuchungen steht die Fragestellung, wie sich
die systematische Abblendung gesellschaftlicher Aspekte von psychischen
Störungen auf gegenwärtige und historische Hilfsangebote ausgewirkt
hat. Die These lautet: Gerade der Umstand, dass das (psychische) Leid
wie eine Eigenschaft ausschließlich auf das leidende Individuum
bezogen wird, beschneidet in der Folge systematisch seine Möglichkeiten
als freies gesellschaftliches Subjekt zu handeln. Psychiatrische Klassifizierung
reduziert ihre Träger zu bloßen Objekten von Fremdzuschreibung.
In einem Ausblick auf alternative Hilfsangebote konkretisieren die Autoren
ihre radikal gesellschaftskritische Zugangsweise: statt bei utopischen
Ansätzen stehenzubleiben, leiten sie zu einer konkreten, aber radikal
gesellschaftskritischen Praxis über. Kartoniert, VII + 474 Seiten,
ISBN 978-3-925931-39-0. Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag, korrigierte
Neuausgabe 2004. € 39.90 Lucinda Bee
Kerstin Kempker:
Mitgift Notizen vom Verschwinden
Jugend als psychiatrisierter Alptraum. Wenn die Kindheit sich überlebt
hat und sich unvermutet unendliche Räume dort öffnen, wo vorher
unumstößliche Autoritäten ebenso festgefügte Raster
und Normen aufgestellt hatten, nimmt das Abenteuer Leben mit ungeahnter
Kraft an Fahrt auf. Kerstin Kempker erzählt mit viel Verve und überraschend
fesselnd, wie das Abenteuer ihrer Jugend zu einem nicht enden wollenden
Alptraum wurde. Eine unglaubliche Irrfahrt durch unterschiedliche psychiatrische
Einrichtungen, Therapiekonzepte, Behandlungsmethoden, Krankheitszuschreibungen.
Mit viel Sensibilität berichtet diese Autobiographie von der Sprachlosigkeit
einer vergifteten Jugend, von der Sprachlosigkeit der Helfer und wie sie
schließlich diesen Alptraum losgeworden ist. Ein spannendes und
zugleich tiefes Buch, das ohne billige Schuldzuweisung auskommt. Kartoniert,
208 Seiten, 34 Abbildungen, ISBN 978-3-925931-15-4. Berlin: Peter Lehmann
Antipsychiatrieverlag 2000. € 14.90 Benjamin Sage
Warum nicht in der verrückten Sprache glücklich
sein? "Teure Verständnislosigkeit" ist ein mutiges Buch, das
die tabuisierten Ränder zu verrücktem und als krank diagnostiziertem
Verhalten nicht außen, sondern im Zentrum des sozialen Bandes
in der Sprache sucht. Kerstin Kempker hat hier die künstlerische
Produktion, besonders die literarische Sprache, in den Fokus gerückt.
Nicht um sich akademisch korrekt in einem Metadiskurs zu etablieren,
um von sicherer Warte psychiatrisierende, germanistische oder sonst
wie abgeklärte Urteile ergehen zu lassen. Mit einer an Unbesonnenheit
grenzenden Offenheit hat sie sich auf die Suche zu sich selbst gemacht,
zum eigenen (sprachlichen) Ausdruck. Keine leichte Lektüre, hangelt
sich die Autorin doch manchmal allzu offensichtlich an einem antipsychiatrischen
Raster entlang, dem die Sache gelegentlich zu entgleiten droht. Bestrickend
wirken Kerstin Kempker Untersuchungen andererseits durch die Intensität
der Befragung des künstlerischen, besonders des literarischen
Ausdrucks (auch Graphiken und Bilder sollen hier zur Sprache kommen).
Eine Empfehlung für alle, die in der Literatur mehr und dringlicher
suchen als das bloße Klischee vom wunderlich verrückten
Schriftsteller, das sich so gut einzupassen versteht, in das eng umfriedete
angepasste Leben eines Lesers, der mehr wünschte, wenn er Worte
fände. Lucinda Bee
Kartoniert, französische Broschur, 128 Seiten, 18 Abbildungen, ISBN
978-3-925931-04-8. Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 1991. €
9.90
Kerstin Kempker
(Hg.): Flucht in die Wirklichkeit Das Berliner Weglaufhaus Die Wirklichkeit der Utopie witzig und schonungslos. Dies ist
nicht nur ein Buch über den "anderen Ort", sondern eins über
seine Realität und deshalb genauso schillernd und abwechslungsreich
ein Buch, in dem ganz unterschiedliche und bisweilen widersprechende
Perspektiven auf die Verwirklichung einer Utopie nebeneinander stehen.
"Flucht in die Wirklichkeit" lädt auf intelligente und ziemlich witzige
Weise dazu ein, darin zu stöbern und sich aus dem Kaleidoskop der
Berichte und Kommentare selbst ein Bild von den ersten Erfahrungen mit
einem bislang einzigartigen Antipsychiatrieprojekt zu machen. Das was
unmittelbar besticht und den Band sofort zu meinem Lieblingsbuch der Antipsychiatrie
gemacht hat, ist die Ungeschminktheit, mit der hier bisweilen "krass subjektiv"
wie die Herausgeberin Kerstin Kempker selbst formuliert
Erfahrungen und Reflexionen von Bewohner/innen, Mitarbeiter/innen und
politischen Unterstützer/innen aufeinandertreffen. Dies Buch ist
nicht nur radikal, weil es die Verwirklichung einer Praxis beschreibt,
die radikal gegen die etablierte Psychiatrie und die diskret im Hintergrund
agierende Pharmaindustrie gerichtet ist; sondern es ist auch radikal in
der Offenheit, mit der es diese Praxis analysiert und ihre Schwierigkeiten
benennt. Das sind einerseits Schwierigkeiten, die dem Weglaufhaus in der
Auseinandersetzung mit der Bürokratie, der Politik oder zum Beispiel
den teilweise unverständigen Nachbarn des Hauses entstanden sind.
Das sind aber vor allem auch Probleme, die aus dem anderen Umgang mit
Verrücktheit selbst resultieren. Hier lässt gerade der kaleidoskopische
Blick ein ungeahnt intensives Bild entstehen: Was passiert wirklich, wenn
verrücktes Verhalten auf engagierte und hilfsbereite Menschen trifft,
die beschlossen haben, "dabei zu sein" und nach Möglichkeit zu verstehen?
Diese Offenheit reißt einen Horizont auf, den ich in der psychologischen
und psychiatrischen Fachliteratur schmerzlich vermisse. Vielleicht erlaubt
erst dieser offene, selbstreflektive und gewissermaßen auch radikal
untheoretische, aber multiple Blick eine Beschreibung dessen, was wirklich
in der Auseinandersetzung mit Menschen, die uns als verrückt begegnen,
passiert und passieren kann. Es ist deshalb kein Zufall, dass sich die
fundamentale Blickverschiebung dieser gut durchdachten Anthologie mit
dem Ansatz des Projekts trifft. "Flucht in die Wirklichkeit" ist meine
große Empfehlung nicht nur für Menschen, die nach politischen
Alternativen zur Psychiatrie suchen, sondern für jeden, der mit verrückten
Menschen zu tun hat und wissen will, wie jenseits theoretischer
Horizontverengungen neue Möglichkeiten konkret werden können.
Kartoniert, 344 Seiten, 60 Fotos, 65 Abbildungen, ISBN 978-3-925931-13-0.
Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 1998. € 14.95
Lucinda Bee
>Peter Kern: Amalgam das schleichende Gift.
