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zuletzt aktualisiert am 17. Juni 2024
Ruediger Dahlke: Seeleninfarkt. Zwischen Burn-out
und Bore-out Wie unserer Psyche wieder Flügel wachsen können Ruediger Dahlke ist Arzt für Naturheilweisen und Psychotherapie
und vielfacher Autor. Sein bekanntestes Buch ist "Krankheit als Symbol".
Im jetzt vorliegenden "Seeleninfarkt" schreibt er über
die Notwendigkeit, Burn-out (Ausgebrannt sein, Depression) und Bore-out
(Unterforderung, Desinteresse und Langeweile) aus einer multidimensionalen
Perspektive zu betrachten und zur Kurierung an die Wurzel des Problems
(Zwang zum Perfektionismus, überhöhte Ideale, allseitige Beschleunigung
des Lebens) vorzudringen. Im ersten Teil geht es um das Weltbild, das
Krankheitsbild Burn-Out und letztlich den Seeleninfarkt, wie Dahlke die
zugespitzte Symptomatik in Anlehnung an den Herzinfarkt nennt. Er stellt
seine Bedingungsfaktoren dar (materialistische Werteorientierung, fehlender
Lebensinhalt, über- oder unterfordernde Arbeitsplätze, Missachtung
von Frühwarnsymptomen, Informationsüberflutung, Ernährungsdefizite,
Umweltgifte u.v.m.) und beschreibt seine Verlaufsphasen. Anschließend
demonstriert er Problemlösungsstrategien; hierunter fallen alle möglichen
Herangehensweisen, sinnvollerweise keine Psychopharmaka. Zwecks Ausgleich
von Mangel an Sinn und Augenblickserfahrungen empfiehlt Dahlke spirituell
begründete und formulierte Maßnahmen zur Erhöhung der
Toleranzschwelle und der Energiereserven sowie zur Verbesserung der Regenerationsfähigkeit,
der Ernährung, von Atem, Schlaf und Körperenergie. Es geht
in den Worten des Buchautoren um den Ausblick auf das letzte Ziel
in einem Moment völliger Entspannung beim verbundenen Atem, die Erfahrung
schwebender Leichtigkeit und die Entdeckung des eigenen Lebenssinns und
-themas in welchem Moment auch immer. Seine Vorschläge unterfüttert
Dahlke mit Werbung für diverse Meditations-CD, DVD, Video, Seminare,
Bücher, Hörbücher, Seminare sowie sein Erholungszentrum.
Leserinnen und Lesern, die Dahlkes esoterischen (und kommerziellen) Vorschlägen
nicht folgen mögen, müssen damit rechnen, dass die Flügel
ihrer Psyche lahm bleiben. Oder sie müssen sich nach einem Ratgeber
umschauen, der ihren Bedürfnissen eher angemessen ist. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzeinschlag, 288 Seiten, ISBN 978-3-942166-97-3.
Berlin / München: Scorpio Verlag 2012. € 18.95 Peter Lehmann
Ruediger Dahlke: Die Notfallapotheke für die Seele Heilende
Wahrnehmungsübungen und Meditationen
"Was tun, wenn die Seele aus dem Gleichgewicht gerät?"
Der Autor bietet vielerlei Ratschläge an. Um Ängste zu bewältigen,
beispielsweise: bewusst lächeln, der Angst aktiv begegnen, die Angst
ergründen, der Angst eine feste Zeit geben, geführte Meditation,
Essen für gute Stimmung u.v.m. Weiterhin angebotene Strategien zu
psychischen Problemen: Körper- und Tiefenentspannung, Ritual-Vorschläge,
Atemübungen, Notwehrmaßnahmen gegenüber beleidigten Menschen,
Qi Gong, Durchstehübungen, Klopftechniken u.v.m. Alles tausend mal
besser als synthetische Psychopharmaka oder sonstige Psychodrogen mit
all ihren unerwünschten Risiken, Abhängigkeitsgefahren und absehbaren
Langzeitschäden. Allerdings ist mehr erforderlich zur Problembewältigung
oder momentanen Erleichterung, als sich mal eben eine Pille einzuwerfen.
Gebunden, 124 Seiten, ISBN 978-3-485-01120-4. München: Nymphenburger
Verlag, 3. Auflage 2008. € 14.90 Peter Lehmann
Katharina Dalton / Wendy Holton: Wochenbettdepression.
Erkennen Behandeln Vorbeugen
Katharina Dalton betrachtet die Wochenbettdepression ("Baby-Blues") als
hormonelle Dysbalance, entlastet damit die Mütter von der quälenden
Frage, ob ihre Beziehung zum Kind gestört sei, und plädiert
für eine verständnisvolle, nicht unbedingt auf Psychopharmaka
basierende Behandlung. Kartoniert, 243 Seiten, 27 Abbildungen, 2 Tabellen,
ISBN 978-3-456-83930-1. Bern etc.: Hans Huber Verlag 2003. € 29.95 Peter Lehmann
Frank Dammasch / Hans-Geert Metzger / Martin
Teising (Hg.): Männliche Identität Psychoanalytische
Erkundungen
Psychoanalytisch orientierte Beiträge über die Auswirkungen
der weiblichen Dominanz bei gleichzeitigem Mangel an Väterlichkeit
in Familie und Kultur, unter anderem den Optimierungsdruck der kapitalistischen
Moderne auf die frühkindliche Bildung, die Jungen mit ihren typisch
rivalisierenden und aggressivierenden Verhaltensweisen zu bloßen
Störern degradiert und Identitätsprobleme produziert: äußere
soziale Gruppenformungsprozesse kommen nicht mehr in Einklang mit dem
Selbstbild und mit Selbstgefühlen. Identitätskrisen äußern
sich in Versuchen der Stabilisierung männlicher Identitätsstereotypen
in triebaufgeladenen Peergroups, aggressiver Abgrenzung von Unmännlichem,
von Homosexualität, von Fremden etc. Die Beiträge von Josef
C. Aigner, Heribert Blaß, Frank Dammasch, Michael Diamond, Nils
Döller, Ralph Greenson, Eike Hinze, Hans Hopf, Hans-Geert Metzger,
Ilka Quindeau, Martin Teising und Mirjam Weisenburger, allesamt Therapeuten,
Analytiker, Pädagogen, Ärzte und Psychiater nähern sich
aus unterschiedlichen Perspektiven der Männlichkeit und den Krisen
der männlichen Identität in der Entwicklung vom kleinen Jungen
bis zum alten Mann an. Ein Buch für psychoanalytisch interessierte
Sozialwissenschaftler. Kartoniert, 202 Seiten, ISBN 978-3-86099-598-3.
Frankfurt am Main: Verlag Brandes & Apsel 2009. € 19.90 Peter Lehmann
Gloria M. Davenport: »Giftige« Alte
Schwierige alte Menschen verstehen und konstruktiv mit ihnen umgehen
Die Autorin, eine US-amerikanische Professorin für angewandte Psychologie,
Persönlichkeitsbildung, berufliche Weiterbildung und -entwicklung,
begann im Alter von 70 nach langjährigen Erfahrungen im Bereich der
Sozialarbeit und Gerontologie und nach eigenen Erfahrungen als Tochter
einer toxischen Mutter dieses Buch zu schreiben, das original 1999 in
den USA und 2009 in deutscher Übersetzung erschien. Es ist ein Praxishandbuch
vorwiegend für Altenpflegekräfte, um schwierige alte Menschen
zu erkennen, zu verstehen und professionell korrekt mit ihnen umzugehen
(anstatt sie mit Antidepressiva zu neutralisieren). Aber auch für
alle anderen, die verhindern wollen, dass sie selbst zu "giftigen" Alten
werden, die andere verbal und emotional missbrauchen. Ihr geht es weder
um eine negative Stereotypisierung des Alterns noch um eine Altersverklärung,
sondern um wirksame Maßnahmen gegen frustrierende emotionale Stressoren,
die die wertvolle Zeit und die wertvollen Energien von Pflegenden wie
auch von Angehörigen auffressen: die Toxizität. Im ersten Teil
geht es um das grundsätzliche Verständnis der Toxizität
alter Menschen, dann folgt die Beschreibung ihrer Auswirkungen und ihrer
Entstehung. Der Darstellung von Interventionsoptionen und Schutzschildern
folgt im fünften Teil das Kapitel Vorbeugung und Heilung vor dem
Hintergrund der Vision der Autorin, "dass Altwerden eine Aufgabe und eine
spirituelle Reise ist, in deren Verlauf wir zu ihrem wahren Selbst und
zur Ganzheit finden." Abgeschlossen wird das klar strukturierte und schlüssige
Buch mit einem Interview mit der Autorin anlässlich des Erscheinens
der deutschen Übersetzung, in dem sie mit einem Abstand von zehn
Jahren ausgesprochen sympathisch und frei von der üblichen akademischen
"Experten"-Arroganz u.a. über die durch den fortschreitenden
Alterungsprozess in westlichen Gesellschaften wachsende Bedeutung
ihres Themas reflektiert. Kartoniert, 260 Seiten, ISBN 978-3-456-84706-1.
Bern: Hans Huber Verlag 2009. € 29.95 Peter Lehmann
Theresia Degener / Swantje Köbsell: »Hauptsache, es ist
gesund«? Weibliche Selbstbestimmung unter humangenetischer Kontrolle
Die Autorinnen sind in der Frauen- und in der Behindertenbewegung aktiv.
Aus dem Vorwort: »Der zunehmenden Akzeptanz der Selektionspolitik
von Pränatalmedizin und Humangenetik etwas entgegenzusetzen, ist
Zweck und Ziel dieses Buches. In einer ausführlichen Darstellung
der Ziele und Praxis der Pränatalmedizin wird die eugenische Inpflichtnahme
von Frauen, die Zwangssituationen, denen sie durch die neue Informationsverantwortung
ausgesetzt sind, beleuchtet.« Empfehlenswertes, differenziertes Buch
zu einem hochbrisanten Thema; ein paar Stichworte: Abtreibung und Euthanasie,
Lebens(un)wert und Behinderung, Eugenik und Qualitätssicherung, Vorsorge
und Kostendämpfung. Kartoniert,143 Seiten, Hamburg: Konkret Literatur
Verlag 1992. DM 20. Kerstin Kempker
Richard DeGrandpre: Die Ritalin-Gesellschaft. ADS: Eine Generation
wird krankgeschrieben
Sorgfältige Aufarbeitung zahlreicher empirischer Studien und fundierte
Kritik der Medikamentierung als individualisierter Lösung eines sich
ausweitenden Problems der oft kognitiven und emotionalen Überforderung
der Kinder durch Dauerbombardement von Sinnesreizen; Plädoyer für
bewusstes und strukturiertes Leben. Kartoniert, 253 Seiten, ISBN 10: 3-407-22165-7,
ISBN 13: 978-3-407-22165-0. Weinheim & Basel: Beltz Verlag 2005. €
14.90 Peter Lehmann
Cornelia Dehner-Rau / Harald Rau: Ängste verstehen und hinter
sich lassen Ihr Selbsthilfe-Coach
Cornelia Dehner-Rau und Harald Rau haben ein schönes Buch für
Menschen mit starken Ängsten und Panikattacken geschrieben, über
Wege, schrittweise das Vertrauen in die eigene Person zu stärken,
das Entstehen von Symptomen zu verstehen und den Teufelskreis aus Angst,
Vermeidung, Panik und immer größerer Zurückgezogenheit
zu vermeiden. Ohne das (kleine) Kapitel über notfalls zu verabreichende
Antidepressiva, deren abhängig machende Wirkung ungeachtet der in
medizinischer Literatur immer wieder publizierter Berichte von Abhängigkeitserscheinungen
bei Antidepressiva schlicht in Abrede gestellt wird, könne man das
Buch problemlos empfehlen. Kartoniert, 120 Seiten, ISBN 978-3-8304-6634-5.
Stuttgart: Trias Verlag in MVS Medizinverlage, 2., vollständig überarbeitete
Auflage 2012. € 14.99 Peter Lehmann
Cornelia Dehner-Rau / Harald Rau: Raus aus der Angstfalle (Audio-CD)
Die Angst überwinden und eigene Stärken entdecken: Angeleitete
Übungen
CD über Grundlagen von sog. Angsterkrankungen, Auslöser und
Selbsthilfemaßnahmen, und mit Übungen, Angstvermeidungsverhalten
zu vermeiden und dafür Ängste geplant, gezielt, schrittweise
und protokolliert selbst abzubauen. Durchführbar alleine oder in
Absprache mit dem Therapeuten und allemal gesünder, als Ängste
mit psychiatrischen Psychopharmaka chemisch zu unterdrücken. Audio-CD,
Laufzeit 75 Minuten, mit 1 Booklet (12 Seiten), ISBN 978-3-8304-3473-3.
