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Homepage des
Antipsychiatrieverlags
Nicht gehaltene Rede; veröffentlicht in: Rundbrief
des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener (BRD), 2010, Nr. 4, S. 7-9;
und in: Verhaltenstherapie
und psychosoziale Praxis, 43. Jg. (2011), Nr. 2, S. 388-394
· English
translation
Weiteres Material zur Verleihung der Ehrendoktorwürde, u. a. das Gutachten
von Kostas Bairaktaris, Fibos Zafiridis & Maria Dikaio zu Peter Lehmanns
Arbeiten und die Video-Dokumentation der Verleihung der Ehrendoktorwürde
Peter
Lehmann
Danksagung anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde
am 28. September 2010 durch die Psychologische Abteilung der Philosophischen
Fakultät der Aristoteles-Universität Thessaloniki (Griechenland)
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
es ist für mich persönlich eine große Ehre, als
erster Psychiatriebetroffener weltweit für Pionierleistungen
im Bereich der humanistischen Antipsychiatrie mit der Verleihung
der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet zu werden. Die Anerkennung
meines wissenschaftlichen und humanitären Beitrags zur Stärkung
der Rechte Psychiatriebetroffener erfüllt mich mit Genugtuung.
Humanistische Antipsychiatrie ist eine undogmatische Bewegung. Die Vorsilbe
"Anti" aus dem Griechischen bedeutet mehr als einfach nur "gegen".
Sie bedeutet auch "gegenüber" oder "alternativ".
Humanistische Antipsychiatrie ist von Widerspruchsgeist und der grundlegenden
Erkenntnis erfüllt,
-
dass die Psychiatrie als naturwissenschaftliche Disziplin
dem Anspruch, psychische Probleme überwiegend sozialer
Natur zu lösen, nicht gerecht werden kann,
-
dass ihre Gewaltbereitschaft und -anwendung eine Bedrohung
darstellt und
-
dass ihre Diagnostik den Blick auf die wirklichen Probleme
des einzelnen Menschen verstellt.
Deshalb bedeutet humanistische Antipsychiatrie, sich zu engagieren
-
für den Aufbau angemessener und wirksamer Hilfe für
Menschen in psychosozialer Not,
-
für ihre rechtliche Gleichstellung mit normalen Kranken,
-
für ihre Organisierung und die Zusammenarbeit mit anderen
Menschenrechts- oder Selbsthilfegruppen,
-
für die Unterstützung beim selbstbestimmten Absetzen
psychiatrischer Psychopharmaka und die Verwendung alternativer
psychotroper, das heißt die Psyche beeinflussender,
und weniger giftiger Substanzen,
-
für das Verbot des Elektroschocks,
-
für neue Formen des Lebens mit Verrücktheit und
Andersartigkeit sowie
-
für Toleranz, Respekt und Wertschätzung von Vielfalt
auf allen Ebenen des Lebens.
Das Problem fehlender Unterstützung in psychischer Not betrifft
keine Minderheit, sondern die breite Masse der Gesellschaft: die
Betroffenen selbst, die Angehörigen, Kinder, Alte und sozial
Ausgegrenzte aller Art. Der Schutz vor psychiatrischer Gewalt
hat einen gesamtgesellschaftlich entängstigenden Faktor.
Das Eindämmen der Flut von Psychopharmaka-Verordnungen mit
ihrer Produktion sogenannter therapeutischer Zweitkrankheiten
und den daraus folgenden körperlichen, psychischen und sozialen
Behinderungen hätte neben der gesundheitlichen auch eine
maßgebliche kostendämpfende Wirkung. Das Verständnis
des aus dem inneren Erleben unserer Kultur herrührenden Schmerzes
psychotischer oder depressiver Menschen würde allgemein zu
mehr Einsicht in sich selbst führen und Isolation und Entfremdung
vorbeugen.
Ich mag der erste sein, der für Verdienste um die humanistische
Antipsychiatrie mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet wird,
aber ich bin bei weitem nicht der einzige, der auf diesem Feld
aktiv ist. In den letzten 30 Jahren habe ich mit vielen Psychiatriebetroffenen
zusammengearbeitet, auch gestritten, von ihnen gelernt und profitiert.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, einige meiner Mitstreiter
und Mitstreiterinnen ins Gedächtnis zu rufen:
-
Erwin
Pape habe ich 1979 kennengelernt, im ersten Jahr meines Engagements.