Folgekrankheiten, Entgiftungsmethoden, Checklisten
Ratgeber für professionelle Therapieansätze u.a. bei amalgambedingten
Depressionen, Antriebsarmut, Allergien, chronischen Müdigkeitssyndromen,
Fibromyalgie, Neuropathien, Missempfindungen, Muskelzuckungen, Verdauungsbeschwerden,
Darmerkrankungen, Hormonstörungen u.v.m. Für Betroffene ist
das Buch insofern wertvoll, da sie nicht nur über amalgambedingte
Schäden informiert werden, sondern auch über Schäden, die
bei der Amalgamentfernung entstehen können. Außerdem enthalten:
umfangreiche Checklisten für Selbsttests, Erklärung von Möglichkeiten
der Gebiss-Sanierung, notwendige Entgiftungsmaßnahmen. Kartoniert,
165 Seiten, ISBN 978-3-86731-006-2. Kirchzarten: VAK Verlag 2007. €
12.95 Peter Lehmann
Doron Kiesel / Hans von Lüpke (Hg.): Vom Wahn und vom Sinn. Krankheitskonzepte
in der multikulturellen Gesellschaft
Eines der wenigen Bücher über Psychiatrisierung und Psychotherapie
bei MigrantInnen mit verschiedenartigen praxisbezogenen Beiträgen,
geschrieben von psychiatrisch und psychotherapeutisch Tätigen, die
den Krankheitsbegriff leider häufig undifferenziert anwenden. Die
Kulturabhängigkeit der Verständigung wird an konkreten Therapiebeispielen
deutlich gemacht: TherapeutInnen mit einem zumindest ähnlich gerichteten
Blick auf die konkreten religiösen und kulturellen Hintergründe
können die Probleme der Betroffenen am ehesten aufnehmen. Kartoniert,
151 Seiten, ISBN 3-86099-281-3. Frankfurt am Main: Brandes & Apsel
Verlag 1998. DM 29.80 Peter Lehmann
Renate Kingma (Hg.): Mit gebrochenen Flügeln
fliegen... Menschen berichten über bipolare Störungen
Was sagte der Pharmakologe Prof. Peter Schönhöfer in der ARD-Sendung
Panorama " Tricksen und Tarnen Pharmaindustrie unterwandert
Selbsthilfegruppen" am 27.10.2005: "Ich würde keinem Patienten
raten, eine Selbsthilfegruppe als seinen Agenten, als seinen Vertreter
zu akzeptieren, die Geld von der Pharmaindustrie nimmt offen oder
verdeckt. Denn was immer an Finanzierung durch die Pharmaindustrie geschieht,
ist dazu da, um Marketing zu betreiben und nicht, um den Patienten
zu helfen."Mit gebrochenen Flügeln fliegen" sei so etwas
wie eine "verschriftlichte Selbsthilfegruppe", steht auf dem
Klappentext des Buches der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen
(DGBS) e.V. 45 Beiträge von Menschen mit einer bipolaren Diagnose
berichten, wie sie versuchen, ihre existentiellen Lebensprobleme in Griff
zu bekommen, in aller Regel mit psychiatrischen Psychopharmaka, häufig
Lithium plus sonstige Substanzen. Immer wieder schildern die Autorinnen
und Autoren, wie ihnen diese synthetischen Mittel helfen sollen, mit ihren
Problemen klarzukommen. Alle sind krankheitseinsichtig, das Vertrauen
auf psychiatrische Psychopharmaka zieht sich durch das ganze Buch, auch
wenn deren schädliche "Neben"-Wirkungen offensichtlich
sind und Psychiatrieaufenthalte auch trotz "medikamentösem Schutz"
vorkommen. Rückfälle, die nach dem Absetzen auftraten, werden
nicht weiter kritisch betrachtet ob es sich um Reboundeffekte oder
Entzugserscheinungen handelte, wird ebensowenig reflektiert wie die Frage,
ob die Betroffenen irgend etwas unternahmen, um ihren ursprünglichen
Problemen entgegenzuwirken. In typisch psychiatrischer Weise wird die
tendenziöse Einseitigkeit der Aussagen interpretiert als absolute
Notwendigkeit zur Compliance. Bezeichnend ist auch die Tatsache, dass
mit der Auswahl der Autorinnen und Autoren als der DGBS Nahestehende die
Tendenz des Buches vorweggenommen ist und kritische Potentiale von vornherein
ausgeschlossen sind, was allerdings im Buch nicht angesprochen wird. Der
Grund hierfür dürfte deutlich werden, wenn man sich die DGBS-Fördermitglieder
anschaut: die Firmen AstraZeneca, Desitin, Glaxo-Smith-Kline, Janssen-Cilag,
Eli Lilly, Novartis, Sanofi-Aventis, Wyeth, Werbeatelier Dieter Bülk
Pharma Medizin. Kommentar überflüssig. Gebunden mit Schutzumschlag,
292 Seiten, ISBN 3-8330-0662-5. Norderstedt: Books on Demand, 2. Auflage
2005. € 28. Peter Lehmann
Judith Kirchmayr-Kreczi: Kraft meiner Angst
Ein Mutmachbuch bei Angst und Panikattacken
Buch einer österreichischen Managementtrainerin, Lebensberaterin
und Yogalehrerin, die nach vielen Jahren psychosozialer Tätigkeit
am eigenen Leib Angst- und Panikattacken erleidet und beschreibt, wie
sie diese mit psychotherapeutischen und alternativmedizinischen Maßnahmen
bewältigt. Ein mutmachendes, höchstpersönliches und ehrliches
Buch. Hervorzuheben ist das Kapitel, in dem sie schildert, wie sie die
Entscheidung getroffenen hat, ob sie Psychopharmaka nehmen will oder nicht
im Angesicht all der Personen um sie herum, die auf diese psychotropen
Substanzen schwören und meinen, es gehe nicht anders. Soll sie Psychopharmaka
schlucken, damit alles so bleibt, wie es ist? - fragt sie sich, und weiß
nach sorgfältiger, meditativer Überlegung, dass sie von den
Wellen des Lebens (wie sie poetisch schreibt) bewegt und berührt
werden will, auch wenn diese vorübergehend stürmisch sind. Statt
passiver Ruhigstellung durch Psychopharmaka entscheidet sie sich für
aktive Auseinandersetzung mit ihren Panikattacken: für verhaltenstherapeutische
Methoden, Techniken der Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung (Alexander-Technik),
Akupunktur, Meditation, Yoga, Achtsamkeit u.v.m. Englisch Broschur, 120
Seiten, ISBN 978-3-85068-898-7. Steyr: Ennsthaler Verlag 2012. €
13.90 Peter Lehmann
Hannelore
Klafki: Meine Stimmen Quälgeister und Schutzengel. Texte einer
engagierten Stimmenhörerin
"Kurz vor meinem sechzehnten Geburtstag geschah etwas, das ich wohl nie
vergessen werde. Ich war allein zu Hause und hörte plötzlich,
wie ganz laut mein Name gerufen wurde zuerst nur von einer Person,
dann von mehreren ... Angst, Schreck, Verwirrung und der alles beherrschende
Gedanke 'Jetzt werde ich verrückt' das hat sich fest als Erinnerung
eingegraben. Mit jemandem darüber zu reden, kam auf gar keinen Fall
in Frage." Wenn heute sogar hinter den festgefügten Mauern psychiatrischer
Dogmatik die Vorstellung an Glaubwürdigkeit verliert, wer Stimmen
höre, sei krank, schlichtweg schizophren, dann ist das auch Hannelore
Klafkis Verdienst. Aus der verängstigten, als Kind sexuell missbrauchten
Frau, die bald darauf das Schicksal einer typischen Drehtürpatientin
der Psychiatrie erlitt, wurde die Mitbegründerin des internationalen
Stimmenhörer-Verbands INTERVOICE (1994) und des deutschen Netzwerks
Stimmenhören (1998). Das Buch versammelt Vorträge und Aufsätze,
aber auch Abbildungen von Skulpturen, welche die Autorin als ausdrucksstarke
Künstlerin ausweisen. Obwohl in den Texten viel von schmerzhaften
Erfahrungen in der Kindheit und als Patientin der Psychiatrie die Rede
ist, macht es dennoch Spaß, die übrigens locker formulierten
Aufsätze zu lesen. Denn ihre kämpferischen Texte für
die Anerkennung des Stimmenhörens, des Andersseins überhaupt,
weisen den Weg aus einem Dasein als Opfer zu einem kreativen, selbstbestimmten
und politisch engagierten Leben, das Hannelore Klafki selbst gelebt hat.
