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UN-Behindertenrechtskonvention / Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen / Weltgesundheitsorganisation (WHO) / Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte

Materialsammlung zu den Rechten Psychiatriebetroffener, zur Verpflichtung zu nichtpsychopharmakologischen psychosozialen Angeboten und zur Unterstützung beim Absetzen von Psychopharmaka [PDF-Version / Docx-Version / Doc-Version]

Peter Lehmann, 22. November 2023

Vorgaben durch die UN-Behindertenrechtskonvention

»(d) Personen, die gegenwärtig in einer psychiatrischen Klinik oder einer ähnlichen Einrichtung untergebracht und/oder einer Zwangsbehandlung unterworfen sind oder in Zukunft untergebracht oder zwangsbehandelt werden könnten, müssen darüber informiert werden, wie sie ihre Freilassung wirksam und unverzüglich erwirken können einschließlich einstweiliger Verfügung.

(e) Dieser Anspruch sollte in einer Aufforderung bestehen, dass die Einrichtung die betroffene Person unverzüglich freizulassen und/oder jegliche Zwangsbehandlung und systemimmanenten Maßnahmen unverzüglich einzustellen hat. Zum Beispiel sollten psychiatrische Einrichtungen verpflichtet werden, ihre Türen zu öffnen und die Personen über ihr Recht, die Einrichtung zu verlassen, zu informieren. Und eine öffentliche Behörde sollte eingerichtet werden, die Wohnraum gewährleistet, ebenso Unterhaltsmittel und andere Formen der wirtschaftlichen und sozialen Unterstützung.

Damit könnten die Deinstitutionalisierung und das Recht auf ein unabhängiges Leben und die Integration in die Gesellschaft gefördert werden. Solche Hilfsprogramme sollten sich nicht auf die Bereitstellung psychosozialer Dienste oder Behandlungen konzentrieren, sondern kostenlose oder erschwingliche gemeindenahe Dienste einschließen, ebenso Alternativen, die frei von medizinischen Diagnosen und Eingriffen sind. Der Zugang zu Medikamenten und die Unterstützung beim Absetzen von Medikamenten sollte denjenigen zur Verfügung gestellt werden, die sich dafür entscheiden.

(f) Menschen mit Behinderungen erhalten im Falle einer willkürlichen oder rechtswidrigen Freiheitsentziehung eine Entschädigung sowie andere Formen der Wiedergutmachung. Bei dieser Entschädigung ist auch der Schaden zu berücksichtigen, der durch mangelnde Verfügbarkeit, die Verweigerung angemessener Vorkehrungen oder fehlende medizinische Versorgung und Rehabilitation bei Personen mit einer Behinderung entstanden ist, denen die Freiheit entzogen wurde.«

Quelle: Committee on the Rights of Persons with Disabilities (2015). Guidelines on article 14 of the Convention on the Rights of Persons with Disabilities – The right to liberty and security of persons with disabilities. Angenommen während der 14. Sitzung des Komitees im September 2015, S. 7, Richtlinie 24e. Online-Ressource https://www.ohchr.org/sites/default/files/Documents/HRBodies/CRPD/14thsession/GuidelinesOnArticle14.doc

[Identischer Wortlaut in: Working Group on Arbitrary Detention (6.7.2015). Report to the United Nations, General Assembly, Thirtieth session, agenda item 3 (Promotion and protection of all human rights, civil, political, economic, social and cultural rights, including the right to development). Dokument A/HRC/30/37, Leitlinie 20e, S. 25. Online-Ressource https://www.ohchr.org/en/documents/thematic-reports/ahrc3037-united-nations-basic-principles-and-guidelines-remedies-and]

Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte

»Medizinische Notfälle

Generell gilt im Gesundheitswesen, dass keine medizinische Behandlung ohne Einwilligung der Person durchgeführt werden kann. Nur in Ausnahmefällen können Angehörige der Gesundheitsberufe eine Behandlung ohne informierte Zustimmung durchführen, zum Beispiel in Notfällen, wenn eine sofortige medizinische Behandlung erforderlich ist, um das Leben einer Person zu retten oder um eine schwerwiegende Schädigung ihrer Unversehrtheit zu verhindern und die Person bewusstlos oder nicht in der Lage ist, ihren ihren Willen zu äußern. Dies beruht auf der Annahme, dass die Menschen nicht wollen, dass ihnen unter solchen Umständen die notwendige medizinische Versorgung verweigert wird. Es ist jedoch zu beachten, dass die meisten Personen in Notfallsituationen, einschließlich derjenigen mit traumatischen Verletzungen, keine sofortige Intervention benötigen, um den Tod oder schwere Schäden zu verhindern, und sie haben die Fähigkeit, ihre Einwilligung zu geben.

Diese Ausnahme für Notfälle wird im Kontext der psychischen Gesundheit regelmäßig in diskriminierender Weise angewandt bei Personen, die sich in einer starken Notlage befinden oder ungewöhnliche Wahrnehmungen haben, entweder weil die Personen nicht als fähig anerkannt werden, eine informierte Zustimmung zu erteilen, oder weil ihre Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen unverzüglich als lebensbedrohliche medizinische Notfälle behandelt werden. Die Gesetzgebung für medizinische Notfälle sollten Personen mit psychischen Beschwerden und psychosozialen Behinderungen nicht diskriminieren, indem sie unterschiedliche Standards festlegen.

Verschreibung von Psychopharmaka

Die Länder sollten angesichts der potenziellen kurz- und langfristigen Risiken von Psychopharmaka einen höheren Standard für die freie und informierte Zustimmung zu diesen Substanzen einführen. Die Länder können beispielsweise eine schriftliche oder dokumentierte Einwilligung nach Aufklärung (z. B. durch eine Aufzeichnung in Video- oder Audioformaten) vorschreiben, nachdem ausführliche Informationen über mögliche negative und positive Wirkungen und die Verfügbarkeit alternativer Behandlungsmethoden und nichtmedizinischer Optionen gegeben wurden. Der Gesetzgeber kann das medizinische Personal dazu verpflichten, Dienstleistungsnutzer über ihr Recht zu informieren, die Behandlung zu beenden und dabei Unterstützung zu erhalten. Es muss Unterstützung angeboten werden, damit Menschen die Behandlung sicher beenden können. Die Verschreibung von Psychopharmaka und die Nachsorge erfordern eine sorgfältige Abklärung und Überwachung der körperlichen Gesundheit.«

Quelle: World Health Organization / United Nations High Commissioner for Human Rights (2023). Mental health, human rights and legislation. Guidance and practice . Genf: WHO / OHCHR, S. 57. Online-Publikation https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/373126/9789240080737-eng.pdf?sequence=1

Übersetzungen: Peter Lehmann www.peter-lehmann.de