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des Antipsychiatrieverlags
in: Widerspruch Beiträge zur sozialistischen Politik
(Zürich), 12. Jg. (1992), Heft 23, S. 113-124
"Die Elektroschock-'Therapie' ist die Bankrotterklärung
der Psychiatrie."
Mariella Mehr
Marc
Rufer
Biologische Psychiatrie und Elektroschock
Für ein Verbot des Elektroschocks
Im September 1984 fand das erste Dreiländer-Symposium für
Biologische Psychiatrie statt. In Lindau wurden damals auf Initiative
der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie die
Kontakte mit der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für
Neuropsychopharmakologie und Biologischen Psychiatrie und der
Schweizerischen Vereinigung für Biologische Psychiatrie enger
geknüpft.
Im Geleitwort zum Sammelband, in dem die Referate dieses Symposiums
publiziert wurden, führte Prof. Wolfram Keup, München
aus: "Die Psychiatrie ihrerseits findet sich heute, wenn auch
schon abnehmend, im Feuer emotional geführter Angriffe einer
wohl existentiell begründeten Ablehnung, gipfelnd in der
Antipsychiatrie, der sich leider die Medien zu gern geöffnet
haben, so dass ein vorübergehendes Einverständnis der
Bevölkerung daraus resultiert einer Bevölkerung,
die zunehmend an der Unsicherheit des Urteils leidet.
Es wäre kein Wunder, wenn sich die Wissenschaftler der biologisch-psychiatrischen
Arbeitsrichtung zurückzögen an ihren Arbeitstisch, in
ihr Labor, zu ihren Patienten. Aber das könnte der Sache
nicht dienen! Wir werden vielmehr vermehrt nach aussen gehen müssen,
werden zu Laien, in Schulen, in Bürgerversammlungen und zu
Politikern sprechen müssen und dürfen uns nicht in einem
elfenbeinernen Turm einschliessen.
Deswegen erlauben Sie mir bitte, dass ich Sie zu Beginn dieses
Kongresses herzlich bitte, ja auffordere: Tragen Sie dieses Wissen,
das aus Ihrer Arbeit kommt, und das wir in diesem Kongress vertreten,
hinaus. Werben Sie um Verständnis. Zeigen Sie die menschliche,
die Alltagsseite dieser Arbeit denen, die glauben, sie könnten
dieses Gebiet nicht verstehen oder müssten es ablehnen. Seien
Sie sich bitte nicht zu gut dafür, diese so wichtige Arbeit
auf sich zu nehmen. Gewinnen Sie uns Freunde gerade auch
unter den jungen Menschen, die heute in so erfreulicher Weise
wieder weltoffen und kritisch sind." (Wolfram Keup 1986, X)
Ganz im Sinne dieses Aufrufes gehen in der Schweiz die Vertreter
der biologischen Psychiatrie zunehmend in die Offensive und scheuen
sich nicht, sogar den sehr problematischen Elektroschock anzupreisen.
Das Wort Elektroschock jedoch würden die PsychiaterInnen
am liebsten verbieten. Sie sprechen heute viel gewählter
von "Elektrokonvulsions-Therapie", von "Elektrobehandlung" oder
gar von "Elektroheilkrampfbehandlung". So Prof. W. Pöldinger,
Chefarzt der Psychiatrischen Universitätsklinik in Basel:
"Die 'Elektroheilkrampfbehandlung' ist auch heute noch eine sehr
wirksame Methode, da sie vor allem endogene Depressionen in relativ
kurzer Zeit intensiv beeinflusst. Der Grund, warum sie heute an
vielen Orten nicht mehr angewendet wird, ist vor allem in einer
sachfremden Kritik und einer Kampagne der Massen-Medien zu sehen."
Walter Pöldinger, 1988, 89) Unterschlagen wird hier, dass
von 1938 bis 1990 weltweit zwischen 10 und 15 Millionen elektrisch
geschockt wurden. (Leonhard Roy Frank 1990, 493)
Der Ansicht von Prof. Pöldinger entsprechend beabsichtigt
der Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Königsfelden Mario
Etzensberger, nach einem Unterbruch von 12 Jahren wieder Elektroschocks
durchzuführen. Nachdem 1981 in der Schweiz die Zahl der
geschockten Betroffenen auf 166 abgesunken war, waren es 1985
bereits wieder 520. Dieser Anstieg entspricht einer weltweit gültigen
Tendenz. In den 90er Jahren ist mit einer weiteren Zunahme zu
rechnen. Gemäss einer noch nicht veröffentlichten Umfrage
der Zürcher Universitätsklinik Burghölzli plant
jede zweite psychiatrische Klinik in der Schweiz, inskünftig
vermehrt Elektroschocks anwenden. Eine erneute ablehnende Reaktion
der Medien soll diesmal verhindert werden. Etzensberger ergriff
die Gelegenheit, seine Ansicht zum Elektroschock in der Sendung
"Schweiz aktuell" des Fernsehens DRS vom 24.1.92 zu erläutern.
Womit er und weitere Psychiater offensichtlich nicht gerechnet
hatte: In dieser Sendung wurde ein Elektroschock gezeigt und zwei
Betroffene erzählten von ihren schlechten Erfahrungen mit
dieser "Behandlungsmethode".
Doch Etzensberger geht es nicht nur um den Elektroschock. Es
ist ihm ein wichtiges Anliegen, den Kontakt zwischen PsychiaterInnen
und Medienleuten aller Art zu verbessern. Unter dem Titel "Königsfelder
Seminar" fand deshalb vom 12. bis 14. März eine Begegnung
zwischen JournalistInnen und Vertretern der Psychiatrie statt.