Er wurde in Deutschland in den 1950er-Jahren über 100mal elektrogeschockt.
Irgendwann später wurde ein Tumor in seinem Gehirn entdeckt.
Ob dieser die Folge der psychiatrischen Torturen war oder seine psychischen
Probleme Folgen des entstehenden, unentdeckten Tumors, konnte nicht
geklärt werden. Erwin Pape überlebte die Tumoroperation
nicht, er starb im Dezember 1989. Nach Ende des 2. Weltkriegs war
er der erste Psychiatriebetroffene in Deutschland, der die insbesondere
aus dem angloamerikanischen Raum stammenden sozialwissenschaftlichen
Erkenntnisse über psychiatrische Menschenrechtsverletzungen aufgriff
und gleichzeitig vor der Verwendung des Begriffs "psychische
Krankheit" warnte, da dieser den Herrschaftsanspruch von
Psychiatern impliziere und bestärke.
-
Tina
Stöckle, Lehrerin und Diplom-Pädagogin, kam 1980 in
die Irren-Offensive, eine antipsychiatrische und damals undogmatische
Selbsthilfegruppe, die ich mit Ludger
Bruckmann und anderen Psychiatriebetroffenen in Berlin gegründet
hatte. Sie lebte die radikale Solidarität mit Ausgegrenzten,
ließ diese in
ihrer Diplomarbeit unverblümt zu Wort kommen, ohne ihre Aussagen
zu interpretieren, und forderte von der akademischen Gesellschaft,
ihre Ressourcen auch Psychiatriebetroffenen zur Verfügung zu
stellen. Tina Stöckle starb im April 1992. Ihr zu Ehren trägt
das
Weglaufhaus in Berlin, eine antipsychiatrische Zufluchtsstätte,
den Beinamen "Villa Stöckle".
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Auf Benny
Lihme, Dozent für Sozialpädagogik in Kopenhagen und
Herausgeber der dänischen Zeitschrift Social Kritik, traf
ich 1982 beim antipsychiatrischen "Psychipol"-Kongress
in Amsterdam. Während man in Deutschland Menschen mit anderer
Meinung oft real oder metaphorisch niederbrüllt,
auch gerne als Psychiatriebetroffener (man fühlt sich ja immer
im Recht), beeindruckte er durch sein gelassenes und auch als
Psychiatriebetroffener nicht weiter zu begründendes selbstbewusstes
Auftreten.
-
Leonard
R. Frank lernte ich zuerst als Buchautor und 1987 dann persönlich
in San Francisco kennen. Er überlebte in den 1960er-Jahren 35
gewaltsam verabreichte Elektroschocks in Kombination mit 50 Insulinschocks
und entwickelte wie kein anderer Psychiatriebetroffener eine Stärke,
über Jahrzehnte hinweg bis heute alle
verfügbaren wesentlichen Informationen über diese brutalen
und nach wie vor praktizierten psychiatrischen Behandlungsmaßnahmen
zu sammeln, zusammenzufassen und sie den Betroffenen und der interessierten
Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
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David
Oaks, ebenfalls US-Amerikaner, lernte ich als kompetenten
Autor der Madness Network News zum Thema Neuroleptikaschäden
kennen. Ich erkannte, man muss kein Arzt sein, um die physiologischen
Auswirkungen psychiatrischer Anwendungen zu verstehen. Als
Geschäftsführer von MindFreedom International zeigt
David Oaks, wie wichtig und effektiv ein internationales Netzwerk
aller an der Durchsetzung von Menschenrechten Interessierter
ist.
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Mit Dorothea
Buck, der heute 93jährigen Ehrenvorsitzenden des
deutschen Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener, stritt ich
in dessen Vorstand von 1994 bis 1998 in gegenseitigem Respekt
um das beste Vorgehen, die Rechte von Betroffenen durchzusetzen
und ihnen Gehör zu verschaffen. Nach der Erfahrung von
psychiatrischem Zwang während des Nationalsozialismus
und danach unter anderem Zwangssterilisation, Elektro-,
Cardiazol- und Insulinschocks, Dauerbäder und kalte nasse
Packungen hält sie, basierend auf einem erfahrungswissenschaftlichen
Ansatz, an der Hoffnung auf ein gleichberechtigtes Miteinander
in Lehre und Praxis gemeinsam mit reformwilligen Professionellen
und Angehörigen fest.