Stuttgart, MVS Medizinverlage 2009. € 14.95 Peter Lehmann
Demenz Support Stuttgart (Hg.): »Ich spreche
für mich selbst« Menschen mit Demenz melden sich zu Wort
»Frühbetroffene« (aus Deutschland, Schottland und den USA,
das heißt Menschen, bei denen vor kurzer Zeit spezielle Veränderungen
auftraten oder die Diagnose »Demenz« gestellt wurde, kommen
als aussagefähige und kompetente Personen zu Wort und benennen ihre
Bedürfnisse selbst. Das empfehlenswerte Buch, das sich auf Interviews
mit den Betroffenen stützt sowie Aussagen bei öffentlichen Veranstaltungen
in Forschungsstudien stützt Aussagen, die dankenswerter frei
von Wertung und Interpretation durch die Herausgeber blieben , ist
herausgegeben von der gemeinnützigen Demenz Support Stuttgart (DeSS)
gGmbH, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, einen Beitrag zur Verbesserung
der Lebensqualität und sozialen Teilhabe von Menschen mit Demenz
zu leisten. Grundlage auch hier ist, dass den Menschen, auch wenn sie
beeinträchtigt sind, zugestanden wird, für sich selbst zu sprechen.
In diesem Buch ist dies vorbildlich gelungen. Lesenswert für alle,
die in dem Bereich arbeiten, dement oder dement werdende Angehörige
haben oder irgendwann selbst alt und dement werden könnten. Kartoniert,
162 Seiten, ISBN 978-3-940529-54-1. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag 2010.
€ 16.90 Peter Lehmann
DGSP e.V. (Hg.): Neuroleptika reduzieren und absetzen
Eine Broschüre für Psychose-Erfahrene, Angehörige
und Professionelle aller Berufsgruppen
Im Oktober 2014, rechtzeitig zum Symposium "Psychopharmaka absetzen:
Warum, wann und wie", organisiert von Peter Lehmann und Asmus Finzen
als Vorveranstaltung zur DGSP-Jahrestagung im nachfolgenden Monat in Bremen,
hat der "Fachausschuss Psychopharmaka" der Deutschen Gesellschaft
für Soziale Psychiatrie eine Broschüre zum Thema Absetzen herausgegeben.
Die DGSP-Broschüre besteht aus neun Kapiteln.
Kapitel 1 betrachtet rechtliche Aspekte, unter anderem die Frage, inwieweit
ein Absetzen möglich ist, wenn der Patient anderer Meinung ist als
der Betreuer. "Nur im Falle der Einwilligungsunfähigkeit kann
ein Betreuer auch gegen den geäußerten Willen des Betreuten
entscheiden", schreibt der Fachausschuss. Was der (einwilligungsunwillige)
Patient machen soll, wenn der Betreuer das selbstbestimmte Absetzen aus
welchen Gründen auch immer (meist aus Verantwortungslosigkeit, Desinteresse,
Bequemlichkeit, Arztgläubigkeit) hintertreiben will, ist leider kein
Thema.
Im Verlauf der Broschüre verdeutlicht sich das positive Engagement
der Fachgruppe, die Vielzahl der mit dem Absetzen von Neuroleptika verbundenen
Probleme anzugehen. Deutlich wird auch das Bemühen, Informationen
denen zur Verfügung zu stellen, die nur reduzieren wollen, aber überzeugt
sind, dass sie eine möglichst niedrige Erhaltungsdosis benötigen.
Wo findet dieser Personenkreis sonst Informationen zu diesem Thema?
Kapitel 2 befasst sich mit der Tätigkeit des Gehirns während
akuter Psychosen und seinen Veränderungen unter Gabe von Neuroleptika.
Es spricht die Gegenregulation des Gehirns an: eine Vermehrung von Rezeptoren
als Reaktion auf die neuroleptikabedingte Blockade speziell von Dopaminrezeptoren.
Die dadurch entstehende Übersensibilität von Dopaminrezeptoren
ist die neurologische Ursache für eine Vielzahl von Entzugsproblemen,
unter anderem Rebound-Phänomenen und Supersensitivitätspsychosen.
Kapitel 3 sagt, was vor Beginn des Absetzens unbedingt berücksichtigt
werden sollte: sich informieren, Maßnahmen zur Minimierung von Entzugsproblemen
lernen und verstehen, sich austauschen etc. Warum Ärzte oft nicht
beim Absetzen helfen, wird mit allerlei Gründen erklärt. Dass
sie oft keine Ahnung haben und von der Pharmaindustrie ideologisch gesteuert
sind, wäre zu ergänzen.
Kapitel 4 betrifft das eigentliche Reduzieren. Wie vorgehen, welche Möglichkeiten
gibt es zum stufenweisen Absetzen, was bringen verlängerte Einnahmeintervalle,
welche Entzugsprobleme können auftauchen, wie unterscheidet man sie
vom "echten Rückfall", wo kann man sich beraten lassen?
Der Beginn des Absetzens soll unter Bedingungen psychischer und sozialer
Stabilität erfolgen, heißt es eingangs. Dabei stellt sich mir
die Frage, für die auch ich keine Antwort habe: Wo noch unter
Wirkung von Neuroleptika soll diese Stabilität herkommen,
wenn sie doch meist erst das erhoffte Ergebnis des teilweise langen Absetzprozesses
ist?
Kapitel 5 und 6 behandeln Herangehensweisen zur Bewältigung von neuen
psychischen Problemen.
Kapitel 7 spricht die Ängste und oft vorhandene Arzt- und Pharmagläubigkeit
von Angehörigen an und appelliert an diese Problemgruppe, Begleitmaßnahmen
zu Minimierung von Entzugsproblemen zu unterstützen und ihren möglicherweise
unsicheren Familienmitgliedern psychischen Halt beim Absetzen zu geben.
Kapitel 8 gibt Erfahrungsberichte wieder, unter anderem von Regina Bellion.
Martin Zinkler, Michael Waibel und Klaus Laupichler thematisieren das
Absetzen in ihrer psychiatrischen Klinik Heidenheim: "Wer mit unserer
Hilfe Neuroleptika absetzen möchte, ist in unserer Klinik willkommen."
Aufnahmen kommen allerdings nur zustande, wenn die ambulanten Möglichkeiten
als nicht ausreichend gelten. Wie jede Akutklinik unterliegt auch ihre
Klinik Schwankungen in der Auslastung (zwischen 80-120%). Deshalb können
so die Antwort auf meine Nachfrage geplante Aufnahmen nicht
immer zum gewünschten Zeitpunkt erfolgen. Vor einer Aufnahme ist
ein ambulantes Vorgespräch erwünscht. Es handelt sich hier um
einen Präzedenzfall: Erstmals bietet eine psychiatrische Klinik professionell
unterstütztes Absetzen an. Beispiele teilweise erfolgreicher und
teilweise missglückter Absetzversuche sind erste mutige und nicht
zu unterschätzende Schritte, die Grenzen der professionellen Unterstützung
von Absetzversuchen anzusprechen und die überfällige Diskussion
dieses existenziellen Problems zu beginnen.
Kapitel 9 spricht das Reduzieren und Absetzen in psychiatrischen Wohnheimen,
in Seniorenheimen und bei Kindern und Jugendlichen an.
16 Jahre nach Erscheinen von "Psychopharmaka absetzen Erfolgreiches
Absetzen von Neuroleptika, Antidepressiva, Phasenprophylaktika, Ritalin
und Tranquilizern" (hg. von Peter Lehmann, Antipsychiatrieverlag
1998) und sechs Jahrzehnte nach Einführung der Neuroleptika in das
psychiatrische Behandlungsarsenal haben psychiatrisch Tätige einen
Trendwechsel vollzogen und wollen das Thema Absetzen nicht weiter ignorieren.
Hut ab! Ich hoffe, es folgen weitere Schritte: Fortbildung auch durch
absetzerfahrene Betroffene, Beratungsangebote, Schriften zum erfolgreichen
Absetzen und zu Schäden von Neuroleptika in Patientenbibliotheken,
zivil- und strafrechtliche sowie politische Maßnahmen gegen die
alltägliche Unterlassung der vorgeschriebenen Aufklärung über
Behandlungsrisiken (Abhängigkeit inklusive).
Die DGSP verschickt die 84-seitige, 2014 erschienene Broschüre und
legt der Lieferung eine Rechnung über 2 € plus Versandkosten
bei. Bestelladresse: DGSP, Zeltinger Str. 9, 50969 Köln, Tel. 0221
/ 511002, dgsp@netcologne.de. Man kann sie auch aus dem Internet herunterladen,
bitte ggfs. bei der DGSP die URL erfragen. Rezension
im BPE-Rundbrief. Peter Lehmann
DGVT-Arbeitsgemeinschaft "Frauen in der psychosozialen
Versorgung" (Hg.): Sexuelle Übergriffe in der Therapie Kunstfehler
oder Kavaliersdelikt? Am 19. Januar 1991 setzten sich auf Einladung der AG "Frauen in der
psychosozialen Versorgung" Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie
erstmalig die Berufs- und Fachverbände der therapeutisch tätigen
Berufe zusammen, stellten ihre Positionen zu diesem Thema öffentlich
vor und diskutierten Präventions-, Sanktions- und Hilfsmöglichkeiten.
Der vorliegende Band dokumentiert diese Stellungnahmen und den Diskussionsverlauf
sowie die jeweils in das Thema einführenden Fachvorträge von
Ursula Wirtz und Irmgard Vogt. Mit der Anhörung und dem daraus resultierten
Band sollten betroffene Frauen unterstützt werden, die vor Gericht
die Schuld des Therapeuten beweisen müssen, die Öffentlichkeit
über das Problem informiert und die Diskussion in der Fachöffentlichkeit
vorangetrieben werden. Liest man die engagierten Beiträge, dann wünscht
man sich, dass auch andere "therapeutisch" genannte Übergriffe
thematisiert und bekämpft werden. "Vorsicht bei Zwang: Vorsicht,
wenn Sie direkten oder indirekten Zwang spüren! Sie haben ein Recht
darauf, dass Ihre Grenzen respektiert werden. Verantwortungsvolle Therapeuten
und Therapeutinnen achten Ihre persönlichen Grenzen ....." schreibt
die DGVT im Informationsblatt "Psychotherapie und Beratung",
das im Buch abgedruckt ist. Ob die DGVT und andere Therapeutenverbände
je erkennen, dass jeglicher Zwang in Therapien, psychiatrische Behandlungen
inklusive, zu Traumatisierungen führt und die Geschädigten Schutz,
Unterstützung und Anspruch auf Schadenersatz sowie dieselbe Beweislastumkehr
benötigen, die die Verbände so vehement für sexuell Missbrauchte
forderten? Kartoniert, 135 Seiten, ISBN 3-87159-212-9. Tübingen:
DGVT Verlag 1991. € 9.80 Peter Lehmann
Wolfgang Diekämper: Menschen mit Demenz begleiten
und pflegen Bei dem Buch aus dem Cornelsen Verlag handelt es sich um eine sorgfältige,
leicht verständliche und einfühlsame Einführung für
Angehörige Demenzbetroffener und für Pflegepersonal. Für
die Pflege und Betreuung sowie die Unterstützung der Angehörigen
ist es notwendig, sich in Menschen mit Demenz einzudenken und einzufühlen,
und wenn dies nicht gelingt, sie dennoch mit Respekt zu behandeln. Der
Autor, ein Psychologe und Mitarbeiter in der Beratung und Fortbildung
im Evangelischen Johanneswerk Bielefeld, führt in das Thema ein,
schildert die verschiedenen Formen von Demenz und baut dabei mit
wohltuend knapp und verständlich gehaltenen Ausführungen zu
ihren biologischen Grundlagen und Ursachen (worunter der auch Neuroleptika
nennt) auf einer weitgehend phänomenologischen Betrachtungsweise
auf. Das Buch ist übersichtlich und handlich. Der Autor arbeitet
viel mit kurzen, aussagekräftigen Beispielen und mit Illustrationen,
die mögliche Kommunikationsdesaster aufzeigen, für die mitnichten
die Demenzbetroffenen alleine verantwortlich sind. Ein für Angehörige,
ehrenamtliche Betreuer und professionelle Pflegedienstleistende ausgesprochen
empfehlenswertes Buch. Gebunden, 225 Seiten, 42 Abbildungen, ISBN 978-3-06-455185-5.
Berlin: Cornelsen Verlag 2010. € 16.95 Peter Lehmann
Christian Discher: Die Stimmen der Übriggebliebenen 1997 durchlebt der sportlich trainierte 17jährige Christian Discher
eine pubertäre Krise. Wenige Monate nach einer überstandenen
Tumorerkrankung fängt er an, immer weniger zu essen, es drängt
ihn nach körperlicher Perfektion, er leidet unter Schwindelanfällen.
Zudem ist er schwul und steckt voller Schuldgefühle. Nun will er
auch noch christlich getauft werden. In seiner Not wendet er sich an eine
Pfarrerin und sucht bei ihr Hilfe bei der Verarbeitung seiner sexuellen
Verunsicherung. Anstelle sich den Nöten des jungen Manns anzunehmen,
veranlasst sie die Einweisung in die Psychiatrie in die "Hölle
von Ueckermünde" (in Mecklenburg-Vorpommern), wie sie Ernst
Klee in seinem Dokumentarfilm genannt hatte. Dort wird er der ortsüblichen
Behandlung unterzogen: fixiert, zusammengespritzt, gedemütigt. Er
leidet unter den parkinsonoiden Auswirkungen der Neuroleptika, wird apathisch,
soll Körbe flechten, fühlt sich absolut minderwertig. Nach der
Klinikentlassung wird er vom Sozialpsychiatrischen Dienst weiter belästigt.