Anwesend waren ungefähr 20 PsychiaterInnen aus Königsfelden,
Basel, Bern, Solothurn, Zürich und annähernd ebenso
viele Medienschaffende. Organisiert wurde die Tagung vom Ringier
Verlag, der sie auch gemeinsam mit der Pharmafirma Kali Duphar
sponserte.
Bereits in der Einladung zum Seminar hatte Dr. Etzensberger geschrieben:
"Psychiatrie ist für viele Menschen ein ängstigendes
Schreckgespenst. Kliniken sind Orte des Grauens, der Gewalt, der
Manipulation, der chemischen Zwangsjacke. Endstationen ohne Hoffnung.
(...) Enthüllungsjournalismus ohne sorgfältige Recherchen
ist typisch für skrupellose Schreiberlinge, die die öffentliche
Meinung manipulieren." Die Medienleute wurden mit Nachdruck angehalten,
dieses böswillig verbreitete Schreckensbild zu korrigieren,
appelliert wurde an ihre Informationspflicht, angesagt war Imagepflege
und zwar dringlichst. Für Prof. Ernst stand nach der erwähnten
TV-Sendung zum Thema Elektroschock fest: "Desinformation der Öffentlichkeit
kann zur Grausamkeit gegenüber einer Minderheit besonders
hilfsbedürftiger Kranker führen." (NZZ, 14.2.92) Auch
während des Seminars wurde lange über die genannte Sendung
diskutiert. Dem Fernsehjournalisten Theo Stich wurden vor allem
zwei Vorwürfe gemacht. Einerseits hatte er die veraltete
Methode (ohne Narkose und Muskellähmung) im Bild gezeigt,
andererseits äusserten sich zwei Betroffene kritisch zum
Elektroschock dies, wohlverstanden, neben den Voten von
drei Chefärzten von psychiatrischen Kliniken. Der eine Betroffene
er erinnerte sich nur an einen einzelnen Schock
hatte eben gerade erfahren, dass er 16 Stromstösse erhalten
hatte. Nach mehr als zehn Jahren war hier also eine bleibende
Gedächtnislücke vorhanden. Und dies obschon der Mann
nach der modifizierten Methode behandelt worden war.
Was sind Elektrobehandlungen?
PsychiaterInnen verabreichen Elektroschocks vor allem Menschen,
die als schwer depressiv, akut selbstmordgefährdet oder als
"schizophren" (akute bedrohliche "Katatonien") diagnostiziert
wurden dies weil Antidepressiva und Neuroleptika einerseits
weniger wirksam seien und andererseits unangenehmere und gefährlichere
Nebenwirkung haben. Diese Argumentation ist unhaltbar, da "depressiven"
Menschen zusätzlich zu den Elektroschocks während Monaten
Antidepressiva gegeben werden. Und auch bei der Behandlung der
"Schizophrenie" wird kaum je auf die Verschreibung von Neuroleptika
verzichtet, die Kombination von Elektroschock und Neuroleptika
wird vielmehr als "sinnvoll" bezeichnet.
Was hier in einer medizinischen Terminologie vertreten wird ist
in der Tat, wie Mariella Mehr richtig sagt, die Bankrotterklärung
der Psychiatrie. Elektroschock als therapeutische Praxis lässt
sich, nach allem, was darüber bekannt ist, nicht rechtfertigen.
1952 wurde das erste Neuroleptikum eingeführt, 1957 das erste
Antidepressivum entdeckt. Die Einführung dieser Psychopharmaka
wurde als Wende, als Beginn eines neuen Abschnittes der Psychiatriegeschichte
gefeiert. Von nun an konnten PsychiaterInnen in beruhigten Spitälern
Medikamente verordnen. Die Zeit der lauten Irren-Anstalten, die
Zeit der grausamen Behandlungs-Methoden u.a. Lobotomie
(psychochirurgischer Eingriff) und Elektroschocks die in
den 30er Jahren eingeführt wurde, sei vorbei, glaubte man
damals. Und heute wird erneut der Elektroschock propagiert, eine
"Behandlung" die bereits vor der psychopharmakologischen Revolution
des Jahres 1952 umstritten war.
Es wird nun zwar von den Befürwortern behauptet, dass die
Elektroschock-"Behandlung" wesentlich verbessert sei.
Die modifizierte Methode (sie wird in Narkose durchgeführt,
die Krämpfe werden durch muskellähmende Medikamente
verhindert und beide Elektroden werden auf der nicht-dominanten
Seite des Gehirns- unilateral angesetzt) sei neu besser,
humaner, bewirke kaum mehr Gedächtnisstörungen. Doch
bereits 1940 wurde das Pfeilgift Curare (das Muskellähmung
bewirkt) verwendet, Anfang der 50er Jahre wurden Schocks am narkotisierten
Betroffenen durchgeführt, und die unilaterale Plazierung
der Elektroden wurde Ende der 50er Jahre eingeführt (Frank).
Narkose und Muskellähmung verhindern, dass Krämpfe sichtbar
werden; doch im Gehirn das Elektroencephalogramm zeigt
es löst der elektrische Strom unverändert dieselben
Krampfpotentiale aus. Und es gibt nun auch die Gefahr eines Narkosezwischenfalls.