-
Kerstin
Kempker ist eine psychiatriebetroffene Autorin, mit der
ich seit vielen Jahren mein Leben teile. Sie war in der zweiten
Hälfte der 1980er-Jahre zur Berliner Irren-Offensive
gestoßen und dann maßgeblich am Aufbau des Weglaufhauses
beteiligt, in dem sie einige Jahre in leitender Stellung arbeitete.
Die Erfahrung
nach wie vor ungesühnter Misshandlung durch Elektro-
und Insulinschocks, kombiniert mit massiver Psychopharmaka-Verabreichung
und wie allgemein üblich ohne informierte
Zustimmung, ließ sie weder den Blick für ihre ebenfalls
psychiatrisch geschädigten Mitmenschen verlieren noch
den kühlen Witz und die Lust am Sprachspiel, am Widerspruch
und am Leben selbst.
Ich habe hier sieben Menschen genannt, die nach meiner Meinung
ebenso einen Ehrendoktortitel verdienen. Hätte ich mehr Zeit,
würde ich noch mehr Namen nennen und charakterisieren, beispielsweise
-
Maths
Jesperson aus Schweden und Karl
Bach Jensen aus Dänemark, zwei langjährige Weggefährten
im Europäischen Netzwerk von Psychiatriebetroffenen (ENUSP);
-
David
Webb aus Australien, der erste promovierte erfahrungswissenschaftlich
orientierte Suizidforscher;
-
Hannelore
Klafki und Wilma
Boevink, zwei engagierte und ebenfalls die Erfahrungswissenschaft
weiterentwickelnde Stimmenhörerinnen (2005 starb Hannelore
Klafki);
-
Tina Minkowitz vom Weltverband
von Psychiatriebetroffenen und Gábor
Gombos aus Ungarn mit ihrem langjährigen Eintreten für
die Sicherung von Menschenrechten Psychiatriebetroffener beide
spielten eine maßgebliche Rolle bei der UN-Konvention der Rechte
von Menschen mit Behinderung;
-
Bhargavi
Davar aus Indien, die sich für die Bewahrung traditioneller
Hilfsmittel im Angesicht der aggressiven globalisierten Marktpolitik
der Pharmamultis engagiert;
-
Jan
Wallcraft aus England mit ihrer erkenntnisreichen betroffenenkontrollierten
Forschung;
-
Judi
Chamberlin, die "große alte Dame" der Selbsthilfebewegung,
und Thilo
von Trotha, ein von Michel Foucault inspirierter Philosoph, der
durch seine brillante theoretische und dialektische Reflexion und
die gedankliche Zuspitzung von Widersprüchen im Psychiatrie-
wie auch im Antipsychiatriesektor bestach. Judi Chamberlin starb im
Januar 2010, Thilo von Trotha im März 2009.
Mit den Genannten habe ich in vielfältigster Weise kooperiert und
von ihnen gelernt, dafür bedanke ich mich ausdrücklich. Darüber
hinaus gibt es seit vielen Jahren Nichtbetroffene, die mich unterstützt
haben und denen ebenfalls mein Dank gebührt, allen voran Marc
Rufer, Arzt und Psychotherapeut in der Schweiz, der mich bei Publikationen
über Schäden und Risiken von Psychopharmaka, über Möglichkeiten
zu deren relativ gefahrlosem Absetzen und zu Alternativen zur Psychiatrie
unterstützt hat und ein wahrer Freund geworden ist.
-
Franco
Basaglia unterstützte mich ohne zu zögern in meinem
Kampf um das Recht auf Einsicht in die eigenen Psychiatrieakten.
-
David
Cooper engagierte sich bei der Suche nach einem Verlag für
mein erstes Buch.