Viele seiner Mitpatienten überleben die psychiatrische Behandlung
nicht oder siechen als Langzeitpatienten in Heimen und psychiatrisch betreuten
Patientenclubs dahin. Auch er soll die Psychopharmaka weiter schlucken,
nimmt 40 kg zu, bleibt lethargisch. Ihm wird ein unterdurchschnittlicher
Intelligenzquotient bescheinigt. Trotzdem will er Abitur machen... Wie
er es trotz all des Unbills und im Glauben an die ausschließlich
körperliche Bedingtheit von Psychosen schaffte, Abitur und Führerschein
zu machen und sein eigenes Leben zurückzuerobern, schildert der mittlerweile
gar zum Hochschullehrer gewordene und mit Inklusion beschäftigte
Autor auf beklemmende Weise, sie lässt einem beim Lesen nicht mehr
los. Ein packendes Buch, das an Kerstin Kempkers "Mitgift
Notizen vom Verschwinden" erinnert; auch sie wurde als
Minderjährige in einer pubertären Krise der Psychiatrie ausgeliefert
nicht von einer Pfarrerin, sondern einer Nonne. Auch sie schildert
ihre Behandlung hautnah, auch sie erinnert an all die von der Psychiatrie
Totgemachten. Wie ihr Buch macht auch Christian Discher Betroffenen und
Familien Mut: Selbst wenn keiner mehr daran glaubt, kann man es schaffen,
den psychiatrischen Sumpf nach Jahren zu verlassen und wieder auf eigene
Füße zu kommen. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 249 Seiten, ISBN 978-3-9814257-2-7.
Hamburg: underDog Verlag Olaf Junge 2015. € 14.90 Peter Lehmann
Colette Dowling: Befreite Gefühle. Neue Wege aus Depression,
Angst und Abhängigkeit
Geschwätziges Plädoyer dafür, sich bei psychischen Problemen
an Psychiater zu wenden, um sich ja nicht unterdosiert
die richtigen Psychopharmaka, möglichst Antidepressiva,
verschreiben zu lassen. Das Buch »... beschäftigt sich auf einfühlsame
und offene Weise mit den kulturell vermittelten Ängsten vor biologisch
fundierten Therapien emotionaler Störungen«, so Psychiater Donald
Klein lobend auf der hinteren Umschlagseite, und passt damit prima in
die moderne Strömung von Rassismus und Biologismus. Das Buch wurde
mir für meinen Antipsychiatrieversand von einer Teilnehmerin des
Sozialpsychiatriekongresses in Hamburg empfohlen. Welch übler Streich!
Kartoniert, 335 Seiten, S. Fischer Verlag 1994. DM 32. Peter Lehmann
Klaus-Peter Drechsel: Beurteilt Vermessen Ermordet.
Die Praxis der Euthanasie bis zum Ende des deutschen Faschismus
Übersichtliche Broschüre über die Hintergründe des
Massenmords an Nicht-Verwertbaren (Kranken, Alten, Krüppeln,
Andersdenkenden), über die Renaissance des Euthanasie-Gedankens,
über sich evtl. wiederholende Regelmäßigkeiten bei der
Tötung von Menschen aus Rentabilitätsgründen und über
die moderne Übernahme von Werturteilen (u.a. psychisch krank)
der Täter. Kart., 175 S., hrsg. vom Duisburger Institut für
Sprach- und Sozialforschung 1993. DM 16.80 Peter Lehmann
Alfred Drees: Innovative Wege in der Psychiatrie. Sozialstrategien
und poetische Kommunikation
Beschreibung der Anstalt als »Möglichkeitsraum für sinnlich
getragene und phantasieorientierte therapeutische Neulanderprobungen«.
Strategien gegen psychiatrische Menschenrechtsverletzungen kommen in dem
Buch nicht vor, dafür aber viel Sozialpsychiatrie und Gemeindepsychiatrie:
immer wieder Wege in der Psychiatrie, aber nicht aus ihr
heraus. Kart., 228 S., Gießen: Psychosozial-Verlag
1997. DM 38. Peter Lehmann
Erwin Drewermann / Arno Gruen / Verena Kast u.a.: Mit Krisen leben
Die Referate der Luzerner Psychotherapie-Tage 1995 über gesundheitliche,
spirituelle, Partnerschafts- und Identitätskrisen. Aus dem Inhalt:
Peter Schellenbaum: »Das Nein in der Liebe«, Christian Scharfetter:
»Psychiatrie und spirituelle Krisen«, Walther Lechler: »Der
Therapeut als Begleiter«, Verena Kast: »Das Klimakterium«,
Eugen Drewermann: »Mit Krisen leben«, Arno Gruen: »Die
Schwierigkeit, sich selber zu sein« u.v.m. Ein interessantes und
vor allem sehr breites Spektrum sowie psychiatrischer als auch nichtpsychiatrischer
Verständnisweisen aller Arten von von Krisen und Herangehensweisen
an ihre Lösung. 121 S., Verlag Luzerner Psychotherapie Tage 1996.
DM 27. Peter Lehmann
Matthias Eckoldt: Eine kurze Geschichte von Gehirn
und Geist. Woher wir wissen, wie wir fühlen und denken Matthias Eckoldt, studierter Germanisten, Philosoph und Medientheoretiker,
liefert mit seinem Buch eine ausgezeichnet recherchierte und leicht verständliche
Darstellung der Vorstellungen über die Funktionsweise des menschlichen
Denkorgans von der Zeit der alten Griechen übers Mittelalter, die
Industrialisierung und bis heute. Dabei bezieht er die jeweils aktuellen
technischen Errungenschaften ein und deren Widerspiegelung in Philosophie
und Medizin. Ein vorbehaltlos zu empfehlendes Buch von für alle,
die nachvollziehen wollen, wie sich die Vorstellungen darüber, auf
welche Weise der Körper und in neueren Zeiten das Gehirn
den Geist hervorbringt, und macht er das überhaupt? Zu Beginn der
Selbstreflexion meinte man noch, es ginge im Kopf um eine Kühlfunktion
für das hitzige Blut. Als mit Beginn des 3. Jahrhunderts vor unserer
Zeitrechnung zum ersten Mal Schädel geöffnet wurden, wollte
man erfahren, wo und wie genau der Gedanken zur materielle Realität
werden und wie sich äußere Reize zu einer Empfindung verdichten.
Eckoldt zeigt, dass Vorstellungen über diese Prozesse vom jeweiligen
technischen Fortschritt und den vorhandenen Instrumenten und Messmethoden
abhängig waren. So sind es logischerweise derzeit Computertechnologie
und Internetvernetzungen, deren Funktionsweise dem menschlichen Geist
zugrunde gelegt werden. Wie nackt die moderne Hirnforschung mit ihrem
neuromythologischen Anspruch auf Deutungshoheit jedoch dasteht, erklärt
Eckoldt an Bildern von Magnetresonanztomographien (MRT), mit denen Hirnforscher
gerne geistige und emotionale Prozesse erklären wollen. Diese könnten
zwar Signalprozesse in und zwischen den Neuronen grundsätzlich erklären
und hinsichtlich der funktionellen Zuordnung von Hirnregionen Fortschritte
vermelden. MRT-Bilder seien jedoch irreführend, der reale Unterschied
in der Aktivität bunter und grau eingefärbter Neuronen sei wesentlich
geringer, als es die Farbmarkierungen nahe legen. Und außerdem messe
das MRT keine Regung, sondern lediglich Veränderungen im Sauerstoffverbrauch
in einzelnen Hirnregionen. Das sei in etwa so, als versuche man die Funktionsweise
eines Computers zu ergründen, indem man seinen Stromverbrauch bei
verschiedenen Aufgaben messe. Ade MRT-Voodoo! Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 253 Seiten, 9 Abbildungen, ISBN 978-3-570-55277-3.
München: Pantheon Verlag 2016. € 14.99 Peter Lehmann
Gernot Egger: Ausgrenzen Erfassen Vernichten. Arme und
»Irre« in Vorarlberg
Über die Entwicklung der Psychiatrie im gesamten Österreich,
von Siechen- und Arbeitshäusern bis zu den Massenmorden und deren
späterer Verdrängung. Mit einem Namensregister zu den beteiligten
Österreichern. Ein unverzichtbares Buch das erste, das sich
systematisch mit dem psychiatrischen Massenmord in Österreich auseinandersetzt.
Kart., 298 S., 57 Abb., Bregenz: Vorarlberger Autorengesellschaft 1990.
DM 36.- Peter Lehmann
Christian Ehrig / Ulrich Voderholzer:
Der gute und erholsame Schlaf. Was Sie darüber wissen sollten
Ehrig und Voderholzer, zwei Psychiater, informieren über die Grundlagen
der Schlafsteuerung, Funktionen des Schlafs, Schlafstörungen in allen
Altersgruppen, Formen und Ursachen von Schlafstörungen, darunter
auch medikamentös und psychopharmakologisch bedingte Störungen,
Schlafstörungen in Verbindung mit psychischen und zentralnervösen
Problemen. Dabei werden allerdings Schlafstörungen aufgrund von Antidepressiva
prakisch in einem Nebensatz abgetan, von Schlafstörungen infolge
Neuroleptikaeinnahme scheinen die beiden Psychiater überhaupt noch
nichts gehört zu haben; offenbar hielten sie nicht einmal einen Blick
in die "Rote Liste" für nötig. Im praktischen Teil des Buches
geht es um die Erfassung und Beurteilung unterschiedlicher Schlafstörungen
und deren Behandlung: Schlafhygiene, Stimuluskontrolle, Entspannungstechniken,
Phantasiereisen und vieles Sinnvolle mehr (das allerdings nicht gerade
neu ist, siehe beispielsweise die Bücher von Dieter Riemann oder
Guido Ern und Ralf D. Fischbach). Ein eigenes Kapitel ist Babys, Kindern
und Jugendlichen gewidmet. Helfen all die praktischen Ratschläge
nicht, diskutieren die Autoren den Einsatz von Schlafmedikamenten, unter
anderem Benzodiazepinen, Antidepressiva und Neuroleptika. "Vorteile von
sedierenden Antidepressiva sind einerseits deren guten Wirkung und andererseits
das Fehlen einer Abhängigkeitsgefahr" schreiben sie auf S. 147 unter
Ausblendung all der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die das Abhängigkeitsrisiko
und die teilweise kaum bezwingbaren Probleme beim Absetzen synthetischer
Antidepressiva belegen. Ähnliches zu Neuroleptika: "Der Vorteil liegt
darin, dass die Substanzen nicht abhängig machen und daher auch problemlos
wieder abgesetzt werden können." (S. 148) Die Ignoranz der Gefahr
der körperlichen Abhängigkeit von Antidepressiva und Neuroleptika,
von Rezeptorenveränderungen, Entzugs-, Rebound- und Supersensitivitätssymptomen
und immensen Entzugsproblemen, mit denen die Betroffenen in aller Regel
völlig alleine gelassen werden, können Menschen mit Schlafstörungen
jedoch in einen Teufelskreis bringen: niedrigdosierte Einnahme aufgrund
des leichtfertigen Ratschlags eines Arztes, dem man vertraut, dann Toleranzbildung,
misslungener Absetzversuch, erneute Einnahme, höhere Dosis etc.,
bis sich am Ende eine massive körperliche Abhängigkeit eingestellt
hat, die die Weitereinnahme von Psychopharmaka erzwingt, auch wenn die
primären Ursachen der Schlafstörungen längst abgeklungen
oder verschwunden sind. Die genannte Desinformation macht das Buch insgesamt
höchst problematisch. Was macht man mit einem Auto, wenn an einer
Stelle des Sicherheitssystems zum Beispiel im Bremssystem
eine Fehlfunktion festgestellt wird? Den Hersteller in Regress nehmen,
das Auto sofort aus dem Verkehr ziehen. Was passiert entsprechend mit
einem Buch über Schlafstörungen und deren Behandlung, wenn es
das Risiko birgt, ärztlich verordneter Medikamentenabhängigkeit
Tür und Tor zu öffnen? Kartoniert, 188 Seiten, 10 Abbildungen,
16 Tabellen, ISBN 978-3-456-85391-8. Bern: Hans Huber Verlag 2014. €
19.95 Peter Lehmann
Thomas Ehring / Anke Ehlers: Ratgeber Trauma und
Posttraumatische Belastungsstörung. Informationen für Betroffene
und Angehörige
Der Psychologe Ehring von der Ludwig-Maximilians-Universität München
und seine Kollegin Ehlers von der Universität Oxford beschreiben
übersichtlich, leicht verständlich, kurz und knapp und mit Beispielen
versehen, was posttraumatische Belastungsstörungen sind, welche dauerhaften
Folgen mit ihnen verbunden sein können, welche therapeutischen, speziell
psychotherapeutischen Verfahren sinnvoll sind und was man selbst tun kann,
um die Folgen von Traumata abzumildern und zu überwinden. Man könnte
dieses Buch empfehlen, würden Ehring und Ehlers nicht im Kapitel
"Medikamentöse Behandlung" das Abhängigkeitsrisiko von Antidepressiva
verleugnen. Dabei warnen inzwischen sogar Herstellerfirmen von Antidepressiva
vor diesem Risiko. Und da wie allgemein üblich in traumatherapeutischer
Literatur psychiatrische Gewalt ausgeblendet bleibt, ist das Buch
für Psychiatriebetroffene, die unter den Folgen traumatisierender
psychiatrischer Zwangsbehandlung leiden, leider nur von eingeschränktem
Interesse. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 74 Seiten, ISBN 978-3-8017-2949-3. Hogrefe
Verlag, 2., aktualisierte Auflage 2019. € 8.95 Peter Lehmann
Roswitha Eichinger / Merle Rothmann: Johanniskraut. Balsam für
die Seele. Depressionen natürlich Überwinden mit Johanniskraut,
Baldrian und Kava-Kava
Wie man heilende Kräuter selbst anpflanzen kann, ihre Kulturgeschichte,
ihre Einsatzmöglichkeiten. Kart., 128 S., 18 Abb., Stuttgart: Trias
Verlag 1998. DM 24.80 Peter Lehmann
Michael Eink (Hg.): Gewalttätige Psychiatrie. Ein Streitbuch
(Selbst-) kritische Texte zur psychiatrischen Gewalt: der institutionellen,
der handgreiflich direkten (Zwangseinweisung, -behandlung, Fixierung)
und besonders spannend der unsichtbaren (u.a. »Der
Zwang, ein anderer sein zu müssen«). Eine Bestandsaufnahme,
geschrieben von psychiatrisch Tätigen als Täter, Beobachter
oder Opfer und von einem Vertreter des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener.