Die unilateralen Applikation bewirkt etwas geringfügigere
sprachliche Gedächtnisstörungen. Doch geschädigt
werden nun Strukturen der nicht-dominanten Hemisphäre (bei
80 bis 90% der Menschen ist es die rechte), ihr wird die Speicherung
und Verarbeitung von visuellen, räumlichen, musikalischen
und emotionalen Eindrücken zugeordnet, sie ist auf die Wahrnehmung
ganzheitlicher Zusammenhänge ausgerichtet. Verschiedene Medikamente
(Benzodiazepine und Barbiturate), die zur Beruhigung vor dem Schock
und zur Narkoseeinleitung gegeben werden, erhöhen die Krampfschwelle.
Es muss deshalb gesamthaft mehr elektrische Energie (grössere
Stromstärke oder längedauernde Stromstösse) angewendet
werden, um den aus psychiatrischer Sicht notwendige Grandmal-Anfall
(grosser, resp. generalisierter epileptischer Krampfanfall) von
mindestens 35 Sekunden Dauer auszulösen. Zudem kommt es bei
der unilateralen Anwendung auf kleinerem Gebiet zu grösseren
Stromkonzentrationen, was die Gefahr der Gehirnschädigung
in diesem Bereich zusätzlich erhöht. Zudem muss betont
werden, dass es auch unter Befürwortern des Elektroschocks
namhafte Gegner der unilateralen Methode gibt. Der bekannte Lothar
Kalinowsky gibt an, dass eine Mehrheit der "Elektroschocker" wiederum
die bilaterale Methode anwenden würden, weil diese viel wirkungsvoller
sei. Auch Sackheim sowie Hippius, Klein, Decina, Prohovnik, Malitz
und Abrams betonen, dass die unilaterale Methode weniger wirkungsvoll
sei (1). Die eben nur leicht modifizierte Methode ist demnach
weder neu, besser noch grundsätzlich humaner. Mit dem Hochspielen
dieser sogenannten Verbesserungen soll "wissenschaftlich" begründet
von einem ausserordentlich wichtigen Sachverhalt abgelenkt werden.
Weltweit wird die Kritik der Psychopharmaka lauter und lauter.
Der Widerstand der Betroffenen gegenüber dieser Behandlung
nimmt von Jahr zu Jahr zu. Die Abnahme der Zahl der Elektroschock-Behandlungen
in den 70er-Jahren (2) ging, wie verschiedene Schweizer-PsychiaterInnen
angeben, auf die "unkundige und tendenziöse" Berichterstattung
in den Massenmedien zurück. Das bis heute vorwiegend "lautlose
Comeback" (Spiegel) des Elektroschocks hat meiner Ansicht nach
viel mit der zunehmenden Ablehnung der Psychopharmaka zu tun.
Je nach Anzahl und Intensität der Elektroschock-Behandlungen
(üblicherweise werden im Laufe von zwei bis drei Wochen 8
bis 12 Stromstösse appliziert) leidet der Betroffene beim
Erwachen an einem akuten hirnorganischen Psychosyndrom. Charakteristisch
dafür sind: eine zeitliche, räumliche und personenbezogene
Verwirrung und Desorientiertheit, Gedächtnisstörungen,
insbesondere bezogen auf unmittelbar vorangegangene Ereignisse,
zudem eine allgemeine Störung aller intellektuellen Funktionen
wie Verständnis, Lernen und abstraktes Denken sowie eine
Beeinträchtigung der Urteils- und Kritikfähigkeit und
"verflachte" beziehungsweise unangemessene emotionalen Reaktionen,
wechselnd von Euphorie bis Apathie, häufig heftige Kopfschmerzen,
Übelkeit körperliche Erschöpfung und Unwohlsein.
Die Betroffenen fühlen sich sehr hilflos und ängstlich.
Peter Breggin vergleicht die Resultate der modifizierten und
der ursprünglichen Methode genau: "Die neue Literatur zur
modifizierten Methode enthält weniger Autopsieberichte. Damit
kann man nicht die Ansicht verbinden, die Sterbeziffer habe abgenommen."
Vielmehr gehe aus verschiedenen Publikationen hervor, dass vor
allem die medikamentös erzeugte Muskellähmung und die
Anästhesie die Sterblichkeitsrate erhöhe. (Peter Breggin
1980, 83) Die Ursache der Todesfälle sind unter anderem Hirnblutungen
und Herzversagen.(3)
"Da sich der elektrische Strom als Hauptursache der Schädigungen
erwiesen hat, sind gleichartige Auswirkungen der modifizierten
und der unmodifizierten Methode nicht weiter erstaunlich." (Peter
Breggin 1980, 85)
Tierexperimente belegen, dass Elektroschocks schwere und häufig
bleibende Hirnschädigung verursachen. Auch Autopsien des
menschlichen Gehirns weisen ähnliche Zerstörungsmuster
nach. Die häufigsten Befunde sind diffuse Verletzungen kleiner
Blutgefässe, Gefässwandveränderungen, petechiale
(mr: punktförmige) Blutungen, Gliawucherungen (mr: die Glia
ist das Stützgewebe des Zentralnervensystems), Degeneration
und Tod von Neuronen. (Peter Breggin 1980, 58)
Verschiedene Autoren geben an, dass Frauen mindestens doppelt
so oft geschockt werden wie Männer: U.a. wird dieser Befund
von Thompson und Blaine erwähnt (Norman S. Enlder 1988, 29)
auch die schweizerische Psychiaterin C. Ernst berichtet von einer
Studie, die diesen Befund bestätigt (C. Ernst 1982, 1399).
