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in: Der Bunte Spleen (Berlin), Nr. 55 (Juni 2004), S.
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Vertrauens- und Beschwerdestelle Neukölln
Ein Bericht von Hannelore
Klafki
Ein Jahr lang war ich die Ansprechpartnerin der Vertrauens- und Beschwerdestelle
für den ambulanten Bereich der Psychiatrie in Neukölln. Ich habe diese
ehrenamtliche Arbeit aus mehreren Gründen zum Ende des Jahres 2003 wieder
aufgegeben. Nachfolgend meine Kritik und Verbesserungsvorschläge.
Unabhängig
von dem Engagement der damaligen Psychiatriekoordinatorin Frau Dr. Anne
Hörning-Pfeffer, eine Vertrauens- und Beschwerdestelle in Neukölln einzurichten,
habe ich im Laufe meiner Arbeit leider feststellen müssen, dass eine so
konzipierte Beschwerdestelle an sich ein Widerspruch ist: Sie soll eine
Interessenvertretung der Betroffenen sicherstellen, und gleichzeitig versteht
sie sich als Teil der gemeindepsychiatrischen Versorgung und arbeitet
mit der bezirklichen Psychiatriekoordinatorin zusammen. Auch wenn ich
persönlich ein sehr gutes Verhältnis zu Frau Dr. Hörning-Pfeffer habe
und vor einer Einmischung sicher sein konnte, ist so eine Zusammenarbeit
problematisch und deshalb prinzipiell nicht zu befürworten.
Mehrere AnruferInnen erfragten vorab telefonisch diesen Zusammenhang
und sind deshalb nicht zu einem persönlichen Gespräch in der Uthmannstraße
zu bewegen gewesen. Des Weiteren war es für einige AnruferInnen enttäuschend,
dass ich ihnen mitteilen musste, dass eine Rechtsberatung nicht erfolgen
kann.
Der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V., in dessen geschäftsführenden
Vorstand ich Mitglied bin, organisierte im September 2000 eine Tagung
in Kassel: "Modelle für Recht und Transparenz in der Psychiatrie". Hier
wurde ein Rechtsanspruch auf die Vertretung der Betroffenen durch Patientenvertrauenspersonen
gefordert:
"Psychiatriebetroffene sind die einzigen Menschen in rechtsstaatlichen
Demokratien, denen die Freiheit entzogen werden darf, ohne eine Straftat
begangen zu haben und die behandelt werden dürfen, ohne dass sie einverstanden
sind.
Diese Verletzung der Persönlichkeitsrechte erfordert einen Ausgleichfaktor
in Form einer unabhängigen, kompetenten und legitimierten Beschwerdeinstanz
für Menschen in psychischen Notlagen, denen Unrecht widerfahren ist oder
widerfährt."
Vom PARITÄTISCHEN wurde übrigens eine Projektuntersuchung der bezirklichen
Beschwerdestellen in Auftrag gegeben durchgeführt wurde diese im
Rahmen eines Praktikums von der Psychologin Jasna Russo. Diese Arbeit
kann beim PARITÄTISCHEN angefordert werden und ist inzwischen auch im
Internet nachzulesen. Aus der Summe ihrer Forderungen, die ich zum großen
Teil wortwörtlich übernehmen konnte und meiner Erfahrungen habe ich folgende
Thesen für die künftige Arbeit von Beschwerdestellen formuliert:
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Die Beschwerdestellen sollen in erster Linie ein Angebot für die
Betroffenen zur Stärkung ihrer Kräfte und Sicherstellung ihrer Souveränität
und Selbstbestimmung sein. Dieses Angebot muss so konzipiert werden,
dass die Betroffenen sich gesehen und eingeladen fühlen.
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Unabhängige Beschwerdestellen mit einer gezielten und ausreichenden
konzeptionellen Beteiligung der Betroffenen können auch zu einem Korrektiv
für die Psychiatrie werden und den notwendigen Beitrag zu ihrer Qualitätskontrolle
leisten.
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Beschwerdestellen dürfen kein Teil der Gemeindepsychiatrie sein.
Eine deutliche strukturelle, das heißt räumliche und personelle Trennung
muss vorhanden sein.
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Beschwerdestellen müssen unabhängige Träger haben, die sich von öffentlichen
Geldern, Spenden und Stiftungsgeldern finanzieren (keine Pharmagelder!).