»Utopien und Perspektiven«, das Schlusskapitel, bleibt sehr
mager, realistisch eben. Kart., 225 S., Bonn: Psychiatrie-Verlag 1997.
DM 34. Kerstin Kempker
Elke Endraß / Siegfried Kratzer: Wenn Glaube krank macht
Wege aus der Krise
Vom richtenden Gott zum barmherzigen Vater, könnte der Untertitel
dieses Buchs lauten, das sich glaubensimmanent mit einem Thema auseinandersetzt,
das heute nicht mehr ernst genommen werde und als überholt gelte.
Viele ausführliche Berichte und Beispiele religiös bedingter
Neurosen zeigen, wie bedrückend und isolierend die frühkindliche
Indoktrination eines strafenden, allwissenden und unberechenbaren Gottes
lebenslang wirken kann. Mit manchmal zu vielen Worten und zu wenig Tiefgang
wird u.a. die Frauenfeindlichkeit der Bibel, die ekklesiogene Neurose
von George W. Bush, die Doppelmoral und die Problematik jungfräulicher
Geburt und der Schöpfungsgeschichte abgehandelt. Gebunden mit Schutzumschlag,
128 Seiten, ISBN 3-7831-2528-6. Stuttgart: Kreuz Verlag 2005. €
16.95 Kerstin Kempker
»Es ist normal, verschieden zu sein!«
Verständnis von Behandlung und Psychosen
»Grundverständnis«, »Menschlicher Zugang«, »Umgang
mit Psychosen«, so lauten die viel versprechenden Kapitelüberschriften.
Im letzten Kapitel lese ich unter der Überschrift »Selbstschutzmaßnahmen«:
»Lassen Sie sich nicht einreden, Ihre Krise sei nur körperlich
bedingt, die Psychose nur eine Transmitterstörung.....« Was
hier großspurig emanzipatorisch aufgetischt wird, ist verdummende
biologische Psychiatrie in Reinform. Jeder Popelpsychiater betet diesen
Spruch herunter, das Psychische, das Soziale, das kommt dann dazu, zum
Körperlichen, als Auslösefaktor, multifaktoriell, blablabla.
Es tut weh, die herrschende Doktrin der biologischen Psychiatrie ausgerechnet
in einer Broschüre zu lesen, die auch der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener
als Mitherausgeber verantwortet. Der Vorschlag, den Passus für die
neue Auflage in dieser Weise zu verändern:
Neuroleptika können nicht nur behauptete Hirnstoffwechselveränderungen
kompensieren helfen, sie können Warnung! mittel-
und langfristig auch die Psychoseanfälligkeit erhöhen, Depressionen
mit Suizidalität bewirken und Selbstheilungskräfte schwächen
wurde offenbar als nicht der Rede wert abgetan. Veränderungen im
Hirnstoffwechsel seien nicht zwingend die Ursache von Psychosen
diese Betrachtung erlaube auch denen »Medikamente« zu nehmen,
die auf ein umfassendes Verständnis ihrer Person und ihrer Krise
Wert legen.... Vor allem erlaubt diese Betrachtung dem Alltagspsychiater,
unter Einsatz von Gewalt Psychopharmaka zu verabreichen. Menschenrechte
und Schutz vor Zwangsbehandlung kommen in der Broschüre leider nicht
vor: ein weiteres trauriges Dokument des sozialpsychiatrischen Psychoseseminartrialogs.
Bemerkenswert zum Schluss: Neben 26 empfohlenen Büchern des Psychiatrieverlags
und 4 des Paranus Verlags sind in der Literaturliste auch 2 Bücher
des Antipsychiatrieverlags erwähnt. Broschüre, 32 Seiten, Redaktion:
Thomas Bock, Dorothea Buck, Klaus Dörner, Susanne Heim, Cornelia
Schäfer, Eva Schmitt, Peter Stolz, Ursula Zingler, 2003. Schutzgebühr
€ 1. Peter Lehmann
Sandra Escher / Marius Romme / Ingo Runte (Hg.):
Die Stimmen und ich Hilfen für jugendliche Stimmenhörer
und ihre Eltern
Ratgeber für junge Stimmenhörer sowie für Eltern, Lehrer,
Beratungsstellen, Kliniken und Ambulanzen, Kinder- und Jugendtherapeuten,
Kinder- und Jugendpsychiater, Kinderärzte und sonstige psychosozial
Tätige, wie man das Hören von Stimmen anders betrachten und
lernen kann, mit ihnen umzugehen, und wie die Stimmen wieder verschwinden.
Das Buch besteht aus zwei Teilen, einem Kinder- und einem Elternteil.
Der erste Teil richtet sich an Kinder und Jugendliche und informiert sie,
was Stimmenhören ist und welche Erklärungen es dafür gibt.
Anhand von Beispielen wird ihnen aufgezeigt, wie sie sich gegen die Befehle
der Stimmen wehren können. Der zweite Teil wendet sich an Eltern,
schildert ihre Erfahrungen mit stimmenhörenden Kindern, liefert verschiedene,
auch alternative Erklärungen und informiert über vernünftige
Therapiemöglichkeiten. Aufgrund ihrer eigenen Therapie-Erfahrungen
möchten die Autorin und die Autoren betroffenen Eltern und Kindern
ersparen, sich der Schulpsychiatrie anzuvertrauen, vor allem, weil dort
mit Diagnosen und Psychopharmaka "sehr freizügig" umgegangen werde.
Bücher mit dieser Haltung sollte es mehr geben. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 304 Seiten, ISBN 978-3-86739-092-7.
Bonn: Balance Buch und Medien Verlag 2015. € 19.95 Peter Lehmann
Egon Fabian: Anatomie der Angst Ängste
annehmen und an ihnen wachsen
Der Psychoanalytiker und Psychiater Egon Fabian, Chefarzt der Dynamisch-Psychiatrischen
Klinik Menterschwaige in München, gibt einen Überblick über
die Entstehung von Angst und informiert über sie als alltäglichen
Begleiter des Menschen, auch darüber, was man in der Philosophie
und in verschiedenen Religionen über sie denkt, um sie dann psychoanalytisch
zu analysieren. Er schildert alle Arten von Angstphänomenen und ihre
vielfältigen Bewältigungsformen und wendet sich dann der Behandlung
störender Ängste zu. Ein angstfreies Leben ist für ihn
nicht denkbar, es gehe vielmehr darum, sinnvoll mit Angst zu leben. Gebunden
mit Schutzumschlag, 349 Seiten, ISBN 978-3-608-94653-6. Stuttgart: Klett-Cotta
2010. € 22.90 Peter Lehmann
Anita Fabig / Kathrin Otte (Hg.): Umwelt, Macht und Medizin. Zur Würdigung
des Lebenswerks von Karl-Rainer Fabig
Buch mit fachlich teilweise recht anspruchsvollen Texten des 2005 verstorbenen
Hamburger Umweltmediziners Karl-Rainer Fabig, der sich vehement in der
medizinischen Erforschung chemischer Intoxikationen und deren rechtlichen
Verfolgung engagiert hatte und politische Solidarität mit den durch
die Ausbringung und Ausbreitung chemischer Stoffe Geschädigten geübt
hatte. Thema ist die Kontamination von Menschen und Umwelt durch den zivilen
und militärischen Einsatz vor allem von chemischen und radioaktiven
Stoffen, Unfälle und normale Arbeitsplatzbelastungen in der chlorchemischen
Industrie, die Folgen der Versprühung von Herbiziden im Vietnamkrieg,
Innenraumbelastungen durch Holzschutzmittel und andere Chemikalien sowie
Gesundheitsschäden bei besonderer physischer Chemikaliensensitivität.
Mit im Buch sind viele Texte von Kolleginnen und Kollegen, die sich auf
ihn bzw. auf Umweltgifte beziehen und ebenfalls gesellschaftskritische,
rechtliche und wissenschaftsethische Aspekte einbeziehen. Da ein so eklatanter
Mangel an verantwortungsbewussten Medizinern herrscht und das Thema Umweltgifte
und ihre medizinischen Auswirkungen in der psychiatrischen Diskussion
nach wie vor sträflich vernachlässigt wird, ist dem Jenior Verlag
für dieses feine Dokument großen Dank auszusprechen. Kartoniert,
325 Seiten, ISBN 978-3-934377-24-0. Kassel: Winfried Jenior Verlag 2007.
€ 18. Peter Lehmann
Christopher G. Fairburn: Ess-Attacken stoppen Ein Selbsthilfeprogramm
Auch wenn der selbstgewisse Ton des Autors, Psychiatrieprofessor in Oxford,
manchmal stört und der erste Teil recht wissenschaftlich daherkommt,
ist das Buch wegen des differenzierten und praxisnahen ausführlichen
Selbsthilfeteils Betroffenen sehr zu empfehlen. Kartoniert, 249 Seiten,
19 schwarz-weiße Abbildungen, ISBN 3-456-84362-3. Bern: Hans Huber
Verlag, 2. Auflage 2006. € 19.95 Kerstin Kempker
Peter Falkai / Ekkehard Haen / Ludger Hargarter: Paliperidon ER (INVEGA®)
Der nächste Schritt zur optimalen Schizophrenietherapie
Von einer erfolgreichen Therapie, so die Autoren, erwarte man heute auch
eine Verbesserung der Lebenssitutation, ein höheres persönliches
und soziales Funktionsniveau und eine Zunahme der Lebensqualität.
Aha, hat es also bei den vor Invega auf den Markt gekommenen Neuroleptika
nicht gegeben. Also jetzt Invega schlucken nach dem Motto "Mit dem
neuesten Psychopharmakon wird alles besser"? Offenbar muss man auf
die jeweils nächsten Marktprodukte warten, um relativierende Aussagen
über ihre Vorgänger zu bekommen. Warten wir also die nächsten
Publikationen ab, um zu hören, was an Invega alles auszusetzen ist.
Evtl. die 67% (von den Betroffenen) unerwünschten "Nebenwirkungen",
die leider nicht näher bezeichnet werden? Dafür erhält
man Informationen über Akutstudien, unerwünschte Wirkungen bei
besonders sensitiven Patientengruppen, Pharmakokinetik, Galenik, Metabolismus
usw. Nebenbei: Interessant, wie Empowerment und Recovery bereits in die
biologische Psychiatrie integriert sind. "'Recovery' ist ... ein
Stadium (≥ 24 Monate), in dem der Patient in der Gesellschaft sozial
und beruflich funktioniert und relativ frei von Symptomen (alle PANNS-Items
≤ 3) ist." (A. 8) "Der Patient muss bei der Bewältigung
der Erkrankung und ihrer Folgen unterstützt werden (Empowerment),
beispielsweise auch durch die Teilnahme an Selbsthilfegruppen." (S.