Peter Breggin erwähnt verschiedene Studien, die das Verhältnis
zwischen geschockten Frauen und Männern mit 2:1, 2,35:1 und
3:1. angeben (Peter Breggin, 1980,.23, 167, 238). Leonhard Frank
schreibt, dass Frauen mehr als zwei Drittel der Elektroschocks
erhalten (L. Frank 1990, 494). Und es wird auch behauptet, dass
Frauen besser auf Elektroschocks ansprechen als Männer. (Breggin
1980, 225.) Dies entspricht genau der Angabe des Psychochirurgen
Walter Freeman, dass Frauen auf die Lobotomie besser reagieren
als Männer, Schwarze besser als Weisse (Stephan L. Chorover
1982, 224) Dementsprechend wurde häufig die Empfehlung publiziert,
dass nur Menschen geschockt werden sollen, bei denen Gedächtnis
und intellektuelle Fähigkeiten keine besondere Bedeutung
für die Sicherung des Lebensunterhaltes haben. (Peter Breggin
1980, 225) Ferner sprechen gemäss Pollack und Fink im Ausland
geborene und beruflich weniger qualifizierten Personen eher "besser"
auf Elektroschocks an. (Peter Breggin, 1980, 225) Dem psychiatrischen
Blick fällt es offensichtlich leicht einerseits, die Frau
generell als minderwertiger zu betrachten, andererseits wird gleichzeitig
festgelegt, dass sie ihren allenfalls vorhandenen Verstand, ihre
intellektuelle Urteils- und Kritikfähigkeit sowie Kreativität
weniger dringend benötigt als Männer.
Die als Folge der Elektroschock-"Behandlung" auftretende allgemeine
Verunsicherung und die Gedächtnisstörungen führen
dazu, dass die Bezugspersonen der Betroffenen vergangene Situationen
und Ereignisse nach ihrem eigenen Ermessen neu definieren können.
Der Patient, dessen Gehirn in seiner Funktion gestört ist,
ist auf subtile Weise abhängig und beeinflussbar. Wenn die
Erinnerung des einen Partners in einem gewissen Ausmass gelöscht
ist, dann verändert sich die fortlaufend stattfindende Rekonstruktion
der Realität. Diejenigen, die die Realität definieren,
kontrollieren sie auch. Die Macht verschiebt sich weg vom Betroffenen
der Elektroschock-Behandlung hin zu seiner Umgebung zu
seinen Ärzten (4), Schwestern, Pflegern und auch zu seinen
Angehörigen (L.Frank 1990, 508)
Zur Geschichte des Elektroschocks
Es erstaunt nicht, dass die PsychiaterInnen an der Geschichte
des Elektroschocks mit starrem Blick vorbeisehen. Um so wichtiger
ist es diese Geschichte und ihre Hintergründe näher
zu beleuchten. In den 30er Jahren- zu einer Zeit, als die Psychiatrie
von eugenischem Gedankengut beherrscht war wurde vom Psychiater
L. von Meduna die Hypothese aufgestellt, dass Epilepsie und Schizophrenie
einander ausschliessen. So waren die Psychiater auf der Suche
nach Methoden, die beim Menschen epileptische Krampfanfälle
auslösen können. Meduna versuchte es 1934 zunächst
mit Campher später, noch im selben Jahr, mit Cardiazol. Doch
noch immer wurde weitergesucht.
Ugo Cerletti, seit 1935 Professor in Rom, setzte auf die Elektrizität
und hatte bereits mit Hunden experimentiert. Bis im Frühjahr
1938 hatte es Cerletti im faschistischen Italien noch nicht gewagt,
Menschen elektrischen Strom durch den Kopf zu leiten. Dieser Schritt
erschien ihm zu gewagt. Da hörte er von einem Kollegen, dass
im Schlachthaus von Rom, Schweine durch elektrischen Strom getötet
wurden. "Ich fuhr zum Schachthof, um die sogenannte elektrische
Schlachtung zu beobachten. Ich sah, dass den Schweinen grosse
metallene, elektrisch geladene Zangen (125 Volt) an den Schläfen
befestigt wurden. Sobald die Schweine mit den Zangen in Berührung
kamen, fielen sie bewusstlos um, erstarrten und wurden nach einigen
Sekunden von denselben Krämpfen geschüttelt wie unsere
Versuchshunde. Während dieser Zeit der Bewusstlosigkeit (epileptisches
Koma) stach der Schlächter die Tiere ohne Schwierigkeiten
ab und liess sie ausbluten. Deshalb stimmt es nicht, dass die
Tiere durch den elektrischen Strom getötet wurden. (...)