Dabei hat die Autorin es nicht nötig, sich auf die Seite einer dogmatischen
Antipsychiatrie zu schlagen: Sie sondiert das verminte Gelände ihrer
Erfahrungen, der offiziellen Politik, der gesellschaftlichen Spielräume
und leitet daraus engagierte Forderungen ab, ohne sich gegen unangenehme
Einsichten zu sperren. Dies Buch will ich wärmstens all denen ans
Herz legen, die mehr darüber erfahren wollen, wie es sich anfühlt,
gerufen zu werden, ohne zu wissen von wem, oder vielleicht "aus seinem
Körper aussteigen" zu müssen. Ganz besonders empfehlen will
ich es außerdem allen, die sich selbst gegen die immer noch geltenden
Normen der Psychiatrie engagieren wollen. Kartoniert, 192 Seiten, 24 schwarz-weiße
Abbildungen,
ISBN 978-3-925931-42-0. Berlin · Eugene, OR (USA) · Shrewsbury
(UK): Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 2006. € 13.90 Sophie Blau
Hans-Gottfried Klamroth: Das frühe Licht des
Morgens
Laut Klappentext, also vom Autoren selbst verfasste Beschreibung des Buches,
soll dieses ein Licht auf die unmenschliche Praxis der ambulanten und
stationären Psychiatrie werfen. Der Autor ist Psychiater, es geht
um die etwas langatmig ausgebreitete Geschichte seiner eigenen Depression.
Unmenschlich an der Psychiatrie sind für ihn beispielsweise "unsachliche"
Kritik an Psychopharmaka, das Dazwischenreden psychiatrisch nicht ausgebildeter
Angehöriger, das negative Bild des Psychiaters in der Öffentlichkeit,
die fehlende Bereitschaft zum Festhalten von Patienten auf offenen Stationen
oder nicht vollzogene Zwangsbehandlungen. "Wir Psychiater haben bis
heute damit zu tun, dass die Patienten sich weigern, die notwendigen Medikamente
zu nehmen. Dabei muss man es nur einmal miterlebt haben, wie ein schwer
gequälter halluzinierender Patient in der Aufnahme mit einer Spritze
Haloperidol erlöst werden kann. Diesen Antipsychiatern fehlt einfach
die Erfahrung mit Schwerkranken." Solcherart Weisheiten legt der
Autor den handelnden Personen in den Mund. Sein Protagonist David fällt
der durch außen geschürten fehlenden Krankheitseinsicht prompt
zum Opfer, lehnt den Klinikaufenthalt ebenso ab wie das rettende Lithium
und verfällt im Buch am Schluss so abrupt wie unmotiviert
dem stimmungsaufhellenden Opium, das naturgemäß in die Sackgasse
führt in dem Buch ins belehrende Nachwort, dass man Depressionen
heutzutage "relativ gut medikamentös behandeln" könne.
Ein literarisch mehr als fragwürdiges Ende, zudem einseitig und ideologisch
motiviert, abweichende Erfahrungen schlicht ausklammernd. Werbung für
biologische Zwangspsychiatrie in Romanform. Kartoniert, 426 Seiten, ISBN
978-3-8334-7227-5. Norderstedt: Books on Demand 2008. € 24.90 Peter Lehmann
Ernst Klee: Irrsinn Ost Irrsinn West. Psychiatrie in Deutschland
Ich habe das Buch in einem Stück gelesen, wenn auch mit Entsetzen,
denn es deckt menschenverachtende und -vernichtende Praktiken in der Psychiatrie
auf, die ebenso unglaublich wie aktuell sind. »Die Hölle von
Ueckermünde«, das erste Kapitel, wurde von Ernst Klee auch im
Film festgehalten, der letztes Jahr im Fernsehen lief. Nach der Wende
hat Klee mehrere Ost-Psychiatrien besucht, mit Überlebenden sowie
Mitgliedern der »Interessengemeinschaft für Psychiatriebetroffene
Durchblick« gesprochen und die Verbindungen hochangesehener
west- wie ostdeutscher Psychiater zur mörderischen Nazi-Psychiatrie
erforscht. Er nennt Namen und Fakten und, wie es im Klappentext heißt,
»er fand eine gesamtdeutsche Gemeinsamkeit: Im Westen wie im Osten
blieben Nazi-Schergen im Amt, machten Karriere, während die Opfer
bis heute verhöhnt werden.« Ich schätze die Beobachtungsschärfe
und die Klarheit und Handlungsbereitschaft Ernst Klees sehr. Angesichts
der Zustände in einigen Ost-Anstalten, »wo Menschen schlechter
behandelt werden als vielerorts Tiere«, liegt es nahe, erst einmal
die verheerendsten Missstände beheben zu wollen, eine menschlichere
Psychiatrie. Dieses Gefühl, mit meinen antipsychiatrischen Forderungen
den Boden der Tatsachen auf vielleicht unverantwortliche Weise zu verlassen,
beschlich mich auch hin und wieder beim letzten Treffen des »European
Network of Users«. Ist es wichtig, ob man sich »Survivor«
oder »User« nennt, solange viele nicht einmal überleben?
Einerseits nein, andererseits: Auch Worte können töten. Lebensunwert,
das war ein Todesurteil. Geb., 251 S., 41 Abb., Frankfurt/Main: S. Fischer
Verlag 1993. DM 36. Kerstin Kempker
Martin Kleen: Psychiatrie. Kriminalroman
Spannender Krimi über massive illegale Versuche einer Pharmafirma,
den Psychiater Kerrmann zuerst durch verlockende finanzielle Angebote
an sich zu binden und angesichts dessen ablehnender Haltung schließlich
zum Schweigen zu bringen, als dieser die lebensbedrohlichen Entzugssymptome
des (fiktiven) Serotoninwiederaufnahmehemmers Fluxetilin nicht auf sich
beruhen lassen will. Auf "Gumpelmann" folgt Kerrmann
entspricht die Noncompliance auch unter Psychiatern realen Entwicklungen?
Taschenbuch, 266 Seiten, ISBN 978-3-934927-92-6. Leer: Leda Verlag 2007.
€ 8.90 Peter Lehmann
Violetta Klenk / Carmen Klenk: Als Idas Mama die
Farben verlor
Die Familientherapeutin Carmen Klenk hat die Texte für dieses Bilderbuch
für Kinder von 5-10 geschrieben, die Kunsttherapeutin Violetta Klenk
hat es illustriert. Grundlos und aus heiterem Himmel wird Mama "kummerkrank",
es ist ihr, als ob sie alle Farben verliert, das heißt sie ist depressiv.
Deshalb "muss" sie in die Psychiatrie, wo sie Bilder malen darf.
"Alle im Krankenhaus helfen Mama, damit die Farben wiederkommen."
Schön bebildertes Buch zum Vorlesen mit der Absicht, Kindern betroffener
Eltern Schuldgefühle zu nehmen. Heile Psychiatrie statt heile Familie:
Kinder werden in die Weltsicht der biologischen Psychiatrie eingeübt:
Depressionen fallen vom Himmel, die Psychiatrie ein Paradies. Englisch
Broschur, 44 Seiten, ISBN 978-3-941528-02-4. Hitzacker: Edition per ce
Val 2009. € 9.90 Peter Lehmann
Thomas Klie: Recht der Altenhilfe. Gesetzes- und Vorschriftensammlung
für die Altenhilfe und Altenpflege
Unkommentierte umfangreiche Sammlung deutscher Gesetzestexte aus den Bereichen:
Recht »psychisch Kranker«, Gesundheitsschutzrecht, Heim-, Sozial-,
Arbeits-, Arbeitsschutz-, Berufs-, Wohn-, Miet-, Haftungs-, Erb-, Staats-
und allgemeines Verwaltungsrecht. Berücksichtigt sind Aspekte des
Einigungsvertrags, des Betreuungsgesetzes und Entwürfe geplanter
Gesetze, z.B. des Gesundheitsreformgesetzes oder des neuen Heimgesetzes.