18). Schaut man unter den Internetadressen, fehlt bezeichnenderweise der
von Pharmasponsering unabhängige Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener,
dafür sind die üblichen pharmafirmengesponserten und -nahen
Verdächtigen vertreten: kompetenz-netz schizophrenie, Bundesverband
der Angehörigen, irrsinnig-menschlich, selbsthilfeschizophrenie (natürlich
mit vielen Links zur Pharmaindustrie). Die Auflage besteht aus 300 Exemplaren,
darüber hinaus wurden 10.000 Exemplare für die Herstellerfima
des Paliperidon, eines Risperdal-Abkömmlings, produziert. Beleg
siehe Scan der im Rezensionsexemplar eingeklebten Infoseite. Der dritte
Autor arbeitet bei der Herstellerfirma. Ob dies für vertrauenswürdige
Daten zu dem neuen 'atypischen' Neuroleptikum spricht? Kartoniert, VIII+80
S., 40 farb. Abb., 25 Tab., ISBN 978-3-13-134671-1. Stuttgart: Thieme
Verlag 2007. € 4.95 Peter Lehmann
Sigrid Falkenstein: Annas Spuren Ein
Opfer der NS-"Euthanasie"
Sigrid Falkenstein, 1946 geboren und lange Jahre Lehrerin in Berlin, beschäftigt
sich mit dem Schicksal ihrer 1915 geborenen Tante Anna, die von Ärzten
während der Nazizeit zuerst zwangssterilisiert und später in
der Anstalt Grafeneck vergast wurde. In dem Buch, als langer, empathischer
Brief an die Tante verfasst, versucht die Autorin, sich in deren Lebensumstände
einzufühlen, und (re-)konstruiert dabei untermauert durch
ein Aktenstudium ihr Bild einer jungen, aus der Familienerinnerung
nahezu ausgeblendeten und geistig beeinträchtigten Frau, wie es der
Wirklichkeit nahe sein könnte. Sorgfältig geht sie die verschiedenen
Lebensstationen der jungen Anna durch: Kindheit, Hilfsschule, Kirchengemeinde,
Kinderanstalt Bonn, Zwangssterilisierung in Mülheim an der Ruhr,
Psychiatrische Anstalt Bedburg-Hau, Deportation nach Grafeneck und dortige
Ermordung. "Wir können gemeinsam für eine humane, am einzelnen
Menschen orientierte Medizin und Politik eintreten und gegen die Stigmatisierung
und Ausgrenzung psychisch kranker und behinderter Menschen kämpfen,
im steten Gedenken an die Opfer" schreibt Sigrid Falkenstein im Nachwort
gemeinsam mit Frank Schneider, dem Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik
Aachen und ehemaligen Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für
Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, der an dem 2012 erschienenen
Buch mitgearbeitet hatte. Im selben Jahr sprach sich die DGPPN für
den konsequenten und vorbeugenden Einsatz von Elektroschocks aus. Frank
Schneiders psychiatrische Klinik hat jetzt auch wieder einen Elektroschockapparat.
Schon einmal gab es eine Initiative für die flächendeckende
Ausstattung von psychiatrischen Kliniken mit Elektroschockapparaten: 1942
durch die Organisatoren der T4-Vernichtungsaktion. "Es gibt kein
Verständnis von Gegenwart und Zukunft ohne Erinnerung an die Vergangenheit",
dieses Motto hat die Autorin ihrem Buch vorangestellt. Und im Klappentext
heißt es: "Diese Gräuel der Vergangenheit dürfen
nicht in Vergessenheit geraten, sie verpflichten zu einem verschärften
Nachdenken darüber, was Menschenwürde bedeutet und wie wir mit
den Schwächsten in unserer Gesellschaft umgehen." Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzumschlag, 191 Seiten, 26 Abbildungen,
ISBN 978-3-7766-2693-3. München: Herbig Verlag 2012. € 17.99 Peter Lehmann
Seth Farber: Madness, Heresy, and the Rumor of Angels: The Revolt
Against the Mental Health System
About visions, that express disturbing views in a disturbing way, under
the belief, that they have intimations of a spiritual reality. 7 true
stories of individuals (between others David Oaks) insulted and injured
by the psychiatric system individuals who then fought back, broke
free, and rebuilt their lifes. Preface by Thomas Szasz. Paperback, 284
pp., Chicago: Open Court Publishing Co. 1993, $ 17.95 Peter Lehmann
Heinz Faulstich: Von der Irrenfürsorge zur »Euthanasie«.
Geschichte der badischen Psychiatrie bis 1945
Detailreiches und von daher sehr informatives Buch über 100 Jahre
psychiatrische Reformen und Gräueltaten, Schwerpunkt
Baden, eingebettet in die überregionale Psychiatrieentwicklung. Angesprochen
(und belegt mit konkreten Zahlen und Quellen) werden tödliche Therapien
und Anstaltsbedingungen während der beiden Weltkriege. Faulstich
ist in psychiatrischen Denkstrukturen verfangen, als stellvertretender
Leiter der Anstalt Reichenau konnte er allerdings in seiner 13jährigen
Recherche viel verborgenes Material dem historischen Vergessen entreißen.
Kart., 359 S., 41 Abb., Freiburg: Lambertus Verlag 1993. DM 39. Peter Lehmann
Giovanni A. Fava: Antidepressiva absetzen
Anleitung zum personalisierten Begleiten von Absetzproblemen
Schon seit Jahren publiziert Giovanni Andrea Fava (geb. 1952, arbeitet
als Psychiater und klinischer Psychologe an der Universität Bologna)
in englischsprachigen Fachzeitschriften über Toleranzbildung, Wirkungsverlust
und Abhängigkeitsproblematik von Antidepressiva, speziell den Serotonin-
und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern. Jetzt hat er sein Wissen
über das Zustandekommen von Abhängigkeit und deren mögliche
Vorbeugung in einem richtungsweisenden Buch zusammengefasst. Es ist allerdings
kein Ratgeberbuch. Vielmehr liefert es die Voraussetzungen für ein
personalisiertes Begleiten beim Absetzen.
Antidepressiva gehören laut Mainstreampsychiatern zur Gruppe der
Medikamente, die keine Abhängigkeit erzeugen. Diese realitätsfremde
Einstufung hat zur Folge, dass Personen mit Problemen beim Absetzen in
der Regel weder Verständnis noch Hilfe bekommen. Hersteller müssen
in ihren Informationen nicht vor dem Risiko einer körperlichen Abhängigkeit
warnen, Ärztinnen und Ärzte können keine Differenzialdiagnose
stellen, das heißt, sie sollen nicht zwischen Entzugssymptomen und
der Rückkehr der Depression unterscheiden können. Dies bringt
Patientinnen und Patienten in Gefahr, unnötig mit Antidepressiva
weiterbehandelt zu werden. Außerdem wird viel zu schnell abgesetzt,
wobei laut Fava auch ein langsames Absetzen Entzugsprobleme nicht völlig
verhindert.
In zwölf Kapiteln erklärt Fava, wie Entzugssyndrome zustande
kommen und wie man das Risiko ihres Auftretens vermindern kann. Wie sich
Entzugssyndrome zeigen, die Physiologie von Entzugssyndromen zu erklären
ist und das Setting für ein begleitetes Absetzen aussehen sollte.
Er empfiehlt eine sogenannte Basiseinheit, bestehend aus a) einem Psychiater
mit angemessenem Hintergrundwissen sowohl in Pharmakologie und Psychotherapie,
b) einem Internisten, der insbesondere bei hormonellen und das Herz-Kreislauf-System
betreffenden Problemen eine spezialisierte medizinische Behandlung vornehmen
kann, und c) vier erfahrenen klinischen Psychotherapeuten. Alternativ
zur Basiseinheit könnte ein pharmakopsychologischer Dienst tätig
werden, der sich speziell mit Absetzproblemen bei Psychopharmaka befasst.
Erfahrungen mit früheren Behandlungen sollten laut Fava in die klinische
Bewertung des Absetzprozesses und in pharmakologische Strategien und Optionen
einfließen. Weiterhin schlägt er drei flankierende psychotherapeutische
Module vor (erklärende, kognitiv-behaviorale Therapie und die von
ihm selbst kreierte Well-Being-Therapie). Schließlich befasst er
sich mit der Prävention von Abhängigkeitsentwicklung und Entzugssyndromen.
Mit der Erklärung der Anpassungsreaktionen, das heißt der Veränderungen
am Serotonin-Transmittersystem, zeigt der Autor auf, dass es die Anwender
sind, die mit dem fortwährenden Verschreiben von Antidepressiva und
den ständig steigenden Dosierungen oder zunehmenden Kombinationen
Depressionen verschlimmern und chronifizieren. Dass eine andere Psychiatrie
nötig wäre.
Ein vernunftbetontes, an den Interessen der Betroffenen ausgerichtetes
Vorgehen; Psychiaterinnen und Psychiater, die die Wirkung von Arzneistoffen
im Organismus verstehen; erfahrene Psychotherapeutinnen und -therapeuten;
Teams mit Internistinnen und Internisten… Wir mögen den Kopf schütteln
und uns fragen, ob wir all dies noch zu Lebzeiten erleben werden. Doch
den Impulsfaktor dieses Buches sollte niemand unterschätzen. Millionen
von Betroffenen schlucken Antidepressiva; vielleicht wachen sie ja zunehmend
auf und stellen die Dauereinnahme dieser Chemikalien in Frage. Und vielleicht
interessiert sich doch eine Ärztin oder ein Arzt dafür, das
vor Zeiten in der Ausbildung erworbene Wissen dem weiterentwickelten Stand
der Wissenschaft anzupassen. Oder gar eine Krankenkasse oder ein Politiker
bzw. eine Politikerin überlegt, wieviel Geld mit kompetenter Absetzbegleitung
langfristig eingespart werden könnte. Fava: "Wenn wir dieses
Verfahren mit den versteckten Kosten vergleichen, die entstehen, wenn
wir Behandlungen einfach in die Länge ziehen und die Probleme ignorieren,
werden wir vielleicht feststellen, dass es sich auf jeden Fall lohnt."
Und zuletzt sollten wir nicht vergessen, wieviel Leid auf Seiten der Betroffenen
und ihrer Familien mit einer kompetenten Absetzbegleitung vermieden werden
könnte. Rezension
im Newsletter Seelische Gesundheit. Weitere Rezensionen in Seelenlaute
und unter dem Titel "Antidepressiva absetzen eine Herkulesaufgabe"
in Soziale Psychiatrie.
Kartoniert, 150 Seiten, ISBN 978-3-608-40149-3. Stuttgart: Schattauer
Verlag 2023. € 35. Peter Lehmann
Giovanni A. Fava: Discontinuing antidepressant
medications
Giovanni Andrea Fava has written a landmark book. The author has been
a professor of clinical psychology in Bologna since 1997 and a clinical
professor of psychiatry at the New York State University at Buffalo since
1999. There he established a department for depression. He has been publishing
in sepcialist journals about the tolerance and dependence on antidepressants,
specifically SRIs and SNRIs. Fava has finally shared his knowledge on
development and prevention of dependence in a concise and organized manner.
The book offers guidance on responsible prescribing of antidepressants
and highlights the importance of personalized support when discontinuing
them. For Fava depression is a severe illness that can have recurring
episodes and be life-threatening. He argues for a rational use of antidepressants,
limiting them to the most severe and persistent depressions, as they could
be life-saving.
According to the revised ICD 11, antidepressants belong to the group of
drugs that do not produce dependence. The consequence of this classification
is that people who have problems stopping antidepressants usually do not
receive understanding, help or rehabilitation services. The manufacturers
do not have to warn about the risk of physical dependence in their information
inserts, so doctors cannot make a differential diagnosis. Without a differential
diagnosis to differentiate between withdrawal symptoms of reducing or
discontinuing an antidepressant and a relapse of the presumed depressive
state, patients risk being unnecessarily treated with antidepressants
and getting worse prognoses for diseases with social consequences. And
doctors do not have a diagnosis code with which they can settle their
possible action when discontinuing with the health insurance companies.
In addition, withdrawal is done far too quickly, and according to Fava,
even slow tapering does not completely prevent withdrawal problems.
In twelve chapters he explains how withdrawal syndromes come about and
how one can reduce the risk of their occurrence. How withdrawal syndromes
manifest clinically, what the pathophysiology of withdrawal syndromes
is, how the decision to discontinue should be made and what the setting
for supervised discontinuation should look like: namely, a basic unit
consisting of a psychiatrist with adequate background knowledge in both
pharmacology and psychotherapy, an internist who can provide specialised
medical treatment, especially for endocrine and cardiovascular problems,
and four experienced clinical psychotherapists. As an alternative to the
basic unit, a pharmacopsychology service could operate, specifically dealing
with problems in withdrawal from prescribed psychotropic drugs.
He emphasises that experience with previous treatments should also be
included in the clinical assessment of the withdrawal process and in pharmacological
strategies and options. Furthermore, he proposes three flanking psychotherapeutic
modules (explanatory, cognitive-behavioural therapy and the well-being
therapy he himself created), and ends with a plea for the prevention of
dependence development and withdrawal syndromes.
By explaining adaptation reactions, i.e., changes in serotonin receptors
or receptor binding, Fava shows that it is the practitioners who aggravate
and chronify depression with the continuing prescription of antidepressants
and the ever-increasing dosages or increasing combinations. The interpretation
of substance-related withdrawal problems as "discontinuation syndromes",
i.e., problems to be located in those affected, only serves the interests
of the pharmaceutical industry; a different psychiatry is needed.