Mir schien, dass die Schweine im Schachthof das wertvollste Material
für meine Versuche bilden könnten." (F. Basaglia 1980,
S. 238f)
Cerletti, der sich gerne Maestro nannte, setzte daraufhin seine
Versuche mit den Hunden fort. Endlich gab er seinem Assistenten
die Anweisung, nach einer "geeigneten" Versuchsperson Ausschau
zu halten. Bald war der "geeignete" Mann gefunden. S.E. wurde
am Bahnhof verhaftet, weil er ohne Fahrkarte kurz vor der Abfahrt
in Zügen umherlief. S.E. wurde ausgewählt, ohne dass
er seine Einwilligung zu dieser "Behandlung", über die er
auch nicht informiert worden war, gegeben hatte. Nach einem ersten
Stromstoss von 80 Volt und 0,2 Sekunden Dauer zuckte der Mann,
seine Muskulatur erstarrte; dann fiel er, ohne dass er das Bewusstsein
verloren hatte auf das Bett zurück. "Natürlich befanden
wir, die wir das Experiment durchführten, uns unter höchster
emotionaler Anspannung und dachten, dass wir bereits ein ziemliches
Risiko in Kauf genommen hatten. Trotzdem war uns allen klar, dass
wir eine zu geringe Voltzahl gebraucht hatten. Es wurde vorgeschlagen,
dem Patienten ein wenig Ruhe zu gönnen und das Experiment
am folgenden Tag zu wiederholen. Plötzlich sagte der Patient,
der unserer Unterhaltung offensichtlich gefolgt war, klar und
bestimmt, ohne das bisher von ihm gewohnte Kauderwelsch. 'Nicht
noch einmal! Es ist tödlich!'" (F. Basaglia 1980, 239/240)
Maestro Cerletti zögerte kurz und entschloss sich dann, das
Experiment fortzusetzen. Dennoch war Cerletti von dieser ersten
Anwendung des Elektroschocks stark beeindruckt, ja entsetzt. "Als
ich die Reaktion des Patienten sah, sagte ich mir: Das muss wieder
abgeschafft werden. Seither habe ich die Zeit herbeigesehnt, in
der eine andere Behandlungs-Methode den Elektroschock ablösen
wird." (L. Frank 1990, 493. Peter Breggin 1980, 256) Cerletti
hatte gewiss nicht damit gerechnet, dass seine Methode in den
80er und 90er Jahren ein "Comeback feiern wird".
Wichtige Beweggründe für die erste Anwendung des Elektroschocks
am Menschen durch Cerletti waren demnach die heute als falsch
bezeichnete Hypothese, dass Epilepsie und Schizophrenie sich ausschliessen
und seine Beobachtungen im Schlachthaus.
Bekannt ist, dass psychiatrische Diagnosen wissenschaftlicher
Kritik nicht standhalten. Die endogenen Psychosen ("Schizophrenie"
und die "manisch-depressiven Krankheiten") sind Konstrukte. Die
Diagnosestellung beruht auf subjektiven Einschätzungen der
Experten. Die Behandlungsmethoden der biologisch ausgerichteten
Psychiatrie werden demnach oft in einer Grauzone angewendet, die
kaum etwas mit Heilverfahren jedoch viel mit sozialer Kontrolle,
Gehirnwäsche und Folter zu tun haben. Viele Dissidenten in
der früheren Sowjetunion wurden u.a. mit den Neuroleptika
Chlorpromazin (Largactil) und Haloperidol (Haldol) "behandelt".
Auch in vielen Gefängnissen der ganzen Welt werden diese
Medikamente eingesetzt. Dass auch der Elektroschock früher
oder später die Aufmerksamkeit der staatlichen Repressionsapparate
auf sich ziehen musste war zu erwarten. (5)
Früher wurde noch offen zugegeben, dass der Elektroschock
weniger als Behandlung denn als Disziplinierungsmassnahme eingesetzt
wurde. Breggin zitiert eine deutliche Stellungsnahme der Ärzte
von hospitalisierten Frauen, deren Leiden als chronisch bezeichnet
wurde: "Unser Ziel war nicht die Heilung. Es beschränkte
sich auf die Verbesserung des Verhaltens auf der Station. (...)
Innerhalb von zwei Wochen nach Beginn der intensiven Elektroschockbehandlung
wandelte sich die Atmosphäre der Station völlig. Aus
einer unruhigen, chronischen Station war eine ruhige, chronische
Station geworden. Streitsüchtiges Verhalten der Patientinnen
verringerte sich dramatisch." (Peter Breggin 1980, 185/186)
Werden psychiatrische Behandlungsmethoden ausserhalb der psychiatrischen
Anstalt (oder der Praxis des Psychiaters) angewendet, funktionieren
sie nicht mehr als "Therapie" sondern klar erkennbar als Folter.
Wie ist das zu erklären? In der Sicht der offiziellen Psychiatrie
wird der zwangseingewiesene "Patient", der gegen seinen ausdrücklichen
Willen Neuroleptika gespritzt erhält, "behandelt". Gleichzeitig
vertreten viele PsychiaterInnen die Auffassung, dass es einen
schweren Missbrauch ihres Berufsethos bedeutet, wenn politische
Gefangene gegen ihren erklärten Willen Neuroleptika zu sich
nehmen müssen. Doch so grundsätzlich verschieden, wie
das auf den ersten Blick erscheinen mag, sind diese beiden "Behandlungen"
nicht. Die Dissidenten der Sowjetunion setzten sich über
soziale Normen hinweg. Ihr Verhalten konnte mit guten Gründen
als uneinfühlbar und "asozial" bezeichnet, und folglich psychiatrisiert
werden. Es ist somit ein Gemeinsames zwischen der "Behandlung"
der "geisteskranken" Insassen unserer Anstalten und derjenigen
der sowjetischen Dissidenten gegeben. Uneinfühlbares Verhalten
wird als "psychotisch" diagnostiziert und medikamentös behandelt.
Die Absicht ist dieselbe der Betroffene soll falschen,
kritische und subversiven Ansichten abschwören und konforme
übernehmen. Gehirnwäsche also hier wie dort.
Elektroschocks werden vorwiegend bei Frauen, älteren Menschen
ein Alter unter 35 Jahren gilt als relative Kontraindikation
und Angehörigen niedriger sozialer Schichten angewendet.