Betroffene & Angehörige, denen das Buch zu teuer ist, wissen
nun, nach welchem Buch sie in der Bibliothek suchen müssen, wollen
sie sich über den Wortlaut der Gesetzestexte informieren. Gebunden,
820 Seiten, Hannover: Curt R. Vincentz Verlag 1991. DM 76. Peter Lehmann
Andreas Knuf (Hg.): Gesundung ist möglich! Borderline-Betroffene
berichten
20 Betroffene beschreiben ihre als »Borderline« diagnostizierten
Probleme und Wege, wie sie damit fertig wurden oder zumindest ein überwiegend
zufriedenes Leben führen können. Sie zeigen auf individuelle
Weise, wie unterschiedlich die Bewältigungsstrategien sind. Die gemeinsame
Botschaft lautet, dass es Hoffnung gibt. Im Abschlusskapitel reflektiert
der Herausgeber als "Fachperson" über den Krankheits- und
Gesundheitsbegriff, den Verlauf von Borderline über die Jahre hinweg,
über Therapiemethoden und den eingeschränkten (und einschränkenden)
Wert von Psychopharmaka und vor allem die Notwendigkeit der Betroffenen,
Selbstverantwortung zu übernehmen und Selbsthilfe zu praktizieren.
Da kann man nichts dagegen sagen. Kartoniert, 249 Seiten, ISBN 978-3-86739-034-7.
Bonn: Balance Buch und Medien Verlag 2008. € 14.90 Peter Lehmann
Andreas Knuf (Hg.): Leben auf der Grenze. Erfahrungen mit Borderline
Zwanzig Betroffene und ergänzend einige Angehörige beschreiben
ihre Erfahrungen von Lebensproblemen unter der Diagnose »Borderline«.
Eine Reihe durchaus lesenswerter Beiträge, sicher lohnend für
alle, die sich nicht vom Vorwort des Herausgebers abschrecken lassen,
in dem er »Borderline als eine ganz normale psychische Erkrankung«
apostrophiert ohne mit einem Wort zu bedenken, dass einige der AutorInnen
sich vermutlich dafür bedanken, ihre Erfahrungen als krankhaft abqualifiziert
zu sehen; dafür bedankt sich der Herausgeber für das Vertrauen,
das die AutorInnen ihm »als Fachmann« entgegengebracht haben
als als Fachmann wofür? Für das Interpretieren interessanter
Berichte von Borderline- und Psychiatriebetroffenen? Kartoniert, 210 Seiten,
ISBN 3-88414-316-6. Bonn: Psychiatrieverlag 2002. € 12.90 Peter Lehmann
Kritisches Statement als Anhang zu P. Lehmanns Kurzrezension zur
online-Veröffentlichung in den FAPI-Nachrichten
»Als Co-Autorin von Leben auf der Grenze halte ich
Peter Lehmanns Kurzrezension für durchaus treffend. Nicht dem Buch
an sich gilt seine Kritik, sondern dem Intro des Herausgebers, wo dieser
vorauseilend um Verständnis wirbt und im selben Atemzug
altbekannte Negativklischees bedient. Muss aber, wer einmal in der Borderline-Schublade
war, es für immer bleiben? Wie steht's um Fehldiagnosen samt verschleppten
Folgen, iatrogene Chronifizierung oder mit dem Ärgernis, dass Lebensäußerungen
Psychiatrisierter pauschal als interpretationsbedürftig gelten?
Und inwiefern hängen Modediagnosen mit beruflichen Existenzsicherungsinteressen
zusammen? Leider spart Herr Knuf solche Fragen in seiner Aufklärungskampagne
aus. Die Einsicht, dass Entstigmatisierung so nicht greift, hätte
man dem Mitverfasser eines Titels zum Thema Empowerment eigentlich zutrauen
können. Zum Trost lässt Herr Knuf keinen Zweifel, wo er Deutungskompetenz
verortet nämlich letztinstanzlich bei sich selbst. Fazit:
Den Totalverzicht auf Entgelt für meinen Textbeitrag habe ich um
anderer Prioritäten willen akzeptiert (wiewohl dies keineswegs
selbstverständlich sein sollte). Gegen das Instrumentalisieren
von Selbsterfahrung zum Zweck der Krankheitspropaganda verwahre ich
mich jedoch ganz entschieden; diesbezüglich wurde mein Vertrauen
in der Tat enttäuscht.« (Ivy Anger)
Andreas Knuf: Empowerment in der psychiatrischen
Arbeit Der Autor, Psychologe und Therapeut, bringt konzentriert, übersichtlich
und durchaus selbstkritisch auf den Punkt, was psychiatrisch Tätige
tun (und nicht tun) können, um Betroffenen zu einem selbstbestimmteren
Leben zu verhelfen. Ressourcenorientierter Arbeit, Betroffenen-Mitbestimmung,
Selbsthilfe- und Recovery-Förderung steht in der Praxis vieles entgegen:
Stigmatisierung, institutionelle Hierarchien, Wunsch nach Compliance,
Zwang, Psychopharmaka und nicht zuletzt die Tradition defizitorientierter
'Fürsorge'. Ein nützliches Buch für psychiatrisch Tätige.
Kritische Betroffene dürfte es stören, dass die Frage der Psychopharmaka
allzu grob abgehandelt wird, das Psychiatrische Testament keine Erwähnung
findet, Selbsthilfe nur zu "Störungsbildern" vorgestellt wird und
die Internetadressen oft fehlerhaft sind. Kartoniert, 141 Seiten, ISBN
3-88414-409-X. Bonn: Psychiatrieverlag 2006. € 14.90 Kerstin Kempker
Andreas Knuf / Anke Gartelmann (Hg.): Bevor die Stimmen wiederkommen
Ein zwiespältiges, in mancherlei Hinsicht ärgerliches Buch.
»Stimmenhören« ist in, deshalb haben die Herausgeber sich
für einen entsprechenden Titel entschieden, auch wenn die Buchbeiträge
nahezu nichts mit Stimmenhören zu tun haben. Durchweg gute Beiträge
Psychiatriebetroffener, die ihre durchdachten Vorstellungen zu einem selbstbestimmten
Umgang mit dem eigenen Verrücktwerden zu Papier brachten, werden
missbraucht, um Stimmung für ein gemeindepsychiatrisches Szenarium
zu machen: für den in der Regel verständnisvollen niedergelassenen
Psychiater und sein richtiges Medikament in der richtigen Dosis sowie
den hilfreichen und vertrauenswürdigen Sozialpsychiatrischen Dienst.