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Beschwerdestellen können keine Neutralität anstreben. Partei für
die betroffene Person ergreifen heißt aber nicht, ihr immer Recht
zu geben. Das Prinzip der Parteilichkeit basiert auf dem Bewusstsein
über die Machtverhältnisse in der Psychiatrie. Die Vertrauenspersonen
der Beschwerdestelle müssen den Betroffenen zur Seite stehen und können
nicht so tun, als ob ihre Gleichberechtigung im psychiatrischen System
vorhanden wäre.
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Die Beschwerdestelle muss für die Betroffenen leicht zugänglich sein.
Sie muss z.B. auch eine eigene Klingel haben Betroffene wussten
oft nicht, wo sie klingeln sollten, wenn sie zu mir kommen wollten.
Außerdem muss sie behindertengerecht sein und darf nicht, wie in der
Uthmannstraße, im zweiten Stock liegen.
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Alle Beschwerden müssen aufgenommen werden und dies muss immer unbürokratisch
und unkompliziert passieren. Komplizierte Fragebögen, wie z.B. in
Reinickendorf entwickelt, sind eher abschreckend.
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Der Betroffene braucht keine Bedingungen zu erfüllen oder Kosten
zu tragen damit seine Beschwerde aufgenommen wird.
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Die Arbeit der Beschwerdestelle muss eine bezahlte und kann keine
ehrenamtliche Arbeit sein. Ich habe zwar nachträglich eine Aufwandsentschädigung
erhalten, doch diese reicht nicht aus, denn nur die Beschwerdestellen
mit genug Finanz- und personellen Ressourcen haben die Voraussetzungen
für eine wirklich unabhängige und qualitativ gute Arbeit.
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Die Arbeit der Beschwerdestelle muss eine Team- und darf keine Einzelarbeit
sein. Einzelne, gerade auch einzelne Betroffene, werden hier verheizt
und sind hoffnungslos überfordert. Außerdem sollten künftige BewerberInnen
für die Beschwerdestellenarbeit unbedingt die Möglichkeit erhalten,
an einen Fortbildungskurs für Gesprächsführung kostenlos teilzunehmen.
Viele Betroffene erzählen ihr schweres Schicksal, deshalb sollten
die MitarbeiterInnen auch die Möglichkeit einer Supervision erhalten.
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Mindestens die Hälfte der MitarbeiterInnen der Beschwerdestelle muss
eigene Erfahrung mit der Psychiatrie haben.
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In der Beschwerdestelle muss die Möglichkeit vorhanden sein, nach
Wunsch der Betroffenen geschlechtspezifisch beraten zu werden.
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Rechtsberatung darf nicht ausgeschlossen werden. Daher muss den Betroffenen
in den Räumen der Beschwerdestelle ein Rechtsanwalt zur Verfügung
stehen. Die Kosten der Rechtsberatung müssen von der Beschwerdestelle
getragen werden und müssen für die Betroffenen kostenlos sein.
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Die Beschwerdestelle sollte nach Interesse unabhängige Informationen
und Informationsveranstaltungen anbieten unter anderen gerade
auch zu solch problematischen Themen wie Haupt- und Nebenwirkungen
von Psychopharmaka.
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Die Räume der Beschwerdestelle sollten auch Gruppen der Betroffenen
und ihrer UnterstützerInnen zur Verfügung stehen, die sich zu bestimmten
Themen und Anliegen bilden.
Auffallend ist für mich, wie wenig sich die Neuköllner Betroffenen engagieren
und sich für ihre Rechte einsetzen. Aus meiner Sicht sollten die einzelnen
Träger deshalb erst einmal bei sich selber anfangen. Das bedeutet, sie
sollten sich fragen, inwieweit sie die Ressourcen ihrer KlientInnen kennen
und welche Unterstützungsstrukturen sie aufbauen könnten, um ihre KlientInnen
zu ermuntern, ihre Bedürfnisse und Interessen einzufordern. Sie könnten
zum Beispiel Klientenbeiräte, Projektsprecher oder ähnliches einführen
und damit die Mitsprache der Betroffenen in den Projekten aufbauen und
fördern. Aus all den oben genannten Gründen werde ich die Arbeit in der
Beschwerdestelle nicht mehr ausüben können.
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