-
Jürgen
Götte, Psychiater in Berlin und Autor des Buches »Wenn
wir in den Wolken wohnen Arzt, Pflegepersonal und Patient als
therapeutische Gemeinschaft auf einer psychiatrischen Station«,
und Eva Renckly, eine seinerzeit im Berliner
Gesundheitsladen aktive Medizinstudentin, halfen mir vorbehaltlos
durch die Erklärung medizinischer Sachverhalte;
-
Craig
Newnes, Psychologe in England, ermöglichte mir Publikationen
im englischsprachigen Raum;
-
Theodor
Itten, Psychologe in der Schweiz, zeigte mir das weite Spektrum
humanistischer Psychotherapie und stiftete die Freundschaft mit Loren
Mosher, dem Vater der Soteria-Bewegung;
-
Peter
Stastny, Psychiater in New York, übersetzte einfach so von
sich aus in seiner Freizeit mein
Manuskript zur Rolle der Sozialpsychiatrie auf dem Weg zum psychiatrischen
Massenmord während des Hitlerfaschismus und wurde mittlerweile
Mitherausgeber von "Statt
Psychiatrie 2" über Alternativen zur Psychiatrie in
aller Welt;
-
Anna
Emmanouelidou, Psychologin in Thessaloniki, übersetzte
ebenfalls von sich aus in ihrer Freizeit das Buch "Psychopharmaka
absetzen" ins
Griechische, fand einen Verleger und bearbeitete als Mitherausgeberin
das Buch für die Leserschaft in Griechenland (eine Unterstützung,
von der jeder Autor und Verleger nur träumen kann);
-
Wolfram
Pfreundschuh, ein in München lebender Psychologe, machte
über viele Jahre hinweg mit viel Engagement meine Bücher
druckfertig;
-
Edmund Schönenberger, Rechtsanwalt, Gründer und Kopf von
PSYCHEX Schweiz, erwies mir die Ehre, Vorstandsmitglied dieser
einmaligen antipsychiatrischen Menschenrechtsorganisation zu werden;
-
Hubertus
Rolshoven, sein Kollege in Berlin, war nicht nur mir lange Zeit
enger Freund, entwickelte mit uns das Psychiatrische Testament und
formulierte juristisch hieb- und stichfeste Sätze, mit denen
ich die Untaten von Psychiatern publik machen konnte;
-
Und natürlich Kostas
Bairaktaris, der engagiert arbeitet an der Überwindung des
herrschenden medizinischen Modells und dessen Nachahmung in der Psychologie
und dessen Engagement letztlich zu verdanken ist, dass der heute beginnende
Kongress des Europäischen
Netzwerks von Psychiatriebetroffenen an der Aristoteles-Universität
stattfinden kann. Am liebsten hätte ich alle Genannten
trotz oder sogar wegen ihrer teilweise recht unterschiedlichen theoretischen
Ansätze ständig in meiner Nähe.
Allerdings müssten sie dann auch die Musik "ertragen",
die mich beim Schreiben oft begleitet: Der
Große Gesang (Canto General), Lobgepriesen
sei (Axion
esti), Marsch
des Geistes (Pnevmatiko emvatirio), von Mikis Theodorakis geschrieben
oder vertont, meist von Maria
Faranduri oder Petros
Pandis gesungen.
Einen Förderer habe ich mir für zuletzt aufgespart,
historisch gesehen steht er am Anfang. Es ist der Berliner Soziologieprofessor
Manfred
Liebel. Er lud mich 1979 ein, als ich aus der Psychiatrie
gleichsam wie aus dem Hades zurück an die Universität
kam, um mein Studium abzuschließen, das durch meine Verrücktheit
kurz vor dem Examen und die damit verbundene Verschleppung in
die Psychiatrie unterbrochen war. Er bot mir an, bei ihm über
meine eigene Verrücktheit zu promovieren aufgrund
des erfahrungswissenschaftlichen Ansatzes seinerzeit eine revolutionäre
akademische Herangehensweise. Ich glaube nicht, dass ich ohne
sein Vertrauen in mich heute hier stehen würde. Aus der Frage,
was wir aus der Wirkung von Neuroleptika über die Natur der
Verrücktheit lernen können als kleines Kapitel
in meiner Dissertation geplant , entwickelte sich ein Buch,
ein Verlag, mehrere Bücher, verbunden mit dem zunehmenden
Engagement für individuelle und organisierte nicht- und antipsychiatrische
Selbsthilfe, für Alternativen und die Durchsetzung von Menschenrechten
auch für Psychiatriebetroffene. Weiter an der Dissertation
zu schreiben und gleichzeitig zu arbeiten, publizieren und mich
zu engagieren war mir nicht möglich, der Tag hat nur 24 Stunden,
seit Jahrzehnten liegt die Dissertation brach. Dass ich jetzt
für die Arbeit, die mich von meiner Dissertation abhielt,
mit einem Ehrendoktortitel ausgezeichnet werde, ist eine feine
Ironie eine Ironie, die passt und die ich gerne akzeptiere.