A rational approach based on the interests of those affected; psychiatrists
with a background in pharmacodynamics; experienced psychotherapists; teams
with internists... Even if we may shake our heads and wonder whether we
will experience all this in our lifetime, the impetus of this book should
not be underestimated. Millions of sufferers swallow antidepressants;
perhaps they will increasingly wake up and question the continuous use
of these chemical substances. And maybe one day a doctor will be interested
in adapting the now outdated knowledge acquired in training to the more
advanced state of science. Or maybe a health insurance company or a politician
will consider how much money and not to forget: how much suffering
on the part of those affected and their families could be saved
in the long run with competent support during withdrawal. Fava's impressive
book would certainly have a big part to play in this.
Review in the Journal of Critical Psychology, Counselling and Psychotherapy
(in print). Paperback, 192 pp., ISBN 978-0-19.289664-3. Oxford: Oxford
University Press 2022. GPD 29.99 Peter Lehmann
Wolfgang Fehse: Der Enkel des Fabrikanten
Der Sozialpsychologe Wilfried Madellan wird zufällig Gast des Geschehens
in der aus Deutschland stammenden von Lademannschen Familie, die in Südfrankreich
in einem herrlichen Anwesen wohnt. Ihn macht der Autor, Sohn einer Unternehmertochter
und eines im 2. Weltkrieg ums Leben gekommenen Soldaten, zum Zeugen der
in Romanform dargestellten Dramen: die Steigerung des Reichtums der Familie
im Faschismus durch die Ausbootung des jüdischen Gründers und
Miteigentümers einer Spielzeugfabrik, durch die Ausbeutung von Zwangsarbeitern,
durch bereitwilliges Mitläufertum und durch Waffenproduktion für
das Naziregime. Während die Mutter der Hauptperson, des 17jährigen
Konrad, auf Verdrängung der Vergangenheit besteht, leidet Sohn Konrad
psychisch unter der dunklen Vergangenheit. Er will das, das ihm sein Großvater
vor seinem Tod zumindest ansatzweise offenbarte, von der Familie bestätigt
haben. Dazu führt er dem Sozialpsychologen und schließlich
der Restfamilie in seinem satirischen Puppentheater Akt für Akt der
Familiengeschichte und deren Unterwerfung unter das Naziregime bzw. die
Bereicherung durch Geschäfte mit ihm auf. So zwingt er sie zur Auseinandersetzung
mit ihrer Geschichte, entkommt den herbeigerufenen psychiatrischen Häschern,
stiftet einen Teil seines Erbes an Sozialprojekte und befreit sich letztlich
von den "Schatten der Macht", die ihn über all die Zeit
verfolgten. Eine einzigartige Form der Auseinandersetzung mit einer eigenen
Familiengeschichte. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 231 Seiten, ISBN 978-3-9820313-5-4.
Bad Laer: Pohlmann Verlag 2019. € 17.40 Peter Lehmann
Christine Fellner: Hilf, dass ich wieder fliegen
kann! Gefangen in der Psychiatrie
Gedichtsammlung, verfasst von der Schwester einer durch psychiatrische
Gewalt, menschenverachtende Behandlung, Fixierung, Psychopharmaka und
zwangsweise verabreichte Elektroschocks u.a. in der Klinik und Poliklinik
für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum München
(Leitung: Peter Falkai) schwerst geschädigten Frau, durchsetzt von
Wut, Schmerz, Widerstand und Anklage gegen die psychiatrischen Menschenrechtsverletzungen.
Mit einer Anmerkung, in der die Autorin die verzweifelte Situation ihrer
Schwester erläutert. Kartoniert, 47 Seiten, ISBN 978-3-8280-2939-2.
Berlin: Frieling Verlag 2011. € 6.90. Bestellbar bei Christine Fellner,
stinave55[at]gmail.com,
Tel. 0151 / 15 66 71 25. Peter Lehmann
Christine Fellner: Atmen durch die Wüste
Durch christliches Gedankengut geprägte Gedichtsammlung, mit der
die Autorin in Krisen feststeckenden Menschen Hoffnung machen will. Kartoniert,
28 Seiten, ohne ISBN. Reimlingen: Verlag Mariannhill 2003. € 5.
Bestellbar bei Christine Fellner, stinave55[at]gmail.com,
Tel. 0151 / 15 66 71 25 Peter Lehmann
Jörg Fengler: Helfen macht müde. Zur Analyse und Bewältigung
von Burnout und beruflicher Deformation
Jörg Fengler, Psychologe, Gruppendynamik-Trainer und Professor an
der Heilpädagogischen Fakultät der Universität Köln,
betreibt ausgehend von 20 Jahren Helfer-Vergangenheit und dem Satz
»Klienten hinterlassen Spuren an ihren Helfern« zunächst
Spurensicherung (Kapitel 1-3: Helfen, Belastung, Berufliche Deformation),
um dann nicht Jagd auf die TäterInnen zu machen, sondern praxiserprobte
Vorschläge zur Verhinderung und Bewältigung von »Burnout«
(Kapitel 4-5 Bewältigung, Selbstbegegnung). Angenehm ist, dass ihn
nicht so sehr die vielbequengelte Hilflosigkeit der Helfer interessiert,
sondern mehr deren Ideale, Motive, Wünsche und Praxis. »Berufliche
Deformation soll alle Schädigungen, Verformungen, Fehlentwicklungen,
Abnutzungen, Verschleißerscheinungen, Erstarrungen, Fehlorientierungen,
Entfremdungen, Realitäts- und Wahrheitsverluste und Verkennungen
im Erleben, Verhalten und Denken bezeichnen, die im Laufe der Berufstätigkeit
und durch die Berufstätigkeit bedingt auftreten.« »Das
Gegenbild der beruflichen Deformation mag man vorläufig mit Frische,
Lebendigkeit, Präsenz, lebendigem gegenwärtigem Bezug zu Menschen,
Themen und Vorgängen bezeichnen.« Im Abschnitt »Helferverhalten«
gibt es neben »Einfühlung«, »Macht«, »Parteilichkeit«
u.a. eine Überschrift »Helfen durch Lassen«, wo Fengler
als Grundbedingung des hilfreichen Helfens nennt: »Die unbedingte
Zuneigung des Helfers, also eine Zuneigung, die nicht an Bedingungen geknüpft
ist, und den Verzicht des Helfers darauf, ihn ändern zu wollen.«
Solche Grundsätze könnten auch das antipsychiatrische Miteinander,
als gegenseitiges Helfen, angenehmer machen. Bei der Beschreibung »schwieriger
Klienten« wird's Fengler mulmig. Er will keine Schuld zuweisen, keine
Kliententypologie erstellen, spricht aber dann unter »Seelisch schwer
kranke Klienten« doch von »pathologisch verbogen«: »Dieses
Krankhafte ist ansteckend.« Da hat mich dann die Leselust verlassen,
auf Seite 71. »Helfen macht müde«, Lesen auch. Ich frage
mich, ob das Lesen solcher Bücher die berufliche Deformation durch
eine Anhäufung von Zu-Bedenkendem und den Verlust der Direktheit
vorantreibt oder ob es sie durch das Deutlichwerden der Blinden Flecke
stoppen kann. Kartoniert, 255 Seiten, München: J. Pfeiffer Verlag
1991. DM 28. Kerstin Kempker
Manfred M. Fichter: Magersucht und Bulimie Mut für Betroffene,
Angehörige und Freunde Ein nicht ganz billiges Buch mit umfassenden Informationen über
die drei Hauptformen von Essstörungen: Magersucht, Bulimie und Binge-Eating-Störung
(Heißhungerattacken) sowie frühe Warnsignale dieser von Manfred
Fichter, dem langjährigen ärztlichen Direktor und Chefarzt der
Medizinisch-psychosomatischen Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee, als
Krankheiten begriffenen Störungen. Die Fallbeispiele, die die Dramatik
dieser potenziell lebensbedrohlichen Probleme deutlich machen, machen
auch den Wert des Buches deutlich. Außer lesenswerten Kapiteln zu
Mythen und Fehlinformationen über Ernährung und Essstörungen
sowie über Psychotherapien und Psychotherapeuten enthält es
eine Fülle von konkreten Empfehlungen für Familien, Fragebogen
zur Selbstdiagnose, den Body-Mass-Index, einen Überblick über
psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten (unter Einschluss der
Warnung vor Zwangsmaßnahmen), eine Vielzahl hilfreicher Adressen
und Informationsmöglichkeiten sowie abschließende mahnende
Worte an Eltern, Kinder nicht nach dem eigenen Ebenbild formen zu wollen.
Kartoniert, IX + 105 Seiten, 8 Abbildungen 4 Tabellen, ISBN 978-3-8055-8208-7.
Basel usw.: Karger Verlag 2008. € 24.50 Peter Lehmann
Ingo Fietze: Über guten und schlechten Schlaf
Der Autor, Oberarzt für Innere Medizin an der Berliner Universitätsklinik
Charité, hat sich mit neuesten Erkenntnissen zu allen möglichen
Schlafproblemen und Maßnahmen zu deren Linderung oder Behebung beschäftigt
und diskutiert diese, auch anhand von Beispielen, in seinem Buch. Als
Vorsitzender der Deutschen Stiftung Schlaf und Leiter des interdisziplinären
schlafmedizinischen Zentrums an der Charité hat er viel Interessantes
zu berichten. Es geht um Schlafstadien, Ursachen von Schlafstörungen,
Schlafwandel, Alpträume, Einnässen im Schlaf, Mittagsschlaf,
pathologische Müdigkeit, Sekundenschlaf, Schichtarbeitersyndrom,
Schnarchen, Schlafapnoe, Zähneknirschen und Beinbewegungen in der
Nacht, Beschaffenheit von Betten, Lattenrosten, Matratzen und Kopfkissen.
Und vor allem geht es um Patienten mit massiven Schlafproblemen, die hilfesuchend
in sein Schlaflabor kommen. Finden sich keine äußeren oder
behebbaren Ursachen und geht der Autor von einer primären chronischen
Schlafstörung mit einer Dysbalance, das heißt einem Defekt
im Schlaf-Wach-Zentrum aus, empfiehlt er synthetische Psychopharmaka,
insbesondere Nichtbenzodiazepin-Tranquilizer (Z-Präparate: Zopiclon,
Zolpidem, Zaleplon), eventuell in Kombination mit Antidepressiva. Man
wisse zwar nicht, ob Z-Präparate wieder abgesetzt werden können.
Aber da sie von Ausnahmen wie alten Menschen, die unter ihrem Einfluss
vermehrt stürzen können, und jungen Schlafwandlern, deren Schlafwandeln
sich unter ihrem Einfluss verstärken könnte letztlich
unschädlich seien ("Mit ihnen kann man sich buchstäblich nichts
antun."), könnten sie dauerhaft auch in hohen Dosen genommen werden.
Lässt die Wirkung der Schlafmittel nach, könne man die Behandlung
umstellen, ergänzen, kombinieren. Dass Schlafmittel nach wie vor
einen miesen Ruf haben, sei ihm vollkommen unverständlich. Ob er
seine Patienten über Risiken seiner Substanzen informiert, beispielsweise
Infektionen des Atmungsapparats, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen,
Bauchschmerz, Leberschädigung, bei Überdosierung Bewusstseinsstörungen
bis hin zum Koma und manchmal mit tödlichem Ausgang? Weshalb er diese
offiziellen Herstellerinformationen in seinem Buch verschweigt und damit
Zweifel an dessen Seriosität heraufbeschwört, bleibt sein ärztliches
Geheimnis. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzumschlag, 207 Seiten, ISBN 9-783-0369-5716-6.
Zürich: Kein & Aber Verlag 2015. € 19.90 Peter Lehmann
Sera Fine: Erdlandung Die wahre Geschichte einer Seelenreise Belletristisches Buch eines irdischen Wesens (einer Psychiatriebetroffenen
mit Pseudonym, Jg. 1969), geschrieben aus Sicht des Aliens L587, über
den inneren Prozess eines seelischen Ausnahmezustands seiner Schutzbefohlenen
S., über andere gegenpolare männliche und weibliche Erdlinge,
über dunkel-magische psychiatrische Substanzen, die Erleichterungen
schaffen sollen und alles nur schlimmer machen, und über noch mehr
Mysteriöses, das L587 seiner Einsatzzentrale über die merkwürdige
herrschende Normalität auf Erden melden muss. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 298 Seiten, ISBN 978-3-741-25007-1.