(Es kommt jedoch auch immer wieder vor, dass Jugendliche, Kinder
ja sogar selten auch Kleinkinder geschockt werden. (6) Fehlende
Leistungsfähigkeit wird als medizinisches Problem definiert,
das biologisch behandelt werden muss durch vorübergehende
oder bleibende Schädigung des menschlichen Gehirns. Mit dieser
Praxis vertritt die Psychiatrie einen verhängnisvollen Biologismus,
der heute bekanntlich auch in verwandten Bereichen zunehmend aktueller
wird. Ich denke an die eugenische Stossrichtung der heutigen Humangenetik.
Der "schizophrene", der "manisch-depressive" Mensch sollte im
Sinne dieser Ideologie keine Nachkommen haben und damit gleichsam
abgeschafft werden. Es ist vom medizinisch-industriellen Interesse
her gesehen einfacher organisch-biologische, vererbte Defekte
mit Psychopharmaka und elektrischem Strom zu "behandeln" statt
psychosoziale Ursachen und zwischenmenschliche Konflikte in anspruchsvollen
Therapien aufzudecken und zu bearbeiten. In der Definition sozialer
Problem spiegeln sich die Interessen politisch mächtiger
Einzelpersonen und Institutionen wider. Und es liegt im Interesse
dieser Definitionsmacht mittels Diagnosen solche Lösungen
und "Heilverfahren" anzubieten, die ihr die Kontrollgewalt sichert.
(7) Wer soziale Schwierigkeiten, wer mangelnde Leistungsfähigkeit,
wer psychisches Leiden als biologisch zu behandelnde Störungen
definiert übt deshalb Macht aus, genauso wie derjenige, der
fiktive biologische Störungen mit Neuroleptika oder mit Elektroschocks
behandelt.
Weitere Gründe gegen die Anwendung von Elektroschocks
Seit jeher reagierte, wer von der Idee, beim Menschen Elektroschocks
anzuwenden, hörte, mit Bestürzung und Besorgnis und
grosser Angst. Der Elektroschock wird auch heute noch mit Grausamkeit,
Folter und elektrischem Stuhl assoziiert. Kaum jemand, der nicht
mit Furcht und Entsetzen reagiert, wenn er sich selbst als Opfer
einer derartigen Tortur vorstellt. Cerletti selbst berichtet:
"Die Idee, Menschen krampfauslösendem Stromstössen auszusetzen,
wurde jedoch als utopisch, barbarisch und gefährlich beurteilt.
Jeder verband damit die Vorstellung vom elektrischen Stuhl." (Peter
Breggin 1980, 198) Es ist anzunehmen, dass auch PsychiaterInnen,
bevor sie beruflich mit dieser "Therapie" zu tun haben, auf das
Wort Elektroschock genauso entsetzt reagieren. Was bedeutet das
nun, wenn es ihnen gelingt, ihre spontane Abscheu zu verdrängen,
wenn es ihnen gelingt, an den Gefahren und Nachteilen des Elektroschocks
vorbeizusehen? Es ist für mich unter anderem unfassbar, wie
von den Befürwortern der "modifizierten Methode" jeweils
die Vorteile der unilateralen Anwendung hochgejubelt werden
Abnahme der verbalen Gedächtnisstörungen ohne
mit einem einzigen Satz die Funktion der dabei vermehrt geschädigten
nicht-dominanten Hirnhälfte zu erwähnen. Die nicht-dominante
Hemisphäre ist unter anderem für die Wahrnehmung und
Speicherung visueller, räumlicher und emotionaler Eindrücke
und die Wahrnehmung ganzheitlicher Zusammenhänge zuständig.
Es wäre absurd zu behaupten, dass diese Funktionen unwichtig
seien. Vielmehr gibt es Anzeichen dafür, dass genau diejenigen
Möglichkeiten menschlichen Lebens, die mit der "modifizierten
Methode" geschädigt werden, für ein sinnerfülltes
und menschenwürdiges Leben besonders wichtig sind. Ein Unterschied
besteht dennoch. Verbale Gedächtnisstörungen fallen
bei oberflächlichem Kontakt eher auf. Andere Schädigungen
werden eher übersehen.
PsychiaterInnen, vor allem diejenigen, die in einer Anstalt arbeiten,
sind im Besitze von viel Macht über andere Menschen. Der
Versuchung, mögliche und erlaubte Macht auszuüben, zu
widerstehen ist ausserordentlich schwer. Wie ich bereits ausführte
(M. Rufer 1991, 164) vertrat der bekannte Emil Kraepelin die Auffassung,
dass der Psychiater, der Mächtige sein müsse, seine
Wissenschaft bestehe aus den Mitteln, den Patienten zur Vernunft
zu bringen und sich die unbedingte Herrschaft über das Gemüt
des Kranken zu sichern. In den Taten nicht in den Worten
der heutigen PsychiaterInnen ist diese Grundhaltung noch
immer auszumachen.
Wer Elektroschocks anwendet, der lebt damit in kleineren oder
grösseren Ausmass seine eigenen sadistischen Tendenzen aus
(Marc Rufer 1991, 136ff. 143ff). Gleichzeitig wird er zum Mittäter
des in der Psychiatrie institutionalisierten Sadismus, insofern
er das mit der einseitigen Machtverteilung in der Psychiatrie
verbundene Gewaltpotential nicht bewusst durchschaut. All dies
verteidigt er zum "Wohle" seiner PatientInnen vehement, solange
er als überzeugter Vertreter (Vertreterin) seines Faches
auftritt. (8) Bestätigung findet der Sadismus der PsychiaterInnen,
wenn sie mit Elektroschocks und Neuroleptika eine so grosse Verwirrung,
Unsicherheit und damit verbundenen Abhängigkeit der "behandelten"
Menschen herstellen, dass einige genau die Methode, mit der sie
grausam gequält werden, zu loben beginnen.