Viele Jahre war meine Mutter die einzige, die mich nach dem Fortgang
meiner Dissertation fragte. Ihr, die bis ins hohe Alter meine
Bücher Korrektur las (sie starb vor zwei Jahren), meinem
Vater, meinem Bruder und meiner Schwägerin gebührt mein
großer Dank für ihre Unterstützung in der psychopharmakabedingt
hoffnungslosen und düsteren Zeit nach meiner Entlassung aus
der Psychiatrie 1978 und in der Zeit danach. Sicher war es nicht
angenehm, ein gemeindepsychiatrisch mit Depotneuroleptika versorgtes
Familienmitglied zu ertragen, das apathisch und dumpf glotzend
herumsaß, ungepflegt und aufgrund der neuroleptikabedingten
tardiven Dyskinesie der Kaumuskulatur ständig vor sich her
schmatzend. Viele Psychiatriebetroffene leiden ja unter Aggressionen
und Diskriminierung in ihrer Familie; meine Familie war glücklicherweise
anders und konnte erfahren, wie sich Noncompliance, das heißt
die Verweigerung der Unterordnung unter das psychiatrische Behandlungsregime,
auszahlen kann. Dank gebührt auch meiner Freundin Ellen und
meinem Freund Ricci diese Freundschaften überdauerten
als einzige die Zeit der Psychiatrisierung sowie den später
Dazugekommenen, beispielsweise Ludger
Bruckmann, der mich seit 30 Jahren durch all die Tiefen und
Untiefen der Selbsthilfebewegung begleitet; oder dem Filmemacher
Zoran
Solomun, der in seinem Buchbeitrag "Was
hilft mir, wenn ich verrückt werde" das, wofür
wir stehen, mit einfachen Worten auf den Punkt gebracht hat:
"Wir hören zu, sprechen, hören wieder
zu. Wir sagen unsere Wahrheit, von der wir wissen, dass es sie
gibt, und wir hören sie. Und so öffnen wir den Zugang
zur eigenen Tiefe und begegnen der Wärme des anderen. Das
ist die gewöhnlichste Sache, die ich vom Leben erwarte."
Ich hoffe, dass meine Auszeichnung Signal zum Weitermachen auch
für die nächste Generation von Psychiatriebetroffenen
ist. Ich hoffe, dass sie reflektiert und vorsichtig vorgehen,
denn Psychiatriebetroffenheit ist keine Kategorie, die uns zu
besseren Menschen macht. Ich plädiere für ein respektvolles
Miteinander, auch wenn wir unterschiedliche Präferenzen haben,
und für eine produktive Zusammenarbeit mit all denen, die
gegen Verdummung, Unterdrückung, Ausbeutung und Normierung
der Menschen aktiv sind. Geben wir darauf acht, dass wir uns nicht
in neue Abhängigkeiten begeben, denn neben Gesundheit
ist nichts wertvoller als Freiheit und Unabhängigkeit.
Danke besonders an die Aristoteles-Universität und ihre
Psychologische Abteilung für ihren mutigen Schritt, mich
mit einem Ehrendoktortitel
auszuzeichnen. Ich hoffe, dass diese Universität mit ihrer
Wertschätzung des Erfahrungswissens Psychiatriebetroffener
von anderen Universitäten zum Vorbild genommen wird, damit
die Stimmen der Psychiatriebetroffenen besser wahrgenommen und
diese in ihrem Kampf um die Durchsetzung ihrer Menschenrechte
mehr unterstützt werden.
Danke zuletzt all meinen
Schutzengeln, die mich die Demütigungen in der Psychiatrischen Anstalt
und die Diskriminierungen danach ungebrochen überstehen und mich
von den Folgen der erheblichen Körperverletzung durch die Zwangsbehandlung
in der Anstalt und der anschließenden gemeindepsychiatrischen Weiter-"Behandlung"
weitgehend wieder erholen ließen. Ich denke an die Massen von Psychiatrisierten,
die dieses Glück nicht hatten.
Copyright 2010 by Peter Lehmann |