Dass die Wirklichkeit so nicht aussieht und sich viele Psychiatriebetroffene
längst an die Beantwortung der Frage gemacht haben, was ihnen im
Falle des Falles statt Psychiatrie hilft, blenden die Herausgeber
aus, womit sie ihre heile gemeindepsychiatrische Welt retten wollen. Auch
die Beiträge der Psychiatriebetroffenen, die etwa ein Drittel des
Buches ausmachen, werden von den Herausgebern mit einer ideologischen
Brille betrachtet. Egal ob etwa der psychiatriekritische Pirmin von Reichenstein
resümiert, alle wahre Hilfe sei Hilfe zur Selbsthilfe, ob Wolfgang
Voelzke klarstellt, dass es die Betroffenen selbst sein müssen, die
über die Frage der Psychopharmakaeinnahme entscheiden, oder ob die
Selbst-CheckerInnen ihre Probleme teilweise gerade nicht als Krankheit
verstehen und sich so unbefangen und ohne diagnostische Scheuklappen mit
ihnen auseinandersetzen können: Die Herausgeber, zwei Diplompsychologen,
psychoedukativ ausgebildet, wissen alles besser. »Pillen. Wir stehen
ihnen äußerst zwiespältig gegenüber, was aber bedeutet,
dass wir sie in vielen Fällen für unverzichtbar halten müssen.«
Müssen? Geht es denn nicht um die Betroffenen als Subjekte ihres
Lebens und ihrer Entscheidungen? Aber es ist vielleicht gar nicht die
persönliche Meinung der Herausgeber, die wiedergegeben wird, sondern
das Ergebnis der immer wieder zitierten Studie zweier britischer Psychiater,
die allerorten verbreiten, dass mit dem Absetzen der Psychopharmaka das
Rückfallrisiko steige. Dass die beiden Fachmänner
die Möglichkeit neuroleptikabedingter Rezeptorenveränderungen,
Rebound- und Supersensibilitätspsychosen, die beim Absetzen und in
der ersten Zeit danach mächtig zu schaffen machen können, außer
Acht gelassen und somit eine aussagelose Studie geliefert haben, interessiert
die psychiatriegläubigen Herausgeber nicht. »Medikamente bieten
vielen Betroffenen in Zeiten hoher Anforderungen eine Möglichkeit,
ihr Gleichgewicht zu bewahren.« So steht es auch in der Werbung.
»Wer auf Nummer sicher gehen möchte, ist mit einer
Dauermedikation am besten beraten.« Dito. »Häufig werden
die negativen Wirkungen der Neuroleptika, Lithiumpräparate und Antidepressiva
auch überbewertet und mit der Eigendynamik der Erkrankung verwechselt.«
Häufig wird einfach nur Mist (nach-)erzählt.
»Vor allem Vorsorge- und Selbsthilfebemühungen sollten von professioneller
Seite stärker als bisher gewürdigt und unterstützt werden.«
Sie haben es gemerkt, der Zug der Selbsthilfebewegung würde ohne
sie abfahren, sollten sie nicht noch schnell aufspringen und das
Steuer übernehmen. Von dieser Strategie der mehr oder weniger subtilen
Beeinflussung der Schritte, die zur psychiatriefernen Selbstbestimmung
führen könnten, legt das Buch unfreiwillig Zeugnis ab. Das Buch
des Psychiatrieverlags endet mit dem Krisenpass: für Einträge
zur »aktuellen Medikation« und zu Erfahrungen mit Medikamenten
stehen 180 mm zur Verfügung, für »Besonderes (z.B. besondere
Wünsche an die Behandlung)« ganze 21 mm. Kart., 221 S., Bonn:
Psychiatrie-Verlag 1997. DM 24.80 Peter Lehmann
Andreas Knuf / Ulrich Seibert: Selbstbefähigung fördern.
Empowerment in der psychiatrischen Arbeit
Empowerment, so steht es im neuen Buch des Psychiatrieverlags von Andreas
Knuf und Ulrich Seibert, komme aus der Befreiungsbewegung der Schwarzen
und Frauen und heiße eigentlich Auflehnung gegen Unterdrückung
und Machtlosigkeit (gemeinsame Einleitung, S. 6). Empowerment im psychosozialen
Bereich heißt Selbstbemächtigung, gemeint so eine der
bekanntesten Personen der Selbsthilfe- und Befreiungsbewegung von Psychiatriebetroffenen,
Judi Chamberlin aus den USA in dem Buch »Statt Psychiatrie«
ist unter anderem: »mit der eigenen Stimme sprechen, die eigene
Identität neu definieren, die eigenen Möglichkeiten und das
Verhältnis zu institutionalisierter Macht neu definieren«. Was
machen psychiatrisch Tätige mit dieser Aussage? Der Psychologe Wolfgang
Stark aus München ignorierte in seinem Buch »Empowerment«,
erschienen 1996 im Lambertus-Verlag, Publikationen von Psychiatriebetroffenen
ausnahmslos. Knuf und Seibert lassen sie zwar einige zu Wort kommen, kommen
aber bereits mit einer eigenen Definition von Empowerment: Neben verstärkter
Einflußnahme auf der politischen Ebene sehen sie Empowerment als
»Bewältigung der psychischen Krankheit« und als »vermehrte
Mitbestimmung bei der Behandlung«, und neben den Betroffenen als
den Subjekten des eigentlichen Empowerments sehen sie professionell Tätige
als Menschen, die von (omni)potenten Helfern zu Beratern und Förderern
eines zunehmenden Emanzipations- und Partizipationsprozesses werden. Schön
gesagt. Aber was ist mit den Menschen, die die Denunzierung einer störenden
und unbequemen Lebens- und Sinnesweise und unzivilisiert ablaufender emotionaler
Prozesse als krank und damit als grundsätzlich und zudem medizinisch
behandlungsbedürftig zurückweisen? Was ist mit den Menschen,
die es schlicht ablehnen, das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit
als Verhandlungsmasse zur Disposition zu stellen? Was ist mit Medizinern,
die aufgrund ihrer naturwissenschaftlich orientierten Ausbildung ständig
von Stoffwechselentgleisungen träumen und deshalb gar nicht in der
Lage sein können, Menschen mit psychischen Problemen sozialer Natur
helfen zu können? Hatte nicht auch das 1995 in der Zeitschrift Sozialpsychiatrische
Informationen publizierte Ergebnis einer Umfrage des BPE eine als
»vernichtend« zu bezeichnende Absage an die Psychiatrie erbracht,
als nur 10% der Antwortenden angegeben hatten, dort Hilfe zur Lösung
der Probleme gefunden zu haben, die zur Psychiatrisierung geführt
hatten? Was ist mit diesen psychiatrisch Tätigen, die z.B. Jugendliche
aus nichtigem Anlass mit Elektroschocks, Insulinkoma-Behandlungen und
multiplen Pharmacocktails traumatisieren und mit dieser energischen Behandlungsattitüde
Leitfiguren psychiatrischer Berufsverbände werden? Was ist mit den
Psychiatriebetroffenen, die die Anwendung des Strafrechts auch im psychiatrischen
Bereich fordern bei dem Straftatbestand, der da heißt »fortwährende
strafbare Körperverletzung durch Eingriffe in die körperliche
Unversehrtheit ohne wirksame Aufklärung über Behandlungsrisiken
und Alternativen«? Was ist mit den sozialpsychiatrisch Tätigen,
die nicht einmal in der Lage sind, massivste Vorschädigungen ihrer
PatientInnen durch brutale biologische Behandlungsmaßnahmen zu erkennen?
Löst die Verwendung des Modebegriffs Empowerment all diese Probleme?
Oder soll die Vielzahl der Psychiatriebetroffenen inner- und außerhalb
des BPE, die unter der Losung »Geld und Rechte« nach einem wirksamen
Schutz vor willkürlichen psychiatrischen Übergriffen und nach
selbstverwalteten nichtpsychiatrischen Alternativen streben, wieder einmal
ausgegrenzt werden? Viele Fragen, die sich nach Lektüre des Buches
aufdrängen, und die leider allesamt unbeantwortet bleiben. Kartoniert,
300 Seiten, Bonn: Psychiatrie-Verlag 2000. DM 39.80 Peter Lehmann
Koehler, Karl: Gumpelmann Eine psychiatrische Groteske
»... es ist nahezu unmöglich, Psychiater und gleichzeitig
ein anständiger Mensch zu sein« schreibt eine Patientin
an den Leiter der (fiktiven) Mandelburger Klinik. Diesen Satz belegt
Koehler in seinem Buch ausgiebig und genüßlich. Die Lektüre
macht gleichzeitig ungeheuren Spaß und furchtbar wütend.