Was lässt denn Elektroschocks bisweilen als eine erfolgreiche
Behandlung erscheinen? Hirngeschädigte Menschen geben meist
ihre Störungen nicht zu. Sie verleugnen und vertuschen ihren
Zustand. Betroffene, die den grössten Gedächtnisverlust
aufweisen, klagen darüber am wenigsten. Ihre Ausfälle
sind fast immer grösser, als sie selbst es zugeben. Sie tun
dies aus Scham. Eine häufige Form der Verleugnung und des
Überspielens der erlittenen Schädigung ist die Euphorie,
sie ist ein Versuch, der anderen einfühlbaren und ebenfalls
oft zu beobachtenden Reaktion, der Apathie, auszuweichen. Was
von den PsychiaterInnen als Heilung einer Depression verstanden
wird, ist sinnvollerweise als euphorische Überspielung der
durch die Elektroschock-"Behandlung" erlittenen
Schädigung zu verstehen. Dazu kommt, dass der Betroffene
sich nun auch seine ursprüngliche psychische Problematik
verleugnet oder, dass er sich auch als Folge der Behandlung
nicht mehr an die Ursache seines Leidens erinnern kann.
Es ist verständlich, dass die PsychiaterInnen wissenschaftlichen
Erklärungen für die "heilende" Wirkung des Elektroschocks
suchen. Nur: Sie sind bis heute nicht fündig geworden. Die
Psychiaterin Cécile Ernst hat in ihrem Exposé zuhanden
der medizinisch-ethischen Kommission der Schweizerischen Akademie
der Medizinischen Wissenschaften nichts als Hypothesen anzubieten:
"Was ist der neurophysiologische Wirkungsmechanismus des Anfalls?
Darüber gibt es vorläufig erst Hypothesen. Schwere Depressionen
sind mit einem Transmittermangel verbunden. Die EB setzt Transmitter
frei, welche möglicherweise die neurodendokrine Aktivität
im Hypothalamus stimulieren. (...) Nach dieser sogenannten 'Theorie
der diencephalen Stimulation' würde die EB also den in schweren
Depressionen daniederliegenden Stoffwechsel im Zwischenhirn anregen."
(C. Ernst 1982, 1397,1398) Recht wenig Klarheit, bedenkt man den
schwerwiegenden, angstauslösenden, persönlichkeitsverändernden
Eingriff. Im übrigen bewegen sich die biologisch-orientierten
PsychiaterInnen sehr deutlich im Kreis. Auf Grund einer unspezifischen
Wirkung er Neuroleptika und Antidepressiva, konstruierten sie
in fahrlässiger Weise Hypothesen, die die Schizophrenie (Dopamin-Hypothese)
und die Depression (Transmittermangel) erklären sollten.
Nun wird diese Hypothese auch gleich zur Begründung der "Heilwirkung"
des Elektroschocks herbeigezogen und damit der Blick von der augenfälligen
Schädigung von Menschen abgelenkt.
In ihrem Exposé führt Frau Ernst aus, dass in den
USA zum Teil Gesetze bestehen, die den Patienten im Fall des Elektroschocks
vor einer rechtsverletzenden Massnahme des Arztes schützen
sollen: In einem Bundesgerichtsentscheid der sich auf Alabama
bezog, wurde der Elektroschock 1973 als aussergewöhnliche
und risikoreiche Methode dargestellt. Die Durchführung von
Elektroschocks war danach so erschwert, dass in Alabama seither
keine Elektroschocks durchgeführt wurden. Auch in Kalifornien
gilt der Elektroschock als ungesicherte Therapie von zweifelhafter
Wirksamkeit, die mit fragwürdiger Indikation durchgeführt
werden. (C. Ernst 1982, 1400) Frank gibt an, dass diese gesetzlichen
Bestimmungen auf die Aktivitäten von Organisationen Psychiatrie-
und Elektroschock-Überlebender zurückzuführen sei.
(L Frank 1990, 494/495) In den meisten Ländern ist die Anwendung
des Elektroschocks für die behandelnden Ärzte besser
als das in der Schweiz der Fall ist. Aus einer von Frau Ernst
bei allen psychiatrischen Kliniken der Schweiz durchgeführten
Umfrage geht klar hervor, dass in der Schweiz Elektroschocks auch
ohne Einwilligung der Betroffenen angewendet werden.
Frau Ernst beschreibt abschliessend die "Elektrokrampfbehandlung"
als im Vergleich zur Pharmakatherapie ungefährliche und nebenwirkungsarme
"Behandlung": "Sie gibt nicht in höherem Mass Anlass zu besonderen
gesetzlichen Massnahmen als unzählige andere medizinische
Therapien. Die Forderung nach solchen besonderen rechtlichen Schranken
geht auf unkundige und tendenziöse Information durch die
Massenmedien zurück, welche die EB zum Symbol einer repressiven
Psychiatrie gemacht haben." (C. Ernst 1982, 1404, Hervor. original)
Ich habe demgegenüber hier aufgezeigt, dass der Elektroschock
eine menschenunwürdige "Behandlungsmethode" ist, die in der
düstersten und grausamsten Zeit der Psychiatriegeschichte
auf Grund von irrigen Annahmen und Überlegungen eingeführt
wurde. Meiner Ansicht nach muss die Anwendung des Elektroschocks
gesetzlich verboten werden.