Norderstedt: BoD - Books on Demand 2016. € 9.99 Peter Lehmann
Asmus Finzen: Medikamentenbehandlung bei psychischen Störungen Rezension,
erschienen in: Dr. med. Mabuse Zeitschrift im Gesundheitswesen
(Frankfurt am Main), 1994, Nr. 73, S. 57-58. Kartoniert, 297 Seiten. Bonn:
Psychiatrieverlag, , 8., neubearbeitete Auflage 1990. DM 19.80 Peter Lehmann
Asmus Finzen / Hans-Joachim Haug / Adrienne Beck / Daniela Lüthy:
Hilfe wider Willen. Zwangsmedikation im psychiatrischen Alltag
Versuch der Abwieglung einer öffentlichen Debatte über psychiatrische
Gewalt (»Hilfe«) durch die überzeugende Behauptung,
Zwangsmaßnahmen seien in der Psychiatrie »nicht charakteristisch«,
nur 3,7% der »Kranken« seien von Zwangs-»Medikation«
betroffen. Die Aussagen, auf die sich die Autoren stützen, stammen
zum Teil von Psychiatrie-Betroffenen, die sich noch auf den Stationen
von Finzens Psychiatrischer Unianstalt befinden und unter Psychopharmaka-Einfluss
stehen, die (nicht nur durch die Psychiateraussagen in diesem Buch) wissen:
die Ablehnung von Neuroleptika gilt als Krankheitssymptom und wird entsprechend
»behandelt«. Wäre es nicht angebracht, auch nur einen Gedanken
an die Qualität von Aussagen zuzulassen, die innerhalb des psychiatrischen
Gewaltbereichs getroffen werden? Solche blinden Flecken gibt es noch einige,
und der Rest ist ein Plädoyer für Überredungsstrategien,
den sichtbaren äußeren Zwang überflüssig zu machen.
Fazit des Buches: »Wenn die formalen und inhaltlichen Voraussetzungen
erfüllt sind wenn eine schwere psychische Krankheit vorliegt,
(...) dann gibt es u.E. nicht nur das Recht der Gesellschaft, eine solche
Behandlung zu erzwingen. Dann meinen wir, dass die psychisch Kranken selbst
ein Recht darauf haben, dass sie diese Hilfe auch bekommen. Wenn wir sie
ihnen vorenthalten, und sei es auch im Namen der Freiheit, ist das nicht
nur ein Angriff auf die Würde der Kranken. Es ist schlichte Barbarei.«
Finzen hat gesprochen. Kartoniert, 176 Seiten, Bonn: Psychiatrieverlag
1993, DM 29.80 Peter Lehmann
Asmus Finzen / Harald Scherk / Stefan Weinmann:
Medikamentenbehandlung bei psychischen Störungen. Leitlinien für
den psychiatrischen Alltag
Im Buch ist nachzulesen, wie Ärzte sich das Zustandekommen psychiatrischer
»Erkrankungen« aller Art und die Wirkungsweisen der eingesetzten
Psychopharmaka erklären. Man wisse viel zu wenig über biologische
»Hintergründe«, als dass man auch nur an den Versuch denken
könnte, in deren Ursachengefüge mit Psychopharmaka eingreifen
zu können schreiben sie im Vorwort. Um dann aber genau die
Verordnung von Psychopharmaka zu empfehlen. Diese könnten beitragen,
Leiden zu lindern und Selbstheilungskräfte zu aktivieren, rechtfertigen
sie die Behandlung. Dass sie aber auch zur 20-25 Jahre verminderten Lebenserwartung
beitragen können, dass psychopharmakabedingte Apathisierung schwerlich
Selbsthilfekräfte freisetzt, sagen sie nicht.
Wer nach Informationen über Risiken und unerwünschte Wirkungen
einzelner Psychopharmaka sucht, wird in dem Buch nicht fündig. Dabei
will es sich auch an die »Nutzer« wenden. Möglicherweise
hat das mit Studienergebnissen zu tun, die in der Einführung genannt
werden: Je mehr Informationen gesunde Studienteilnehmer zu Wirkungen und
Risiken einer neuen Behandlung hatten, desto weniger verlässlich
schluckten sie die Psychopharmaka, und das, obwohl deren Einnahme mit
Geld honoriert wurde. Bei psychiatrischer Behandlung sei das Ergebnis
ähnlich: Viele Patienten würden ihre Psychopharmaka frühestmöglich
absetzen, auch mit der Begründung, sie hätten der Medikamenteneinnahme
nicht aus freien Stücken zugestimmt. Ein Ideal müsse deshalb
ähnlich wie in »Umgang
mit Psychopharmaka« von Greve und Kolleginnen »shared
decision making« sein, von Finzen und Kollegen übersetzt mit
»gemeinsamer informierter Entscheidung«. Wie schwer tun sich
Psychiater doch zu begreifen, dass die Rechtslage einzig die Entscheidung
des Patienten über seine ureigenen Belange vorsieht. Darum geht es
im Buch aber nicht, sondern um Compliance, Adhärenz, Behandlungstreue,
sprich: Unterordnung unter das psychiatrische Regime.
Manche Passagen lesen sich angenehmer, beispielsweise wenn es zum Placebophänomen
heißt: »Wenn es einem Patienten besser geht, muss das nicht
unbedingt mit der verabfolgten Medikation zusammenhängen. Es kann
unabhängig davon sein; ja, die Besserung kann trotz der verabreichten
Medikamente eintreten.« Was die Frage des Abhängigkeitsrisikos
von Antidepressiva betrifft, eiern die Autoren herum immerhin,
besser als steif und fest die Tatsache körperlicher Abhängigkeit
in Abrede zu stellen, schreiben sie: »Antidepressiva machen nicht
abhängig wie Suchtmittel oder Benzodiazepine.« Allerdings lassen
sie die logische Folge vermissen: ... denn sie führen nicht zur
Sucht, sondern bloß zur körperlichen Abhängigkeit.
Ihre Unsicherheit wird erkennbar an Begriffen wie »sogenanntes Absetzsyndrom«
oder »Absetz- bzw. Entzugserscheinungen«, die bei allen Antidepressiva
aufträten. Körperliche Abhängigkeit von Neuroleptika ist
überhaupt kein Thema im Buch, nur psychotische Reaktionen bei abruptem
Absetzen. Jedoch verweisen die Autoren auf eine mit der Zeit abnehmende
Wirkung von Neuroleptika. Toleranzbildung ist bekanntlich ein Faktor von
Abhängigkeitsentwicklung.
Gelegentlich wird das Schema der Mainstream-Psychiatrie durchbrochen,
beispielsweise durch den Hinweis, bei Neuroleptika-Therapieresistenz komme
es vor, dass sich die Symptomatik unter einem Absetzversuch entscheidend
verbessere. Andererseits, im Falle einer Antidepressiva-Therapieresistenz
oder bei unbefriedigend wirkenden Antidepressiva-Neuroleptika-Kombinationen
seien Elektroschocks im Buch »EKT« genannt in
Erwägung zu ziehen: »Ebenso wie eine EKT als bewährte Methode
bei der Behandlung einer therapieresistenten (!) Depression selbstverständlich
eingesetzt wird, ist ein solcher Einsatz bei einer therapieresistenten
Manie genauso unvoreingenommen wünschenswert.« Die Verantwortung
für diesen Satz lehnten auf Nachfrage sowohl Stefan Weinmann als
auch Asmus Finzen ab. (Von Behandlungsresistenz sprechen Psychiater, wenn
zwei Antidepressiva unterschiedlicher Wirkstoffklassen nicht zur Besserung
führen.) Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 274 Seiten, ISBN 978-3-88414-585-2.
Köln: Psychiatrie Verlag, Neuausgabe 2017. € 30. Peter Lehmann
Gottfried Fischer: Neue Wege aus dem Trauma. Erste Hilfe bei schweren
seelischen Belastungen
Als "Deutschlands Traumapapst" lobt Psychologie heute
Herrn Fischer, lese ich auf dem Buchumschlag. Ich schlage das Buch auf,
bin auf S. 105, schnuppere mal rein, und ich denke, mich tritt ein Pferd:
"Werden soziale Einrichtungen mehrheitlich von seelisch kranken Personen
bestimmt, dann kehren sich die Verhältnisse um. Diktatoren, Massenmörder
und Folterer haben dann das Recht auf ihrer Seite." Ich bin bedient.
Dass Menschen mit psychischen Problemen undifferenziert und überhaupt
mit Massenmördern in eine Reihe gestellt werden, scheint für
Psychologie heute kein Grund zum Verzicht auf eine Huldigung zu
sein, für den Lektor des Walter Verlags stellt diese Entgleisung
offenbar auch kein Problem dar. Wenn ein Buchautor ein derartig diffamierendes
Bild von Menschen mit psychischen Problemen in sich trägt, sollte
er in sich gehen und das Weite suchen. Wie will er als Traumatherapeut
von Psychiatriebetroffenen ernst genommen werden? Original 2003. Englische
Broschur, 160 Seiten, mit CD (78 Minuten), ISBN 3-530-40176-5. Düsseldorf
& Zürich: Walter Verlag, 2. Auflage 2005. € 24.90 Peter Lehmann
Kerstin Fischer: Sergejs Schatten
Romanhafte Erzählung um zwei junge Menschen, Alba und Sergej, die
in ihrer Zuneigung nicht zu einander finden, da Sergei sozialisationsbedingt
Probleme hat, die Nähe zu Alba aufrecht zu erhalten, was sie in die
Suizidalität treibt. Mit 104 Seiten in 13.Punkt-Schrift und 6 cm
Zeilenbreite allerdings maßlos überteuert. Taschenbuch, 107
Seiten, ISBN 978-3-933022-57-8. Ludwigsfelde: Ludwigsfelder Verlagshaus
2009. € 13.80 Peter Lehmann
Kerstin Fischer: Das Gewächshaus
Mit Zitaten aus Fontanes "Effi Briest" angereicherte entwicklungsromanhafte
Erzählung um eine junge, studierende Magersüchtige und die Entdeckung
von Liebe und Sexualität in ihrem Leben. Mit 104 Seiten in 13.Punkt-Schrift
und 6 cm Zeilenbreite allerdings maßlos überteuert. Taschenbuch,
104 Seiten, ISBN 978-3-933022-45-5. Ludwigsfelde: Ludwigsfelder Verlagshaus,
2. Auflage 2007. € 13.80 Peter Lehmann
Christine Förster: Gewalt in der institutionellen Altenpflege
Die Autorin interviewte im Rahmen ihrer Diplomarbeit an der Evangelischen
Fachhochschule Ludwigshafen, Hochschule für Sozial- und Gesundheitswesen
drei Pflegekräfte, um Antworten auf die Fragen herauszufinden, welche
biographischen und sozialen Konstellationen auf die Ausübung von
Gewalt in der stationären Altenpflege fördern und welche Ressourcen
Gewalt vermindern. Die Ergebnisse der Untersuchung des in aller Regel
viel zu sehr vernachlässigten Themas der institutionellen Gewalt
liefern Ansatzpunkte für soziale und personale Interventionsformen
aller Beteiligter. Kartoniert, VIII + 156 Seiten, ISBN 978-3-940529-31-2.
Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag 2009. € 20. Peter Lehmann
Johannes M. Fox / Eckart Rüther (Hg.): Handbuch der Arzneimitteltherapie,
Band 1: Psychopharmaka
Die Autoren stellen bereits in der Einleitung klar, dass ihr Buch nach
der Entscheidung des Arztes ansetzt. Dass die Betroffenen in die Lage
versetzt werden, eine eigene Abwägung zu treffen, ob sie Psychopharmaka
einnehmen wollen, ist also nicht vorgesehen. Das Buch richtet sich an
Ärzte und Psychiater. Das Thema Alternativen wird ausgeblendet. Kritik
an Psychopharmaka, speziell Neuroleptika, wird zwar kurz erwähnt,
aber als »Laienmeinung« abgetan, Argumente werden verschwiegen,
dem Leser wird keinerlei kritische Literatur genannt nicht gerade
Zeichen eines gefestigten Standpunkts. Nur übersteigerte Erwartungen
und falsche Anwendungen seien schuld, dass Psychopharmaka im Licht der
Öffentlichkeit gelegentlich schlecht dastünden. Andererseits
zeigt das Buch übersichtlich, unter welchen medizinischen und pharmakologischen
Annahmen Psychiater ihre Psychopharmaka einsetzen, an welche positiven
Auswirkungen (viele!) sie glauben und welche negativen Auswirkungen (nicht
so viele!) sie sehen. Enthalten: Psychostimulanzien, Abmagerungsmittel,
Antidepressiva, Neuroleptika, Tranquilizer, Beruhigungsmittel, Entwöhnungsmittel,
hirndurchblutungsfördernde Mittel (sogenannte antidemenzielle Arzneimittel,
Nootropika). Wesentliche Gefahren aller psychiatrischen Psychopharmaka
(z.B. die Prolaktinerhöhung, die mit der erhöhten Brustkrebsrate
in Verbindung gebracht wird, Rezeptorenveränderungen, psychopharmakabedingte
Persönlichkeitsveränderung, Abhängigkeitsentwicklung auch
unter Antidepressiva und Neuroleptika) bleiben allerdings unerwähnt.