Der Leser wird, hoffentlich, diesem unglaublichen Pandämonium
durchgeknallter Psychiater und Psychologen nie ausgeliefert sein.
In der Mandelburger Leitungsebene regieren Karrieregeilheit, Drogensucht,
Sexbesessenheit und die unheilvollsten gegenseitigen Abhängigkeiten.
Die Patienten bleiben in diesem Getriebe unbedeutende Schachfiguren,
unterworfen einer nie durchschaubaren Willkür der Ärzte.
Besonders spannend macht dieses Buch die Tatsache, dass mit Koehler
ein hervorragend informierter Insider über das gnadenlose psychiatrische
Treiben schreibt. Der Leser kann also davon ausgehen, dass zwar einige
Versatzstücke der Groteske fiktiv sein mögen, der größte
Teil aber aus dem richtigen Leben gegriffen ist. Die Geschichte um
die äußerst zweifelhafte Erprobung eines riskanten neuen
Medikaments an unwissenden Patienten offenbart, dass es in der heutigen
Psychiatrie nicht um das Wohl und Wehe der Patienten, sondern nur
noch um Geld, Macht und persönliche Eitelkeiten geht.
Lesevergnügen und Entsetzen durchdringen sich gegenseitig. Ein
böses, ein wichtiges Buch. Wolf Buchwald, in: BVVP-Magazin (Zeitschrift des Bundesverbands
der Vertragspsychotherapeuten e.V.), 4. Jg. (2005), Nr. 1, S. 38
Auf ein Buch wie dieses haben wir schon lange gewartet: unterhaltend,
spannend wie ein Krimi und zugleich fachlich informativ. Auch wenn
das Dargestellte kräftig überzogen wirkt, bekommt der Leser
einen Einblick in die Welt der akademischen psychiatrischen Krankenhäuser
und wird über Pharmastudien und die Pharmaindustrie informiert.
Der Autor beschreibt stets auf witzige Weise, wie der Chef seine Macht
ausnutzt und wie die hierarchischen Verhältnisse sind. Immer
wieder bereitet es Schwierigkeiten passende PatientInnen für
die Studie des neuen Psychopharmakons »Oneirin« zu gewinnen,
da nicht immer eine hundertprozentige Compliance besteht. Die PatientInnen
haben leider manchmal Symptome, die doch eigentlich Ausschlusskriterien
für die Studie sind.
Das Sexualleben der Hauptfiguren des Romans kommt nicht im Mindesten
zu kurz. Ich vermute, der Autor wollte damit ausdrücken, dass
Sexualität häufig benutzt wird, um Menschen vor allem
Frauen zu kontrollieren, zu beherrschen und auszubeuten. Die
Hauptbotschaft des Buches kommt meiner Ansicht nach klar durch: Professor
Gumpelmann, der großen Respekt für Menschen mit der Diagnose
Schizophrenie hat und an ihrem Wohlergehen interessiert ist, ist der
Lichtblick des Buches er verkörpert den Psychiater, der
sich tatsächlich noch auf die PatientInnen einlässt. Als
Gumpelmann sich entscheidet, zwei Monate früher in den Ruhestand
zu gehen, schreibt er einen Abschiedsbrief an den Direktor
Dieser Brief ist für Psychiatrie-Erfahrene ein wahres Goldstück!
Die Haupthandlung des Romans ist die »Oneiron-Studie«. Wird
es genug Probanden geben? Spuren die Ärzte? Wie verhalten sich
die Probanden? Geht es um transparente oder geheime Forschung? Wird
dabei das Selbstbestimmungsrecht der Teilnehmer beachtet? All diese
Fragen halten die Spannung der eigentliche Genuss aber liegt
in den Zwischenzeilen und Zwischeninformationen. Ich will nicht zu
viel verraten, nur so viel, dass wir dabei viel über Doo-Wop
und das Verhalten von Mäusen erfahren. Wer Sinn für Humor
hat, freut sich sehr über dieses Buch und wünscht sich,
dass Karl Koehler bald ein neues schreiben möge. Vicky Pullen, in: Rundbrief
des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener, 2005, Nr. 1, S. 20
Der Leser erlebt hautnah mit, wie machtbesessen, korrupt und skrupellos
die Psychiater einer deutschen Uniklinik sind und ihre Patienten als
Versuchskaninchen für die Pharmaindustrie missbrauchen. Dem Autor,
einem pensionierten Professor für Sozialpsychiatrie, ist ein
spektakulärer Roman gelungen, gespickt mit deftigem Sex und beißendem
Humor. (Constance Dollwet)
Taschenbuch, 317 Seiten, ISBN 978-3-925931-36-9, Berlin: Peter Lehmann
Antipsychiatrieverlag 2004. € 9.95
Klaus Köhler: Kindesmissbrauch Gewalt ver-rückt die
Seele. Zur Rekonstruktion der Lebensgeschichte von psychisch Kranken
Der Pädagoge Köhler hat eine als »chronisch schizophren«
geltende langjährige Anstaltsinsassin zu ihrer Geschichte befragt
und ist dabei auf frühkindlichen Inzest gestoßen, dessen Andeutungen
vom Anstaltspersonal nie ernstgenommen wurden. Die Interviews haben dem
Autor zur Dissertation verholfen und Frau F. möglicherweise vor einer
endgültigen Ausmusterung als unverständliche Irre bewahrt. So
verhalten die Psychiatriekritik Köhlers ist, der vier Jahre in der
Anstalt arbeitete, so klar ist er aber in der Einschätzung der Lage
von Frau F.: »Das Ergebnis dieser bis dahin achtjährigen Behandlung
liegt darin, dass Frau F. fähig wird, sich einer weiteren, realen
und gewalttätigen Wirklichkeit anzupassen.« Reichlich Theorie
drumrum, der Titel verspricht etwas zu viel, die Anonymität der Frau
F. scheint mir bei dem detaillierten Lebenslauf nur eine
relative. Insgesamt aber ein selbstkritischer Versuch, »Krankheit
als gesunde Reaktion« verstehbar zu machen. Kartoniert,
360 Seiten, Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 1991. DM 66. Kerstin Kempker
Alexander Koenig: Das verhängnisvolle Irren
Wirklichkeit oder Verkennung der Realität
"Was sind wir, warum sind wir, woher kommen wir, wohin gehen wir? Was
ist Zufall, was ist Schicksal?" Der Autor, ein Psychiater, stellt wichtige
Fragen auf der Suche nach Ursprung und Sinn des menschlichen Seins, er
will Natur und Kosmos verstehen und falsche Auslegungen, egoistische Denkweisen,
nicht erkannte psychische Störungen, religiöse und ideologische
Besserwisserei sowie Irrmeinungen widerlegen, die im Laufe der Geschichte
zu dramatischen Ereignissen führten, wie er schreibt. Das versucht
er mit einem 383seitigen, kleinschriftigen und auf mich einen recht chaotischen
Eindruck machenden Buch besser gesagt einem Konvolut von Artikeln
und Ausführungen über Gott und die Welt; eine Ordnung ist für
mich kaum nachvollziehbar. Zudem schlägt sein monokausales neuropsychiatrisches
Denken voll durch. Nicht Menschen morden, lerne ich gerade, es sei das
Gehirn und seine Stoffwechselstörung, die dies tun. Neuroleptika
heilen Stoffwechselstörungen um so etwas, was nicht einmal
von der Pharmaindustrie in Werbeanzeigen verbreitetet wird, zu glauben,
muss man sich wahrscheinlich nicht nur "Facharzt" nennen können,
sondern wie der Autor auch "wissenschaftlicher Mitarbeiter an verschiedenen
Universitätskliniken". Ich blättere weiter zwischen Türkenkriegen,
amerikanischen Präsidenten, der Definition von Leben, der Definition
von Eisenbahn ("... ein schienengebundenes Verkehrsmittel zum Transport
von Personen und Gütern ..."), der Definition von Straßenverkehr,
Luftverkehr, Schiffsverkehr, dem Vertrag von St. German, Perikles, Alzheimer,
Rita Hayworth und der Beschreibung von Raketentriebwerken, und mich beschleicht
das Gefühl, das hier jemand Wikipedia geplündert, die Textbausteine
gelegentlich mit psychiatrischen Bemerkungen versehen, neu zusammengewürfelt
und in Buchform gegossen hat. Eine Frage ist leider ausgespart: Wen bloß,
außer den Autor selbst und seinen engsten Freundeskreis, soll das
alles interessieren? Broschur, 383 Seiten, ISBN 978-3-939337-58-4, Passau:
Schenk Verlag 2008. € 18.90 Peter Lehmann
Frank König / Wolfgang P. Kaschka (Hg.): Interaktionen und Wirkmechanismen
ausgewählter Psychopharmaka
Eine Vielzahl von Psychopharmaka haben, wenn man sie miteinander kombiniert,
unangenehm potenzierende Wirkungen, d.h. unerwünschte Wirkungen zum
Beispiel auf Herz und Kreislauf verdoppeln sich. Andere Kombinationen
führen zu verzögertem bzw. beschleunigtem Abbau einzelner Substanzen.