Und es ist meines Erachtens Aufgabe einer kritischen und solidarischen
Medienberichterstattung, unnachgiebig und unermüdlich auf
die gravierenden Folgen des Elektroschocks für die Betroffenen
aufmerksam zu machen.
Anmerkungen
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Normann S. Endler, 1988, 26,50, 123 und R. Pohl, 1990, 197
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Nach Tompson und Blaine ging zwischen 1975 und 1980 die
Zahl der "Elektroschockbehandlungen" weltweit um 46% zurück
(Norman S. Endler, 1988, 29)
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Diese Sterblichkeitsrate wird oft mit 1:1000 angegeben.
Einzelne Berichte gehen weit darüber hinaus. Bei alten
Menschen liegt die Rate bei 1:200. (Peter Breggin, 1980, 85/86)
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Als ein interessantes Beispiel, auf welche "therapeutischen"
Phantasien PsychiaterInnen kommen können, sei hier die
ELT-Therapie von H.C. Tien erwähnt: Eine Frau wollte
sich scheiden. "Sie liebe ihn nicht, er sei nie zu Hause und
schlage sie in Gegenwart der Kinder. Unter der Drohung, ihr
Mann würde versuchen, die Vormundschaft über die
Kinder zu erhalten, willigte sie in die Therapie ein." Nach
jedem Elektroschock wurde sie von ihrem Mann mit der Flasche
gefüttert und "neu programmiert". Sie sollte zur Einsicht
kommen, dass ihre frühere Persönlichkeit schlecht,
die neue, fügsamere dagegen gut sei: E(Elektrizität)
+ L(Liebe) = T(Therapie): ELT. (Peter Breggin 1980, 192)
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Am 2. August 1977 fand sich in der New York Times eine Frontseiten
Reportage über das MKULTRA 'mind control' Projekt der
CIA, das in den frühen 50er Jahren insgeheim anlief.
Der u.s.amerikanischen Psychiater, D. Ewen Cameron kombinierte
medikamentösen Dauerschlaf, intensive Elektroschocks
und hohe Dosen des Neuroleptikums Chlorpromazin. Es wurde
schliesslich eine komplette Amnesie (Gedächtnisausfall)
für alle Ereignisse des Lebens der Betroffenen hergestellt.
Macdonald, der diese "Behandlung" über sich ergehen lassen
musste: "Meine Eltern besuchten mich. Ich erkannte sie nicht.
Meine fünf Kinder kamen zurück. Ich hatte keine
Idee, wer sie waren." Wenn Cameron das leere Gedächtnis
produziert hatte, konnte er neue Verhaltensmuster einprogrammieren.
Camerons Methode der Gehirnwäsche worüber
die psychiatrische Fachwelt durch verschiedene Publikationen
informiert war wurde erst zum Skandal, als die finanzielle
Beteiligung der CIA an diesem Projekt aufgedeckt wurde. (L.
Frank 1990, 507, 508)
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Angaben dazu finden sich in: Max Fink 1990, 15 und L. Frank
1990, 494
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siehe dazu: Stephan L. Chorover 1982, 167
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"Der Sadismus geht auf einen wesentlichen Impuls zurück,
einen anderen Menschen völlig in seiner Gewalt zu haben,
ihn zu einem hilflosen Objekt des eigenen Willens zu machen,
sein Gott zu werden und mit ihm machen zu können, was
einem beliebt. Ihn zu demütigen, zu versklaven, das sind
Mittel zur Erreichung dieses Ziels, und das radikalste Ziel
ist, ihn leiden zu lassen, denn es gibt keine grössere
Macht über einen Menschen als die, dass man ihn zwingt,
Leiden zu erdulden, ohne dass er sich dagegen wehren kann."
(Erich Fromm in: Marc Rufer 1991, 143f)
Literatur
-
Franco Basaglia, Franca Basaglia (Hrsg.)1980: Befriedigungsverbrechen.
Über die Dienstbarkeit der Intellektuellen. Frankfurt/M.
-
Peter Breggin, 1980: Elektroschock ist keine Therapie, München,
Wien, Baltimore
-
Stephan L. Chorover 1982: Die Zurichtung des Menschen. Frankfurt/M.
-
N.S. Endler, E. Persad, 1988: Electroconvulsive Therapie.
Toronto, Lewiostin, New York, Bern, Stuttgart
-
C. Ernst, 1982: Schweizerische Ärztezeitung, 63
-
Max Fink, Richard Weiner u.a. 1990: The Practice of Electroconvulsive
Therapy. A Task force Report of the American Psychiatric Association.
Washington DC
-
Leonard Roy Frank, 1990: Electroshock: Death, Brain Damage,
Memory Loss and Brainwashing: The Journal of Mind and Behavior,
Vol. 11 [Deutsche Übersetzung:
Elektroschock. In: Peter Lehmann: Schöne neue Psychiatrie.
Band 1: Wie Chemie und Strom auf Geist und Psyche wirken (1996,
S. 287-319; eBook 2022)]
-
W. Keup (Hrsg.) 1986: Biologische Psychiatrie, Forschungsergebnisse.
Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo
-
R. Pohl, S. Gershon ( Hrgb.) 1990: The Biological Basis of
Psychiatric Treatment. Vol. 3. Basel, München, Paris,
London, New York, New Delhi, Bangkok, Singapore, Tokyo, Sydney
-
W. Pöldinger 1988: Therapiewoche Schweiz, Heft 2, Sept.
- Marc Rufer 1991: Wer ist irr? Bern