Das darin begründete Fazit »nicht empfehlenswert« können
auch die 117 Tabellen, die den großartigen Einsatz eines Computergrafikprogramms
widerspiegeln, nicht übertünchen. Gebunden, 378 Seiten, 16 Abbildungen,
Stuttgart / New York: Thieme Verlag 1998. DM 68. Peter Lehmann
Allen Frances: Normal Gegen die Inflation
psychiatrischer Diagnosen
Buch zur überhandnehmenden Pathologisierung allgemein-menschlicher
Verhaltensweisen und die dahinter steckenden Interessen geschrieben
von einem Insider, der als Co-Autor und Funktionär des US-amerikanischen
Psychiaterverbands an der Entwicklung der psychiatrischen Diagnosefibeln
"DSM 3" und "DSM 4" ("Diagnostic and Statistical
Manual of Mental Disorders" / "Diagnostisches und statistisches
Handbuch psychischer Störungen") maßgeblich beteiligt
war. Eigentlich ist Allen Frances, emeritierter Professor für Psychiatrie
und Verhaltensforschung, ein konservativer Psychiater, der an "Schizophrenie",
die erbliche Bedingtheit psychischer "Krankheiten" etc. glaubt.
Was seine Kollegen mit der neu erschienenen Fibel "DSM 5" gemacht
haben, geht ihm aber zu weit. Viel zu viel psychische Probleme seien als
Krankheiten neu aufgenommen worden, die Grenze zwischen natürlichem
Verhalten und krankhafter Psyche verschwinde zunehmend, die Macht der
Pharmaindustrie nehme beängstigend zu, die intensive Pharmawerbung
in Arztpraxen und in Direktwerbung beim allgemeinen Publikum in
den USA erlaubt - führe zu einem massiven Hochschnellen der Diagnoseraten
und zu entsprechenden Verkaufsziffern. (In einem Zeitungsinterview zum
Buch spricht Frances davon, dass in den USA derzeit 83% aller Kinder mit
einer psychiatrischen Diagnose leben.) Eingebettet in eine Übersicht
über Modekrankheiten der Vergangenheit (wie Besessenheit, Tanzwut,
Vampirhysterie) kritisiert er Modekrankheiten wie das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom,
bipolare Störungen in der Kindheit (schon bei Zweijährigen)
oder soziale Phobie Verhaltensprobleme, die durch die diagnostische
Festlegung als psychische Störung mit Diagnosenummer im Interesse
der Pharmafirmen zu massiven Profiten auf Kosten der Allgemeinheit führen
und die Betroffenen Menschen mit normalen Problemen, aber "falscher"
Diagnose in einen Teufelskreis aus Stigmatisierung, Selbststigmatisierung
und möglicherweise lebenslanger Pharmaabhängigkeit bringen.
Neben der Neuaufnahme konstruierter Krankheiten sei zudem die Schwelle
für einige psychische Störungen wesentlich herabgesetzt worden.
Früher hätte man beispielsweise nach dem Tod eines geliebten
Menschen lange trauern können, was als normal empfunden worden wäre;
wer heute aber nach zwei Wochen noch traurig ist mitsamt den Trauersymptomen
wie Appetitlosigkeit oder schlechtem Schlaf, sei dem "DSM 5"
zufolge als krankhaft depressiv zu diagnostizieren. Aus Kindern mit Wutanfällen
würden bipolare Patienten, aus schussligen Alten Demenzkranke etc.
Begrenzt vorhandene Gelder gingen zur Behandlung einfacher Verhaltensprobleme
drauf und würden schließlich zur Behandlung "echter"
Krankheiten fehlen, ein Skandal in Frances' Augen. Wer darauf wartet,
dass Frances die um durchschnittlich zwei bis drei Jahrzehnte reduzierte
Lebenserwartung psychiatrischer Patienten zum Thema macht, die grundsätzliche
wissenschaftliche Fragwürdigkeit von psychiatrischen Standarddiagnosen
wie "Schizophrenie" oder Menschenrechtsverletzungen per gewaltsamer
Verabreichung von Psychopharmaka und Elektroschocks, der sollte wissen,
dass dies alles nicht im Buch erscheint. Die fast 400 Seiten Abhandlung
über das Manipulieren von Diagnosekriterien durch seine Kollegen
sind jedoch ausgesprochen lesenswert, da von einem absoluten Insider geschrieben,
der nach seiner Pensionierung nichts mehr zu verlieren hat. Zudem ist
das Buch obwohl von einem Psychiater verfasst flüssig
und auch für Menschen ohne medizinische Ausbildung leicht verständlich
geschrieben. Wer den Einstieg sucht, um sich mit psychiatrischen Diagnosen
kritisch auseinanderzusetzen, für den ist dieses Buch unbedingt lesenswert.
Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzumschlag, 430 Seiten, Nachwort
von Geert Keil. ISBN 978-3-8321-9700-1. Köln: DuMont Buchverlag 2013.
€ 22. Peter Lehmann
Luitgard Franke: Demenz in der Ehe Über
die verwirrende Gleichzeitigkeit von Ehe- und Pflegebeziehung. Eine Studie
zur psychosozialen Beratung für Ehepartner von Menschen mit Demenz
Wie verträgt sich das fragile Gebilde einer bürgerlichen
Ehe mit der Demenz einer Ehehälfte? Was passiert in der Ehe, wenn
ein Partner dement wird? Kann eine Ehe eine solche Verschiebung der Balance
überhaupt verkraften? Wenn sich eine Ehe durch die Demenz der einen
Ehehälfte in etwas anderes verwandelt, was ist dann dieses neue andere?
Und was passiert mit der pflegenden Ehehälfte, was macht ihr die
durch den Verlust der personenbezogenen Stabilität entstandene neue
innere Heimatlosigkeit erträglich? Luitgard Franke ging in ihrer
Dissertation an der Fakultät für Pädagogik der Universität
Bielefeld in beeindruckend umfassender Weise diesen überfälligen
Fragen nach, zeigt Konsequenzen für die Pflegepraxis auf und eröffnet
Perspektiven für die theoretische Weiterentwicklung der psychosozialen
Angehörigenberatung.Kartoniert, 454 Seiten, 21 Abbildungen,
ISBN 10: 3-938304-49-9, ISBN 13: 978-3-938304-49-5. Frankfurt am Main:
Mabuse-Verlag 2006. € 39.90 Peter Lehmann
Freundeskreis Paul Wulf (Hg.): Lebensunwert? Paul
Wulf und Paul Brune. NS-Psychiatrie, Zwangssterilisierung und Widerstand Sorgfältig gemachtes Buch über das Schicksal zweier in
der Nazipsychiatrie Zwangssterilisierter und über ihre Anstrengungen
nach der Befreiung vom Faschismus, die nachkommenden Generationen über
die Verbrechen der Psychiatrie während des Hitlerfaschismus aufzuklären
und um eine Entschädigung zu kämpfen. Das Buch, entstanden nach
dem Tod von Paul Wulf 1999 mit der Intention, seinen Nachlass aufzuarbeiten
und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, spannt den Bogen
von der NS-Ideologie "lebensunwerter" Existenz über die Psychiatriereform,
die mit ihrem Psychopharmaka-Einsatz durchaus nicht nur positiv gesehen
wird (wie dies bei vielen sich kritisch gebenden Büchern ansonsten
leider allzuoft der Fall ist), bis hin zur aktuellen Renaissance der Diskussionen
um Menschenzucht und Sterbehilfe. Kartoniert, 202 Seiten, 70 schwarz-weiße
Abbildungen, ISBN 978-3-939045-05-2. Nettersheim: Verlag Graswurzelrevolution
2007. € 14.90 Peter Lehmann
Susanne Fricke / Iver Hand: Zwangsstörungen verstehen und bewältigen
Hilfe zur Selbsthilfe
Anleitung zur Selbsttherapie mit vielen Beispielen und praktischen Tips.
Geeignet für Leute, die mit ihren Zwängen nicht mehr zurecht
kommen, keine andere Möglichkeit der Abhilfe sehen und sich weder
durch den etwas lehrerhaften Ton, angesiedelt zwischen Herablassung und
Kumpelhaftigkeit, stören lassen noch durch die Tatsache, dass das
aktuelle Forschungsprojekt der "Deutschen Gesellschaft für Zwangserkrankungen"
(DGZ), dessen Gründungsvorsitzender Iver Hand ist und dessen Wissenschaftspreis
2003 Susanne Fricke erhielt, laut der im Buch angegebenen DGZ-Website
aus stereotaktischer Tiefenhirnstimulation besteht, siehe Anmerkung am
Ende des Rezensionstextes. Diese 2. Auflage begnügt sich mit dem
Hinweis auf Selbsthilfegruppen (ausschließlich den eigenen Verband),
Psychotherapie und natürlich synthetische Psychopharmaka, speziell
die marktaktuellen Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Diese werden trotz
ihrem Risikoreichtum und der bekannten möglichen Schäden verharmlosend
dargestellt ("meistens gehen die Nebenwirkungen nach ein bis zwei
Wochen wieder weg"), paradoxe Reaktionen wie z.B. suizidale Wirkungen
oder Rezeptorenveränderungen (Downregulation) und demzufolge körperliche
Abhängigkeit, steigende Dosierungen zwecks Beibehaltung der Wirkung
und Entzugsprobleme beim Absetzen werden gar nicht erwähnt
Pharmasponsering lässt grüßen. Wer sich über den
Sinn und Zweck der Einnahme von Psychopharmaka informieren will, für
den bzw. die wird der Hausarzt oder die Psychiaterin als einzig "richtiger
Ansprechpartner" empfohlen. Die Geringschätzung des Erfahrungsschatzes
von Betroffenen könnte kaum deutlicher zum Vorschein kommen. Anmerkung:
Unter www.zwaenge.de/aktuelles/media/Tiefenhirnstimulation.pdf, quasi
im Anhang des Buches, finden Interessierte Adressen von Ansprechpartnern
der DGZ, wenn sie sich ihre Schädeldecke aufbohren und eine Stimulationselektrode
in den rechten Nucleus accumbens, eine spezielle Hirnregion, einsetzen
lassen wollen. Da der Neurochirurg nach der Operation den Impulsgenerator,
der unterhalb des Schlüsselbeins in den Körper eingebaut wird,
auf die geeignete Stimulationsintensität und -frequenz programmiert,
um Zwangssymptome zu unterdrücken, wäre die Bedienung des Impulsgenerators
durch den auf die Haut aufgelegten Programmierkopf ein weitergehender
Schritt zur sozialpsychiatrischen Selbsthilfe. Die Betroffenen könnten
auf diese (elektromagnetische) Weise die Fernsteuerung in ihrem Gehirn
selbstbestimmt und gemeindenah ein- und ausschalten. Da es sich um ein
aktuelles Forschungsprojekt der DGZ handelt, ist dieses Thema in der vorliegenden
zweiten Auflage des Buches leider noch nicht ausgeführt, man darf
also auf die nächste Auflage gespannt sein. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 125 Seiten, ISBN 3-88414-365-4. Bonn:
Psychiatrieverlag, 2. Auflage 2005. € 12.90 Peter Lehmann
Annette M. Fried / Joachim Ph. Keller: Identität und Humor. Eine
Studie über den Clown
Fried und Keller betreiben Experimentelles Animations- und Clownstheater.
Buchumfang, Gewicht, Theorieteil und Belesenheitsnachweis sind wie bei
anderen Dissertationen auch. Der praktische Hintergrund, viele Szenenbeispiele
und die thematisierte liebenswerte Unvernunft machen es gut lesbar. Besonders
fesselte mich der erste Teil zu Ursprung, Bedeutung, Ausdruck und Abgrenzung
des Clowns als des Gegenteilers. »Der Gegenteiler zur
abendländischen Kultur versprüht mit dem ganz und gar nicht-rationalen
Lachen einen Funkenregen ekstatischer Selbstentäußerung, dessen
Intensität und Animation sich die sterile, sachliche Überlegenheit
der herrschenden Vernunft nicht zu bemächtigen vermag. Nichts stellt
herrschende Vernunft mehr in Frage als das, was ihrer Herrschaft sich
entzieht.« Kartoniert, 637 Seiten, Frankfurt/Main: Haag & Herchen
1991. DM 68. Kerstin Kempker
Rainer Fromm / Richard Rickelmann: Ware Patient. Woran unsere medizinische
Versorgung wirklich krankt Buch über Korruption und Vorteilsannahme unter den sogenannten
Leistungserbringern im Gesundheitswesen, mit vielen sorgfältig recherchierten
und belegten Beispielen. Über den Trick mit Anwendungsbeobachtungen,
über Korruption von Sanitätshäusern, über Bestechungspraktiken
seitens Pharmareferenten, über die Macht der Pharmaindustrie und
ihre Abzocke per Hochpreispolitik, über Polypharmazie insbesondere
bei alten Menschen (inkl. Neuroleptika "chemische Gewalt"
zur personalsparenden Ruhigstellung von Heimbewohnern), über Manipulation
bei Pharmastudien, über die unheilige Allianz zwischen Pharmaindustrie
und Gesundheitsbürokratie, über gefährliche Nahrungsergänzungsstoffe
und über nötige Gegenmaßnahmen, um das Solidarsystem der Krankenversicherung
nicht völlig vor die Hunde gehen zu lassen. Kartoniert, 256 Seiten,
ISBN 978-3-8218-6522-5. Frankfurt am Main: Eichborn Verlag 2010. €
17.95 Peter Lehmann
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