Da man davon ausgehen muss, dass verordnende Ärzte und Psychiater
im konkreten Fall und bei Substanzen, die nach Abschluss ihrer Studien
auf den Markt kamen, wenig über solche Zusammenhänge wissen
oder aber ihr Wissen gezielt einsetzen, um (für die Betroffenen unerwünschte)
Wirkungen zu verstärken, sollte man sich als Objekt der Behandlung
ebenfalls dieses Wissen aneignen, um in Entscheidungen (zumindest wissensmäßig)
einigermaßen dagegenhalten zu können. Allerdings ist das Buch
in medizinisch-psychiatrischer Fachsprache geschrieben. Hinzu kommt die
dazu passende nonchalante Haltung zu besonderen Gefahren psychiatrischer
Behandlung. Beispiel: Kombination von Lithium und »Nichtmedikamentösen
antidepressiven Verfahren«, in diesem Fall Elektroschocks. So lesen
wir auf S. 82: »Obwohl nach kasuistischen [Einzelfall-]Berichten
verstärkte zentrale Nebenwirkungen wie delirante Zustände oder
ausgeprägte Gedächtnisstörungen unter dieser Kombination
beobachtet wurden, empfehlen andere Autoren durchaus die Durchführung
einer EKT unter laufender Lithium-Medikation.« Wo unsereins den Approbationsentzug
und eine strafrechtliche Verfolgung fordert, geht der Autor Kaschka, Mitherausgeber
und Psychiater an der Unianstalt Ulm und am Zentrum für Psychiatrie
Weissenau, cool zum nächsten Punkt weiter. Möglicherweise bin
ich als Rezensent durch das tausendfache Lesen medizinischer und psychiatrischer
Literatur abgebrüht; so freue ich mich, wenn ich nebenbei lese, dass
der Autor Walter Müller, Professor am Biozentrum der Uni Frankfurt/Main,
in seinem Artikel über Wirkungsmechanismen älterer und neuerer
Neuroleptika einen relativ klaren Blick auf die breitgestreute Rezeptorenblockade
moderner »atypischer« Neuroleptika behalten hat und zum Schluss
kommt, hier sei man pharmakologisch »im Prinzip wieder einen Schritt
zurückgegangen« und habe Substanzen entwickelt, »die neben
dem primär für die Wirkung relevanten Mechanismus noch zusätzliche
Mechanismen beeinflussen. Im Gegensatz zu den Altsubstanzen hat man«,
so der Autor weiter, hier versucht, gezielt »... solche Mechanismen
in die Molekülstruktur einzubauen, die bestimmte Nebenwirkungsqualitäten
(besonders EPS [extrapyradmidale, d.h. bei Bewegungsabläufen im Muskelsystem
auftretende Störungen] abdämpfen. Damit sind die Substanzen
aus der neuesten Generation der Neuroleptika im pharmakologischen Sinne
dirty drugs, also Substanzen mit mehr als einem Wirkungsmechanismus.«
(S. 54) Geradezu sensationell schätze ich die Überlegung der
beiden Psychiater Max Schmauß und Thomas Messer aus der Psychiatrischen
Anstalt Augsburg ein, bei vielen als therapieresistent beurteilten Betroffenen
liege »keine echte Therapieresistenz« vor, sondern möglicherweise
ein hirnorganischer Krankheitsprozess, eine neurologische oder internistische
Krankheit oder man höre und staune eine psychopharmakabedingte
Depression. Fazit: Für die Betroffenen, die Kombinationen von Psychopharmaka
einnehmen, und insbesondere der älteren unter ihnen ist dies ein
notwendiges Buch, auch wenn seine Produktion durch die Pharmafirma Lundbeck
gesponsert wurde. Kartoniert, XV + 177 Seiten, 14 Abbildungen, ISBN 3-13-105452-2.
Stuttgart / New York: Thieme Verlag, 2., überarbeitete und erweiterte
Auflage 2003. € 24.95 Peter Lehmann
Rudolf Köster: Das seelische Tief überwinden Ein
Leben frei von Depressionen Freundliches Büchlein mit einfachen Tips, wie man sich selbst
vor seelischen Tiefs schützen kann: negative Einstellungen überprüfen,
Veränderungen zulassen, Probleme lösen (statt verdrängen),
menschlich leben, Lebensfreude wachsen lassen, loslassen und gelassener
werden, körperlich in Bewegung kommen, lachen, das Gute sehen, mit
Ärger konstruktiv umgehen, konfliktfähig werden, miteinander
sprechen lernen, Kontaktstörungen beseitigen, fair streiten, jeden
Tag ein bißchen Liebe... All diese Ratschläge klingen einfach,
sind aber für einen Autor, der Arzt und Psychiater ist und dennoch
nicht mit Psychopharmaka herumwirbelt, eine bemerkenswerte Leistung. TB,
143 Seiten, 2. Auflage, Freiburg: Herder Verlag 1999. DM 16.80 Peter Lehmann
Charlotte Köttgen: Ausgegrenzt und mittendrin
Jugendhilfe zwischen Erziehung, Therapie und Strafe
Ausgesprochen informatives Buch über positive wie auch negative Folgen
von Fallkonstruktionen und -bewertungen in Jugendhilfe, Therapie, Psychiatrie
und Justiz und der Zusammenhang zwischen Armut, sozialen Verhältnissen
und psychischen Problemen. Die jeweils detailliert dargestellten Fallschilderungen
unterlegen die Forderungen der Autorinnen und Autoren, die Hände
von ausgrenzenden, freiheitsberaubenden und entmündigenden "Hilfe"-Formen
zu lassen. Besser sollten integrierende, die sozialen Lebensbedingungen
der Betroffenen berücksichtigende und die Mitwirkung der Hilfeadressaten
und -adressatinnen fördernde hierarchiefreie Hilfesysteme geschaffen
werden. Eines der Fallbeispiele betrifft Vera
Stein, die aufgrund familiärer Probleme in der Jugendpsychiatrie
landete und dort und in der Folgezeit massiv gesundheitlich geschädigt
und emotional verletzt wurde (siehe Trotzdem. Behindert ist man nicht
behindert wird man, Abwesenheitswelten
Meine Wege durch die Psychiatrie und Diagnose »unzurechnungsfähig«).
Im Rahmen ihrer Schadenersatzklage wurde sie u.a. von Charlotte Köttgen
begutachtet. Die Tatsache, dass die Begutachtete mir, dem Rezensenten,
das Buch empfahl, zeigt die Stichhaltigkeit der kritischen Aussagen Köttgens
hinsichtlich der verantwortungs- und gedankenlosen Praxis in der Jugendpsychiatrie.
Deutlich wird in dem Buch auch das von wenig Verantwortungsbewusstsein
geprägte Verhalten vieler Sozialarbeiter kritisiert: "Die eigentlichen
'Experten sozialer Problemlagen', die Sozialarbeiter, verweisen gern auf
ihre Nichtzuständigkeit, besonders wenn sie Dank einer Diagnose auf
die 'höhere Kompetenz' von Ärzten verweisen können."
Kartoniert, 235 Seiten, ISBN 978-3-925146-63-3. Frankfurt am Main: IGfH-Eigenverlag
2007. € 19.50 Peter Lehmann
Jolien Kok-van Esterik: Clozapine: Benefits and Risks of a Controversial
Drug siehe unter Sammelrezension
Peter D. Kramer: Glück auf Rezept. Der unheimliche Erfolg der
Glückspille Fluctin
Ein Buch, das aus den USA (»Talking about Prozac«) kommt und
voll auf der Welle der biologischen Psychiatrie schwimmt. Wer, wie der
Psychiater Kramer, glaubt, dass Elektroschocks und Haldol dem Menschen
zu Glück und Wohlbefinden helfen, der wird auch von dessen Buch begeistert
sein: dank Verabreichung der chemischen Substanz Fluoxetin, einem Serotoninwiederaufnahmehemmer,
komme die wahre Natur des Menschen zum Vorschein; zuvor sei sie lediglich
stoffwechselbedingt abhanden gekommen, Ursache von Depressionen. Kein
Wort im Buch von all den Klagen wegen schwerer Zwischenfälle unter
Prozac, wie Fluctin in den USA heißt, über Filmrisse
und Gewaltakte gegen andere unter Fluoxetineinfluss, über Suizide
usw. Wer etwas erfahren will über die Gefahren der gelegentlich mörderischen
Substanz Fluoxetin und über das primitive Menschenbild, das ihren
Einsatz favorisiert, dem bzw. der seien folgende zwei Bücher empfohlen:
a) Peter Breggin / Ginger Ross-Breggin: »Talking back to Prozac«,
New York: St. Martin's Press 1994; b) Marc Rufer: »Glückspillen.
Ecstasy, Prozac und die Rückkehr der Psychopharmaka«, München:
Knaur Verlag 1995. Geb., 384 S., Stuttgart: Kösel Verlag 1995. DM
48. Peter Lehmann
Alfred Kraus / Christoph Mundt (Hg.): Schizophrenie und Sprache
In diesem teuren Band aus der »Sammlung psychiatrischer und neurologischer
Einzeldarstellungen« machen ein Dutzend Psychiater ihren Kotau vor
ihren geistigen Vätern Kraepelin und E. Bleuler und vor ihrem Anführer
Peters, dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie
und Nervenheilkunde, und legen wortreich dar, wie sie mit linguistischen
Mitteln die Diagnose »Schizophrenie« zementieren wollen. Ausgehend
davon, dass die »organische Läsion« als Ursache des irgendwie
anderen wohl nicht gefunden wird, machen sie sich nach der Medizin nun
noch eine andere Wissenschaft zunutze, die Sprachwissenschaft. Es werden
fleißig »Sprachregelverstöße« gesammelt, wie
»Weitschweifigkeit« oder »Verdichtung«, »Konkretismus«
oder »abnorme Symbolbildung«, »Bizarrerie« und »Eigenbezüglichkeit«.
Es werden Briefe von InsassInnen, sog. »Pseudotexte«, zerpflückt,
Sprichwörter sind im »konventionell verbindlichen Sinn«
zu interpretieren und Textlücken ebenso zu schließen. Aus alledem
ergibt sich zwar, dass die einander oft widersprechenden »Sprachregelverstöße«
nicht nur von »Schizophrenen« und auch nicht von allen und auch
nicht regelhaft begangen werden (s. Peters), dass aber mit einem kleinen
Schlenker, bei Peters ist das die Hinzuziehung von »Kontext und Kotext«,
doch noch alle erwischt werden, weil die »Schizophrenie« schon
durch die Interpretation eines einzigen Satzes dingfest gemacht werden
kann. Denn solche »Sprachstörungen« entsprechen in ihrer
»diagnostischen Wertigkeit dem Symptom ersten Ranges«. So lassen
sich Ferndiagnosen aufgrund von Textproben stellen oder auch postum, wie
Peters und sein Wiener Kollege Navratil das mit Hölderlin taten.
Mehr oder weniger gut verdeckt wird dieses Interesse psychiatrischer Machtabsicherung
und -bereicherung durch die immer wieder einmal eingestreute Floskel von
der durch die Sprachzerpflückung zunehmenden Verstehbarkeit und den
daraus erwachsenden therapeutischen Möglichkeiten. »Der Firma
Janssen sei herzlich gedankt« heißt es im Vorwort, und die
Firma Janssen dankt sicher herzlich zurück, sie vertreibt die »therapeutischen
Möglichkeiten« (Haldol usw.) mit Gewinn, der »großzügige
Druckkostenzuschuss« ist da ein Klacks. Kartoniert, 156 Seiten, Stuttgart/New
York: Georg Thieme Verlag 1991. DM 80. Kerstin Kempker
Anja Krebs (Hg.): Die wiedergewonnene Freiheit
Angstbetroffene erzählen ihren Weg
Buch einer jungen Frau, die nach vielen vergeblichen Anläufen für
sich die Lösung ihrer Angstprobleme in Hypnosetherapie gefunden und
daraufhin mit Dr. E. Reinhold ein professionelles Selbsthilfeprogramm
entwickelt hat, um anderen Betroffenen die Gelegenheit zu geben, denselben
Weg zu gehen. Mit 14 Berichten von Klientinnen des von Anja Krebs gegründeten
Instituts für Angstbefreiung incl. ihrer eigenen Geschichte über
die durchweg positiven Effekte der von ihrem Institut für Angstbefreiung
angebotenen Hypnosetherapie. Allerdings wird diese Therapieform kombiniert
mit Familienaufstellungen à la Hellinger und dessen Ideologie,
was zur Folge hat, dass sich geschlagene und gequälte Kinder bei
ihren Peinigern für ihre Erziehung auch noch bedanken dürfen.
Kartoniert, 243 Seiten, ISBN 978-3-937844-15-2. Vechta-Langförden:
Geest-Verlag, 7. Auflage 2008. € 12.50 Peter Lehmann
Matthias Krisor / Kerstin Wunderlich (Hg.): Vom Kopf auf die Füße Der Mensch ist nicht nur krank, wenn er krank ist Reader zu den 7. Herner Gemeindepsychiatrischen Gesprächen von 2001.
Bürgerladen Halle, Herner Ateliers, Aktuelles aus dem Berliner Weglaufhaus,
ein Blick nach England, ein Pilgerprojekt und ein Pilotprojekt zu geistig-energetischem
Heilen; der Band bietet ein erstaunlich breites Spektrum an teilweise
neuen, oft von Betroffenen initiierten und vorgestellten und immer gewaltfreien
Wegen im Umfeld der Psychiatrie. Wo gibt es das: Ein Baseler Psychiater
beschreibt sachlich, aber sichtlich beeindruckt die Wirkkraft einer
Heilerin. PsychiatriepatientInnen pilgern wochenlang mit ihren MitarbeiterInnen
auf dem Jakobusweg, und ein "Verein der Freunde und Förderer gewaltfreier
Psychiatrie" setzt sich öffentlich gegen die "Aktion Psychisch Kranke"
zur Wehr. Ein Buch, das Herz und Verstand anspricht und Neugier weckt.
Kartoniert, 295 Seiten, ISBN 3-89967-000-0. Lengerich: Pabst Science
Publishers 2003. € 20. Kerstin Kempker
Hier gelangen Sie direkt zu den Autorinnen und Autoren bzw. Herausgeberinnen
und Herausgebern, deren Namen mit den Buchstaben A
C | D
F | L
O | P
T | U
Z beginnen. Zurück zu
A Z